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Sonderthema

Im Porträt: Claus Schenk Graf von Stauffenberg

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«Ich wühle gern in aller helden sagen
Und fühle mich verwandt so hehrem tun
Und ruhmgekröntem blute.
Ich könnte nicht die alten zeiten missen
Wo wäre denn, dass ich mein leben schaute
Wenn nicht in höchstem sein?»

Poetische Zeilen, die Claus von Stauffenberg 1924, mit 17 Jahren niederschreibt. Selbstbewusst, an Traditionen anknüpfend, ein gro­ßer Lebensentwurf. Knapp 20 Jahre später wird Oberst Claus von Stauffenberg im Führerhauptquartier ein Attentat auf Reichskanzler Hitler verüben – am 20. Juli 1944. Wenige Stunden später befehligt er in Berlin den Staatsstreich. Doch Attentat und Staatsstreich misslingen. Kurz nach Mitternacht wird Stauffenberg im Hof des Bendlerblocks zusammen mit drei Mitverschwörern standrechtlich erschossen. Seine letzten Worte: «Es lebe das heilige Deutschland!»

Stauffenbergs Plan: Hitler ausschalten, um Deutschland zu retten – eine neue Regierung soll mit den alliierten Kriegsgegnern verhandeln, bevor das Land vollständig in Schutt und Asche liegt.

Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg: geboren am 15. November 1907 im bayerischen Jettingen nahe Ulm. Der Vater: Albrecht Schenk Graf von Stauffenberg, der letzte Oberhofmarschall des volksnahen württembergischen Königs. Die Mutter: Caroline von Üxküll-Gyllenband, Kammerdame der Königin.
Der Vater ist streng, einem höfischen Zeremoniell verpflichtet, im Alltag durchaus praktisch: Er kann Elektrokabel verlegen, tapezieren, Möbel reparieren. Anders die Mutter: von den Kindern wird sie herzlich Duli, Du Liebe, genannt. Sie ist träumerisch, eher unpraktisch, vermittelt den Söhnen ihre künstlerischen – literarischen und musischen – Interessen.
«Ganz entscheidend für Claus Stauffenberg waren aber seine Brüder, er hatte zwei ältere Brüder, die als Zwillinge zur Welt gekommen waren, Berthold und Alexander. Berthold wird in jungen Jahren einer der ganz interessanten wichtigen Völkerrechtler Deutschlands und Alexander schafft es in sehr jungen Jahren schon zum Ordinarius. Das Problem für Claus von Stauffenberg war, dass er auch als Zwilling geboren worden war, aber dass sein Bruder einen Tag nach der Geburt verstarb, nach dem hat er sich gesehnt, von dem hat er auch gesprochen, und insofern ist vielleicht verständlich, dass er sich so stark an seine beiden älteren Brüder, die er dann allerdings später fast dominiert, anschließt», so Professor Peter Steinbach, Historiker von der Universität Mannheim und Leiter der Gedenkstätte Widerstand in Berlin. In seinem neuen biografischen Essay über Stauffenberg betont er vor allem die starken Geschwisterbeziehungen.
Claus und seine zwei Jahre älteren Brüder wachsen auf im Alten Schloss in Stuttgart und auf dem Sommersitz in Lautlingen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Mit Gleichaltrigen aus dem Dorf toben sie auf den Wiesen der Alb, Claus immer vorne dran, obwohl er in Kindheit und Jugend oft krank ist. Genauso gern lesen alle drei: Klassiker wie Hölderlin, Hofmannsthal, Schiller, Goethe, Rilke, Shakespeare. Sie musizieren zusammen – Violine, Klavier. Claus lernt mit 10 Jahren eifrig Cello. Wie die Kinder aus dem liberalen württembergischen Bürgertum besuchen die Zwillinge und Claus das humanistische Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart. Peter Steinbach: «Er wächst eigentlich auf als ein Mensch, der zwar aus höheren Kreisen stammt, dem man aber nie nahe bringt, dass er mit den Angehörigen sogenannter niederer Kreise keinen Umgang pflegen soll, sondern im Gegenteil, er wird angehalten, mit diesen von Gleich zu Gleich zu verkehren, und ich glaube, damit wirkt sich familiär etwas aus, was man dann als Verlässlichkeit, als Offenheit, als einen Charakterzug seines Lebens ausmachen kann.»
Claus findet, das berichten viele ehemalige Mitschüler und Freunde, leicht Zugang zu anderen Menschen. Kein Konflikt zwischen Denken und Handeln, er ist «klar in seinen Lösungen». Sein Lachen ist sprichwörtlich, laut, herzlich, dröhnend. Mit seinem Charisma punktet schon der Zwölfjährige nicht nur bei seiner Hauslehrerin Elisabeth Dipper: «Dabei weiß er bis jetzt noch nicht, dass er jedermann um den Finger wickeln kann, wie’s bei seinen Lehrern scheint, ’s ist, nach dem, was die Gräfin mir erzählte.»
In den zwanziger Jahren erleben die Stauffenberg-Brüder die Jugendbewegung der Neupfadfinder. Sie wandern, singen, sprechen vom Reich und von Volksgemeinschaft, lesen im Zelt aus Stefan Georges Der Stern des Bundes. 1923 werden sie vom Dichter selbst in seinen elitären George-Kreis aufgenommen. Auch als erwachsener Mann schwärmt von Stauffenberg von Stefan George: «Der größte Dichter seiner Zeit war mein Lehrmeister!»
Welches Gefühl Stefan George seinen Schülern vermittelt, erläutert der Historiker Peter Steinbach: «Ihr müsst im Grunde versuchen, aktiv in Euch einen positiven Kern zu legen, ihr seid eigentlich Repräsentanten eines Deutschland, das im Verborgenen neuen Aufgaben zustrebt, es ist ein Konzept, das im Grund selbstbewusst macht, und das führt dann dazu, dass durch die Beschäftigung mit der ästhetisch sehr anspruchsvollen, sehr klaren, sehr hochwertigen Lyrik von Stefan George die Stauffenberg-Brüder, und insbesondere Claus, ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem sie Wirklichkeit kritisch reflektieren können, immer legt sich im Grunde so eine Art Gedicht von George auf das, was sie sehen, und das bleibt durchgängig so, als Offizier, während des Krieges, sogar unmittelbar vor dem Anschlag, zitiert Claus Stauffenberg Stefan George.»
Die Zeilen des Abiturienten an George 1926 lesen sich heute wie eine dunkle Vorahnung: «... und je klarer das lebendige vor mir steht, je höher das menschliche sich offenbart und je eindringlicher die tat sich zeigt, umso dunkler wird das eigene blut, umso ferner wird der klang eigener worte und umso seltener der sinn des eigenen lebens, wohl bis eine stunde in der härte ihres schlages ... das zeichen gebe.»
Stefan George lässt sich mit seiner Idee eines neuen geistigen Deutschland nicht von den neuen Machthabern vereinnahmen. Er geht 1933 aus Protest gegen die nazistische Umdeutung seines Werkes in die Schweiz, wo er wenige Monate später stirbt. Alle drei Stauffenberg-Brüder halten an seinem Grab in Locarno die Totenwache.

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Stauffenberg (2. v. r.) mit seinen Brüdern
und dem Vater

Oft ist es mir als müsst ich pläne zeichnen
Von hohen unermesslichen palästen
Mit rotem marmor weißen treppenhäusern
Und märchenlangen lichtbesäten gängen.

