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Sonderthema

Friedrich Wilhelm Murnau
Zum 120. Geburtstag des Regisseurs

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Friedrich Wilhelm Murnau auf seiner Jacht «Bali» auf der Probefahrt von San Francisco
nach San Diego, März 1929

Friedrich Wilhelm Plumpe, der sich später (nach der Stadt in Oberbayern) Murnau nannte, wurde am 28. Dezember 1888 in Bielefeld geboren. Seine Familie war großbürgerlich und wohlhabend. Der Vater, der eine Tuchfirma besaß, übersiedelte drei Jahre nach Murnaus Geburt nach Wilhelmshöhe bei Kassel. Das stattliche Haus lag im Umkreis von Grand Hotel und Schloss. Es ist nicht verwunderlich, dass der hochgewachsene, schlanke, gut angezogene Murnau später als kühler und gemessener Gentleman auftrat, als distanzierter und gebildeter Künstler – eine Ausnahmeerscheinung im Metier dieser Zeit.

Fünf Jahre lang studierte Murnau in Berlin und Heidelberg Kunstgeschichte und Philologie. Bei einer Studentenaufführung in Heidelberg wurde er von Max Reinhardt entdeckt, der ihn nach Berlin holte. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges spielte Murnau verschiedene Rollen bei Reinhardt in Berlin.

Nach Kriegsbeginn wurde Murnau eingezogen, zum Offizier befördert, war Kompanieführer in Riga, kam dann auf seinen Wunsch zur Fliegertruppe, stürzte angeblich achtmal ab, ohne sich schwer zu verletzen, und verflog sich bei einem Einsatz im Nebel, sodass er auf dem Gebiet der Schweiz landen musste. Dort wurde er interniert und widmete sich erneut dem Theater, diesmal als Regisseur.
Nach dem Krieg zurück in Berlin, gründete Murnau mit dem Schauspieler Conrad Veidt eine Filmgesellschaft und drehte seinen ersten Film Der Knabe in Blau (1919). Wie dieser erste sind auch weitere Filme verschollen, einige wenige, die lange Zeit als verloren galten, sind aus den Archiven aufgetaucht.
Früh begann die Zusammenarbeit Murnaus mit drei Autoren, die seine Filme der Weimarer Zeit und zum Teil auch die ersten amerikanischen Produktionen entscheidend mitprägen sollten: an erster Stelle Carl Mayer, der Co-Autor des berühmten Caligari, der für Murnau u. a. den Letzten Mann (1924) oder auch Sunrise (1927) schrieb, zweitens Thea von Harbou, die sonst eher durch ihre Zusammenarbeit mit Fritz Lang bekannt wurde, für Murnau indes Drehbücher zu Der brennende Acker (1922) oder Die Finanzen des Großherzogs (1924) verfasste, drittens schließlich Willy Haas, der als Autor, aber vor allem als Kritiker die Entwicklung Murnaus begleitete – darin folgte ihm die junge Kritikerin und spätere Filmhistorikerin Lotte H. Eisner.
Zumal Der letzte Mann erregte international Aufsehen und verschaffte Murnau auch in Amerika großes Ansehen. Nachdem die beiden nächsten für die Ufa realisierten Filme Tartüff (1926) und Faust (1926), die mehr darstellen als Verfilmungen literarischer Klassiker, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, weder die Kritik noch das Publikum in ähnlicher Weise überzeugen konnten, die Ufa zudem in eine erhebliche Finanzkrise geriet, setzte Murnau seinen bereits 1925 gefassten Entschluss in die Tat um: Er reiste im Juli 1926 nach Los Angeles auf Einladung des amerikanischen Produzenten William Fox, an den er sich mit einem Vierjahresvertrag band. Sein erster amerikanischer Film, Sunrise (1927, nach der Erzählung Die Reise nach Tilsit von Hermann Sudermann), wurde als künstlerische Leistung gepriesen (u. a. mit drei Academy Awards ausgezeichnet), verfehlte aber offensichtlich die Wünsche des Publikums. Dasselbe gilt für Four Devils (1928), einen Film, der heute als verschollen gilt, und City Girl (1930). Diesen Film beendete Murnau bereits nicht mehr selbst.
Murnau kehrte nach Berlin zurück, verhandelte erneut mit der Ufa, brach jedoch, ohne dass ein Projekt in Aussicht wäre, von Kalifornien aus im April 1929 mit einer eigenen, hochseetüchtigen Jacht, die er «Bali» nannte, nach Tahiti auf. Es handelte sich um eine klassische Südseereise, die ähnlich wie bei Paul Gauguin Reise in ein zum Teil illusioniertes Paradies war. Dank etlicher Briefe Murnaus sind wir über den Verlauf dieser Fahrt und seine Begeisterung über das arkadische Leben auf den Inseln gut unterrichtet. Er beschloss, sich auf Tahiti niederzulassen, und kaufte ein großes Anwesen.
Mit dem berühmten Dokumentarfilmregisseur Robert J. Flaherty, von dem Nanuk, der Eskimo (1922) stammt, wollte er ein Projekt über den Verlust der Unschuld in der Südsee vorbereiten – aus dem später Murnaus letzter großer Film Tabu wurde. Bei den Vorarbeiten entzweite er sich mit Flaherty.
Nach Abschluss der Dreharbeiten kehrte Murnau nach Hollywood zurück, akzeptierte einen Zehnjahresvertrag, den ihm die Paramount anbot. Bei einer Autofahrt, vor Beginn der Reise nach New York, wo Tabu 1931 die Uraufführung erleben sollte, verunglückte der Wagen Mur­naus, der angeblich von einem jungen Filipino gefahren wurde. Murnau starb im März 1931 in Santa Barbara. Seine Leiche wurde einen Monat später nach Berlin überführt und dort beigesetzt. Fritz Lang und Carl Mayer hielten die Ansprachen zum Gedenken an ein filmkünstlerisches Genie, dessen Laufbahn unvermutet und jäh abbrach. Die Beschäftigung mit dem Werk Mur­naus wurde in Deutschland durch das Dritte Reich behindert, erst die Kritiker und Regisseure der Nouvelle Vague, allen voran Eric Rohmer, der als schon gereifter Mann 1972 eine Dissertation über Murnaus Faust vorlegte (über die Raum­organisation dieses Films), würdigten die Sonderstellung Murnaus, der unzweifelhaft neben Fritz Lang als der «Klassiker» der deutschen Filmkunst gelten muss.
Murnau war der Romantiker unter den deutschen Regisseuren der Weimarer Zeit: Naturmystik und Horrorfantasien durchgeistern beinahe alle seine Filme. Von Städten kann er Schreckbilder entwerfen, vom Landleben Wunschprojektionen. Murnau geht in vielen seiner Filme entschieden aus dem Atelier hinaus, er beobachtet Landschaften (unheimliche und friedfertige), das Flirren der Blätter im Sonnenlicht, das Sich-Wiegen der Halme, die spiegelnden Reflexe auf dem Wasser oder die verschiedenen Grautöne der Steine als Signale einer Welt, die unabhängig von Menschen existiert. Sympathie für einen antimodernen Konservativismus, der ihn sogar zur Ehrfurcht vor dem Bauernstand zwingt, prägt frühe Filme, etwa Der brennende Acker, und noch die amerikanischen Produktionen Sunrise, City Girl und Tabu.

