Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №23/2008

Sonderthema

Ernst Toller

Zum 115. Geburtstag des deutschen Schriftstellers und Antifaschisten

«Wenn wir an die Macht des Wortes glauben – und wir glauben als Schriftsteller an die Macht des Wortes – dürfen wir nicht schweigen. Selbst Diktatoren fügen sich der Meinung der Welt.»

Junge Jahre
Ernst Toller wurde am 1. Dezember 1893 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns in Samotschin (Posen) geboren. Er verlebte dort die Kindheit im bürgerlichen Elternhaus. Darauf besuchte Toller das Realgymnasium im benachbarten Bromberg. Weil der Junge jeden Tag Apfelkuchen mit Schlagsahne für zwanzig Pfennig das Stück essen wollte und von den Eltern nur fünfzig Pfennige die Woche als Taschengeld bekam, arbeitete er frühzeitig als Autor für die Heimat-Kolumne der Bromberger «Ostdeutschen Rundschau».

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Ernst Toller im Festungsgefängnis Niederschönenfeld, 1924

Im Ersten Weltkrieg
Als Student in Grenoble (Jura, Literatur, Philosophie) erlebte Toller den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Sofort begab sich der Patriot Toller auf deutschen Boden und meldete sich freiwillig als Soldat. Von Bellheim ging er im März 1915 als Artillerist über Metz der Front entgegen. Soldat Toller schrie «Hurra!», als sein Geschützfeuer den französischen Feind voll traf. Im Priesterwald und dann vor Verdun lernte Toller den Krieg aus nächster Nähe kennen und wurde Unteroffizier. Die Artikel in der deutschen Presse über den Feind fand Toller widerwärtig. Seinen eigenen Beitrag zum Thema bekam er vom Redakteur des «Kunstwarts» unveröffentlicht zurück. Begründung: «Man müsse auf die Volksstimmung Rücksicht nehmen.» Toller meldete sich zum Fliegerkorps, weil er «aus dem Massensterben ausbrechen» wollte. Doch er erkrankte und wurde kriegsuntauglich.
In München setzte er die unterbrochenen Studien fort und traf dort Thomas Mann, Max Halbe, Frank Wedekind und Rainer Maria Rilke. Der weitere Lebensweg Tollers wurde entscheidend von Gustav Landauers Aufruf zum Sozialismus bestimmt. In dem Kapitel Streik seiner Autobiografie schrieb Toller: «Der Krieg ließ mich zum Kriegsgegner werden», und so kämpfte er in München an der Seite des Arbeiterführers Kurt Eisner gegen die Verantwortlichen für den Krieg. 1918 wurde Toller Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Er redete, die ersten Sätze stotternd, in einer Massenversammlung. Nach seiner Beteiligung an Arbeiterkundgebungen auf der Theresienwiese wurde er verhaftet und studierte im Militärgefängnis Marx, Engels, Lassalle, Bakunin, Mehring und Luxemburg.
Das Volk hungerte und wollte keinen neuen Kriegswinter. Karl Liebknecht verkündete am 9. November 1918 die deutsche sozialistische Republik und wurde mit Rosa Luxemburg im Januar 1919 erschlagen. Im Februar 1919 fuhr Toller mit Eisner nach Bern zum Kongress der Zweiten Internationale. Daraufhin wurde Eisner in München vom Grafen Arco-Valley erschossen. Tollers Mitwirkung in der Münchner Räterepublik begann am 7. April 1919 und endete am 1. Mai 1919. Nach dem gewaltsamen Ende der Republik musste sich Toller als Mitglied der Räteregierung vor der Polizei verbergen. Unterschlupf war nur schwer auffindbar. Nach einiger Zeit wurde er verhaftet.

