Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №15/2008

Sonderthema

Oswald von Wolkenstein

Um 1376 erblickt Oswald von Wolkenstein in Südtirol das Licht der Welt. Er wurde in eine raue Wirklichkeit hineingeboren, die schon in seiner Jugendzeit ein markantes Mal in seinem Gesicht hinterließ: Er verlor ein Auge, und als Einäugiger ist er auf manchen Abbildungen zu identifizieren. Sie zeigen ihn mal als repräsentativen Würdenträger mit seinen Orden, mal als Sänger, mal als Gefolgsmann des Kaisers. Viel bedeutender sind jedoch seine eigenen, literarischen Hinterlassenschaften, die eine große Zahl von Liedern verschiedensten Inhalts umfassen. Liebeslieder, Reiselieder, geistliche Lieder zeugen von seinem bewegten Leben, das ihn bis an die Grenzen des christlichen Abendlandes und darüber hinaus brachte. Oswald kann als der erste moderne Mensch bezeichnet werden, der in seinen Texten unbekümmert Auskunft über sein Selbstverständnis, aber auch über sein Weltbild und seine privaten wie öffentlichen Verhältnisse im Dienste des Königs gibt.
Zergangen ist mein Herzensweh,
seit wieder fließen will der Schnee.
Erwachet sind der Erde Dünsts
drum mehren sich die Wasserünst
von Kastelruth bis in den Eisack
das will mir wohl behagen.
Oswald von Wolkenstein war der erste deutschsprachige Dichter, der die Natur besang. Obwohl er bis ins hohe Alter ein ungestümer Abenteurer blieb und in viele fremde Länder reiste, liebte er doch seine Heimat Südtirol, in der er 1376 zur Welt kam.
Ich hör die Vöglein groß und klein
in meinem Wald um Hauenstein
die Töne brechen in der Kehl
und klare Noten schellen
hoch bis zum «ut», hinauf zum «la»
und tief zu Tale bis zum «fa»
mit vielen süßen Stimmen hell,
drum freut euch, ihr Gesellen!
Oswald schildert ein Natur­erlebnis, das ist neu in der Dichtung des ausgehenden Mittelalters. In der mittelalterlichen Lyrik gab es bis dahin keine Naturgedichte. Freilich – Besitzerstolz klingt auch mit an: «in meinem Wald um Hauenstein» – das kündet vom Standesbewusstsein des Ritters, denn Oswald stammt, anders als die meisten Minnesänger aus einem angesehenen Rittergeschlecht. Der Literaturwissenschaftler Josef Nadler schreibt über ihn: «Oswald ist der erste moderne Mensch, der sich in seinen Liedern ausdrückt.»
Das heißt, er ist der Erste, der ganz realistisch von seinen eigenen Erlebnissen spricht. Bis dahin hatte es in der mittelalterlichen Lyrik, dem Minnelied und der Minneklage, dem Tagelied, Tanzlied und der Vagantendichtung, fest gefügte Formen und Inhalte gegeben. Die Kunst des Dichters bestand darin, neue kunstvolle Vers- und Reimkombinationen zu finden. Oswald geht darüber hinaus, er stellt sich als individuelle Persönlichkeit vor und schreibt Gedichte mit biografischem Inhalt. Das bedeutete einen klaren Bruch mit den Regeln der Minnelyrik, in der es keinesfalls um persönliche Gefühle ging, sondern um Normen und Werte. Gleichzeitig spielt er mit den überlieferten Formen des Minnesangs, zum Beispiel der Idealisierung der Frau und der Klage über ihre Unerreichbarkeit. Sein Bio­graf Anton Schwob schrieb daher: «Oswald ist der letzte Minnesänger.»