Der brennende Acker
Der brennende Acker ist ein bemerkenswert langsam inszenierter Film, und zwar nicht nur in den Teilen, in denen sich die erdschweren Bauern durch die Stube schleppen. Die etwas kolportagehafte Handlung: Ein Jungbauer will nach oben und entdeckt unter einem unfruchtbaren Acker eine Petroleumquelle. Um an sie heranzukommen, heiratet er sogar die ungeliebte reiche Erbin. Murnau hat offenbar mit Absicht die Affektzustände gedehnt, um sie zu veredeln, was vielfach gelingt. Die schneebedeckte Außenwelt erzeugt eine kalte Atmosphäre: ein Winterstück. Die egoistischen Leidenschaften Geltungsstreben, Eifersucht, Rachsucht nisten in den Häusern der Reichen. Draußen, im eisigen Wasser, wartet der Tod, z. B. auf eine der Frauen, die ihre Liebe missbraucht sieht. Am Ende wird die Petroleumquelle angesteckt. So verzehrt sich der falsche Ehrgeiz des jungen Mannes, der nach Hause zurückkehrt, in den Frieden des bäuerlichen Heimes: ein Besserungsstück.
Die naive Dogmatik des «Schuster, bleib’ bei deinem Leisten» mag verstören, zumal sie mit banaler Fortschrittskritik einhergeht. An diesem eher «reaktionären» Konzept mag vornehmlich die Autorin Thea von Harbou schuld sein. Doch passt es auch zu Murnaus «Unzeitgemäßheit». Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Konflikt zwischen dem einfachen Leben, das auf dem Land oder fern von den Metropolen anzusiedeln sei, und dem falschen Leben in der komplexen städtischen Zivilisation für Murnau bis zum Schluss eine erhebliche Rolle spielt. Er hat – will man seinen Filmen glauben – immer der geschichtsmächtigen Unruhe in sozialen Knotenpunkten, den Repräsentanten der oberflächlich gewordenen städtischen Gesellschaft, dem sich dort zusammenrottenden Mob misstraut und wiederholt eine visuelle Lobrede auf die Idylle abseits der Menschenströme gehalten. In solcher Sehnsucht nach Arkadien – die ihn am Ende in die Südsee, nach Tahiti getrieben hat – ist auch die Angst vor gesellschaftlicher Kontrolle und Einengung, vor dem Zwangscharakter der Zivilisation enthalten. Seine spezifische Form utopischen Denkens vereinigt sich daher nicht mit der Heroisierung des Archaischen und dem dumpfen Agrarmystizismus à la «Blut und Boden».
Vor solchen Verirrungen, die etliche Zeitgenossen schon vor Hitlers Machtergreifung in die Arme des Rechtsradikalismus oder des Nationalsozialismus trieben, haben ihn vier Gründe bewahrt: erstens das Bewusstsein des Außenseitertums, das ihn den Aufstand kollektiv geeinter Massen eher fürchten und fliehen als begeistert begrüßen ließ, weil er sich notfalls als Verfolgten, nicht als Verfolger wusste; zweitens sein Humor, der seinen Sinn für die Relativität der Schicksale und den Zufall von Glück und Unglück schärfte; drittens sein Glaube an das große Glück der liebenden Hingabe, die – gegen alle Prinzipien der Vernunft oder auch der «aufgeklärten» Neuen Sachlichkeit in den zwanziger Jahren – die Widerstände dieser Welt selbstentgrenzend überwinden kann; viertens schließlich seine Sensibilität für Ängste, Urängste, die selbst im technologiegepanzerten Zeitalter der wissenschaftlichen Rationalität die Welt mit unheimlichen Schreckgestalten und alptraumhaften Visionen bevölkern, imaginären Vorboten des Todes, dem Murnau in fast all seinen Filmen nahe ist.

