Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №7/2009

Aktuelles

Aus Gogols Werken
Ein Auszug

[...] Also, der Leutnant Pirogow stieg jener Unbekannten weiter nach, von Zeit zu Zeit sprach er sie an, und sie erwiderte ihm kurz und schroff, zuweilen brummte sie auch nur etwas Unverständliches. Sie gingen durch das schmutzige Kasaner Tor und kamen in die Meschtschanskaja, wo es, wie bekannt, die vielen Kram- und Tabakläden, die vielen deutschen Handwerker und die estnischen Sylphiden gibt. Die blonde Schöne lief jetzt schneller und entwich auf einmal in ein Haus, das nicht gerade reinlich wirkte. Der Leutnant Pirogow ihr nach. Sie rannte eine
schmale, dunkle Treppe hinauf und ging zu einer Tür hinein, durch die der Leutnant Pirogow ihr wieder unverfroren folgte. Er stand in einem großen Zimmer mit geschwärzten Wänden und verräuchertem Plafond. Der Tisch lag voll von Eisenschrauben, Schlosserwerkzeug, blitzenden Kaffeemaschinen, gelben Messingleuchtern; am Boden waren Feilspäne von Eisen und anderem Metall verstreut. Der Leutnant sah sofort, daß er sich in der Wohnung eines Handwerkers befand. Die Unbekannte schlüpfte schnell durch eine Seitentür hinaus. Er zögerte nur einen Augenblick, dann folgte er der russischen Devise: «Vorwärts marsch!» Er kam in eine zweite Stube, die der ersten wenig glich. Sie war so ordentlich und sauber, daß kein anderer als ein Deutscher sie bewohnen konnte. Leutnant Pirogow erblickte sehr verblüfft ein mehr als sonderbares Bild.
Vor ihm saß Schiller – nicht der Schiller, der den Wilhelm Tell und die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs geschrieben hat, nein, der bekannte Schiller, der die Gürtlerwerkstatt in der Meschtschanskaja hat. Und neben ihm stand Hoffmann – nicht der Dichter Hoffmann, nein, der bestens renommierte Schustermeister aus der Offizerskaja, der ein intimer Freund von Schiller war. Der brave Schiller hatte einen Rausch, er saß auf einem Stuhl und stampfte mit dem Fuß und sagte etwas, was sehr wütend klang. Das alles hätte Pirogow nicht weiter groß verblüfft; was ihn verblüffte, war das äußerst seltsame Gebaren der zwei Leute. Schiller saß auf seinem Stuhl mit hochgehobenem Kopf und streckte seine ziemlich dicke Nase vor, Hoffmann hingegen hielt mit zwei gespreizten Fingern das besagte Riechorgan gepackt und fuhrwerkte mit seinem scharfen Schustermesser an des Freundes Nase hin und her. Sie sprachen beide deutsch dazu, und deshalb blieb es Leutnant Pirogow vollkommen dunkel, was die zwei vorhatten. Denn seine Kenntnisse des Deutschen gingen nur bis zu den beiden Worten «Guten Morgen». Was nun aber Schiller sagte, war das Folgende: «Nein, weg mit Schaden! Ich mag keine Nase mehr!» rief er und fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft. «Bloß für die dumme Nase brauch ich drei Pfund Schnupftabak im Monat. Und ich zahl in dem gemeinen russischen Geschäft – weil deutsche Läden ja den russischen Tabak nicht führen –, ich zahl in dem gemeinen russischen Geschäft vierzig Kopeken für das Pfund – macht einen Rubel zwanzig, nicht? Zwölfmal ein Rubel zwanzig – das macht vierzehn Rubel vierzig. Begreifst du das, mein guter Hoffmann, he? Bloß für die Nase vierzehn Rubel vierzig. Und an den Feiertagen schnupfe ich Rapé, weil ich an Feiertagen nicht den gemeinen russischen Tabak schnupfen mag. Im Jahr verbrauche ich drei Pfund Rapé, zwei Rubel für das Pfund. Vierzehn und sechs – macht zwanzig Rubel vierzig bloß für Schnupftabak! Ist das nicht unerhört? Sag selber, lieber Hoffmann, habe ich nicht recht?» Hoffmann, der auch betrunken war, gab seine Zustimmung. «Zwanzig Rubel vierzig Kopeken! Ich bin ein Schwabe, der in Deutschland einen König hat! Nein, ich mag keine Nase mehr! Schneid mir die Nase ab! Da hast du meine Nase! Weg damit!»
