Wissenschaft und Technik
Das Geheimnis von Indiana Jones’ Kristallschädel
Für Esoteriker sind sie kosmische Energiequellen, im neuesten Indiana-Jones-Film rettet der Held damit sogar die Welt. In den Museen dieser Welt liegen rund ein Dutzend mysteriöse Kristallschädel – und die schimmernden Artefakte haben ein gemeinsames Geheimnis.
Kristallschädel im Smithsonian: Weltweit gibt es rund ein Dutzend solcher Objekte in öffentlichen und privaten Sammlungen.
Am 21. Dezember 2012 soll die Welt untergehen. Der Planet wird aus seiner Achse fliegen und hilflos durchs Weltall trudeln. Doch keine Bange, es gibt noch eine Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden. Wenn es rechtzeitig gelingt, 13 Kristallschädel zu finden und diese zu einer Pyramide aufzuschichten, dann werden wir alle gerettet und dürfen in ewigem Frieden weiterleben. Diese wilde Mischung aus religiösen Vorstellungen mesoamerikanischer Völker und Jünger des New Age bildet den Hintergrund für den Film Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel, der ab dem 22. Mai in den Kinos angelaufen ist.
Tatsächlich gibt es weltweit rund ein Dutzend solcher Kristallschädel in öffentlichen und privaten Sammlungen. Neueste Untersuchungen haben gezeigt: Die bekannten Schädel aus milchig-weißem Bergkristall sind gar keine Artefakte aus Mittelamerika, sondern Fälschungen: «Die gesamte Gattung der Kristallschädel ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts», erklärt Jane Walsh von der Smithsonian Institution.
Walsh hat so einen Schädel in ihrem Zimmer liegen, gut verschlossen in der Schublade eines schlichten beigefarbenen Metallschränkchens. Vor 16 Jahren kam er in den Besitz des Museums – begleitet von einem mysteriösen Brief ohne Absender: «Dieser Aztekenschädel, angeblich aus der Sammlung Porfirio Díaz, wurde 1960 in Mexiko erworben ... Ich überlasse ihn dem Smithsonian, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.» Das Stück mit der Katalognummer 409954 ist viel größer als ein menschlicher Schädel. Mit etwa 25 Zentimetern und 15 Kilogramm hat er eher die Ausmaße einer Bowlingkugel. «Das weiß ich ganz sicher, ich hab ihn im Handgepäck für Untersuchungen nach London geschleppt», sagt Walsh.
Das British Museum hat nämlich auch einen solchen Kristallschädel. Und bei dem weiß man sehr genau, wer ihn vorher besessen hat – nämlich der zwielichtige französische Archäologe und Antiquitätenhändler Eugène Boban. Er war Ende des 19. Jahrhunderts Staatsarchäologe am mexikanischen Hof und Mitglied der französischen Wissenschaftskommission in Mexiko. Im Jahr 1886 verkaufte er für 950 Dollar einen großen Kristallschädel an das Juweliergeschäft Tiffany & Co. Von dort aus gelangte das wertvolle Artefakt ins British Museum.
Hergestellt auf modernen Drehscheiben
Gemeinsam mit Margaret Sax vom British Museum hat Jane Walsh die beiden Schädel genau unters Mikroskop genommen. Beide weisen ähnliche Bearbeitungsspuren auf: Nach Erkenntnissen der Forscher wurden sie mit sehr harten Schleifmitteln auf Drehscheiben hergestellt. Rotierende Scheiben aber waren den Einwohnern Mesoamerikas überhaupt nicht bekannt, bevor die Spanier kamen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein Team vom Forschungs- und Restaurationszentrum der französischen Museen, das sich einen weiteren Kristallschädel vorgenommen hat. Er liegt im Musée du Quai Branly in Paris. Auch dieses nur etwa elf Zentimeter hohe Stück kam einst aus dem Kramladen Eugène Bobans. «Sehr regelmäßige Spuren von Abrieb und Polieren» stellten die Wissenschaftler fest. Im Teilchenbeschleuniger konnten sie außerdem einen Wassereinschluss im Quarz auf das 19. Jahrhundert datieren.