Der erste moderne Mensch, der letzte Minnesänger – beides trifft zu. Oswald ist ein Mensch voller Widersprüche. Das mag auch daran liegen, dass er an der Grenze zwischen zwei Epochen steht, dem Mittelalter und der Renaissance. Als er 1376 zur Welt kam, hatte der Ritterstand seine beste Zeit schon lange hinter sich. Die Ritter hatten ihre frühere militärische Bedeutung eingebüßt und damit an Bedeutung verloren. Sie gehörten zum niederen Adel, viele litten wirtschaftliche Not.
So schlimm stand es um die Wolkensteiner nicht, sie besaßen genügend Grund und Boden. Oswald allerdings war nur der zweite Sohn des Ritters Friedrich von Wolkenstein und damit nicht der Erbe des Vermögens. Durch einen Unfall verlor er schon als Kind sein rechtes Auge. In der Familienchronik heißt es: «Das Aug ist ihm im Fastnachtstreiben ausgeschossen worden, doch nicht mit Willen, sondern aus Versehen.»
Er erwähnt es in seinen Gedichten nur einmal, es scheint ihn nicht behindert zu haben. Er war hart im Nehmen. Schon im Alter von zehn Jahren verließ er sein Zuhause und zog als Knappe in die Welt.
Kurz vor seiner Heirat im Jahr 1416 hielt er in dem Gedicht Es fügte sich Rückblick auf sein Leben, das so viel abenteuerlicher war als das seiner meisten Zeitgenossen:
Es fügte sich, ich war noch kaum
zehn Jahre alt,
da wollte ich besehen dieser Welt
Gestalt.
In Elend, Armut, manchem
Winkel heiß und kalt
hab ich gewohnt bei Christen,
Griechen, Heiden.
Drei Pfennig in dem Beutel und
ein Stückchen Brot
nahm ich als Zehrung mit auf
meinem Pfad zur Not.
Ein bisschen mehr wird es schon gewesen sein, aber kärglich war seine Ausrüstung bestimmt. Dem zweiten Sohn blieb damals nichts anderes übrig, als einen fahrenden Edelmann zu begleiten und auf Reisen zu gehen. Und es waren sicher keine Vergnügungsreisen in komfortabel ausgestatteten Kutschen, sondern meist beschwerliche Ritte durch gefährliches, unwegsames Gelände. Ständig ritt die Angst mit, entweder von Räubern oder von wilden Tieren angefallen zu werden.
Er kam bis nach Litauen und Russ­land, in die Türkei, nach Nordafrika, Spanien und Frankreich, mal als Soldat, mal als Koch und als Pferdeknecht. In einem Gedicht gibt er zu, dass er nur selten vernünftig gehandelt hat, und steht doch selbstbewusst zu seiner Vergangenheit.
Ich hab gelebt wohl vierzig
Jahre bis auf zwei
mit Toben, Wüten, Dichten,
Singen mancherlei.
Es wär’ wohl Zeit, dass ich auch
eigenes Kinds Geschrei
als Gatte hörte aus der Wiege
gellen.
Ich, Wolkenstein, leb selten fein
vernünftiglich,
weil es mich freut, das Lob der
Welt zu wählen.
Nach 14 Jahren des Reisens erfuhr er unterwegs vom Tod des Vaters. Er kehrte im Jahr 1400 nach Hause zurück, musste aber zähneknirschend mit ansehen, wie der älteste Bruder Michael alles Hab und Gut an sich riss. Die beiden jüngeren Brüder Oswald und Leonhard bekamen zunächst gar nichts.