Inhaftiert und dennoch berühmt
Toller wurde von einem Standgericht zu fünf Jahren Festung wegen Hochverrats verurteilt. Er saß die Strafe von 1920 bis 1924 in Niederschönenfeld bei Rain am Lech ab. Während die «Volksbühne» in Berlin sein Drama Masse Mensch uraufführt, tritt Toller in den Hungerstreik, bricht ihn aber bald ab, weil er «verrückt vor Hunger» wird.
Ernst Toller war fünfundzwanzig Jahre alt, als sich die Tore der Haftanstalt Niederschönenfeld für fünf Jahre hinter ihm schlossen. Während seiner Haftzeit avancierte er zum berühmtesten politischen Gefangenen und bekanntesten Bühnendramatiker Deutschlands. In dieser Zeit entstehen weitere Dramen: Der entfesselte Wotan, Die Maschinenstürmer, Der deutsche Hinkemann.
Der politische Inhalt seiner Bühnenstücke machte ihn in der Zeit der Weimarer Republik zum Brennpunkt öffentlicher Auseinandersetzung. So musste Masse Mensch (1920), ein Stück über die soziale Revolution, wegen antisemitischer Zwischenrufe und Prügeleien unterbrochen werden. Die Berliner Uraufführung von Maschinenstürmer (1922) wurde zu einer tumultartigen Demonstration gegen die Ermordung von Walther Rathenau und für Tollers Freilassung.
Tollers Werke werden sowohl von der rechten als auch von der linken Presse hart attackiert. Die rechte Presse sieht in Toller einen Kulturbolschewisten, während der linken Presse die Darstellung der sozialistischen Helden in Tollers Dramen nicht positiv genug erscheint. Angepöbelt von links und rechts, wird Toller jedoch lange vor Brecht der große Mann des politischen Theaters.
Schon im zweiten Gefängnisjahr sieht Toller die Gefahr, die von Adolf Hitler ausgeht. Er schreibt: «Um den Mann Adolf Hitler scharen sich unzufriedene Kleinbürger, frühere Offiziere, antisemitische Studenten und entlassene Beamte. Sein Programm ist primitiv und einfältig. Die Marxisten und Juden sind die inneren Feinde und an allem Unglück schuld, sie haben das unbesiegte Deutschland hinterrücks gemeuchelt und dann dem Volk eingeredet, Deutschland hätte den Krieg verloren. Hitler stachelt das Volk zu wütendem Nationalismus auf.» In seiner Komödie Der entfesselte Wotan gelingt es Toller bereits 1923, in der Figur eines besessenen Friseurs die Karriere Adolf Hitlers mit einer Genauigkeit vorherzusagen, als wäre das Stück erst 1945 entstanden.
Der Amnestie der Revolutionäre nach drei Jahren Haft durch den Reichstag folgt die bayerische Regierung nicht. Toller wird einen Tag eher freigelassen und sofort nach Sachsen abgeschoben.
Er setzt sich für politische Gefangene ein, engagiert sich für den Pazifismus und gegen die staatliche Zensur. In dieser Phase experimentiert er mit verschiedenen Ausdrucksmitteln wie Hörspiel, Prosa, öffentliche Reden und schreibt die Dramen: Hoppla, wir leben!, Feuer aus den Kesseln, Die blinde Göttin.

Toller, der Weitsichtige: «Die Uhr zeigt eine Minute vor zwölf»
Nach dem Scheitern der Räte­republik und seiner Haftzeit beendete Toller seine Karriere in der Politik als Parteimitglied. Wieder in Freiheit, blieb die Synthese aus Literatur und Politik für ihn jedoch weiterhin selbstverständlich. Früher als die meisten deutschen Intellektuellen erkannte der Expressionist die Gefahr, die von Hitler und den Nationalsozialisten ausging. Überzeugt von der Möglichkeit, durch das geschriebene und gesprochene Wort die politische Realität wandeln zu können, stieg er immer wieder aufs Rednerpult, um das Land wachzurütteln.
«Reichskanzler Hitler wird die Errungenschaften der Sozialdemokratie, auf die die Partei so stolz ist, mit einem Federstrich beseitigen. Über Nacht werden alle republikanischen sozialistischen Beamten, Richter und Schupos ihrer Funktion enthoben sein, an ihrer Stelle werden faschistisch zuverlässige Kaders treten. ... Wer heute über Reichswehr, Polizei, Verwaltung und Justiz verfügt, ist in normalen Situationen kaum mehr aus dem Sattel zu heben. ‹Und die Opposition?›, werden Sie fragen. ... Die Entwicklung der militärischen Technik ist dermaßen fortgeschritten, dass selbst wenn die Opposition sich zur Wehr setzen sollte, sie gegen die Kampfmittel, über die die Regierung verfügt, Giftgas, Tanks und Fliegerbomben, nichts ausrichten könnte.»
Diese treffsicheren Prognosen blieben in der Endphase der Weimarer Republik jedoch unbeachtet. Ohne Partei und nachdem die Bühnenstücke nicht mehr an die Erfolge seiner in Haftzeit aufgeführten Dramen anknüpfen konnten, fehlte seinen Äußerungen die entsprechende Plattform und die Überzeugungskraft. Aufmerksamkeit erhielt er jedoch von den Nationalsozialisten, die er mit seinen öffentlichen Aussagen provozierte.

