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Ein Mann mit vielen Gesichtern
Der Historiker Hans-Peter Schwarz leuchtet in seiner Axel-Springer-Biografie die Persönlichkeit des umstrittenen Verlegers aus, interpretiert aber dessen politische Rolle allzu wohlwollend.
Unter den großen deutschen Verlegern der Nachkriegszeit war Axel Springer zweifellos der erfolgreichste. Innerhalb nur eines Jahrzehnts schuf er ein riesiges Presseimperium. Vielen galt der Aufsteiger aus Altona in den fünfziger Jahren geradezu als eine Verkörperung des Wirtschaftswunders. Eine Dekade später, Ende der sechziger Jahre, schlug die Bewertung radikal um. Über Nacht wurde aus dem bewunderten Zeitungskönig der Buhmann der Nation. Für die 68er war Springer die Hassfigur schlechthin – ein Mann, der seine Meinungsmacht skrupellos missbrauchte und daher eine Gefahr für die Demokratie darstellte. Das polarisierende Image ist Springer bis zum Ende seiner Tage nicht mehr losgeworden.
Der Bonner Politikwissenschaftler und Historiker Hans-Peter Schwarz hat sich vorgenommen, das Bild Springers von allen Verzerrungen und Legenden zu befreien. Er hat viele Gespräche mit ehemaligen Weggefährten geführt. Darüber hinaus konnte er als erster Historiker ungehindert Einblick nehmen in das Privatarchiv der Familie und ins Unternehmensarchiv der Axel Springer AG. Hans-Peter Schwarz bemüht sich nach Kräften, die Balance zwischen einfühlendem Verständnis und kritischer Distanz zu wahren.
Vorspiel – unter dieser Überschrift handelt der Autor die ersten zwanzig Lebensjahre ab. Tatsächlich wäre die phänomenale Karriere Springers nach 1945 ohne die frühen Prägungen in seiner Heimatstadt Altona kaum verständlich. Sein Vater, ein gelernter Buchdrucker, war seinerseits ein sozialer Aufsteiger. Er hatte 1909 den alten Verlag Hammerich & Lesser erworben, in dem seit den zwanziger Jahren die Lokalzeitung, die Altonaer Nachrichten, erschien. Der 1912 geborene Sohn Axel wuchs also, wie Schwarz treffend formuliert, «mit dem Geruch der Druckerschwärze» auf. Er lernte, nachdem er das Gymnasium frühzeitig hatte verlassen müssen, das Verlagsgeschäft und das journalistische Handwerk von der Pike auf. So erwarb er in jungen Jahren die Kenntnisse, die ihm später als einfallsreichem Blattmacher zustatten kommen sollten.
Axel Springer hat sich nach 1945, als er sich bei den britischen Presseoffizieren um die ersten Lizenzen bewarb, gern zum konsequenten Antifaschisten stilisiert. Doch sein Biograf setzt hier einige Fragezeichen: Zwar habe Springer den Nationalsozialismus innerlich abgelehnt, doch zugleich versucht, sich möglichst unauffällig «durchzuschlängeln». Ein Held sei er nicht gewesen, eher ein «Bruder Leichtfuß», der das Hamburger Nachtleben in vollen Zügen genoss. Schwarz schließt nicht aus, dass bei der Scheidung von seiner ersten Frau, einer «Halbjüdin», im Jahre 1938 auch Karriererücksichten eine Rolle gespielt haben könnten.
Fast ein wenig an Thomas Manns Romanfigur Felix Krull erinnert, wie es der junge Lebemann verstand, sich dem Kriegsdienst zu entziehen, indem er Ärzte fand, die ihm allerlei Leiden attestierten. Schwarz nimmt die penibel aufgelisteten Krankheitssymptome ein wenig zu ernst. Denn dass sich Springer einer recht robusten Gesundheit erfreute, sollte sich nach Kriegsende schlagartig erweisen.
Der Bonner Historiker beschreibt ihn als «eine Art Prototyp jener umtriebigen, lebenstüchtigen, auch bedenkenlosen Nachkriegsgeneration», die für einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung sorgte. Eindrucksvoll wird geschildert, wie der Verlegersohn aus der zu eng gewordenen Spur des Vaters heraustrat und innerhalb von nur zehn Jahren das größte Zeitungshaus Europas aus dem Boden stampfte. Ausgestattet mit einer feinen Witterung für gute Geschäfte und tüchtige Mitarbeiter, machte sich der gerade Dreiunddreißigjährige im Sommer 1945 daran, den Zeitungsmarkt zu erobern. Früh erkannte er die Verwertungsmöglichkeiten, die der Rundfunk, das wichtigste Medium der Nachkriegszeit, bot. Mit der Programmzeitschrift «Hör zu!», deren erste Nummer im Dezember 1946 erschien, landete er auf Anhieb einen Volltreffer. Es folgte im Herbst 1948 das «Hamburger Abendblatt», das sich bald zu einer der erfolgreichsten Lokalzeitungen der Bundesrepublik entwickelte, und im Juni 1952 die Gründung eines Massenblatts neuen Typs, die «Bild»-Zeitung, mit der endgültig der Durchbruch zur Spitze gelang. Im September 1953 kaufte Springer sein künftiges publizistisches Flaggschiff, die liberale «Welt», hinzu. Im vertrauten Kreis ließ er sich nun gern «Grövaz» nennen – «größter Verleger aller Zeiten».
Allerdings macht die Biografie deutlich, dass die einzigartige Erfolgsgeschichte nicht allein dem Ingenium Springers zuzuschreiben war, sondern dass ihm eine Reihe außerordentlich fähiger Helfer zur Seite standen. Es ist gut, dass der Autor diese Männer nicht hinter der übermächtigen Verlegerfigur verschwinden lässt, sondern ihren Anteil ausführlich würdigt.