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Das «Konstanzer Porträt» von 1417: Ausschnitt aus der Darstellung der Belehnung des Pfalzgrafen Ludwig III. (aus Heidelberg) durch König Sigmund am 11. Mai 1417 in Konstanz. Oswald ist der zweite Reiter von rechts.

In der Ständegesellschaft des Mittelalters galt zwar der älteste Sohn einer adligen Familie als Erbe des Titels und des Grundbesitzes, aber natürlich war er verpflichtet, die jüngeren Geschwister zu versorgen. Wenn eine Familie, wie das bei den Wolkensteinern der Fall war, mehrere Anwesen in Brixen und Klausen und mehrere Burgen besaß, erwartete man vom Ältesten, dass er den jüngeren Brüdern je ein Gut als sogenanntes «Afterlehen» gab. Doch Michael ließ sich jahrelang Zeit, was den temperamentvollen Oswald immer wütender machte.
Im Jahr 1404 erreichte der Ritter den moralischen Tiefpunkt seines Lebens: Er klaute Michael die Juwelen, die zum Familienerbe gehörten, und behauptete dann auch noch, Michaels Frau habe die verschwundenen Kleinodien mit einem Liebhaber durchgebracht. Michael, der genauso jähzornig war wie Oswald, glaubte der Verleumdung und hätte um ein Haar seine Frau umgebracht. Ein Bedienter brachte die Wahrheit ans Licht. Oswald musste vor einem adligen Ehrengericht die Lüge zurücknehmen und um Entschuldigung bitten.
Ein höchst unritterliches Delikt, das sicher aus Ärger über das vorenthaltene Erbe begangen wurde. Es dauerte noch weitere drei Jahre, bis der Streit beigelegt wurde.
Im Jahr 1407 kam es endlich zur Erbteilung. Oswald erhielt einiges an Vermögen und die Burg Hauenstein am Schlern, ein Lehen des Bischofs von Brixen, das er sich allerdings mit einem gewissen Martin Jäger teilen musste. Er ignorierte dessen Anspruch und kassierte von allen Bauern Naturalerträge für sich allein. Viele Jahre später sollte er dafür büßen müssen. Doch zunächst genoss er, endlich Geld zur Verfügung zu haben und wieder auf Reisen gehen zu können.
Seiner Geliebten Anna Hausmann fiel der Abschied schwer, doch er konnte sie ganz ungeniert verlassen, weil sie mit einem anderen Mann verheiratet war. Er unternahm eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Nach seiner Rückkehr begleitete er den Bischof von Brixen zum Konzil von Konstanz. Da er als Besitzer von Hauenstein ein direktes Lehensverhältnis zum Bischof eingegangen war, gehörte die Begleitung zum Konzil zu seinen Pflichten.
Allerdings – für theologische Fragen interessierte sich Oswald nicht. Er besuchte fremde Gesandtschaften und saß abends in den Kneipen rund um den Bodensee.
Wer sich den Beutel wünscht
gering
und will, dass ihm das wohl geling,
der such den Weg nach Überling.
Ein Wein, so süß wie
Schlehentrank,
macht mir die Kehle rau und
krank,
im Hals verirrt sich mein Gesang.
Da war ’ne Dirne in dem Haus,
zwei Brüstchen wie ’ne Fledermaus,
die hingen ihr beim Mieder raus,
tät manchen schon erschrecken.
Seine Lieder gefielen den hohen Herrschaften. Man kann sagen, Oswald instrumentalisierte Dichtung und Gesang für sein persönliches Ziel, mehr zu werden als nur der Begleiter des Bischofs. Und er hatte Erfolg. König Sigmund nahm ihn als Diplomaten in sein Gefolge auf. Das war ein unerhörter gesellschaftlicher Aufstieg für einen einfachen Ritter aus Tirol.
Sein erster Auftrag führte ihn nach Spanien und Portugal. Auf dem Rückweg wurde er von Königin Isabeau von Frankreich mit einer Auszeichnung geehrt:
Ich lernte auf den Knien gehen
in meinen alten Tagen.
Auf Füßen durfte ich nicht stehen,
um mich vor sie zu wagen.
Frau Isabeau von Frankreich,
die Königin so würdenreich,
hat mir den Bart mit eigner Hand
bekrönt mit einem Diamant!
Als ihn König Sigmund nach Konstanz zurückschickte, war er zunächst ein bisschen enttäuscht, aber gleich nach seiner Ankunft lernte er Margarete von Schwangau kennen. Er beschloss, eine Familie zu gründen, verließ König Sigmunds Gefolge und heiratete seine «stolze Schwäbin», wie er sie nannte.