Und wäre Leutnant Pirogow nicht unvermutet eingetreten, so hätte Hoffmann seinem Freunde Schiller ohne Federlesen die Nase amputiert – er hatte schon das Messer so gefaßt, wie wenn er im Begriff sei, eine Sohle zuzuschneiden.
Schiller war sehr erbost, weil ihm auf einmal dieser fremde, ungebetene Gast so störend in die Quere kam. Denn ob er auch von Bier und Wein benebelt war, er hatte doch das deutliche Gefühl, daß es unpassend sei, wenn unberufene Zeugen ihn in diesem Zustand sähen. Inzwischen hatte sich der Leutnant Pirogow verbeugt und sagte mit der Anmut, die ihn zierte: «Ach Verzeihung, bitte...»
«Marsch hinaus!» schrie Schiller stotternd.
Der Leutnant fuhr zurück. Daß man ihm so kam, war ihm etwas Neues. Das Lächeln, das sein freundliches Gesicht verzogen hatte, war mit einem Ruck verschwunden. Und im Gefühl gekränkter Würde sagte er: «Ich muß mich wundern, werter Herr ... Sie haben augenscheinlich nicht bemerkt ... Sie müssen wissen, ich bin Offizier ...»
«Stellt auch was vor, ein Offizier! Und ich bin Schwabe!» Schiller paukte mit der Faust bekräftigend auf den Tisch. «Was Offizier! Das könnt ich selbst leicht sein: anderthalb Jahre Junker und zwei Jahre Leutnant, und dann bin ich morgen Offizier. Ich mag nur nicht zum Militär. Ich puste auf die Offiziere:
huitt!» Schiller blies über seine Hand.
Der Leutnant Pirogow sah ein, daß ihm nichts übrigblieb, als sich zu drücken. Doch war ihm diese gröbliche Behandlung, welche seinem hohen Range schlecht entsprach, sehr peinlich. Er machte auf der Treppe mehrmals halt, um seine Fassung wiederzugewinnen und zu überlegen, wie er diesem Kerl von einem Schiller seine Frechheit wohl vergelten könnte. Am Ende aber kam er zu dem Schluß, daß Schiller immerhin entschuldigt werden dürfte, weil er von Bier und Wein benebelt war. Er rief sich auch das Bild der reizenden Blondine wieder vor die Augen und kam zu dem Entschluß, die Kränkung zu vergessen. Schon früh am nächsten Morgen stellte Pirogow sich wieder in der Werkstätte des Gürtlermeisters ein. Im ersten Zimmer trat die reizende Blondine auf ihn zu und fragte ihn mit ziemlich barscher Stimme, die ihr aber trefflich zu Gesicht stand: «Womit kann ich dienen?»
«Schönen guten Morgen, Schätzchen! Kennen Sie mich noch? Was haben Sie für hübsche Augen, kleiner Schelm!» Der Leutnant faßte sie dabei mit einem Finger freundlich unters Kinn und wollte ihren Kopf zu sich emporheben; doch die Blondine schrie erschrocken auf und fragte mit der gleichen Barschheit wie zuvor: «Was wünschen Sie?»
«Ich wünsche, Sie zu sehen, und sonst nichts», erklärte Leutnant Pirogow mit einem liebenswürdigen Lächeln und näherte sich ihr; als er jedoch bemerkte, daß die scheue blonde Frau zur Seitentür hinaus entschlüpfen wollte, rief er schnell: «Ich möchte mir sehr gerne ein Paar Sporen machen lassen, Schätzchen! Kann ich mir wohl bei Ihnen Sporen machen lassen? Obgleich ja meine Leidenschaft zu Ihnen keinen Sporn braucht, sondern eher einen Zügel... Nein, was haben Sie für hübsche Arme!»