Schwarz zeigt, dass mit Springers rasantem Aufstieg zu einem der reichsten und mächtigsten Unternehmer der Bundesrepublik ein Wandel seiner Persönlichkeit einherging. Aus dem dandyhaften Jungverleger war ein hart arbeitender Konzernlenker geworden, der seine Chefredakteure unaufhörlich antrieb – erfüllt von rastloser Ungeduld, leicht erregbar und zu Wutanfällen neigend, der nach Phasen der Hochspannung sich aber immer wieder auch depressiven Stimmungen hingab und sich dann in den verdunkelten Gebetsraum in seiner Villa am Falkenstein in Blankenese zurückzog. Schwarz spart die eher verborgenen Seiten im Leben des Großverlegers nicht aus – weder seinen schon in jungen Jahren erkennbaren Hang zur Esoterik und Horoskopgläubigkeit noch seine spätere mit Endzeiterwartungen verbundene Religiosität.
Es sind die zum Teil frappierenden Widersprüche, die den Reiz dieser Biografie ausmachen: Harmoniesucht und Schonungslosigkeit, Frömmigkeit und ein Leben im Luxus, Liebe zu Israel und Großzügigkeit gegenüber ehemaligen Nazis existierten nebeneinander. Einen «Mann mit vielen Gesichtern» nennt Schwarz den Verleger, und zweifellos kommt ihm das Verdienst zu, so wissbegierig wie noch kein Biograf vor ihm in die komplizierte Psyche Springers hineingeleuchtet zu haben. Dazu gehört auch dessen unersättliches Verlangen, nicht nur immer neue Zeitungen und Zeitschriften zu erwerben, sondern auch immer neue Frauen zu erobern. Wer sich für die (fünf) Ehen und die zahlreichen Affären interessiert, der kommt hier auf seine Kosten.
Im Mittelpunkt steht freilich der Verleger, der seit Mitte der fünfziger Jahre daranging, seine Medienmacht in politischen Einfluss umzusetzen. In diesen Kontext ordnet Schwarz auch die Entscheidung des Pressezaren ein, sich verstärkt in Berlin – der «Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschland» – zu engagieren. Tatsächlich hat Springer damals daran geglaubt, dass eine Wiedervereinigung in Reichweite läge, und mit einem entsprechenden Plan reiste er im Januar 1958 nach Moskau. Doch der sowjetische Staatschef Nikita
Chruschtschow ließ den Besucher aus der Bundesrepublik kühl abblitzen. Und auf diese Kränkung führt der Autor den abrupten Kurswechsel zurück, den Springer seinen Blättern verordnete. Von nun an mussten sie mit allen Mitteln gegen die Sowjetunion und die DDR (stets in Gänsefüßchen geschrieben) zu Felde ziehen. Aus einem Liberalen mit Sympathien für die Sozialdemokratie war ein kompromissloser Kalter-Krieger geworden, der nicht erkannte, dass gerade in den sechziger Jahren die weltpolitischen Zeichen eher auf Entspannung standen.
Das Jahr 1968 markiert einen Bruch in Springers Leben, und in gewisser Weise gilt das auch für diese Biografie. Denn Hans-Peter Schwarz vergisst, wenn er auf die 68er zu sprechen kommt, eine Kardinaltugend des Historikers, nämlich sine ira et studio zu urteilen. Über die rebellierenden Studenten und die mit ihnen sympathisierenden Linksintellektuellen äußert er sich nur in süffisant-ironischem, manchmal auch in höhnisch-diffamierendem Ton.
Der Krieg, den die Verleger von «Spiegel» und «ZEIT» sich mit Springer lieferten, ist ein interessantes Stück Pressegeschichte. An Springer gingen die Angriffe nicht spurlos vorbei. Er war, schreibt Schwarz, «im Innersten getroffen» und spielte zeitweilig mit dem Gedanken, alles zu verkaufen. Doch nach der Bildung der sozialliberalen Koalition im Herbst 1969 nahm er davon Abstand, um, ein weiteres trübes Kapitel, seine geballte publizistische Macht nun gegen die «neue Ostpolitik» einzusetzen. In Willy Brandt, mit dem er in den fünfziger und frühen sechziger Jahren noch ein herzliches Einvernehmen gepflegt hatte, sah Springer nun einen «Verräter» und «zweiten Verderber Deutschlands». Den grandiosen Wahlsieg Brandts im November 1972 kommentierte er mit den Worten: «Wir sind sicherlich auf dem Nullpunkt der Geschichte Deutschlands in den letzten 100 Jahren angekommen.»
Schwarz zitiert solche Ungeheuerlichkeiten, doch vermisst man wiederum eine kritische Auseinandersetzung mit der in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einzigartigen Fundamentalopposition eines mächtigen Pressekonzerns.
So hinterlässt diese Biografie einen zwiespältigen Eindruck. Sie besticht durch flüssige Darstellung, Fülle des ausgebreiteten Materials und viele unbekannte Details aus dem Leben des Pressetycoons. Die vielschichtige, facettenreiche Persönlichkeit Springers tritt plastisch hervor. Doch dessen Rolle als politischer Verleger hat Schwarz allzu weich gezeichnet. Gewiss, Springer hat am Ziel der Wiedervereinigung festgehalten, als andere es schon fast aus dem Auge verloren hatten. Aber das macht ihn noch nicht zum Visionär, als der er uns am Ende präsentiert wird.
Von Volker Ullrich
Hans-Peter Schwarz: Axel Springer. Die Biografie. Propyläen/Ullstein Buchverlage, 2008.
Der Text ist entnommen aus: http://www.zeit.de/2008/12/P-Springer?page=all