In seinen Liedern für Margarete zeigt sich Oswalds künstlerische Originalität. Der klassische Minnesang war eine abstrakte Liebesdichtung und die besungene Dame in der Regel eine verheiratete Frau von hohem Stande. Die Formen waren so stilisiert, dass es gar keinen Unterschied gab zwischen persönlichem Erleben und höfischer Konvention. Das hohe Minnelied wollte auch keine sinnliche Erfüllung darstellen, sondern eine Huldigung an die unerreichbare Dame des Herzens. Damit übernahm der Minnedienst eine wichtige Aufgabe: Er erzog zu einer Veredelung der Sinne und der Sitten. Die Leidenschaft musste sich der richtigen Form und der idealen Haltung unterordnen.
Oswald sprengte diese Konvention des Minnesangs. Seine Geliebte und spätere Frau Margarete von Schwangau hat er in der klassischen idealisierenden Form besungen, die eigentlich nur der verheirateten Frau des höheren Lehnsherren zugekommen:
Die stolze Schwäbin macht
das wahr,
an der ich keinen Makel fand.
Die Taille schmal, der Hintern dick
und rund gewölbt, schön unterteilt,
die Schenkel voller heißer Glut,
die Waden schlank zur Fessel hin
und ihre Füßchen klein und schmal.
In einem Dialog, sie nennt ihn «mein Ösilein», erklären sich beide ihre Zuneigung:
He, Gretchen, Grete, Gretelein,
du schöne Freundin und Geliebte,
bleib mir und deinem Ansehn treu.
«Das liegt an dir, mein Ösilein,
für immer will ich bei dir lernen,
was treue Ehebindung ist.»
Im Jahr 1417 heirateten die beiden. Sieben Kinder gingen aus der Ehe hervor. Das heißt aber nicht, dass Oswald als verheirateter Mann sein unbändiges Temperament zügelte und sein Leben nun in ruhigeren Bahnen verlief.
Noch immer kämpfte Martin Jäger um seine Teilhabe an Hauenstein und den Naturalabgaben. Nachdem eine Klage beim Herzog nichts genutzt hatte, griff er zur Selbsthilfe. Er tat sich mit der von Oswald enttäuschten Anna Hausmann zusammen. Die ehemalige Geliebte bat den Wolkensteiner um ein Treffen an einem Wallfahrtsort. Und er, einem kleinen Abenteuer nicht abgeneigt, sagte zu.
Auf dem Weg dorthin wurde er von einem Trupp überfallen, den Martin Jäger angeheuert hatte, und auf die Burg Vall gebracht. Martin Jäger wollte ihn zur Unterschrift unter den Teilungsvertrag zwingen und schreckte vor Folter nicht zurück. Die rachsüchtige Anna schaute zu.
Dass ich ihr einst zu Willen trug
ein goldenes Kettelein mit Fug,
versteckt am Arm, verschlossen
klug,
das hat sie rein vergessen.
Jetzt ließ sie mir zum Unterscheid
ein Eisenschloß, drei Finger breit,
als Band der Treue eng bereit
an seine Stelle pressen.
Die kluge Liebe schaut auf’s Geld,
drum ward ich munter hochgequält
mit Füßen an der Stange.
Viertausend Mark begehrt das
Herz,
und Hauenstein – so hieß der
Scherz.
Das fühlte ich, als mich der
Schmerz
ließ knirschen an dem Strange.
Da pfiff sie mir mit Katzenhohn,
da fiepte ich im Mäuseton.
Fünf Eisen hielten mich in Fron
nach ihrem Willen lange.
Er spricht von Todesangst, doch die war unbegründet. Martin Jäger wollte nur finanzielle Wiedergutmachung. Der Tod des Ritters hätte ihn in die größten Schwierigkeiten gestürzt. Aber auch dessen Gefangennahme brachte ihm Ärger.
Oswalds Brüder, so uneins sie sich sonst waren, schritten zur Tat. Sie wussten schon, dass eine schriftliche Eingabe bei Herzog Friedrich von Tirol nichts nutzen würde. Deshalb kidnappten sie mehrere hohe Herren aus Herzogs Staatsrat und erreichten auf diese Weise, dass Friedrich sich mit dem Fall befasste. Er ließ den Ritter in eine seiner eigenen Burgen bringen und dort gefangen halten. Es dauerte zwei Jahre, bis er endlich verfügte, dass Oswald gegen eine Bürgschaft von 6 000 rheinischen Gulden freigelassen werden sollte, ein Vielfaches der Summe, die Martin Jäger gefordert hatte.
Zum Vergleich: die gesamten Einkünfte des Herzogs aus allen Bergwerken, Salinen und Zolleinnahmen betrugen 62 000 Gulden im Jahr. Ein Zehntel dieser Summe war also ein riesiges Vermögen.
Die Brüder bürgten. Oswald kam frei und musste ihnen und zwei weiteren Bürgen zur Sicherung der Bürgschaft all sein Hab und Gut überschreiben.