Viele Jahre will Claus Stauffenberg Architekt werden. Und tritt doch, trotz seiner schwächlichen Gesundheit, 1926 in das Reiterregiment 17 in Bamberg ein: Familientradition: Einer seiner Ahnen war der preußische Heeresreformer August von Gneisenau, der Vater und viele Verwandte sind hohe Offiziere.
Eine Berufslaufbahn, wie sie in seinen Kreisen einfach üblich ist: Sie führt Stauffenberg von der Reichswehr in die Wehrmacht: 1938 wird Stauffenberg Generalstabsoffizier, eidverpflichtet auf den «Führer». Sein höchster Rang: Oberst am 1. Juli 1944. Bei Untergebenen, Kameraden und Vorgesetzten ist er gleichermaßen beliebt und anerkannt, was viele Aussagen von Zeitgenossen aus diesen Jahren bezeugen. Gerühmt wird seine überragende Intelligenz, sein Blick fürs Wesentliche, seine rasche Entscheidungsfähigkeit, sein Mut zu einem offenen Wort auch gegenüber Generälen.
Untergebenen begegnet er auf gleicher Augenhöhe. Seine charismatische Anziehungskraft hilft Vorgesetzten, über seinen mitunter lässigen Umgang mit der Offizierskleidung hinwegzusehen.
Für Stauffenberg gibt es Wichtigeres.
1933 heiratet er Nina Freiin von Lerchenfeld aus Bamberg, katholisch natürlich, auch wenn die Braut evangelisch ist. Nina von Stauffenberg wird später erzählen, er habe auf ihre Frage, warum gerade sie, geantwortet: «Ich habe sehr schnell gemerkt, dass du die richtige Mutter für meine Kinder bist.»
So war das damals … Fünf Kinder kommen auf die Welt: Drei Söhne, zwei Töchter, die jüngste Ende Januar 1945, ein halbes Jahr nach dem Tod des Vaters. Der Sohn Berthold von Stauffenberg, 1934 geboren, beschreibt seinen Vater als fröhlich und ziemlich streng. Allerdings war er wohl mehr «zitierte Autorität» als «tatsächlich vorhandene».
Das Jahr 1933: Hitler hat die Macht ergriffen, lässt sich als Erneuerer feiern. Er will das Deutsche Reich aus den Fesseln des Versailler Vertrages lösen. Die Demütigung durch den Vertrag, der formell den Ersten Weltkrieg beendet hat, vergessen machen, spricht der Vertrag doch die alleinige Schuld am Ausbruch des Krieges dem Deutschen Reich zu.
Und Claus von Stauffenberg? Die Einschätzung des Historikers Peter Steinbach: «Stauffenberg begrüßte die Regierungsübernahme durch Hitler, die Machtergreifung. Das bedeutete, dass er sich zunächst erschreckend wenig über die Übergriffe, die das nationalsozialistische Regime gegen Intellektuelle, gegen angeblich rassisch Minderwertige, gegen Juden, sich leistete, dass er sich dadurch gar nicht so empören ließ, viel zu wenig Äußerungen, gegen die Innenpolitik, über die Rassenpolitik, über die eugenische Politik, über die Kirchenpolitik des Dritten Reiches. Aber ich denke, wenn es so war, wie erklärt sich dann seine unendliche, seine erstaunliche, seine geradezu einmalige Rigidität ab 1943, dieses Regime zu bekämpfen.»
1943, da tobt der Krieg im vierten Jahr. Im ersten Jahr, 1939 hat Stauffenberg in einem Brief von der Ostfront noch von «polnischem Untermenschentum» gesprochen. Inzwischen aber hat er, wie der Historiker Peter Hoffmann schreibt, die «Natur Hitlers und des Krieges» erkannt: Er weiß von der systematischen Ermordung der Juden. Die brutale Besatzungspolitik wie die dilettantische Kriegsführung können für Stauffenberg nur in einer militärischen Katastrophe enden.
Da entwickelt sich dann eine kritische Distanz gegenüber dem Regime, die in der Auseinandersetzung mit dem Krieg im Osten mit der Erfahrung, oder nach der Erfahrung mit der verantwortungslosen Kriegsführung in Nordafrika, sich dann im Grunde zu einer Konsequenz steigert, die sonst nur Henning von Tresckow, einer der engsten Vertrauten, und Albrecht Mertz von Quirnheim, einer der alten Lehrgangskameraden von Stauffenberg aufzuweisen hat.
Am 7. April 1943 wird Stauffenberg in Tunis schwer verwundet: Er verliert ein Auge, die rechte Hand und zwei Finger der Linken. Er kommt nach München ins Lazarett, wo ihm noch eine Operation bevorsteht.
Nina von Stauffenberg: «Eines Tages fand ich ihn in nachdenklicher Stimmung und plötzlich sagte er unvermittelt: Ich glaube, ich muss etwas tun, um das Reich zu retten. Ich war fast erschrocken, hielt es für eine Art Depression und sagte leichthin: Du bist ja gerade in der richtigen Verfassung, so etwas zu tun. Aber er sagte, nein, nein, weißt du, wir alle, und gerade wir als Generalstäbler sind mitverantwortlich, was hier geschieht.»