Leutnant Pirogow war immer äußerst schmelzend, wenn er einer Dame so sein Herz zu Füßen legte.
«Ich hole meinen Mann. Er wird gleich kommen», rief die Deutsche und verschwand. Nach einigen Minuten sah der Leutnant Pirogow den Meister Schiller in die Stube treten. Er sah verschlafen drein und hatte sich nach dem Rausch von gestern eben erst aus seinem Bett gefunden. Als er den Offizier erblickte, tauchte in ihm wie ein halbverwischtes Traumbild ihre gestrige Begegnung auf. Nicht daß ihm davon etwas im Gedächtnis haftete, wie es gewesen war, aber ihm schwante dunkel so etwas, als hätte er sich ziemlich dumm benommen. Deshalb zeigte er dem Offizier ein brummiges Gesicht.
«Ja, fünfzehn Rubel muß ich wenigstens für ein Paar Sporen nehmen», sagte er, um Pirogow vom Hals zu kriegen. Denn ihm als ehrenfestem Deutschen war der Anblick eines Menschen peinlich, der ihn gestern in durchaus nicht präsentablem Zustande gesehen hatte. Schiller trank gern ohne Zeugen, nur mit zwei, drei ganz vertrauten Freunden, und schloß dabei die Tür sogar vor seinen Arbeitsleuten zu.
«Ist das nicht etwas teuer?» fragte Pirogow sehr liebenswürdig.
«Deutsche Arbeit!» sagte Schiller kühl und streichelte sein Kinn. «Ein Russe wird sie Ihnen für zwei Rubel machen.»
«Bitte sehr, um Ihnen zu beweisen, daß ich Sie besonders schätze und Sie kennenlernen möchte, zahle ich die fünfzehn Rubel gern!»
Schiller stand einen Augenblick gesenkten Hauptes da und dachte nach. Als ehrenfester Deutscher fühlte er doch einige Gewissensbisse. Deshalb wollte er dem Leutnant die Geschichte gern verleiden und erklärte darum, daß er ihm die Sporen frühestens in vierzehn Tagen liefern könne. Aber Pirogow erklärte sich auch damit ohne Widerrede einverstanden.
Der Deutsche grübelte darüber nach, wie er die Arbeit möglichst gut ausführen könnte, um den Preis von fünfzehn Rubeln zu rechtfertigen. Inzwischen kam die blonde Frau herein und kramte auf dem Tisch umher, wo die Kaffeemaschinen standen. Leutnant Pirogow benutzte die Versunkenheit Schillers dazu, schnell an die Frau heranzutreten und ihr den bis zur Schulter nackten Arm zu drücken. Doch das mißfiel dem wackern Schiller sehr.
«Frau!» brüllte er.
«Ja, Männchen?» fragte sie.
«Marsch, in die Küche!»
Und die blonde Frau entfernte sich.
«Also in vierzehn Tagen?» fragte Pirogow.
«Jawohl, in vierzehn Tagen», sagte Schiller in Gedanken, «ich habe jetzt so sehr viel Arbeit.»
«Schön! Auf Wiedersehn, ich komme dann vorbei!»
«Auf Wiedersehen», brummte Schiller und verschloß die Türe hinter ihm.
