Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №2/2009

Sonderthema

Adelbert von Chamisso
Der Lebensweg

Adelbert von Chamisso (eigentlich Louis Charles Adelaide), berühmt als Dichter, bekannt als Naturforscher, von Geburt und Vaterland Franzose, von Natur und Charakter mehr Deutscher, wurde geboren in der letzten Woche des Januar 1781 auf dem Schlosse Boncourt in der Champagne, wo schon seit Jahrhunderten seine Ahnen, die von Chamizzot oder Chamissot, lothringischen Geschlechtes, ihren Stammsitz hatten.
Von den Stürmen der Französischen Revolution vertrieben, ihrer Habe beraubt, suchten die Eltern Chamissos, der als neunjähriger Knabe im Verein mehrerer Geschwister die Flucht mitmachte, ein Asyl auf deutschem Boden und fanden es nach ziemlich unstäten Versuchen, erst in den Niederlanden, dann im südlicheren Deutschland (in Würzburg und Bayreuth), endlich zu Berlin 1796.
Hier hatte der junge Chamisso das Glück als Edelknabe der Königin Gemahlin Friedrich Wilhelms II. angenommen zu werden, in welcher Stellung er nicht bloß Privatunterricht erhielt, sondern auch am öffentlichen Lehrgange des Französischen Gymnasiums zu Berlin teilnehmen durfte. Daraufhin wurde er zum Fähnrich bei dem Regiment von Götze ernannt, das damals in Berlin stand (1798), und bei diesem Regimente wurde er, erst 20 Jahre alt, 1801 Leutnant.

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R. Schoebel: Adelbert von Chamisso, nach einem Gemälde von Robert Reinicke