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Mit den Söhnen Berthold Maria, Franz Ludwig und Heimeran, Wuppertal, 1940.

Später wird Nina von Stauffenberg einem Historiker sagen, vielleicht sei in diesem Moment der Entschluss in ihm gereift, selbst zu handeln.
Und dann fehlt nur noch das Modell, das realistisch erscheint, für eine Wendung der deutschen Dinge, wie man damals sagte, um den entscheidenden Schritt zu tun in eine Verhaltensweise, die ja eigentlich schier unvorstellbar war für einen Offizier, seine militärische Führung auf dem Höhepunkt einer militärischen Auseinandersetzung zu beseitigen, das geht ja in den Kopf eines normalen Offiziers überhaupt nicht herein.
Das Modell, das der Historiker Peter Steinbach meint, ist die sogenannte «Operation Walküre». Von den Nationalsozialisten entworfen, soll es bei inneren Unruhen, etwa durch Fremdarbeiter, das Ersatzheer in Marsch setzen. Stauffenbergs neuer Chef in Berlin ist General Friedrich Olbricht, Leiter des allgemeinen Heeresamtes und zweiter Mann unter Generaloberst Friedrich Fromm, dem Befehlshaber des Ersatzheeres. Im Entscheidungsfall muss Fromm den Befehl für die Auslösung von «Operation Walküre» geben. Zum Widerstand gehört er nicht.
Stauffenberg formuliert zusammen mit Olbricht, von Tres­ckow und Mertz von Quirnheim die Befehle von «Walküre» so um, dass sie zum Putsch gegen das Hitlerregime taugen. Ein Staatsstreich auf offiziellem Dienstweg: vorgesehen ist, Rundfunksender zu besetzen, ebenso wie Konzentrationslager, SS-Kasernen, Gestapo-Zentralen, Gauleitungen. Alle Nazioberen sollen verhaftet, sämtliche Dienststellen der NSDAP geschlossen werden. Die Widerständler setzen auf ihre Erfahrung im Militär: Dass Offiziere Befehle von höherer Stelle einfach befolgen, ohne nachzufragen, wozu sie dienen.
Mehrere Attentatsversuche sind bereits gescheitert. Die Zeit drängt. Am 6. Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie. An der Ostfront reibt die russische Offensive deutsche Divisionen völlig auf. Innerhalb von zwei Wochen werden 350 Tausend deutsche Soldaten getötet. Peter Steinbach: «Stauffenberg wollte im Grunde vor allen Dingen die Möglichkeit eröffnen, Verhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen. Er machte sich keine Gedanken um die Verfassungsstruktur des Staates, er machte sich keine Gedanken um das parlamentarische System, es war für ihn völlig klar, dass die Verbrechen aufhören mussten, das ist auch so hineingeschrieben worden in die Erklärung der Militärs, und ich denke, das ist entscheidend.»

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Kopf und Symbol des militärischen Widerstands
Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit seiner Frau Nina Freiin von Lerchenfeld.