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Max Schreck in der Rolle des Nosferatu

Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens
Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu ist wohl einer der Filme, die das Prädikat Stummfilmklassiker zu Recht verdient haben. Obwohl ihn heutzutage bei Weitem nicht jeder in voller Länge gesehen hat. Das schaurig-einprägsame Bild des von Max Schreck verkörperten Graf Orlok hat jeder sofort vor Augen, wenn von Nosferatu die Rede ist. In diesem Fall können wir wohl von besonders großem Glück sprechen, dass dies so ist. Eine Vielzahl von Werken aus der Frühzeit des Films ist dem schlechten Material zu Opfer gefallen, auf dem sie abgefilmt worden sind. Sie sind schlicht und einfach nicht mehr erhalten. Auch sieben Filme F. W. Murnaus aus den Jahren 1919–1921 gelten als verschollen oder sind nur noch fragmentarisch erhalten.
Die Ausgangslage für Nosferatu gestaltete sich um einiges ungünstiger. Hier bedrohte den Film nicht nur der Zahn der Zeit, sondern auch ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1924, dem zufolge sämtliche Kopien des Filmes vernichtet werden mussten. Erreicht hatte dies Florence Stoker, die Witwe des Dracula-Autors Bram Stoker. Sie sah durch den Film die Urheberrechte ihres verstorbenen Gatten verletzt und bekam in dieser Frage auch Recht vor einem Berliner Gericht. Was uns den Film dennoch bewahrte, war der glückliche Umstand, dass zwischen Premiere und Gerichtsurteil ganze zwei Jahre verstrichen, sodass in der Zwischenzeit einige Kopien ins sichere Ausland, namentlich nach Frankreich, gelangten.
Die Ähnlichkeiten zwischen dem Roman Dracula und der in Nosferatu erzählten Geschichte lassen sich nicht von der Hand weisen. Da
F. W. Murnau die Rechte an Stokers Roman nicht bekam, ließ er Henrik Galeen einige Veränderungen am Originalstoff vornehmen. Dass der Drehbuchautor mehr leistete, als lediglich die Namen der Figuren zu ändern und die Haupthandlung von London ins fiktive Wisborg zu verlegen, und eine Geschichte von ganz eigener Qualität schaffte, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Die Handlung wurde gerafft, einige Figuren gänzlich außen vorgelassen und das Ende komplett umgeschrieben.
In Nosferatu verdeutscht Murnau den Vampir, verleiht ihm Hasenzähne anstelle der scharfen Eckzähne, macht aus ihm ein groteskes Ungeheuer, das mit seinem kahlen Kopf, den weit abstehenden Ohren, den stumpfen Augen, den langen Fingern ebenso als Verkörperung des Grauens wie als Verkörperung der Trauer erscheint. Murnau legte Wert darauf, dass vor Ort gefilmt wurde. Also zog er für einige Sequenzen mit seinem Team in die Karpaten, um am legendären Ursprungsort der Dracula-Sage gleichsam dokumentarisch Felsenwände, Wälder und Flüsse mit der Kamera einzufangen. Er suchte schon damals die von westlicher Zivilisation unbeschädigt oder unbeeinflusst gebliebenen Szenerien.
Nosferatu enthält eigentlich zwei Erzählungen: eine Geschichte von Begehren und Erlösung, die sich am Ende zwischen Nosferatu selbst und der jungen Frau abspielt, die ihn über ihr Porträt aus weiter Ferne anzieht und zu erwarten scheint; eine andere Geschichte über das unerbittliche Regiment der Pest in einer biedermeierlichen Stadt, deren Häuser zum Teil aus alter Zeit zu stammen scheinen. Dieser Plage wehrlos ausgesetzt, beginnen die verzweifelten Menschen die typische Jagd nach dem Sündenbock: die schwarze Humoreske. Suggestiver ist die erste Erzählung