Die mildere Herrschaft des ersten Konsuls gestattete zu Anfang des Jahrhunderts seinen Eltern die Heimkehr nach Frankreich, Chamisso selbst blieb in Berlin zurück. So stand er – denn auch seine Geschwister waren den Eltern gefolgt – wie er selbst sagt: «in den Jahren, wo der Knabe zum Mann heran­reift, allein, durchaus ohne Erziehung». Die Liebe zum Kriegshandwerk scheint sich bei ihm mehr und mehr abgekühlt zu haben, unter den damaligen Verhältnissen der preußischen Kriegszucht kein Wunder. Getäuscht in seinen Erwartungen warf er sich mit dem ersten Eifer des Wissensdurstes auf Literatur und Lektüre, besonders auf die deutsche. Er las Klopstocks Messias, Schiller, Goethe, Shakespeare in deutscher Übersetzung, machte auch selber Verse, französische wie deutsche. In seinem Nachlasse fand sich das Manuskript eines in Prosa abgefassten Trauerspiels, welches aus dieser Zeit stammt – ein Nacht- und Schauerstück.
Bei aller Vorliebe für deutsche Literatur litt Chamisso in diesen Jahren an Heimweh und es bedurfte der eindringlichsten Vorstellungen seiner Eltern, seine gesicherte Stellung nicht gegen eine ungewisse Zukunft umtauschen zu wollen. Aber das Schicksal kam seinem Willen zu Hilfe: Sein jüngerer Bruder, der in die Ingenieurschule zu Potsdam aufgenommen worden war, erkrankte so bedenklich, dass Chamisso ihn (1802) zu seinen Eltern zurückzubringen sich entschloss. Er fand zu Hause einen kränkelnden Vater und – einen ziemlichen Abstand in den Anschauungen und der Denkweise zwischen sich und der Familie.
Mit Anfang des Jahres 1803 in anderer Stimmung, als er es verlassen, nach Berlin zurückgekehrt, versenkte er sich wieder mit wahrer Sehnsucht in seine deutschen Studien und sein dramatischer Versuch Faust («fast knabenhaft metaphysisch» nennt er ihn selber) brachte ihn zufällig einem anderen Jüngling nahe, K. A. Varnhagen von Ense. Sie verbündeten sich und gründeten im Verein mit
W. Neumann, J. E. Hitzig und einigen anderen jungen Männern 1804 einen «Musenalmanach», der zum ersten Mal 1804 auf Kosten Chamissos – da kein Buchhändler den Verlag übernehmen wollte – erschien. Dem Bund trat dann auch Freiherr H. K. de la Motte Fouqué in vertrauteres Verhältnis. Im Übrigen war nie eine Spur von Ordenswesen bei dem kleinen Bunde zu erblicken, das Ganze nur ein Freundschafts- und Studienzeichen. Für den Almanach selber interessierte sich A. W. von Schlegel lebhaft, auch Achim von Arnim wurde dafür gewonnen, und der patriotische Philosoph Fichte sogar bedachte ihn mit Beiträgen. Es folgten noch zwei Jahrgänge nach, zu welchen sich ein Verleger gefunden hatte, und das Buch hörte erst auf zu erscheinen, als die politischen Ereignisse die Herausgeber und Mitarbeiter auseinandergesprengt hatten (der erste Band erschien zu Leipzig 1804, die beiden anderen zu Berlin in 1812).
Erst im Jahre 1832 finden wir Chamisso wieder im Verein mit Gustav Schwab als He­rausgeber eines Musenalmanachs; Chamisso redigierte die Jahrgänge 4–10. Diese zweite Periode ist hauptsächlich auch darum zu erwähnen, weil Chamisso das Verdienst hat, eine Anzahl junger Talente, wie Freiligrath und Simrock durch Aufnahme ihrer Beiträge in die Literatur eingeführt zu haben. Der literarische Verkehr zwischen den Freunden blieb auch nach der Trennung ein reger und ununterbrochener.
Chamisso war für immer deutscher Sprache und Bildung gewonnen. Indem er aber mit dieser Vorliebe die Pflichten seiner äußeren Stellung als Militär nicht zu vereinigen vermochte, schlich sich eine düstere Stimmung in sein Herz, welche ihm «diese erbärmliche Welt» in ihrer ganzen «Trostlosigkeit» erscheinen ließ. Er fühlte, dass die­se Lage, «geklemmt zwischen schwerwandelnden Recruten und griechischen Lexika» (seit 1805 war auch das Lateinische sowie das Studium moderner Sprachen hinzugekommen) auf die Länge unerträglich sei, aber gegen seinen Entschluss, den Kriegsdienst zu verlassen und sich ganz den Studien zu widmen, traten hemmend und verzögernd die verhängnisvollen Ereignisse vom Jahr 1806.
Schon im Oktober 1805 musste Chamisso seinem Regiment folgen, das nach verschiedenen Märschen im März 1806 in Hameln einrückte und bis zur schmachvollen Übergabe der Festung daselbst verblieb. Hier fand Chamisso Zeit, den Plan zu einem größer angelegten Gedicht Fortunatus’ Glückseckel und Wünschhütlein eine Strecke weit auszuführen; mehr als tausend Verse wurden niedergeschrieben, es blieb aber beim Torso, und selbst dieser ist nicht mehr vorhanden.
Es ist merkwürdig, dass Chamisso trotz seiner großen Vorliebe für Poesie und trotz eigener Versuche in der Kunst noch keine Ahnung hatte von seinem wirklichen Berufe als Dichter von Gottes Gnaden, ja er kam zu dieser Überzeugung eigentlich erst im letzten Jahrzehnt seiner Laufbahn. Daran war eine angeborene liebenswürdige Bescheidenheit schuld, ein allzu gewissenhaftes Abwägen zwischen Wollen und Vollbringen; denn des deutschen Ausdrucks war er jetzt vollkommen mächtig, zumal des schriftlichen, während im mündlichen hier und da noch leise Nachklänge aus der frühesten Jugendzeit vernehmbar waren. Skrupulöse Forscher mögen freilich auch in seinen Briefen einzelne Gallizismen aufspüren.

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Papilio chamissonis. Zahlreiche Pflanzen und Tiere, die Chamisso entdeckt und bestimmt hat, tragen seinen Namen.