Außerdem hatte er die Auflage bekommen, sich regelmäßig am herzoglichen Hof zu melden und sich mit Martin Jäger zu einigen.
O schnöde Welt,
so lang mich Leib und Gut in dir
verschließen,
find ich dich eitel nur und schwach
in Wort, Werk und Gebaren.
Ein Gutes hatte der Vorfall aber doch: Die Brüder schlossen ein Schutz- und Trutzbündnis, das in Zukunft jeden von ihnen vor unbedachten Taten bewahren sollte. Wenn einer von ihnen seinem Jähzorn nachgeben wollte und irgendeine Gewaltaktion plante, sollte er vorher die anderen zwei um Rat fragen, das versprachen sie einander. Auch im Hass gegen den Herzog, der schon seit vielen Jahren schwelte, waren sie sich einig.
Seit 1406 regierte Herzog Friedrich in Tirol. Er versuchte, den Adel zu entmachten, und beschnitt die Rechte der Grundherren mit grober Faust. Die Adligen gründeten schon 1406, gleich zu Beginn seiner Regentschaft, einen Bund gegen den Landesherrn: den sogenannten «Elefantenbund». Oswald war natürlich Gründungsmitglied. Er bekämpfte den Herzog von Anfang an. Nach seiner Freilassung dachte er gar nicht daran, der ihm auferlegten regelmäßigen Meldepflicht nachzukommen. Er ritt nach Ungarn, wo sich König Sigmund aufhielt, und bat um einen königlichen Brief für freies Geleit, damit ihn Friedrich nicht verhaften könne.
Er erhielt ihn auch, doch als er nach Tirol zurückkam, spitzte sich die Situation zu. Die Adligen hatten sich gegen den Herzog erhoben. Sie wollten die Reichsunmittelbarkeit. Damit wären sie nur noch dem König untertan gewesen.
Friedrich berief den Landtag ein und schaffte es, die Bauern und den Klerus auf seine Seite zu bringen. Der Landtag erklärte den Elefantenbund für ungesetzlich.
Daraufhin gaben die meisten Adligen klein bei – nur die Wolkensteiner nicht. Sie verbarrikadierten sich auf Schloss Greifenstein. Als Friedrich sie mit einem Bauernheer belagerte, wehrten sie sich lange, dann wagten sie den Ausbruch.
«Pack zu!», rief Michael von
Wolkenstein.
«Die hetzen wir!», rief Oswald
von Wolkenstein.
«Los, schnell!», rief Leonhard
von Wolkenstein.
«Wir jagen die jetzt weg von
Greifenstein!»
Ein Schleudern von Geschossen,
ein groß Gebraus
begann da unverdrossen. Eil dich
nur und saus!
Nun rühr dich, guter Hofmann,
sonst ist es aus!
Auch ward da angesengt manch
Dach mit Mann und Maus.
Die Bozner, vom Ritten, und die
von Meran,
Vom Hafling, von Mölten, die
zogen heran,
Särtner, Jenesier, manch
trotziger Mann
wollt uns kassieren, doch kamen
wir davon.
Sie kamen mit dem Leben davon, doch der Herzog siegte am Ende. Er verbündete sich mit König Sigmund, der ihr Beschützer gewesen war.
Oswald empfand das als Verrat. Er war für Sigmund als Gesandter durch Europa gezogen, für ziemlich kargen Sold, wie er bemerkt, und hatte sich immer loyal verhalten. Jetzt ließ ihn der König im Stich. Das setzte ihm zu. Schon die zwei Jahre Gefangenschaft, erst bei Martin Jäger, dann beim Herzog, hatten ihm seine bis dahin unverwüstliche Zuversicht geraubt. Der königliche Verrat versetzte ihm einen weiteren schweren Stoß.
1427 ließ ihn der Herzog noch einmal gefangen setzen. Eine Art Beugehaft, um endlich den Streit um Hauenstein zu beenden. Diesmal gab Oswald nach. Am 1. Mai 1427 schloss er den Vertrag mit Martin Jäger: Die Burg Hauenstein geht in den alleinigen Besitz des Ritters Oswald von Wolkenstein über. Martin Jäger erhält eine Abschlagszahlung von 500 Golddukaten. Oswald von Wolkenstein gelobt seinem Landesherrn Herzog Friedrich die Treue und wird von diesem in Huld wieder aufgenommen.
Oswald hielt sich an sein Wort. Zwar trieb ihn seine Unrast auch weiterhin auf Reisen, doch dem Landesfürsten gegenüber blieb er loyal.
In seinen späten Jahren nahm er noch am Hussitenkrieg teil, reiste nach Rom und zum Konzil nach Basel. Erst mit 60 wurde er ruhiger, blieb in Tirol und fing an, sich mit Kommunalpolitik zu beschäftigen. Als 68-Jähriger wurde er im Sommer 1445 sogar Mitglied des Landtags in Meran. Doch seine Kräfte waren aufgebraucht. Am 2. August 1445 starb er in Meran. Seine Familie ließ ihn im Kloster Neustift beisetzen.