Aber hat Verhandeln überhaupt noch Sinn, wenn die Kriegsgegner schon in Frankreich stehen? Von Tresckow beschwört Stauffenberg: Attentat und Staatsstreich müssen sein, koste es, was es wolle: «Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat.»
Genau in diesem Moment wird Stauffenberg Stabschef des Ersatzheeres, zweiter Mann unter Fromm: «Er war derjenige, der seit dem Wechsel vom allgemeinen Heeresamt zum Befehlshaber des Ersatzheeres die Chance hatte, unmittelbar zu Hitler vorzudringen. Das war das Entscheidende, diese Möglichkeit war nicht kalkulierbar, die zeichnete sich ab Juni, Juli 1944 ab, und er sagte dann, ich muss eben diesen Anschlag selbst ausführen. Er musste eigentlich gleichzeitig an zwei Orten sein. Er musste den Anschlag ausführen und er war gleichzeitig notwendig in Berlin, im Bendlerblock, um die «Walküre»-Befehle abzusetzen, dies um so mehr, weil sein Chef, sein Vorgesetzter Fromm sich versagt hatte, sich verweigert hatte.»
Am 24. und 25. Juni besucht Stauffenberg noch einmal seine Familie in Bamberg. Seiner Ehefrau sagt er so wenig wie möglich.
Nina von Stauffenberg: «Ich wusste, dass ein Attentat geplant war, aber nicht, dass er’s selber machen würde. Für den Fall des Misslingens hatte ich den Auftrag, mich unwissend zu stellen, ja ihn sogar zu verurteilen, damit einer von uns beiden den Kindern erhalten blieb.»
Die Widerständler nehmen keine Rücksicht auf ihre Familien. Peter Steinbach: «Albrecht Mertz von Quirnheim hatte sechs Wochen vor dem Attentat geheiratet, Hans Bernd von Haeften hatte wenige Wochen vor dem Anschlag noch Nachwuchs bekommen und wir dürfen ja auch nicht vergessen, Nina von Stauffenberg war schwanger. Im Januar 1945 wurde Stauffenbergs fünftes Kind geboren. Ich glaube, dass die­se Rücksichtslosigkeit sich selbst und seinen Angehörigen gegen­über etwas mit der Rigidität zu tun hat, die sich unmittelbar nach der schweren Verletzung in Nordafrika herausstellte, es ging im Grunde jetzt um eine Entscheidung, die auf Leben und Tod ging, nur jeder Soldat, der damals kämpfte, war jeden Tag mit dieser Grundfrage konfrontiert.»
Stauffenberg weiß, er kann nicht mehr zurück, auch wenn er als «Verräter in die deutsche Geschichte» eingehen wird: «Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.»
Dreimal fährt Stauffenberg zu Lagebesprechungen bei Hitler mit Sprengstoff in der Aktentasche. Beim vierten Mal, im Führerhauptquartier in der Wolfsschanze, am 20. Juli 1944, kann er in einer Kammer den Sprengstoff mit der Flachzange zünden. Heikel genug, mit nur drei Fingern der linken Hand. Und dann stößt ihm ein Oberfeldwebel, der einen Anruf melden will und zur Eile drängt, die Tür in den Rücken. Stauffenberg lässt das zweite Sprengstoffpaket bei seinem Adjutanten Werner von Haeften zurück. Die Aktentasche platziert er unter dem schweren Eichentisch in der Lagebaracke, ganz in der Nähe von Hitler. Und verlässt den Raum. Die Bombe explodiert: Aber Hitler ist nicht tot.

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Der Bendlerblock

Die Mitverschwörer in Berlin erfahren das per Telefon und gehen mittagessen. Auf Drängen Mertz von Quirnheims läuft «Walküre» dann doch an, aber eben viel zu spät. Bis Stauffenberg nach vier Stunden im Bendlerblock eintrifft und behauptet, Hitler sei tot, und das Heft in die Hand nimmt. Stauffenberg, Mertz von Quirnheim, Olbricht, Ludwig Beck, von Haeften, der Bruder Berthold und alle anderen Eingeweihten funken die Befehle, so schnell es eben geht, nach draußen – aber nicht schnell genug. Und bald durchkreuzen Hitlers Gegenbefehle aus dem Führerhauptquartier die Aktion. Wie bizarr: Allein im entfernten Paris des besetzten Frankreichs haben die Mitverschwörer zunächst Erfolg: Sie nehmen alle Gestapo-Beamten fest.
Manche Offiziere und Generäle wollen lieber ihre Haut retten. Fühlen sich noch an den Eid auf Hitler gebunden. Der Oberbefehlshaber West, General Kluge, bringt diesen Zwiespalt auf den Punkt: «Ja, wenn das Schwein tot wäre!»
Gegen Abend wendet sich Hitler selbst ans Volk: «Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger verbrecherisch dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und mit mir den Stab praktisch der deutschen Wehrmachtführung auszurotten. Die Bombe, die von dem Obersten Graf von Stauffenberg gelegt wurde, explodierte zwei Meter an meiner rechten Seite. Ich selbst bin völlig unverletzt.»
Stauffenberg kämpft dennoch im Bendlerblock weiter, unter Hochdruck, schließlich geht es für alle Widerständler um Leben und Tod. Ewald von Kleist 1989 über diese verhängnisvollen Stunden: «In dieser ganzen Zeit war keiner so beherrscht, so gleichmäßig, so klar wie der Graf Stauffenberg. Es war erstaunlich, ihn anzusehen, wie diese unerhörte Erregung, die in diesem Mann war, wie er sich beherrschte, man sah es nur an dem blasebalgartigen Bewegungen seiner Brust. Er war ja ein Mann von einem enormen Charme und konnte ungewöhnlich liebenswürdig sein. Auf der anderen Seite war er einer der wenigen, die von einem glühenden Idealismus beseelt waren, aber gleichzeitig fähig zur präzisen Tat. Das sind ja Gegensätze und man findet sie nur selten bei Menschen: Stauffenberg hatte beides.»

