Sonderthema
Die Legende Martin Behaim
Das Behaim-Bild bei seinen Nürnberger Zeitgenossen
Die wenigen Quellen über Martin Behaim finden sich in Nürnberg vor allem in Schuldbüchern und Strafakten. Als er z. B. 1483 in Nürnberg war, wurde er am 1. März zu einer Arreststrafe verurteilt, weil er in der Fastenzeit auf einer jüdischen Hochzeit getanzt hatte. Es wurde ihm Strafaufschub gewährt, und es ist nicht bekannt, ob er den Arrest antrat.
1484 hatte er von den Nürnberger Kaufleuten Hirschvogel und Schlewitzer Handelsgut übernommen, das er nicht bezahlte, sondern nur in einem Schuldbrief bestätigte. Da dies offensichtlich für seine Nürnberger Familie peinlich war, bezahlten seine Geschwister und sein Vormund diese Schuld am 13. Februar 1484. Behaim zahlte den Betrag erst sechs Jahre später zurück.
Aktenkundig wurden auch Schulden, die seine Geschwister 1485 und 1491 bezahlten. 1490 wurde Behaim auf die Bezahlung von Dienstboten verklagt.
Wie auch die Erbstreitigkeiten, die erst am 4. März 1491 geregelt wurden, zeigen, war das Verhältnis der Geschwister Behaim zu ihrem Bruder Martin äußerst distanziert. In dieser Zeit der langwierigen Auseinandersetzungen mussten sie auch noch dessen Schulden bezahlen.
Modell einer Karavelle
Behaim – Schüler des berühmten Mathematikers Regiomontan?
Humboldt übernimmt noch 1836 die These, Martin Behaim sei als Tuchhändler in Venedig, Antwerpen, Wien und Lissabon gewesen und dann in Nürnberg bei Regiomontan in die Lehre gegangen. Auch Ghillany, Direktor der Nürnberger Stadtbibliothek, schreibt 1850, Behaim und damit die deutsche Wissenschaft habe die Grundlage für den Erfolg der Portugiesen geliefert, denn Behaim habe dank Regiomontan das Astrolab für die Seefahrt erfunden.
Wahrscheinlicher dagegen ist, dass Behaim das von Regiomontan verbesserte Astrolab in die portugiesische Seefahrt eingeführt hat, da man damit genauer arbeiten konnte als mit den hölzernen Astrolabien. Jedenfalls genossen zu dieser Zeit die wissenschaftlichen Geräte aus Nürnberg Weltruf.
Eine portugiesische Quelle erwähnt 30 Jahre nach seinem Tod, Behaim habe die Kunst, nach der Sonnenhöhe zu navigieren, entwickelt. Fest steht dagegen, dass die nautischen Tabellen in Portugal wie auch in Spanien nicht auf Regiomontan – und damit auch keinesfalls auf Behaim – zurückgingen, sondern von einem arabischen Wissenschaftler stammten. Außerdem ist sicher, dass Regiomontan in Nürnberg nie Schüler unterrichtete und bereits 1470 in Rom starb.
Auch die nautischen Fähigkeiten Behaims waren wahrscheinlich so gering – was die falschen Beschriftungen auf dem Globus zeigen –, dass er niemals astronomisch-nautischer Berater oder gar Befehlshaber eines Schiffes gewesen sein kann, wie man behauptete. Es gibt auch keinerlei Erwähnung eines Wissenschaftlers Behaim in portugiesischen Quellen.
Behaim – Entdecker der Kongomündung?
Immer wieder behaupten Biografen, Behaim habe die Azoreninsel Fayal und danach Amerika entdeckt, er sei bis zur Magellanstraße gekommen und auch ein Berater des Kolumbus gewesen. Auf dem Globus behauptet Behaim, 1485 in der Kongomündung gewesen zu sein. Auf jeden Fall muss er die auf dem Globus vermerkte Afrikareise zwischen 1484 und dem 18. Februar 1485 gemacht haben, da er dann in Portugal zum Ritter geschlagen wurde. Die Reise hat er an zwei Stellen auf dem Globus vermerkt, auch in der Schedel’schen Weltchronik wird sie erwähnt, wobei die Jahreszahlen differieren.