Ein wiederholtes Gesuch um Entlassung aus dem Kriegsdienste, wozu ihn besonders ein Besuch Varnhagens und Neumanns in Hameln aufgemuntert zu haben scheint, wurde abschlägig beschieden. Er fühlte sich in seiner militärischen Ehre tief dadurch verletzt, dass der preußische Befehlshaber die Festung ohne Schwertstreich den Franzosen übergab. Aber unter solchen Umständen war es für Chamisso ein Glück, dass die Kriegsereignisse diese Wendung nahmen. Auf Ehrenwort kriegsgefangen, begab er sich nach Frankreich. Er fand seine Eltern nicht mehr am Leben. Im Herbst 1807 kehrte er nach Berlin zurück und erst zu Anfang des folgenden Jahres erhielt er seine Entlassung aus preußischem Dienst. Es folgten zwei trübe Jahre. «Irr an sich selber, ohne Stand und Geschäft, gebeugt, zerknickt» verbrachte er die düstere Zeit. Da erhielt er durch Vermittlung eines Familienfreundes einen Ruf an das neu zu errichtende Lyceum zu Napoleonville in der Vendée. Der Drang nach einer endlichen gesicherten und geregelten Lebensstellung überwog alle anderen Rücksichten. Chamisso trat die Reise an, um – eine neue Enttäuschung zu erfahren: die ihm zugedachte Stelle war aufgehoben worden!
Doch nahm Chamisso diese Widerwärtigkeit gelassener hin, als sich nach seiner Stimmung erwarten ließ, und zwar zunächst darum, weil er sich der ihm zugedachten Berufspflicht nicht gewachsen fühlte: Er sollte Latein und Griechisch dozieren; Letzteres aber hatte er «schon wieder vergessen und Ersteres nie gewusst». Einstweilen ging es ihm nicht so schlimm: Er fand in Paris fürs Erste neue Bekanntschaften und Beschäftigung. Die für ihn erfolgreichste war die mit A. W. von Schlegel, der ihn nicht nur mit der Übersetzung seiner dramatischen Vorlesungen beauftragte, sondern auch den lohnenden Umgang mit Frau von Staël vermittelte. Chamisso brachte in Gesellschaft dieser merkwürdigen Frau und des sie umgebenden literarischen Hofes den Sommer des Jahres 1810 in Chaumont, dem wunderherrlich auf einer Höhe am südlichen Ufer der Loire gelegenen Schlosse zu, folgte ihr nach Blois, wohin sie übersiedelte, und als sie durch Napoleons unedlen Machtspruch auch von hier vertrieben wurde, begab er sich zu Prosper de Barante, dem Präfekten der Vendée, wo er den Winter über 1810/1811 sich hauptsächlich mit altfranzösischer Literatur (Sammlung von Volksliedern) beschäftigte.
Obwohl er fühlte, er «könne nur im protestantischen Deutschland gedeihen», findet man ihn im Sommer 1811 zu Coppet im schweizerischen Canton Waadt bei Frau von Staël, bei der er blieb, bis sie im Mai 1812 auch von hier flüchten musste. Hier war es hauptsächlich neben den modernen Sprachen (Englisch und Spanisch) die Botanik, die sein regstes Interesse in Anspruch nahm; sie ist bis ans Ende seiner Tage sein Lieblingsstudium geblieben. Für Frau von Staël empfand er eine an Bewunderung grenzende Achtung; auch der «zierliche» A. W. von Schlegel wusste ihm mehr Sympathien für seine Person einzuflößen als manchem andern, der seines Umganges teilhaftig wurde.
Im Herbst endlich begibt sich Chamisso nach einer größeren botanischen Wanderung in die Umgebung des Montblanc wieder nach Berlin, um sich dem «Studium der Natur zu widmen». Hiermit zeichnete er seinem Leben diejenige Richtung vor, die er fortan unverwandt verfolgte. Und es war endlich Zeit, denn der «Studiosus medicinae», als welcher er sich in die Matrikel eintragen ließ, hatte das 30. Jahr bereits hinter, das 32. nahe vor sich. Aber noch war ihm ein ruhiges Arbeiten nicht beschieden. Das Jahr 1813, so hoffnungsreich für jeden Preußen, brachte schmerzliche innere Kämpfe: Die Sympathien für sein Geburtsland waren in seinem Herzen nicht erloschen und durften es nicht sein, andrerseits liebte er aber auch sein zweites Vaterland, und dieser Konflikt zerriss sein Herz. Es war daher eine wahre Wohltat für ihn, als ein wohlwollender Lehrer der Universität ihm für diese verhängnisvolle Zeit ein Asyl bei einer Familie nicht allzu fern von Berlin erwirkte. Hier, in ländlicher Abgeschiedenheit, konnte er mit Erfolg seinen botanischen Studien leben, aber auch für die deutsche Literatur fiel ein Gewinn ab – das Märchen Peter Schlemihl, das er schrieb, «um sich zu zerstreuen und die Kinder seines Freundes Hitzig zu ergötzen». Das Märchen ist in manche Sprachen übersetzt worden, muss also wohl seine Verdienste haben. Der Dichter hat seinem Produkt schwerlich den Wert beigemessen, der ihm von manchen Literarhistorikern vindiziert wird. Von großem «Tiefsinn» wenigstens ist nichts darin zu verspüren, und dies gereicht dem «Märchen» kaum zum Nachteil.
Nach Vertreibung der Franzosen aus Preußen begann in Berlin wieder zwischen Chamisso und seinen alten Freunden ein anregender, ihm persönlich wohltuender Verkehr; da fuhr der Sturm vom Jahre 1815 dazwischen. Die Aussicht, die sich ihm erst durch Zufall, dann durch Vermittlung seines Freundes Hitzig bot, Europa zu verlassen, erschien ihm als eine wahre Wohltat. Chamisso wurde nämlich zum Naturforscher für die mit russischem Geld zu unternehmende Entdeckungsreise in die Südsee und um die Welt ernannt (12. Juni 1815). Diese Reise, von Mitte Juli 1815 bis gegen Ende Oktober 1818, also über drei Jahre dauernd, hat Chamisso selber in klarer, anziehender Sprache geschildert. Die wissenschaftliche Ausbeute derselben erlitt, ohne Schuld und zum Schaden Chamissos, dadurch einigen Abbruch, dass man seine Arbeit nicht nur ganz inkorrekt, sondern recht eigentlich verstümmelt in das größere beschreibende Werk aufnahm. Der Rückkehrende, von den Freunden mit alter Liebe empfangen, übergab dem Berliner Museum, was er an Naturmerkwürdigkeiten von der Reise mitgebracht hatte.
