Wissenschaft und Technik
Gleichstrom gegen Wechselstrom
Zwei Männer wollen die USA mit Elektrizität versorgen: Thomas Alva Edison und George Westinghouse. 1887 entbrennt zwischen ihnen ein erbitterter Kampf um das bessere Stromsystem. Edison ist dabei jedes Mittel recht.
Den schwarzen Neufundländer müssen mehrere Männer festhalten, damit die Elektroden an seinen Vorder- und Hinterläufen angebracht werden können. Das Publikum im Hörsaal blickt in den Käfig, in dem der verkabelte Hund steckt. Dann startet ein Techniker den Stromgenerator.
Es ist ein grausames Experiment, zu dem es am 30. Juli 1888 im New Yorker Columbia College kommt – und eine makabre Episode in einem erbitterten Wirtschaftskrieg um die weltweite Elektrifizierung: zwischen Thomas Alva Edison, dem Erfinder aus New Jersey, und George Westinghouse, einem Industriellen aus Pittsburgh.
Seit Monaten preist Edison seine Gleichstromkraftwerke an. Gleichzeitig verbreitet er, wie gefährlich jener Wechselstrom sei, den Westinghouse den Leuten zu verkaufen plant. Und Ingenieure, von Edison bezahlt, demonstrieren die Gefahr in öffentlichen Abschreck-Experimenten wie dem am Columbia College in New York.
Für viele ist Elektrizität immer noch ein Mysterium
George Westinghouse (1846–1914): Mit seiner Druckluftbremse modernisierte er den Zugverkehr und verhalf dem Wechselstrom zum Durchbruch.
Sie jagen dem Hund immer höhere Spannungen durch den zuckenden Leib. Bei 330 Volt ist er schließlich tot. Ein Opfer des «Stromkriegs» zwischen Edison und Westinghouse, dem schon bald weitere folgen werden.
Für viele Zeitgenossen ist die Elektrizität nach wie vor ein mysteriöser Saft, der wie von Geistern getrieben durch Drähte schießt. Zwar fließt schwacher Strom bereits seit 1840 durch Telegraphenleitungen; auch liefern elektromagnetische Stromerzeuger Energie für Galvanisierfabriken.
Im Alltag aber spielt elektrischer Strom kaum eine Rolle. Bis der Erfinder Edison 1879 aus einem verkohlten Baumwollfaden und einem luftleeren Glaskolben eine elektrische Glühlampe konstruiert, die so lange strahlt wie keine Lampe zuvor. Drei Jahre später koppelt er einen Dynamo an eine Dampfmaschine und errichtet so in New York das weltweit erste öffentliche Kraftwerk zur Stromerzeugung. Die «Edison Electric Light Company» verdrahtet schon bald ganz New York. Überall werden nun Gas- durch Stromlampen ersetzt.
Und ließen sich nicht auch Straßenbahnen, Züge und Maschinen in Fabriken mit Elektromotoren antreiben? Edison will die Energie dafür liefern – mit Gleichstromkraftwerken. Umso zorniger beobachtet der sich selbst genial und rücksichtslos vermarktende Erfinder, wie Rivalen auf den Markt drängen.
Sein größter Konkurrent wird Ende der 1880er Jahre George Westinghouse, der mit der Erfindung einer Luftdruckbremse für Züge ein Vermögen gemacht hat. Der Ingenieur und Industrielle steigt zwar erst 1885 in das Stromgeschäft ein und kauft die Patente für einen Gleichstrom-Generator und für eine Glühlampe, statt sie, wie Edison, in eigenen Werkstätten zu entwickeln.
Aber Westinghouse hat anders als Edison im entscheidenden Moment das Gespür für eine wirtschaftlichere Art der Elektrizität. Dieser Strom wird mithilfe rotierender Magnete erzeugt und ändert dadurch periodisch seine Fließrichtung, sodass Plus- und Minuspol in rascher Folge wechseln. Genau wie Gleichstrom, der gleichmäßig vom Plus- zum Minuspol fließt, erhitzt auch Wechselstrom die Glühfäden in Lampen und erzeugt so elektrisches Licht.
Erst die Begegnung mit dem Ingenieur Nikola Tesla jedoch bringt Westinghouse entscheidend weiter. Der serbische Immigrant hat unter anderem einen revolutionären Antrieb erdacht, den Induktionsmotor. George Westinghouse kauft Teslas Patente und macht sie zur Grundlage eines eigenen Stromsystems.
Zwar ist Edisons Gleichstrom in Akkumulatoren speicherbar und hat die für den Endverbrauch geeignete Spannung – doch lässt er sich nur über kurze Strecken verlustfrei leiten. Hochgespannter Wechselstrom dagegen kann über Hunderte Kilometer durch Kabel geschickt werden: Transformatoren regeln die Spannung hoch – und für die Haushalte wieder herunter. Westinghouse ist daher in der Lage, seinen Strom mit nur geringen Verlusten über weite Strecken zu schicken, während Edison seine Kraftwerke mitten in den Städten bauen muss, um seine Kunden zu versorgen.