von einer nur zum Teil enthüllten Leidenschaft: Der Film ist eigentümlich sprunghaft (auch in seiner rekonstruierten Fassung), erst die Szenen auf dem Schloss des Grafen Orlok, der nächtliche Besuch des Vampirs bei dem erschrockenen jungen Mann – eine fast methodisch entstellte (im Kern aber doch noch erkennbare) Liebesszene –, verfugen sich zu einem großen Spannungsbogen. Ebenso die Ereignisse auf dem Schiff, von dem Nosferatu, einmal sichtbar geworden, Besitz ergreift, bis es wie ein Totenschiff, ein «Fliegender Holländer», in den Hafen gleitet. Sosehr es zur komischen Entlastung dienlich ist, dass Nosferatu seinen Sarg durch eine beinahe leere und als nächtlich unterstellte (blau viragierte) Stadt schleppt, sobald er sich dem Heim der Hutters gegenüber in der Ruine eines Lagerhauses einnistet, überwiegt die beinahe hypnotische Faszination dieser geheimnisvoll unirdischen Gestalt – dass ihr die junge leidensbereite Ellen erliegt, scheint durchaus begreiflich. Wie er hinter den Gitterstäben verborgen ihren Blick anzieht, wie er als riesengroßer Schatten die Treppe hinaufschwebt, wie er an ihrem Bett niedersinkt, ein bizarrer todbringender Liebhaber, der doch die Hingabe eher als die biederen Bürgersöhne verdient: All diese Imaginationen entlarven und verhüllen zugleich ein übergroßes Begehren, das sich gegen alle Verbote der «sittlichen Sozietät» durchsetzt. Diese nur schattenhaft entschlüsselbare, verborgene Logik bewahrt dem Film bis heute starken Appellcharakter: ein Traum, der in seinen Bildzeichen viel andeutet, aber nicht von allem den Schleier lüftet.
Ein Zeitgenosse Murnaus mokierte sich darüber, was für eine Verschwendung es doch sei, so viel handwerkliches Geschick und filmisches Gespür einzig und allein darauf zu verwenden, Schrecken bei den Zuschauern hervorzurufen. Dieser Vorwurf ist also bereits ein altes Lied und wird dem Genre des Horrorfilms – dessen Vielfalt sich über die Jahre hinweg herausgebildet und gesteigert hat – auch heute noch entgegengehalten. Dieser Vorwurf ist eng verwoben mit der bis heute anhaltenden Debatte über Sinn und Zweck des Kinos, das im Grunde schon seit seiner Entstehung zwischen Unterhaltung und Kunst hin und her schwankt und am liebsten beides miteinander verbinden möchte. Auf diesem schmalen Grat wandelte auch der expressionistische Film, zu dessen bekannteren Vertretern Filme wie Robert Wienes Das Kabinett des Dr. Caligari oder Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam, aber auch Fritz Langs Dr. Mabuse – Der Spieler gehören. Als typisch für den expressionistischen Film dürfen wohl die übertriebene Gestik und Mimik der Darsteller gelten, die beinahe wie eine Karikatur menschlicher Gefühle und Empfindungen wirken. Unterstützt durch ein intensives Licht- und Schattenspiel und die kongeniale Musikuntermalung werden sie für den Zuschauer fühlbar. Ein nahezu perfektes Zusammenspiel.
Wem dies zu wenig erscheint, der mag in Nosferatu gerne auch einen Propagandafilm gegen den Bolschewismus sehen, in dem die vermeintlich drohende Gefahr aus dem Osten in der Gestalt des Grafen Orlok – in der manche sogar eine Karikatur Lenins zu erkennen glauben – über den Westen hereinbricht. Eigentlich jedoch unnötig anzumerken, dass dies zu viel der guten Interpretation ist. Es ist schon faszinierend genug – so grotesk dies anfänglich auch klingen mag – dass Max Schrecks Graf Orlok das Bild gewordene Gefühl dessen darstellt, was man beim Schauen des Filmes empfindet.