Weg ins Exil
In der Nacht des Reichstagsbrandes (27. Februar 1933) wird Tollers Wohnung von der SA gestürmt. Der Schriftsteller entgeht seiner Verhaftung, respektive Ermordung durch den Umstand, dass er zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz auf einer Vortragsreise ist.
An eine Rückkehr nach Deutschland ist nicht zu denken. Stattdessen beginnt sein Weg ins Exil.
Am 10. Mai 1933 drangen SA-Männer, NS-Studenten und Polizisten in öffentliche und private Bibliotheken in Deutschland ein, schleppten die von den Nazis verteufelten Bücher auf die Straße und warfen sie auf einen Scheiterhaufen: 25 000 Bücher wurden in Berlin und anderen deutschen Hochschulstädten verbrannt. Darunter waren auch Ernst Tollers Werke.
Toller bleibt zunächst in der Schweiz, später verlegt er seinen Hauptwohnsitz nach Großbritannien. Von dort aus begibt er sich auf Vortragsreisen. Der Schriftsteller und Revolutionär wird nicht müde, seinen intellektuell-verbalen Kampf gegen Hitler fortzusetzen. Dessen katastrophales Potential wie auch die soziokulturellen Missstände, welche den Nährboden für den deutschen Nationalsozialismus bildeten, hatte er bereits früh erkannt und vehement in seinem Werk problematisiert.
Bereits 1930 hatte er den folgenden Satz, der rückblickend fast prophetisch anmutet, geschrieben und gewarnt: «Geschieht heute nichts, stehen wir vor einer Periode des europäischen Faschismus, einer Periode des vorläufigen Untergangs sozialer, geistiger und politischer Freiheit, deren Ablösung nur im Gefolge grauenvoller, blutiger Wirren und Kriege zu erwarten ist.»

Engagement und intellektueller Widerstand
Die internationale Aufmerksamkeit auf die Entwicklungen in Deutschland zu lenken und für ein adäquates Problembewusstsein zu wirken, sind zentrale Anliegen Tollers intellektuellen Widerstandes.
Von der ihm dabei begegnenden Ignoranz und Verleugnung zeugt u. a. der Umstand, dass neben der offiziellen deutschen Delegation bei dem PEN-Club-Kongress in Dubrovnik (1933) weitere Delegationen solidarisch den Raum verlassen, als H.G. Wells, der dem Treffen vorsitzt, «Bücherverbrennung» und «Zensur» auf die Themenliste setzt und Toller aufruft, Stellung zu beziehen.
In seinem Redebeitrag kritisiert Toller deutsches Tagesgeschehen und aktuelle Politik. Die Rede wird vielfach übersetzt und international publiziert – selbstverständlich nicht in Tollers Heimat. Dies gilt auch für seine Schrift Offener Brief an Herrn Goebbels; dort heißt es: «Es genügt Ihnen nicht, die zu quälen, die Sie in Ihre Gefängnisse und Konzen­trationslager kerkern, Sie verfolgen selbst die Emigranten durch die mannigfaltigen Mittel Ihrer Gewalt. Sie wollen sie, um in Ihrer Sprache zu reden, geistig und physisch, brutal und rücksichtslos vernichten! Was ist der Grund so abgründigen Hasses?»
Zur Fortführung seiner Aufklärungsarbeit geht Toller international auf Vortragsreisen. Auch hier bewirken seine Ausführungen nicht die erhoffte unmittelbare tatkräftige Solidarität und Bereitschaft zum Widerstand hervor.
In der trügerischen Hoffnung, sich mittels des Mediums Film Gehör zu verschaffen, verdingt sich Toller bei Metro-Goldwyn-Meyer als Drehbuchautor.
Durch Tollers hoch bezahlte Beschäftigung bei Metro-Goldwyn-Meyer ist er finanziell gut gestellt; dazu kommen Einnahmen aus seinen zahlreichen Vortragsreisen und Tantiemen. Anders als zahlreiche andere Emi­granten ist Toller nicht auf die Unterstützung der Hilfskomitees angewiesen.
Toller sieht es als seine Aufgabe als Exilant an, anderen Emigranten durch Empfehlungsschreiben sowie in Aufenthaltsgenehmigungs- und Arbeitserlaubnisfragen zu helfen. Er nutzt sein Renommee, um mit den offiziellen Stellen zu verhandeln.