Edisons perfider Plan: Er befürwortet Westinghouses Wechselstrom für Hinrichtungen
Der Konkurrent: Thomas Alva Edison (1847–1931) gilt heute noch vielen als einer der größten Erfinder aller Zeiten. Er wollte Gleichstrom etablieren.
Westinghouse errichtet wenige Kraftwerke außerhalb der Ballungszentren. Die Kosten seiner Leitungsnetze sind dennoch geringer als die des Konkurrenten. Denn bei hoher Spannung genügen dünnere Kupferkabel. So kann er den Strom günstiger verkaufen. Die «Westinghouse Electric and Manufacturing Company» hat bald mehr Kunden als ihr Konkurrent.
Soll sich Thomas Alva Edison, der Inhaber Hunderter Patente, das gefeierte Jahrhundertgenie, von einem Bremsenfabrikanten und einem serbischen Motorenbauer zermürben lassen? Edison schreibt Pamphlete und initiiert ab 1887 Versuche, in denen Hunde, Katzen, Kälber und schließlich ein Pferd mit Wechselstrom getötet werden.
Er lässt Informationen über Unfälle mit Wechselstrom zusammentragen und bedrängt Politiker. Sie sollen ein Gesetz erlassen, das die zulässige Spannung in Stromleitungen auf 300 Volt beschränkt. Das wäre das Ende für Westinghouse, dessen System nur mit Hochspannung wirtschaftlich ist.
Westinghouse sieht die Attacken seines Gegners zunächst als Werbung, die Zeitungen sind voll mit Artikeln über Wechselstrom. Er wehrt sich selten öffentlich, schätzt mehr das klare Wort unter Gentlemen.
Im Sommer 1888 lädt er Edison in sein Haus nach Pittsburgh – ein Friedensangebot. Doch Edison lehnt ab: Er sei zu beschäftigt.
Der Unternehmer verfolgt bereits einen neuen Plan, um Westinghouse zu diffamieren. Im Januar 1889 tritt in New York ein neues Gesetz zur Todesstrafe in Kraft: Zum Tode verurteilte Mörder sollen durch Stromschlag sterben. Edison plädiert dafür, Wechselstrom zu verwenden. Es ist sein perfidester Schachzug: Wechselstrom soll in den Köpfen fortan als Strom der Henker haften bleiben. Er betreibt Lobby-Arbeit für den elektrischen Stuhl, dessen tödliche Kraft von Westinghouse-Generatoren stammen müsse. Edison schlägt auch gleich ein neues Wort für die Exekution durch Stromschlag vor: «to westinghouse».
Sein Konkurrent tobt. Edison bediene sich Methoden, «die unmännlicher, beleidigender und lügnerischer sind als in jedem Wettkampf, den ich kenne», schreibt er an New Yorker Politiker. Zu spät.
Die Schmähkampagne scheitert
Am 6. August 1890 stirbt zum ersten Mal ein Mensch auf dem elektrischen Stuhl – durch Wechselstrom. Der Henker muss den Stromhebel zweimal umlegen, bis der Verurteilte nicht mehr spastisch zuckt und weißen Schaum erbricht.
Doch die Schmähkampagne geht trotzdem nicht auf. Binnen zweier Jahre hat Westinghouse mehr als 30 Kraftwerke fertiggestellt und versorgt 1890 bereits 130 amerikanische Städte mit Wechselstrom.
Als der Auftrag für die Beleuchtung der Weltausstellung 1893 in Chicago ausgeschrieben wird, unterbietet er das Angebot Edisons um fast eine Million Dollar. Seine Ingenieure entwerfen das größte Wechselstromkraftwerk der USA. 1893 erstrahlt die Weltmesse in weißem Licht, erzeugt von 180 000 Glühlampen.
Ein Test steht aber noch bevor: ein Kraftwerk, das angetrieben wird von den Wassermassen der Niagara-Fälle. Wieder verliert Edisons Unternehmen die Ausschreibung gegen Westinghouse. Im November 1896 jagen Generatoren hochgespannten Strom von den Niagara-Fällen durch 40 Kilometer Kupferdraht in die Stadt Buffalo.
Es ist Westinghouses größter Erfolg. Von nun an installieren Städte auf der ganzen Welt fast nur noch Wechselstromanlagen. Den Stromkrieg hat er gewonnen. Der Ruhm jedoch gehört dem anderen. Denn 1907, als eine Panik die New Yorker Börse erfasst, muss Westinghouse die Kontrolle über seine «Electric & Manufacturing Company» abgeben. Der Mann, der mit Wechselstrom die USA erleuchtet hat, wird von Investoren aus seinem eigenen Unternehmen gedrängt und fast vergessen.
Thomas Edison hingegen, der Verlierer des Kriegs um den besseren Strom (sein Unternehmen stoppt 1928 den Ausbau des Gleichstromnetzes), bleibt bis zu seinem Tod 1931 eine legendäre Gestalt. Noch heute gilt er vielen als größter Erfinder aller Zeiten.
Von Christoph Scheuermann
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de