Der letzte Mann
Der letzte Mann wurde für Murnau zum bedeutendsten künstlerischen Manifest seiner deutschen Periode. Noch nie zuvor hatte man eine solch autonome Kamera als Erzähler beobachten können, die sich – Zeitgenossen fanden den Ausdruck «entfesselt» dafür – so frei im Raum bewegt, gleich in der Eingangssequenz im noblen Hotel, in der sie mit dem Fahrstuhl herabschwebt, durch die Eingangshalle (ein unauffälliger Schnitt) bis vor die Drehtür. Plötzlich setzt Murnau in beinahe virtuoser Weise um, gemeinsam mit dem trotz aller Leibesfülle ziemlich alerten Kameramann Karl Freund, was Kinotheoretiker schon in den 10er Jahren erhofft haben: nämlich dass die Kamera eine Allgegenwart beweise, die Menschen in ihrer konkreten Leibhaftigkeit sonst verwehrt seien. Das elegant Fließende der Erzählung, das souveräne artistische Spiel mit den Möglichkeiten einer weich mitgehenden, durch den Raum schnellenden oder im Kreis wirbelnden Kamera sticht als Ästhetik der «Schwerelosigkeit» von dem eher traurigen Sozialfall ab, von dem berichtet wird: Ein Hotelportier büßt wegen seines vorgerückten Alters und der damit verbundenen Schwäche sein Amt ein und sieht sich zum Klomann «degradiert». Er verliert die Uniform, die seinem Körper Halt gegeben hat. Am Ende, im Elend, entstaltet sich seine Figur zu einer fast amorphen Masse. Der erzwungene Verzicht auf das Paradegewand und auf die mit ihm verbundene Leihidentität, das Symbol von (eingebildeter) Macht und Größe, lässt den scheinbar starken Mann in einen Zustand völliger Deformation versinken: Der Übergang von scheinbarer Stärke zu wahrer Schwäche ist eine für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg charakteristische und im Film der Weimarer Republik verbreitete Verlaufsform des Identitätszerfalls. In ihr spiegelt sich der Legitimitätsverlust des Bürgertums, das in der Wilhelminischen Ära in «machtgeschützter Innerlichkeit» (Thomas Mann) eine Art von Stolz entwickeln konnte, der nach 1918 in verschiedenen Schüben (Kriegsniederlage, Inflation) verfiel. Zeitgenossen sprachen von der «Proletarisierung» bürgerlicher Schichten; der Begriff mag auf die materielle Verarmung zutreffen, doch ging mit ihr eine lähmende Desillusionierung, ein Zusammenbruch der Glaubensgewissheiten und Wertvorstellungen einher. Emil Jannings hat ähnliche Rollenfiguren wiederholt gespielt, vom Letzten Mann bis zum Professor Unrat in Sternbergs Blauem Engel (1930). Murnau legt also im Letzten Mann am Exempel einer Kleinbürgertragödie ein bürgerliches Nachkriegstrauma offen, das er dadurch noch verschärft, dass die Umwelt zu Hause dem alten Mann, nun zum «Monsieur Pipi» ernied­rigt, jeglichen Respekt entzieht. Übrig bleibt ein wirklich Ausgestoßener. Murnau treibt diese radikale Stigmatisierung so weit, dass er sie gleichsam in einem Akt komödiantischen Trostes wieder aufzuheben bemüht ist: Er fügt, nach dem einzigen und ironisch formulierten Zwischentitel des Films, ein breites Happy End an, das den Alten mit einem Schicksalsgenossen dank eines unvermuteten Erbes Saus und Braus einer üppigen Tafelei genießen lässt – in jenem Hotel, in dem er einst Portier gewesen, gastiert er nun als Millionär: eine durchsichtige, wenngleich verzeihliche kompensatorische Fantasie.
Das Drehbuch zu Der letzte Mann hat Carl Mayer geschrieben, den Murnau als Freund und inspirierenden Autor schätzte, obwohl er Mayers flammenden Suggestivstil beinahe nie in eine ähnlich ekstatische Bildsprache übersetzte.

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Mich überkommt die Lust! Emil Jannings und Yvette Guilbert

Faust. Eine deutsche Volkssage
In Murnaus Faust fließen verschiedene literarische Überlieferungen zusammen, obwohl er im Kern Goethes Tragödie erster Teil benutzt: Faust will das Volk, das in einer verwinkelten, mittelalterlichen Stadt wohnt, von der Pest befreien – damit ihm dies gelinge, scheut er nicht davor zurück, den Teufel zu beschwören, der in der burlesken, pausbackigen Gestalt von Emil Jannings auftritt. Der Film verblüfft noch heute durch seine detailgenauen Tricks: jähe Verwandlungen, der Flug des verjüngten Faust an der Seite Mephistos über die Welt. Am Ende sterben die beiden Liebenden gemeinsam, von Feuer und Rauch umhüllt. Liebe triumphiert über die Dunkelheit. Die Gretchentragödie, die Geschichte eines Mädchens, das von der Gesellschaft ausgestoßen und zum Tode verurteilt wird, kann nicht die Freude am Jokulatorischen der Verwandlungen aufwiegen. Mephisto, eigentlich der Verlierer, ist als krakeelende und vitale Possenfigur so präsent, dass er fast alle anderen Mitspieler an den Rand drängt. Nur die wunderschöne Camilla Horn als langbezopfte, jugendliche Naive hält dem stand, als eine Art Märchenprinzessin, die einer Buch­illustration der Jahrhundertwende entstiegen scheint.
Von den Filmkritikern wurde die außerordentliche Raumgestaltung in Faust hervorgehoben: Die Konstruktion von Wänden, Durchlässen und Tiefenwirkungen für den jeweiligen Kamerablick, sodass es eigentlich keinen festen, außerhalb der Kamera anzunehmenden Raum gibt, sondern eine für beinahe jede Perspektive extra gebaute Szenerie. Diese penible Berechnung der Einstellungen ist zweifellos schon in früheren Filmen Murnaus erkennbar gewesen – doch fehlt im Faust gerade der offene Raum, die unabhängig vom Kamerablick vorhandene Natur, Sonnenstrahlen auf den sich drehenden Blättern, Tiere auf den dunklen Karpatenwiesen, wie sie in Nosferatu zu sehen sind. Ebenso vermisst man die freie Beweglichkeit der Kamera aus dem Letzten Mann, die Überlegenheit des erzählenden Subjekts über die Dinge behaupten konnte. In Faust ist eine künstliche Welt gleichsam von einem undurchdringlichen Mantel umgeben, der keinen Blick ins Freie erlaubt.