Autorin: Susanne Tölke
Redaktion: Hildegard Hartmann
© Bayerischer Rundfunk

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de

Fragen zum Text

1. Von wann bis wann lebte Oswald von Wolkenstein?
2. Was ist das Neue in Oswalds Dichtkunst?
3. Welche Länder bereiste Oswald?
4. Warum unterbrach Oswald seine erste Reihe von Reisen durch die Welt?
5. Aus welchem Grund fuhr er zum Konzil von Konstanz?
6. Welchen einflussreichen Politiker lernte Oswald in Konstanz kennen?
7. Welchen Dienst zog Oswald schließlich dem Dienst am König vor?
8. Warum kam Oswald sogar ins Gefängnis?
9. Was war die größte Enttäuschung im Leben Oswalds?
10. Welche Themen umfassen Oswalds Lieder?

Mögliche Antworten

1. Er wurde wahrscheinlich 1376–1378 in Südtirol geboren und starb am 2. August 1445 in Meran.

2. Er beschreibt die Natur, stellt sich selbst als individuelle Persönlichkeit dar und schreibt Gedichte mit biografischem Inhalt.

3. Unter anderem bereiste er Litauen und Russland, die Türkei, Nordafrika, Spanien und Frankreich.

4. Er erfuhr vom Tod seines Vaters und musste sich um seinen Anteil am Erbe kümmern.

5. Oswald musste den Bischof von Brixen begleiten, als dessen Lehnsmann er zur Gefolgschaft verpflichtet war.

6. König Sigmund.

7. Als er Margarete von Schwangau kennenlernte, verließ er Sigmunds Gefolge.

8. Er hatte Martin Jäger um dessen Anteil an der Burg Hauenstein betrogen und war von diesem in einen Hinterhalt gelockt und gefangen genommen worden. Für seine Freilassung musste Oswald auf sein Hab und Gut verzichten.

9. König Sigmund, dem Oswald lange als Gesandter gedient hatte, wendete sich im Streit mit dem Herzog von Tirol von ihm ab. Er empfand das als schweren Verrat.