Die Wanderungen lagen nun hinter ihm; die Meisterjahre begannen. Das Jahr 1819 brachte Ehren, eine Anstellung und eine Frau. Die Universität ernannte ihn zum Doctor honorarius der Philosophie, und die Gesellschaft naturforschender Freunde zu ihrem Mitgliede. Er erhielt das Amt eines Kustoden am botanischen Garten und in der 18-jährigen Antonia Piaste, welche er im Hause seines Freundes Hitzig kennengelernt hatte, eine blühende, liebenswürdige Braut. Der Born der Poesie fing, natürlich, nun reichlicher an zu sprudeln, noch nicht aber für die Öffentlichkeit. Das traute häusliche Leben, dem sich Chamisso, «aufgelöst in lauter Wonne» hingab, wurde nur durch kürzere Reisen (1823 nach Greifswald und der Insel Rügen, zum Zwecke barometrischer Beobachtungen, 1824 nach dem Harz zur Erholung, 1825 nach Paris in Vermögensangelegenheiten) unterbrochen. Ein wissenschaftliches, freilich erst drei Jahre später erschienenes Werk über Botanik wurde im Jahre 1824 zu Ende gebracht.
Merkwürdig und charakteristisch für Chamissos bescheidenes Wesen ist, dass er noch 1826 keinen Glauben an seinen Dichterberuf hat. Still und ohne eingreifende Ereignisse verliefen die folgenden Jahre. Erst 1831 erlitt die eisenfeste Natur Chamissos durch einen Grippen­anfall den ersten, leider nachhaltigen Stoß. Er erholte sich nie wieder von den Folgen der tückischen Krankheit: Ein wiederholter Badeaufenthalt brachte der kranken Lunge zwar zeitweilige Erleichterung, aber keine Genesung. Aber auch die Gesundheit seiner Gattin wurde von einem langsam zehrenden Übel ergriffen. Zu alledem wurde die Last seiner Amtspflicht noch drückender, als sein Kollege nach Halle übersiedelte und die Arbeit nun ungeteilt auf Chamissos Schultern fiel. In diese trübe Zeit brachte das Jahr 1835 zwar einen Freudenstrahl, als Chamisso auf Alexander von Humboldts Vorschlag fast einstimmig zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, aber das Glücksgefühl wurde mehr als aufgehoben durch den herben Schlag, welchen der Tod seiner Frau im Mai 1837 dem Herzen des Dichters versetzte. Er ertrug sein Schicksal mit stiller, männlicher Ergebung.
Man darf sich aber nicht wundern, dass er schon im nächsten Frühjahr sich den Anstrengungen, welche sein Amt auch von seinem Körper verlangte, nicht mehr gewachsen fühlte und um seine Entlassung nachsuchte, welche ihm auch mit Belassung seines vollen Gehaltes gewährt wurde. Letzteres war gut, denn Chamisso konnte nach den Aussagen seines unmittelbaren Vorgesetzten «keinen Groschen von seinen Einnahmen missen». Der Genuss der Ruhe war ihm leider nicht lange beschieden: Am 21. August desselben Jahres (1838) starb er. Das vorletzte Jahr seines Lebens ist auch für die Wissenschaft nicht unwichtig geworden durch seine der Akademie vorgelegte hawaiische Grammatik. Noch im letzten Jahre beschäftigte ihn der «Musenalmanach für 1839», und er hatte die Freude, gerade noch das Erscheinen seiner Übersetzung seines Lieblingsdichters Béranger zu erleben.
Chamisso zählt zu den besten und gelesensten deutschen Dichtern, und dem Dichter völlig ebenbürtig ist der Mensch in seiner Herzens­unschuld und Charakterreinheit, seinem Ernst und seiner geläuterten Sittlichkeit. Seine lyrische Poesie ist treuer Spiegel und Abglanz des Innern. Das Anziehende und Liebenswürdige an dieser edlen Erscheinung ist die sonst so selten sich zeigende, hier aber aufs Glücklichste vollzogene Vermählung zweier Volkstümlichkeiten in ihren schönen Seiten. Alter und herbe Lebensschicksale haben die Schläge des jugendlich fühlenden Herzens nicht zu dämpfen vermocht. Chamissos Muse schlägt zwar auch düstere Weisen an, und unheimliche Schatten lagern wie Trauerflor über manchen seiner Gedichte: Das sind aber nicht die Ausflüsse eines verbitterten und verzweifelten Herzens, sondern die Nachwehen der Romantik, jener Schauerromantik, die er an anderen wie an Freiligrath, gar wohl herausfühlt und vor der er warnt, ohne selber ihrem Bann sich völlig entziehen zu können. Aber auch ein edler männlicher Zorn braust bisweilen durch seine Saiten.
Chamisso ist ein Kind seiner Zeit, er sieht ihr fest ins Auge und hat nicht nur ein Herz, sondern auch eine Sprache für die Gebilde ihres Elendes und Jammers. An Hoheit der Gesinnung, an Tiefe des Gefühls weicht er keinem der deutschen Dichter, und auch die Welt seiner Gedanken bewegt sich nicht auf der Oberfläche. Seine Seele lebt und atmet in der Luft der Freiheit, nicht in der wehseligen Erinnerung an «des Hauses Glanz, der Väter Schild und Schwert», und eine männliche Schwermut bemächtigt sich seiner, wo er ein offenes oder geheimes Sperren gegen den heiligen Geist der Zeit und Verrat an den Heiligtümern des Menschen gewahrt. Dabei ist er ein Meister in erschütternden Wirkungen durch einfache Mittel. Seine Sprache, von geheimnisvoller Kraft, ist weniger blühend und bilderreich, als knapp und gedrungen, seine metrische Form gewissenhaft abgewogen. Er ist Meister der Terzine, auch die altmodische Form der Alliterationspoesie hat er glücklicher zu beleben gewusst als die meisten deutschen Dichter.