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Sunrise
Einen Durchbruch ins Freie versuchte Murnau in Sunrise, seinem ersten amerikanischen Film, zu gestalten. Der außerordentliche Erfolg von Der letzte Mann in den USA hatte ihn den Sprung über den Atlantik riskieren lassen. Nun, in Hollywood, inszenierte er als ersten Film eine Geschichte, die europäischer, «heimatverbundener» gar nicht sein könnte. Alle Schauplätze sind im Atelier gebaut worden: das deutsche Dorf, aus dem die zwei jungen Leute stammen, die einer schlimmen Prüfung ausgesetzt werden, der See, der für sie beinahe zum Verhängnis wird, schließlich die große Stadt, in der sie wieder zueinander finden. Dennoch scheint der Horizont in den meisten Szenen weiter zu sein, als er es je in Faust gewesen ist, als habe sich das amerikanische Raumverständnis, das mit offenen Landschaften rechnet, dem Film aufgeprägt – und dies doch nur der Absicht Murnaus entsprochen, zur Natur zurückzukehren. Der dramatische Konflikt – eine auf Urlaub im Dorf weilende Frau aus der Stadt drängt einen ihr verfallenen jungen Bauern dazu, seine Frau umzubringen, damit er mit ihr ins vorgegaukelte Paradies der Metropole zurückkehre – verliert sich nach dem misslungenen und abgebrochenen Tötungsversuch, bei dem der Mann aus seinem bösen Wahn erwacht, in langen Versöhnungssequenzen: Die Eheleute finden in der Stadt allmählich wieder zusammen und entdecken ihre gegenseitige Liebe neu, im Restaurant, bei einem Frisör, beim Fotografen, beim Jahrmarkt, beim Tanz. Dabei bleiben sie ein junges Paar vom Land, Fremde in der Stadt, in deren anarchischem Verkehr die junge Frau beinahe unterzugehen droht – wie später im Wasser, als der Gewittersturm beide auf der Heimfahrt aus dem Boot wirft.
Sunrise ist ein Film der fein abgestuften Übergänge zwischen Schwarz und Weiß: im Moralischen und im Visuellen. Mit seinem Kameramann Charles Rosher ersinnt der Regisseur Tableaus, in denen Licht und Düsternis einander durchdringen, Totalen, die in unterschiedliche Zonen der Helligkeit raffiniert gegliedert sind. So etwa die eingestanden atelierhafte, dennoch eindrucksvoll malerische Mondnacht, in der sich der junge Mann und die Verführerin aus der Stadt begegnen. So die Großstadtszenen bei Tage, in denen immer wieder Außen- und Innenraum durch riesige Glasflächen getrennt werden, sodass man von innen die Bewegung der Fußgänger und Autos draußen oder der Tänzer in einem anderen Raum wahrnehmen kann als eine ständige Bewegungskulisse. So der unheimlich flackernde Lichter werfende Sturm in den Straßen und auf dem See, die anschließende Suche nach der vermeintlich Toten, als Boote mit Fackeln über das unergründlich scheinende Gewässer gleiten. Bei den nächtlichen Bildkompositionen scheint Rembrandt, bei den taghellen die Schule der Impressionisten inspirierend gewesen zu sein. Dennoch ist etwas Eigenes entstanden, eine Kunst der dramaturgisch sinnvollen Stimmungsmalerei, die in der Filmgeschichte für lange Zeit unerreichbar bleiben sollte. Murnau betont die Durchlässigkeit der Welt um seine Hauptfiguren, zumal in den Stadtszenen. Während der Blick in Faust an geschickt arrangierten feststofflichen Hindernissen hängen bleibt, durchdringt er in Sunrise transparente Raumschichten. Selbst wenn die Nebel um die Frau aus der Stadt aufsteigen und den Gesichtskreis enger ziehen, scheinen diese Dünste weich zu verfließen.
Wenn Mann und Frau einander langsam näher kommen, zieht ihr filigranes Spiel der Aktionen und Reaktionen alle Aufmerksamkeit auf sich. Und doch, während im Vorder- und Mittelgrund ihre, die eigentliche Geschichte vor sich geht, füllen Unbeteiligte den Hintergrund – überqueren die Straße, fahren im Automobil, dinieren, schwenken mit Elan über den Tanzboden. Dokumentarischer und befremdlicher als in Der letzte Mann schildert Murnau die turbulenten Massenbewegungen, das halb geordnete Chaos der Großstadt, die Vielzahl der Menschen, mit denen die Hauptfiguren nichts zu tun haben, deren Blick und taxierendem Respons sie sich indes in dem Maße unbefangener aussetzen, in dem sie sich versöhnen.
Fast jede Einstellung in Sunrise kann Erstaunen erwecken oder Nachdenken provozieren – wegen ihrer ästhetischen Konstruktion, wegen ihrer emotionalen Intensität, wegen ihrer Assoziationen auslösenden Vielsinnigkeit. So hockt die verderbenbringende Frau aus der Stadt, die den Kampf um den Mann verliert, in einer ihrer letzten Szenen wie ein Panther auf einem Baumstamm, der über den Hohlweg ausgestreckt ist, den die Männer in der Nacht des Sturms hinaufgehen, gleichsam ein gefährlich wildes Tier oder ein Vampir. Als die junge Frau, die bis dahin eine streng gescheitelte Frisur trug (offenkundig eine Perücke), schließlich mit weich gelösten Haaren als Gerettete im Bett liegt und sich liebevoll dem Mann zuneigt, der so viel Angst um sie erlitten hat, dann ist dieses Bild weniger kitschig als rührende Ikone der Wiedervereinigung, die durch die Gewalt der Triebe eingangs und durch die Gewalt der Natur am Ende verhindert werden sollte.