10. Liebe, Natur, biografische und politische Einzelheiten, religiöse Fragen.

Glossar

Afterlehen
Im Mittelalter wurden Dienste als Gefolgsmann nicht finanziell, sondern durch Belehnung (lebenslange Überlassung) mit Grundbesitz vergolten. Ein Afterlehen war ein Lehen, das der Lehnsgeber seinerseits von einem höher gestellten Lehnsherrn empfangen hat.

Höfische Konvention
Sitten und Gebräuche bei Hof. Später entwickelte sich daraus unsere «Höflichkeit».

Klerus
Stand der Geistlichen in der mittelalterlichen Stände­gesellschaft.

loyal
dem Vorgesetzten, in diesem Fall König Sigmund, treu ergeben.

Minnelied, Minnelyrik, Minneklage, Minnesang
Minne ist eine besondere Art der Liebe, in der die Verehrung einer meist verheirateten, angesehenen Dame des Hofes im Vordergrund steht. Die Minneklage entsteht, wenn der Minnedienst des Minnesängers ohne die ersehnte Erfüllung bleibt.

Reichsunmittelbarkeit
Direkte Unterstellung unter die Oberhoheit des Königs. Dadurch verliert der Herzog seinen Einfluss auf den Adel in seinem Gebiet.

Renaissance
Zeitalter zwischen Mittelalter und Barock, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht und man sich auf klassische Werte zurückbesinnt.

Ständegesellschaft
Die mittelalterliche Gesellschaft war in drei Stände gegliedert: die Geistlichkeit (Klerus), den Adel und den dritten Stand, der Bauern und Bürger umfasste.

Tagelied
Sonderform des Minnelieds, in dem bei Tagesanbruch nach einer Liebesnacht die notwendige Trennung von der Geliebten beklagt wird.

Personen

Friedrich
Herzog von Tirol, Landesherr, dessen Gerichtsbarkeit Oswald unterworfen war, gegen den er aber kämpfte und dem er schließlich unterlag.

Isabeau (1371–1435)
Von 1385 bis ca. 1422 Königin von Frankreich, die unter anderem Oswald auszeichnete.

Jäger, Martin
Mit ihm musste Oswald den Besitz an der Burg Hauenstein teilen, was zu gegenseitigen Reibereien und schließlich zum Verlust des Besitzes Oswalds führte.

Margarete von Schwangau
Ehefrau Oswalds. Er nannte sie die «stolze Schwäbin».

Nadler, Josef (1884–1963)
Germanist und Literaturhistoriker, der sich mit Oswald von Wolkenstein befasst hat.

Sigmund bzw. Sigismund von Luxemburg (1368–1437)
Unter anderem römisch-deutscher König seit 1410 und römisch-deutscher Kaiser seit 1433. König, in dessen Auftrag Oswald als Gesandter durch Europa reiste. Oswald verließ dessen Gefolgschaft, als er Margarete kennenlernte. Später hinterging Sigmund seinen ehemaligen Gefolgsmann Oswald.

Schwob, Anton
Ordinarius für Ältere Deutsche Sprache und Literatur am Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Universität Graz, Biograf Oswalds.

Ulrich I.
Bischof von Brixen, Lehnsherr über die Burg Hauenstein und damit auch über seinen Lehensmann Oswald. Mit ihm kam Oswald zum Konzil von Konstanz, wo er König Sigmund kennenlernte.