Literarisches Werk im Exil
Tollers Bücher werden in Deutschland umgehend verboten. Eine Jugend in Deutschland erscheint 1933 im niederländischen Exilverlag «Querido», welcher bis zur Besetzung der Niederlande im Mai 1940 durch die nationalsozialistische Armee existiert. In dieser fragmentarischen Autobiografie erzählt Toller von seiner Kindheit in Preußen und den sie prägenden ethnischen Konflikten. Er beschreibt weiterhin seine bereitwillige Teilnahme am Ersten Weltkrieg und die folgende Ernüchterung. Es folgen Darstellungen seines revolutionären Engagements für die Räterepublik und nach deren Scheitern seiner fünfjährigen Haftstrafe. Wie bereits der Titel ahnen lässt, bietet der Text neben Autobiografischem auch Ansätze einer kritischen Analyse der soziokulturellen Rahmenbedingungen, unter denen eine Generation heranwachsen konnte, welche nicht nur im Ersten Weltkrieg kämpfte, sondern später mehrheitlich Hitler als Führer akzeptierte.
Das Buch erscheint im Folgejahr in einer englischen Übersetzung in London. 1935 folgen, ebenfalls bei «Querido» Briefe aus dem Gefängnis. Die englische Übersetzung erscheint 1937 zusammen mit einer Übersetzung des Lyrikbandes Das Schwalbenbuch (1924). Im gleichen Jahr erfolgt ebenfalls die Publikation des Antikriegsstückes Nie wieder Friede!, welches im Vorjahr mit mäßigem Erfolg an einem Londoner Theater mit Tollers Frau Christiane als weiblicher Hauptdarstellerin uraufgeführt worden war.
In seinem Dreiakter Pastor Hall (1939) beschreibt Toller den Kampf eines Märtyrers gegen die Hitlerdiktatur. Historisches Vorbild der Figur des Pastors Hall ist der protestantische Priester Martin Niemöller, welcher 1937 verhaftet wurde, nachdem er gegen den Eingriff der nationalsozialistischen Regierung in Kirchenfragen protestiert hatte. Niemöller war zunächst zu einer Geldstrafe verurteilt und danach zur Umerziehung nach Sachsenhausen und später Dachau geschickt worden. Sein Fall erregte, vor allem durch das Engagement des Bischofs von Chichester, George Bell, großes Aufsehen, und Niemöller galt zu diesem Zeitpunkt als Held und Vertreter rechtschaffenen Christentums in Deutschland. Tollers Stück blieb zu seinen Lebzeiten ungespielt.
Die posthum (1940) erscheinende Verfilmung von Roy Boulting wird in den USA scharf kritisiert und zensiert. Neben den angeführten literarischen Arbeiten betätigt sich Toller im Exil in großem Umfang als Orator und Journalist, um seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus und für Frieden und Humanität voranzutreiben.