An der ersten Afrikareise des Diogo Cão vom Frühjahr 1482 bis Ende 1483, bei der die Kongomündung entdeckt wurde und auf der Behaim 2. Kapitän gewesen sein soll, hat Behaim mit Sicherheit nicht teilgenommen. Er nahm auch an der zweiten Fahrt von März bis September 1485 nicht teil, sonst wäre sein Name auf dem Stein an der Kongomündung vermerkt. Wahrscheinlich aber war Behaim bei der Fahrt eines anderen Portugiesen von 1484 bis 1485 zur Guineaküste und dem westafrikanischen Königreich Benin dabei, von wo man eine neu entdeckte Pfefferart mitbrachte. Es waren offensichtlich seine Interessen am Gewürzhandel, die Behaim für Entdeckungsfahrten motivierten – die Portugiesen hatten bereits Afrika als Gewürzlieferanten entdeckt.
Obere Platte eines zweiteiligen Gedenkleuchters für Martin Behaim: Die 1519 angefertigte Platte enthält die einzige zeitgenössische Abbildung seiner Person. Bei dem Ritter in der goldenen Rüstung handelt es sich um Martin Behaim, ihm gegenüber kniet seine Frau Joãna de Macedo, im Wappen werden die beiden Familienseiten zusammengeführt. Dahinter steht vermutlich ihr Sohn Martin Behaim der Jüngere. Auf dem Schriftband steht «in memoriam eius» (zu seiner Erinnerung). Die Platte wurde einem Leuchter von 1490 hinzugefügt, der ursprünglich in der Katharinenkirche in Nürnberg hing und sich heute im Besitz des Germanischen Nationalmuseums befindet.
Behaim – Ritter des Christusordens und Mitglied der Junta do Mathematicos?
Nach der Rückkehr von seiner Afrikareise wurde Behaim am 18. Februar 1485 vom portugiesischen König Johann II. zum Ritter geschlagen. Darin wurde lange Zeit eine Aufnahme in den berühmten portugiesischen Christusorden gesehen, deren Ritter Nachfolger des Templerordens waren. Belegt ist jedoch nur der einfache Ritterschlag.
Auf Behaims Totenleuchter in der Katharinenkirche sieht man den knienden Martin Behaim weder mit der Ordenskette um den Hals, noch ist das Zeichen des Christusordens in sein Wappen aufgenommen – was bei einer so wichtigen Auszeichnung üblich gewesen wäre. Der Ritterschlag durch den König erfolgte entweder wegen seiner Fahrt an die westafrikanische Küste, oder es war eine Geste wegen seiner Einheirat in den portugiesischen Hofadel.
Dass Behaim Mitglied der geheimen Junta do Mathematicos war, ist nicht zu belegen. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass er in irgendeiner Weise mit der Junta zu tun hatte. Man kann unterstellen, dass sich Behaim vielleicht selbst als Schüler des Regiomontan bei der Junta eingeführt hat, was man in Lissabon nicht nachprüfen konnte, da Regiomontan ja schon 1470 in Rom gestorben war. Sicherlich ist er aber am Hofe mit Kolumbus bei dessen Besuch in Lissabon zusammengetroffen.
Das Behaim-Bild im 19. Jahrhundert
Die Wiederentdeckung des Globus 1823 auf dem Speicher der Familie Behaim fiel in eine Zeit der Rückbesinnung auf das deutsche Mittelalter. Damals wurde der Globus erstmals, wenn auch unzureichend, restauriert. 1847 wurde die «Pariser Kopie» für die französische Bibliotheque Nationale angefertigt. Sie war lange Zeit das einzige für die Forschung zugängliche Exemplar.
Zum nationaldeutschen «Sängerfest», das 1861 in Nürnberg inszeniert wurde, brachte man an den Geburtshäusern berühmter Nürnberger großformatigen Bilderschmuck an. An Behaims Geburtshaus am Hauptmarkt wurde eine dreigeteilte Darstellung installiert:
I. Behaim sitzt in der Studierstube vor seinem Globus.
II. Behaim empfängt im Hafen von Lissabon seinen Freund Kolumbus.
III. König Johann II. von Portugal überreicht Behaim die Ordenskette des Christusordens.
Bereits 1884 hatte der 1. Bürgermeister Otto Freiherr von Stromer mit der Planung und dem Entwurf eines Behaim-Denkmals begonnen, das 1890 feierlich enthüllt wurde. Um die Ähnlichkeit zu gewährleisten, stellte die Familie Behaim ein Porträt zur Verfügung (heute verloren).