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Hier starben für Deutschland
am 20. Juli 1944 Generaloberst Ludwig Beck, General der Infanterie Friedrich Olbricht, Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Oberleutnant Werner von Haeften.

Um Mitternacht ist der Umsturzversuch gescheitert. Friedrich Olbricht, Claus von Stauffenberg, Albrecht Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften werden standrechtlich erschossen. Am anderen Tag lässt der hasserfüllte Himmler, Hitlers Polizeichef, die Leichen der Hingerichteten ausgraben, verbrennen und die Aschenreste auf den Feldern verstreuen.
In den nächsten Wochen und Monaten werden auch die anderen Widerstandskämpfer und ihre Familien Opfer der Willkür der NS-Justiz: Vom 20. Juli 1944 bis Kriegs­ende werden etwa 5000 Menschen hingerichtet. Unter ihnen auch Claus’ Bruder Berthold, der am 10. August 1944 in Plötzensee gehängt wird. Über die Folgen des Attentats Nina von Stauffenberg 1964: «Die ganze Familie inklusive der auch entfernten Vettern, alles, was den Namen Stauffenberg trug, wurde in Sippenhaft genommen. Und ich natürlich als Frau des Attentäters wurde längere Zeit vernommen und meine Kinder wurden zusammen mit den anderen Kindern der Widerstandskämpfer in einem Kinderheim untergebracht. Und ich habe eigentlich nicht gewusst wo, ich habe sie erst nach dem Krieg wiedergefunden.»
Nach dem Krieg, bis in die 50er Jahre hinein, gilt Stauffenberg als Verräter. Dann wandelt sich das Bild allmählich. Im Jahr 2007, dem Jahr, in dem Claus Stauffenberg seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, wird seine Tat als Mahnung gegen Unmenschlichkeit und Verbrechen gewertet. Der Historiker Peter Steinbach: «Er steht gegen Tradition, denn er ist ein Offizier, der sich gegen seine Führung auflehnt, aber er begründet eine neue Tradition, denn seitdem wissen wir, jeder Befehl, aber auch jeder Befehl hat in Zukunft eine Grenze, eine Grenze, die sich aus den Zielen und Zwecken des Staates definiert.»
Der Bruder Alexander von Stauffenberg hat 1964 den Gedichtband Denkmal veröffent­licht. Im Gedicht Vorabend lässt er die beiden Brüder Claus und Berthold über ihr Leben sprechen, an einem ihrer letzten gemeinsamen Abende in der Berliner Tristanstraße. Sie wären in ihrem Leben lieber «geistige Wegbereiter» gewesen, waren aber dennoch bereit zum Mord am «Verderber des Volkes».
Claus von Stauffenberg im Gedicht seines Bruders:

sich hier versagen wäre
uns tiefste pein bis an des lebens ende
Wer wäre frei genug um für das ganze
Auf sich zu laden solche last als wir?

Autorin: Renate Kiesewetter
Redaktion: Brigitte Reimer
© Bayerischer Rundfunk

Der Text ist entnommen: http://www.br-online.de