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Verbotene Liebe – Matahi und Reri

Tabu
Murnaus Sehnsucht nach dem einfachen Leben in einer unberührten segensreichen Natur muss ihn nach den Querelen mit William Fox und Hollywood im Allgemeinen so überwältigt haben, dass er nach Polynesien segelte, in der Hoffnung, die ihn mit vielen anderen vereinte, dort die Insel der Seligen zu finden. Diese Hoffnung schien ihn zunächst nicht zu trügen. Dennoch, die Erkenntnis der Wirklichkeit ließ sich nicht durch das Bollwerk einer glückverheißenden Illusion aufhalten. Als Robert Flaherty sich vorzeitig von Murnau löste, warf er ihm vor, er habe in ihrem gemeinsamen Projekt die Sitten der Südsee romantisiert und die polynesische Psychologie europäisiert. Vermutlich treffen beide Vorwürfe zu. Murnaus Interesse war es, in Tabu ein weiteres Mal die Fabel vom Verlust des Paradieses nachzuerzählen – dafür durfte er im ersten Teil des Films die Existenz des Paradieses auf Erden feiern. Endlich hatte Murnau alle Atelierbauten, den Dunstkreis von Pappmaché und Schminke, hinter sich gelassen.
Die Lagune auf Bora-Bora ist die Lagune auf Bora-Bora. Die schimmernden Lichtreflexe auf den Wogen, der schäumende Wasserfall, die Blumenkränze, die großen Blätter der im Erdboden wurzelnden Pflanzen, die sich entfalten und dort, wo eigentlich die Blüte vermutet wird, plötzlich das Mädchen Reri, die Heldin dieser Geschichte, enthüllen, wollen ein real existierendes Elysium bezeugen. Die kindgleichen und unschuldigen Menschen sitzen im Bach und ähneln den sanft modellierten Steinen neben sich. Die jungen Männer und Frauen tauchen in das Wasser ein und aus ihm auf, bewegen sich wie amphibische Wesen im Nassen wie auf dem Trockenen leicht und unbekümmert fort. Murnau überformt den kaum für glaublich gehaltenen Naturzauber im Geist des Jugendstils. Schon damals verwandelten sich die Konturen der Najaden, Seejungfrauen und anderer fragiler Frauen ins Florale, in Pflanzenornamente, um das Menschenbild aufzulösen in eine Art Naturmuster. Murnau gelingt es jedoch, der fatalen Nähe zur klischeehaften Imagination lasziver Wald- und Wasserszenen zu entrinnen, indem er seine Insulaner auffällig schnell agieren, auch die Stimmung wechseln lässt, als fehle ihnen ein Teil der Trägheit, die sonst Körper zur Erde niederzwingt, als gälten die Regeln der Schwerkraft nicht in vollem Maße für sie.
Dass auch in Arkadien der Tod gegenwärtig ist, entspricht der Bildtradition seit dem 17. Jahrhundert – das gilt ebenso für Tabu. In der scheinbar so harmonischen Natur- und Menschenordnung gibt es dunkle Flecken: religiöse Zwänge, die das unbekümmerte Verhältnis zwischen den Liebenden verderben. Nicht christliche Mission, der eigene Kult ist schuld an der Tragödie. Mit dem Segelschiff dringt das Unheil ein: der Priester, der Reri zur heiligen, unantastbaren Jungfrau erklärt und sie als Opfer einer Art Tempeldiplomatie davonführen will. Matahi, der junge Held, kommt ihm zuvor und flieht mit Reri. Sie stranden – im zweiten Teil des Films, der vom Verlust des Paradieses erzählt – an einer anderen Insel, auf der Matahi als Perlentaucher sein Geschick beweist. Hier gibt es Arbeit, Geld, Kontor, Stege und Zäune, nur die Hütte der Liebenden ist auf natürlichem Sand gebaut. Matahi wird von den chinesischen Händlern übertölpelt, der Priester kommt selbst an diesen entfernten Ort, um Reri zu holen. Endlich folgt sie ihm, in die Enge getrieben, weil sie sich und ihrem Geliebten nicht anders zu helfen weiß. Matahi folgt ihr, schwimmt in der Dunkelheit dem Boot hinterher, kann es erreichen, eine Leine fassen, die wird vom Priester durchschnitten – und so sehen wir in den Schlusseinstellungen den bis dahin unermüdlichen Schwimmer immer langsamer werden und in dem schwarzen Grab des Ozeans versinken. Aus dem Paradies ausgestoßen, werden diese Adam und Eva von Tahiti zu sterblichen Menschen, dem Opfer und dem Tod geweiht.

