Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №19/2008

Das liest man in Deutschland

Das Schäfchen und sein Junge

«Wenn du fort bist, ist alles nur halb»: Der Briefwechsel Hans Falladas mit seiner Frau Anna Ditzen

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«So eine Schreibmaschine ist doch eine schöne Sache», heißt es einmal in Hans Falladas Briefen an seine Frau, «die klappert nun jeden Abend stundenlang... und die denken alle, der große Dichter arbeitet, und wagen mich nicht zu stören. Und dabei tut er nischt, aber rein jarnischt als an seine Olle schreiben und ein schöner Quatsch steht auch noch in den Briefen oft drin und zur Veröffentlichung sind sie wirklich nicht geeignet.»
Unterschrieben ist der Brief mit «Dein Junge». «Junge», so nennt nicht nur Lämmchen ihren Pinneberg in Falladas Roman Kleiner Mann – was nun?, dem Welterfolg von 1932, so nannte auch Anna Ditzen ihren Mann.
2004 hat Falladas Sohn Uli Ditzen bereits seine eigene Korrespondenz mit seinem Vater veröffentlicht, nun hat er den Briefwechsel seiner Eltern vorgelegt. Jahrzehntelang lag der Schriftverkehr unbeachtet im mütterlichen Nachlass, in einem Ordner mit der Aufschrift «Wir». Die Auswahl – mit knapp 500 Seiten etwa ein Drittel des erhalten gebliebenen Bestandes – ist das bewegende Zeugnis einer tragischen Dichter-Ehe, die alle Alltagssorgen in der späten Weimarer und in der NS-Zeit zu überstehen scheint. Und die am Ende doch zerbricht, unter dem Druck von Falladas Seitensprüngen und seiner Suchtkrankheit.
1928 lernt Rudolf Ditzen, wie der Autor mit bürgerlichem Namen hieß, in Hamburg-Eilbek die 27-jährige Anna Issel kennen, die Tochter seiner Vermieter. Zu der Zeit schlägt sich der Ex-Sträfling noch als Annoncenverkäufer in Neumünster durch, Anna arbeitet als Lageristin. Beide engagieren sich bei den Guttemplern, einem Abstinenzlerverein, freilich aus unterschiedlichen Gründen: Anna will helfen, Rudolf trocken bleiben. Ein paar kurze Begegnungen im Treppenhaus und zu Weihnachten genügen, und die beiden sind heimlich verlobt – der Beginn einer großen Liebe, kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise.
Der ehemalige Kleinkriminelle sieht in der unkomplizierten, lebensfrohen, warmherzigen Anna, genannt «Suse», seine letzte Rettung. Durch sie erst, sein «Schäfchen», wird er «sehend», fängt wieder mit dem Schreiben an. «Du darfst... noch lange kein Kind haben. Dein Kind bin ich, für lange, lange noch, vielleicht für immer. Es sind so viel Nöte, so viel kleine Schwächen.» Anna Ditzen nimmt die ihr zugewiesene Mutterrolle mit Freuden an, lässt sich auch von seinem Hinweis, «gesellschaftlich deklassiert» zu sein, nicht beirren, fürchtet nur, «dass Du mich viel zu hoch einschätzt».
Immer wieder muss das junge Paar wochenlange Trennungen erdulden, die erste gleich nach der Hochzeit im April 1929: Anna laboriert an einer chronischen Nierenentzündung, muss sich langen Kuren unterziehen. In ihren Briefen erweist sich die junge Frau als begabte Erzählerin, die ihren Mann mit köstlichen Anekdoten von ihrer morgendlichen Tischgesellschaft oder von bizarren Museumsbesuchen mit verrückten Amerikanern unterhält. «Eine Romanfortsetzung in der Köllschen ist ein reiner Dreck dagegen», wird sie einmal von Fallada gelobt, und der Leser stimmt ihm gerne zu.