Hintergrundinformationen

Minnelyrik des Mittelalters
img2 Denken wir an mittelalterliche Lyrik, so kommen uns unwillkürlich Namen wie Walther von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach in den Sinn. Sie stehen für eine besondere Art von Liebeslyrik, die sogenannte Minnelyrik, die im Hochmittelalter an den einflussreichen Höfen vieler Fürsten verbreitet war. In der Minnelyrik wird allerdings eine Scheinwelt aufgebaut, in der der fahrende Minnesänger von der Gunst seiner meist verheirateten Minnedame lebt und in deren erotischem Spannungsfeld Gesellschaft, Ehemann, Herrin des Hauses und eben der Sänger eine feste Rolle einnehmen. Doch spätestens Walther erkennt, dass diese Scheinwelt nur die höfisch-höfliche Fassade vor einer raueren Wirklichkeit ist, in der die zarte, erotische Liebe keinen Platz mehr findet.
So ist es nur folgerichtig, dass sich alsbald Dichter zu Wort melden, die mit einem sicheren Gespür für die Realitäten neue Themen erschließen. Ein solcher Dichter ist Oswald von Wolkenstein, der in seinem bewegten Leben vielfältige Erfahrungen sammelt, die er in seinem umfangreichen Werk verarbeitet. Außerdem ist von keinem anderen mittelalterlichen Dichter so viel bekannt wie von Oswald. So ist es uns möglich, sein Leben genau zu rekonstruieren, und sogar sein markantes Aussehen ist relativ sicher überliefert.

Oswalds Leben
Oswald wurde zwischen 1376 und 1378 in Südtirol, wahrscheinlich auf einer der Burgen Schöneck im Pustertal, Säben, der Trostburg oder auf Wolkenstein geboren. Sein Urgroßvater Randolt von Villanders, Verwalter der bischöflichen Burg Säben, hatte 1293 die Burg Wolkenstein im Grödnertal gekauft. Nach diesem Besitz nennt sich die Familie seit dem Ende des 14. Jahrhunderts. Oswalds Vater Friedrich und seine Mutter Katharina von Villanders haben drei Söhne, deren zweiter Oswald ist. Oswald hat auch vier Schwestern. Durch einen Unfall verliert er in frühester Jugend das rechte Auge. Die dadurch hervorgerufene Gesichts­entstellung ermöglicht es, Oswald auf Abbildungen zu identifizieren. Das geschlossene Auge könnte aber auch auf eine mögliche angeborene Lidlähmung hinweisen.
1417 heiratet Oswald die wohlhabende Margarete von Schwangau, die er Gret, die stolze Schwäbin nennt. Aus dieser Verbindung gehen sieben Kinder hervor.
In seinem Lied Durch Barbarei, Arabia gibt uns Oswald einen Einblick in sein bewegtes Leben. Er nennt die Länder, die er teils aus eigenem Interesse, teils in diplomatischen Diensten für den deutschen Kaiser Sigmund I. bereist: Vom heiligen Land bis Portugal, von Skandinavien bis Nordafrika führt ihn sein Geschick.

Oswalds Lieder
Viele persönliche Mitteilungen, die der Dichter gerne in seine Lieder einstreut, geben uns das Bild eines derben, wenig zimperlichen und bisweilen gewalttätigen Menschen. Ergänzt werden diese biografischen Daten durch Namensnennungen in Urkunden und anderen historischen Quellen. Seine humorvolle und lebensfrohe Sprache kann bereits dem Frühneuhochdeutschen zugerechnet werden und entfernt sich deutlich vom Mittelhochdeutschen der Minnelyrik. Seine Lieder sind von wortgewaltiger Fülle und teils gewagten Wortschöpfungen geprägt. Zur vitalen, sinnlich-gegenständlichen Erfahrung der Welt gesellen sich oft beißender Humor, Ironie und Parodie. Ferner hat Oswald in seinen beiden selbst in Auftrag gegebenen Liederhandschriften nicht nur seine Texte und sein Portrait der Nachwelt überliefert, sondern er ist auch der erste Dichter deutscher Sprache, zu dessen Liedern Melodien erhalten sind. Sein Werk umfasst 126 echte Lieder, 122 ein- und mehrstimmige Kompositionen und Umdichtungen lateinischer Reimpaarreden. Darunter fallen Liebeslieder in Ich-Form, Tagelieder und Pastorellen, Liebesdialoge und Minneallegorien, Trink- und Scheltlieder, Reise- und geistliche Lieder. Derbe, sexualitätsbezogene Inhalte stehen neben lyrischen Texten von hohem Stil. Die Melodien komponiert Oswald nach italienischen und französischen Vorbildern selbst.