Solidarität und spanischer Bürgerkrieg
Tollers Engagement beschränkt sich nicht auf die deutschen Missstände. Der Mann, von dem die Nazipropaganda in ihrer Broschüre Der ewige Jude (1938) behauptet, er verspüre «grenzenlosen Hass gegen jegliche menschliche Ordnung und Würde», engagiert sich in Spanien.
Konfrontiert mit den Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung im Bürgerkriegsgebiet, ruft er mittels geschickter Presse- und speziell Rundfunkarbeit eine humanitäre Hilfsaktion ins Leben, deren erklärtes Ziel es ist, ungeachtet der politischen Zugehörigkeit den Hunger der Menschen zu lindern.
Einige der ‹neutralen› europäischen Länder bekunden prinzipielle Hilfsbereitschaft, machen diese aber aus außenpolitischen Erwägungen von der amerikanischen Unterstützung von Tollers Plänen abhängig.
Bald nachdem in Washington die Regierung die Prüfung des Antrages in Auftrag gibt, siegt – mit Unterstützung der deutschen Faschisten – die Diktatur in Spanien. Die Franco-Regierung wird von den USA anerkannt: Das Hilfsprojekt und die Hoffnung auf ein antifaschistisches Spanien sind damit gescheitert. Die­se Entwicklungen stürzen Toller in eine Krise.

Depressionen und Selbstmordabsichten
Verschiedene Freunde berichten davon, dass Toller wiederholt von Depressionen und Selbstmordabsichten spricht. Fritz Landshoff, der Leiter des Exilverlags «Querido», berichtet: «Ich war bestürzt über Tollers Zustand. Er war in einer tiefen Depression. Seine Augen entbehrten jeglichen Glanzes, seine Stimme war fast tonlos. Ich schlug ihm vor, mit mir gemeinsam nach Europa zurückzukehren, in der Hoffnung, dass ein völliger Szenenwechsel vielleicht eine Veränderung seines Zustandes bewirken würde. Toller ging zu meiner Freude auf meinen Vorschlag ein, und wir nahmen sogleich eine gemeinsame Kajüte auf der ‹Champlain›, die Ende Mai nach Europa fahren sollte. Ungefähr zehn Tage vor der geplanten Abreise erkrankte ich an einer Fischvergiftung. Am nächsten Tag rief ich Toller von meinem Hotel aus an. Er kam sofort und verbrachte mehrere Stunden bei mir. Er war in der gleichen tiefernst-melancholischen Stimmung, in der ich ihn seit meiner Ankunft gesehen hatte.
Am anderen Tag besuchte mich Arnold Zweig, der gerade für kurze Zeit in New York war, und eröffnete die Unterhaltung mit der Frage: ‹Was sagen Sie zu Toller?› Ich erwiderte, dass er am Vortage bei mir gewesen sei. Darauf er: ‹Aber wissen Sie denn nicht, dass Toller sich heute Mittag in seinem Zimmer erhängt hat?›»
Toller selbst schreibt beispielsweise an seinen Arzt Ralph Greenschpoon: «Ich bin bereit, mich jedweder Behandlung zu unterziehen, wenn es auch nur die kleinste Chance gäbe, (diese Zusammenbrüche) ein für allemal loszuwerden. Mir kommt es vor, als ob ich in guter Verfassung mit meinem Leben und meiner Arbeit vorankomme und dann zurückgeworfen werde und mit allem wieder von vorne zu beginnen habe. Zwischenmenschliche Beziehungen zerbrechen, ich bin außerstande, anderen zu helfen, wie ich das in guten Zeiten zu tun versuchte. Die Unsicherheit meiner gesamten Existenz wächst. All dies lässt mich schier verzweifeln.»
Seine Frau Christiane schildert den Zustand ihres Mannes wie folgt: «Welche Ärzte Ernst Toller aufsuchte und was auch immer man ihm gab zum Schlafen oder Aufleben, nichts hatte die geringste Wirkung. Er rutschte mehr und mehr in seine Depression und fing an, die Welt, seine Zeit, sein Leben und sich selbst anzuklagen. ... Er konnte schlaflose Nächte durchstehen, in denen er nur weinte, und am nächsten Morgen war er vollkommen normal, sogar heiter, und konnte sich mit anderen Menschen treffen und Vorträge halten. Er konnte stundenlang vor dem Gas­kamin sitzen und davon reden, dass er sich das Leben nehmen muss. Jetzt! Wenn ich mit Überredungen nicht mehr weiterkam, ließ ich ihn ruhig den Gashahn aufdrehen und sagte: ‹Gut, dann nehmen wir uns beide das Leben.› Nach wenigen Momenten sprang er dann auf und drehte den Hahn selber wieder zu. Immer wiederholte sich diese Szene.»