Gesucht, da sind sich beide einig, wird wie in Falladas Romanen das private Glück, fern von allen Versuchungen oder politischen Unruhen der Zeit. Als ihn 1931, kurz vor seinem Durchbruch als Autor, Wolfgang Parsenow wieder heimsucht, jener Hasardeur, der ihn in der Nachkriegszeit mit dem Morphium bekannt machte, setzt Anna ihrem Mann Grenzen: Lieber wolle sie «ärmlich leben & auf alles verzichten, als Dich in Gefahr wissen».
Im April 1933 hält die SA Fallada nach einer Denunziation tagelang in «Schutzhaft». «Wir haben unsere kleine Insel zu dreien, in dieser heute etwas stürmischen Welt», beruhigt der Romancier seine Frau aus dem Gefängnis. Im mecklenburgischen Carwitz, weit weg von den braunen Machthabern in Berlin, aber auch von seinem allzu trinkfesten Verleger Ernst Rowohlt, scheinen sie mit ihren Kindern ihre Zuflucht zu finden. Tatsächlich hat Fallada längst wieder ein Alkoholproblem, zudem suchen ihn regelmäßig Depressionen heim, nicht zuletzt aufgrund der Anfeindungen durch die NS-Presse.
In anrührenden Liebesbriefen beschwören Fallada und seine Frau ihren gemeinsamen «Traum». Für den Leser kommt der Bruch der beiden umso erschütternder. Schon während ihrer Verlobungszeit hatte Fallada prophezeit: «Vielleicht wirst Du mir öfter im Leben etwas zu verzeihen haben. Das ist eben das Schwere, was Dir auferlegt ist.» Und angesichts seines betrunkenen Vorgesetzten hoffte Fallada, dass er seiner Frau niemals «einen Mann zumuten muss, der wegen übermäßig genossener Alkoholika sich hat erbrechen müssen».
Jetzt, wenige Jahre später, entschuldigt er sich aus Entzugsanstalten für seine «sinnlose Sauferei» oder gesteht Anna zerknirscht Seitensprünge wie im Mai 1932: «Ich hab gesagt: Ach, Suse, die versteht das schon.» Schon einen Tag nach seiner Beichte, noch ehe ihn ihre Antwort erreicht hat, ist er wieder oben auf und teilt ihr mit, «dass man eine so schöne Sommergeschichte» aus der Affäre machen könnte.
Doch auch das Verständnis und der Großmut eines Lämmchens sind nicht unerschöpflich. Die dramatische Auflösung der Beziehung vollzieht sich auf unheimliche Weise parallel zur fortschreitenden Zerstörung des Landes. 1944, nach einer für Anna besonders demütigenden Affäre, von der das ganze Dorf wusste, nur nicht sie, tötet Fallada in einem Wahnsinnsanfall alle seine Bienenvölker und lässt sich in die Berliner Kuranstalt Westend einweisen, wo er kurz darauf nur knapp einen Luftangriff überlebt. Anna gibt jede Hoffnung auf, schluckt sogar «eine tüchtige Portion Allional», reist aber tapfer in die bombardierte Hauptstadt, um persönlich mit Falladas Arzt zu sprechen.
Dass der gegenseitige Respekt trotz schlimmster Szenen nie verloren geht, ist vielleicht das Eindrucksvollste an dieser Korrespondenz. Das gilt selbst dann, als Anna im September 1944, kurz nach der Scheidung, nicht mehr weiß, wie sie Fallada anreden soll: «Mein Junge bist du nicht mehr & Rudolf mag ich nicht sagen.» Während eines Streites hatte Fallada betrunken in den Tisch geschossen. Ein übereifriger NS-Staatsanwalt klagte ihn darauf wegen versuchten Mordes an; die dreieinhalb Monate Haft ersparten ihm zumindest die Einberufung. «So glücklich Du mich gemacht hast», schreibt sie ihm in die Landesanstalt Strelitz, «so unglücklich hast Du mich auch gemacht & in meinem ganzen Leben hat mir kein Mensch so weh getan wie Du.» Von nun an schreibt sie: «Lieber Ditzen.»

Von Oliver Pfohlmann

Hans Fallada/Anna Ditzen: Wenn du fort bist, ist alles nur halb. Briefe einer Ehe. Herausgegeben von Uli Ditzen. Aufbau Verlag, Berlin 2007.

Der Text ist entnommen aus: http://www.literaturkritik.de