Bobans Kristallschädel passten ausgezeichnet in die Vorstellung, die Sammler des 19. Jahrhunderts sich von den Azteken machten – und ließen sich dementsprechend gut verkaufen. Totenschädel waren in der Tat ein beliebtes Thema aztekischer Künstler. Sie schnitten sie aus Basalt, manche verzierten sie mit Stuck, die meisten bemalten sie in schreiend bunten Farben.
Auch echte Schädel von rituellen Opfern stellten die Azteken in Regalen aus, aufgespießt durch die Schläfen. Die Kristallschädel dagegen befriedigten den Geschmack der europäischen Sammler: ein gruseliges Echo der aztekischen Menschenopfer, aber sauber genug, sie in den eigenen Regalen aufzustellen. Boban kannte seine Kunden und lieferte, was sie sich vorstellten.
Nicht alle Schädel sind Auftragsarbeiten des findigen Händlers
In den dreißiger Jahren, mehr als 20 Jahre nach dem Tod Bobans, tauchte ein weiterer heute berühmter Kristallschädel auf. Wie der britische Abenteurer Frederick Arthur Mitchell-Hedges 1954 in seiner Autobiografie Die Gefahr ist mein Gefährte schreibt, fand ihn seine Adoptivtochter Anna als Teenager unter einem Altar in einem Tempel der Maya in Lubaantun, im heutigen Belize.
Ihren eigenen Aussagen zufolge stellte sie ihn neben ihr Bett und träumte fortan lebhaft von den Riten der alten Maya. Allerdings wurde der Schädel bereits 1936 in der anthropologischen Zeitschrift «Man» beschrieben. Als Besitzer des Schädels wird der Londoner Kunsthändler Sydney Burney genannt, der ihn 1943 über das Auktionshaus Sotheby’s an Mitchell-Hedges verkaufte.
Der sogenannte Mitchell-Hedges-Schädel ist eine genaue Kopie des Exemplars im British Museum. Mit einer Ausnahme: Er hat einen separaten Unterkiefer. Vergangenes Jahr hatte Jane Walsh zwei Tage lang die Gelegenheit, auch diesen Schädel zu untersuchen. «Er ist technisch sehr ausgefeilt gearbeitet», erzählt sie. «Hoch poliert, die Details sind minutiös, es ist eine sehr moderne Arbeit.» Sie datiert ihn auf die Zeit kurz vor seinem ersten Auftauchen, etwa um 1932.
Jane Walsh bekommt manchmal Anfragen von Leuten, die ihren eigenen Kristallschädel mit dem Schädel in ihrer Schublade zusammenbringen möchten, damit die Köpfe «kommunizieren» könnten. «Viele dieser Schädel sind schlechte Kopien aus Glas oder sogar aus Gießharz», sagt Walsh. Auch Colin McEwan, Kurator der lateinamerikanischen Sammlung des British Museum hat Erfahrung mit seltsamen Besuchern gemacht. «Manchmal versetzten sich Leute vor dem Schädel in Trance», berichtet er.
Aber auch Beschwerdebriefe bekommt McEwan gelegentlich auf seinen Schreibtisch. Darin fordern Leute, das Museum solle endlich die im Schädel gespeicherte kosmische Energie freigeben. «Eine Petition behauptete, dem Schädel würde mit seiner Ausstellung im Museum Gewalt angetan, weil er ein fühlendes Lebewesen sei, dem es verweigert würde, sein Schicksal zu erfüllen.»
Von Steven Spielberg wurden die Forscher vor Beginn der Dreharbeiten zu Indiana Jones nicht um wissenschaftlichen Rat gefragt – natürlich. «Ich bin doch die Letzte, mit der er darüber würde sprechen wollen», sagt Jane Walsh lachend. «Ich würde mit der Wahrheit doch die ganze schöne Geschichte ruinieren.»
Von Angelika Franz
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de