Das Bronzedenkmal zeigt Martin Behaim als Ritter des Christusordens, mit Langhaarfrisur, in Harnisch und Mantel und mit dem Ordenskreuz. Die rechte Hand mit der Zeichenfeder liegt auf dem Globus, die linke am Schwert. Auf dem Sockel sitzen zwei weibliche allegorische Figuren. Die eine ist das Sinnbild der exakten Wissenschaften mit aufgeschlagenem Buch (sichtbar ein Astrolab und der Name Regiomontan). Die andere Figur ist die Allegorie des Handels.
Anlässlich der Denkmalsenthüllung wurde die Fassade des Geburtshauses mit einem historisierenden Fresko bemalt. Dabei diente die Dekoration zum Sängerfest von 1861 als Vorlage.
Diese Ereignisse fielen in die Zeit der Entwicklung Nürnbergs zur industriellen Großstadt hin. Mit einer Reihe von Denkmälern, historisierenden Gemälden und Fassadenschmuck bedachte man auch die anderen berühmten Nürnberger, um an die «große Vergangenheit» anzuknüpfen.
Büste Behaims in der Ruhmeshalle, München
Das Behaim-Bild im Nationalsozialismus
Nicht zufällig wird 1937 der Globus von Reichskanzler Hitler und Oberbürgermeister Liebel angekauft und endgültig dem Germanischen Nationalmuseum übergeben. Die nationalsozialistische Ideologie vereinnahmt die ehemalige freie Reichsstadt Nürnberg als «Stadt der Reichsparteitage», und Martin Behaim wird zum deutschen Kolonialpionier gemacht. Man behauptet, auf seiner Kongoexpedition habe Behaim als erster Deutscher diejenige Küste gesehen, an der 400 Jahre später die deutsche Kolonialgeschichte durch den Großkaufmann Lüderitz ihren Anfang fand.
Als Behaims Nachfahren den Globus in den 30er Jahren nach Amerika veräußern wollen, greift Hitler ein: Er kauft den Globus. In der Sprache der Zeit rettet er dem Volk «unvergängliches deutsches Kulturgut».
Seit 1936 setzt eine Flut kolonialistischer Literatur ein, die sich wegen ihres Bezuges auf afrikanische Gebiete immer wieder mit Behaim befasst.
1937 wird unter Generaldirektor Kohlhaußen im Germanischen Nationalmuseum die Ausstellung «Nürnberg, die deutsche Stadt», mit dem gerade angekauften Globus im Mittelpunkt, eröffnet.
1939 feiert Veit Harlans Film Das unsterbliche Herz Behaim als «männlich kühnen», unerschrockenen Seefahrer. Die Uraufführung stand unter der Schirmherrschaft Julius Streichers, der in seiner Dankesrede den Triumph des Gefühls über den Verstand als Botschaft des Films anspricht. Damit liegt Harlan ganz auf Hitlers Linie: «Der Führer spricht so oft davon, dass nicht der Verstand entscheidet, sondern das Gefühl. Nicht der kalte Verstand, das unsterbliche deutsche Herz vermag uns das Höchste zu geben.»
Noch 1943 wird der Globus trotz beginnender, kriegsbedingter Knappheit technischer Mittel umfassend fotografisch dokumentiert.
Das aktuelle Behaim-Bild
Der zum Entdecker, Seefahrer und Wissenschaftler hochstilisierte Behaim wird erst seit einigen Jahren nüchterner gesehen.
Nach heutiger Erkenntnis war Behaim ein findiger Kaufmann, der hauptsächlich weder Nautiker noch Astronom war, und dessen Interesse an der Kartografie vor allem wirtschaftlichen Zwecken diente, da er auf Gewinne aus Fahrten in ferne Länder hoffte.