Aus: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 4, Duncker & Humblot, Leipzig.


Adelbert von Chamisso
Zeittafel

1781 Ende Januar auf Schloss Boncourt in der Champagne geboren; am 31. auf den Namen Louis Charles Adelaide getauft.
1792–1806 Im Mai 1792 hatte die Familie das revolutionäre Frankreich verlassen, ließ sich 1796 in Berlin nieder, wo Chamisso Page der Königin von Preußen wird. 1798 tritt er der preußischen Armee bei, wird 1801 zum Leutnant befördert. Die Familie kehrt nach Frankreich zurück, Chamisso aber entschließt sich, in Berlin zu bleiben. Mit Varnhagen gibt er einen «Musenalmanach»(1804–06) heraus, legt sich den Vornamen Adelbert zu und nimmt 1806 seinen Abschied von der preußischen Armee.
1812 Chamisso beginnt in Berlin ein Studium der Botanik und Zoologie.
1814 Fouqué gibt die Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte heraus, durch die Chamisso schlag­artig berühmt wurde.
1815–1818 Als Naturforscher nimmt er an einer Weltumseglung auf der «Rjurik» teil.
1819 Seine Forschungen bringen ihm eine Stelle am Berliner Botanischen Garten ein. Er heiratet Antonia Piaste.
1824 Mitglied der literarischen «Mittwochsgesellschaft».
1827 Im Anhang der 2. Auflage des Peter Schlemihl erscheinen Gedichte, die Chamisso auch als Lyriker populär machen.
1832–1835 Er übernimmt die Redaktion des «Deutschen Musenalmanachs», bereitet eine Gesamtausgabe seiner Werke vor (1836 erschienen), für die er den I. Teil seiner Reise um die Welt und das Tagebuch bearbeitet.
1836 Die grammatische Abhandlung Über die Hawaiische Sprache erscheint.
1837 Der Tod seiner Frau verdüstert seine letzten Monate.
1838 Am 21. August stirbt Chamisso in Berlin.

Der Text ist entnommen aus: http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Chamisso,_Adelbert_von