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Grab Friedrich Wilhelm Murnaus. Grabstätte: Karl-Ludwig Manzel. Büste: Georg Koch, Stahnsdorf
bei Berlin

Murnau begann mit den Dreh­arbeiten, als er schon ein Jahr auf Tahiti verbracht hatte. Seine Paradiessehnsucht, seine Zivilisationsflucht, seine Europa- und Amerikamüdigkeit zugleich verhindern, im Gegensinn zur unerbittlichen Handlung, die er selbst in diese Richtung lenkt, dass der Mythos vom einfachen Leben, von der Insel der Seligen völlig entzaubert wird. Murnau inszeniert zum ersten Mal den ästhetischen Reiz fast nackter, festweicher, scheinbar unverletzlicher Körper. Manchmal lässt er ihre Konturen einander in sinnlicher Verwirrung überdecken, manchmal die Lichtaureole der Sonne ihre schöne Skulptur nachzeichnen. Er zeigt die anmutig heitere Landschaft wie das Paradiesische einer gleichsam archaischen oder vorhistorischen Existenz ohne Arbeit, Plage und Tränen zwischen jungen und schönen Menschen erst einmal – als unverzichtbare Möglichkeitswelt, die in der Realitätsprüfung nicht als bloße Fluchtfantasie verachtet werden darf. Am Ende aber beschränkt ein unabweislicher dunkler Tod auch das holdeste Dasein. Wurden in Sunrise die Menschen noch aus dem aufgewühlten Wasser geborgen, halfen nun kein gnädiges Schicksal und keine gnädige Dramaturgie. Es mag sein, dass das Wissen um den Tod Murnaus bald danach die letzten Einstellungen des Films Tabu ahnungsvoller sehen lässt: Das weiße Segel im Wind, das sich aus der Perspektive des langsam versinkenden Matahi vor dem schwarzen Ozean und dem dunklen Himmel abzeichnet und für immer entfernt, gehört zu den unvergesslichen Visionen der Filmgeschichte.
Tabu wurde mit der Musik von Hugo Riesenfeld, die exotische Klänge mit spätromantischen Aufschwüngen vermischt, wenige Wochen nach Murnaus Tod in New York aufgeführt, ein Stummfilm mitten in einer Zeit, in der der Tonfilm bereits das Kino beherrschte. Der Film eines uneitlen, dennoch selbstbewussten «Außenseiters», der seine Obsession von Arkadien als Traum einer von allen Zwängen entledigten Naturidylle eingestand und zugleich korrigierte. Denn auch dies wusste er: Nirgendwohin kann man auf Dauer dem Gesetz der Gesellschaft entrinnen, nirgendwohin auch der Drohung des Todes. Kaum ein deutscher Filmregisseur hat solch fundamentalen Zweifel an den Unterdrückungsmechanismen der Kultur in sein Werk einfließen lassen. Kaum ein anderer hat in gleichem Maße das Licht entdeckt, das auf eine dunkle Welt fällt und sie in Teilen verwandeln kann, selten genug sogar zu einem irdischen Paradies.

Thomas Koebner,
Reclams elektronisches Film-lexikon

Der Text ist entnommen: http://www.celtoslavica.de