Selbstmord
Toller vereinsamt zusehends – sowohl in professioneller als auch in privater Hinsicht. Im amerikanischen Exil fehlt es ihm an einem Publikum für sein schriftstellerisches Werk: Darüber hinaus verlässt ihn seine Frau Christiane.
Er leidet unter physischen und psychischen Folgen seiner früheren Haft in Deutschland sowie unter dem Scheitern seiner Intervention in Spanien. Freunde, Familie sowie seine eigenen Briefe zeugen von anhaltenden Depressionen.
Als man seine Leiche am 22. Mai 1939 in seinem Badezimmer im Hotel «Mayflower» in New York findet, ist die Oberfläche des Schreibtisches mit Fotografien ausgezehrter spanischer Kinder bedeckt.
Ernst Toller hat sich erhängt. «Nicht, weil er schlechtere, sondern weil er feinere Nerven als seine Mitkämpfer gegen den Faschismus gehabt hat», folgert der Schriftsteller Sinclair Lewis anlässlich des Selbstmordes.
Während sein Tod ein internationales Echo hervorruft, wird seine Urne lange nicht abgeholt. Wer schließlich das schlichte Urnengrab im «Ferncliff Mausoleum» finanziert hat, bleibt ungeklärt.


Ernst Toller
Zeittafel

1893 1. Dezember: Ernst Toller wird in Samotschin (heute: Szamocin, Polen) als Sohn des jüdischen Kaufmanns Max Toller geboren.
1914 Nach dem Abitur studiert er in Grenoble Jura, meldet sich jedoch kurz darauf als Freiwilliger für den Ersten Weltkrieg.
1917 Januar: Aus gesundheitlichen Gründen wird Toller vom Militärdienst freigestellt. Er setzt sein Studium in München fort.
Mai: Er nimmt an der ersten «Lauensteiner Tagung» teil, die die nationale Elite der Künstler und Wissenschaftler zu einen versuchte. Es kommt allerdings zu einem Konflikt zwischen der älteren Generation um Max Weber, der für ein Durchstehen des Krieges eintritt, und der jüngeren Generation um Toller, der eine Beendigung des Krieges durch eine Revolution fordert.
Toller zieht nach Heidelberg, flieht von dort aber aus politischen Gründen nach Berlin, wo er mit Kurt Eisner zusammentrifft, dem er nach München folgt.
1918 Januar: Nach Beteiligung am Munitionsarbeiterstreik wird Toller inhaftiert, kurz darauf in die Psychiatrie zwangseingewiesen.
November: Nach Ausrufung der Republik wird er Zweiter Vorsitzender des Zentralrats der Bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte.
1919 März: Nach der Ermordung Eisners wird Toller Vorsitzender der bayerischen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD).
In der Münchner Räterepublik ist Toller Vorsitzender des Zentralrats sowie Abschnittskommandant der «Roten Garde».
Juli: Nach Zerschlagung der Räterepublik wird er wegen Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.
Uraufführung des Dramas Die Wandlung in Berlin, in dem er seine geistige Entwicklung zum Revolutionär schildert.
1920–1924 Während der Haft schreibt Toller seine wichtigsten expres­sionistischen Dramen, wie Masse Mensch und Der deutsche Hinkemann, in denen er seine durch die Kriegserlebnisse erlangte pazifistische Haltung umsetzt.
1924 Juli: Entlassung aus der Festungshaft. Er zieht nach Berlin, weil er aus Bayern ausgewiesen wird.
1927 Uraufführung des Zeitstücks Hoppla, wir leben!
In verschiedenen Gruppen und Aktionen engagiert sich Toller weiterhin für einen revolutionären Pazifismus.
1933 Ausbürgerung durch die Nationalsozialisten; Aufenthalt in der Schweiz. Im Exilverlag «Querido» erscheint die Autobiografie Eine Jugend in Deutschland.
1934 Übersiedlung nach London, anschließend in die USA. Während seiner gesamten Exilzeit engagiert er sich gegen den Faschismus.
1939 Als letzte große Veröffentlichung erscheint (in englischer Sprache) das Drama Pastor Hall.
22. Mai: Ernst Toller nimmt sich in New York das Leben.

Der Text ist entnommen aus: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de
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