Der Leutnant war gewillt, die Werbung fortzusetzen, wenn ihn auch die Deutsche deutlich abgewiesen hatte. Er begriff es nicht, daß eine Frau ihm widerstehen könnte, weil ihm doch sein liebenswürdiges Wesen und sein hoher Rang das größte Anrecht auf Beachtung gaben. Es ist nicht überflüssig, zu bemerken, daß Frau Schiller bei aller ihrer Niedlichkeit auffallend dumm war. Dummheit ist ja übrigens bei einer hübschen Frau ein ganz besondrer Reiz. Ich we­nigstens hab manchen Mann gekannt, der von der Dummheit seiner Frau begeistert war und darin alle Zeichen kindlicher Unschuld erblicken glaubte. Schönheit vollbringt die al­lergrößten Wunder. An einer schönen Frau wirkt jeder geistige Defekt nicht etwa abstoßend, nein, ganz im Gegenteil: besonders reizvoll, und das Laster selber hat an ihr noch einen Hauch von Lieblichkeit. Doch wo die Schönheit fehlt, muß eine Frau wohl vierzigmal so klug sein wie ein Mann, um, wenn nicht Liebe so doch Achtung zu erringen. Doch bei aller ihrer Dummheit war Frau Schiller ihrer ehelichen Pflicht beständig treu, und deshalb fiel es Pirogow recht schwer, sein kühnes Unternehmen zum Erfolg zu führen. Jedoch die Überwindung solcher Schwierigkeiten schafft besonderen Genuß, und da­rum wurde die Blondine unserm Leutnant täglich interessanter. Aus diesem Grund kam er so häufig, sich nach seinen Sporen zu erkundigen, daß dies Schiller mit der Zeit zuwider wurde. Er gab sich alle Mühe, die begonnenen Sporen schleunigst zu vollenden, und endlich brach der Tag an, da sie fertig waren.
«Ach, welch wunderbare Arbeit!» sagte Pirogow, als er die Sporen sah. «Herrgott, wie die gemacht sind! Solche Sporen hat nicht einmal unser General!»
Der wackere Schiller fühlte sich in seiner Eitelkeit geschmeichelt. Sein Blick ward ordentlich vergnügt, er söhnte sich innerlich vollkommen mit dem Leutnant aus. ‹Russische Offiziere, das sind kluge Leute›, dachte er bei sich.
«Dann könnten Sie wohl auch Beschläge machen, für einen Dolch zum Beispiel oder andere Waffen?»
«Ja, das kann ich gut!» sprach Schiller lächelnd.
«Oh, dann hätt ich gern einen Beschlag für meinen Dolch. Ich bring ihn her. Der Dolch ist gute türkische Arbeit, bloß hätte ich gerne einen anderen Beschlag.»
Den wackern Schiller traf das Wort wie eine Bombe, und er zog die Stirn in Falten. ‹Ja, da haben wir’s!› sprach er zu sich und schalt sich heimlich aus, daß er diese Bestellung selbst herausgefordert hatte. Sie jetzt noch abzulehnen, wäre ihm nicht anständig erschienen; auch hatte seine Arbeit bei dem Offizier so großes Lob gefunden... Er schüttelte unschlüssig den Kopf, doch dann erklärte er sich einverstanden. Aber der Kuß, den Pirogow zum Abschied dreist dem hübschen blonden Frauchen auf die Lippen drückte, flößte Schiller wieder lebhafte Bedenken ein.
Ich halte es für nützlich, dem geschätzten Leser jetzt vor allem zu noch etwas näherer Bekanntschaft mit dem wackeren Schiller zu verhelfen. Schiller war der richtige deutsche Mann, wie er im Buche steht. Mit zwanzig Jahren, in dem seligen Alter, wo der Russe noch leichtsinnig in den Tag hineinlebt, hatte Schiller schon sein ganzes Leben bindend festgelegt und wich von da an niemals und in keinem Fall von diesen selbstgegebenen Gesetzen ab. Er hatte es sich vorgenommen, stets um sieben aufzustehen und um zwei zu essen, sich in jeder Hinsicht akkurat zu zeigen und sich jeden Sonntag zu betrinken. Er hatte sich das Wort gegeben, im Verlaufe von zehn Jahren fünfzigtausend Rubel auf die Bank zu legen, und daß er das auch erreichen würde, war so unabwendbar wie das Schicksal; denn viel eher wird ein Subaltern­beamter es vergessen, vor der Türe seines Chefs herumzuschwänzeln, als daß sich ein Deutscher je sein Wort bricht. Schiller ging mit seinen Ausgaben nie über seinen Voranschlag hinaus, und stieg in einem Jahre der Kartoffelpreis zu ungewohnter Höhe, so legte er doch keinen Groschen mehr für dieses Nahrungsmittel an und schränkte lieber den Verbrauch ein. Daß er auf die Art zuweilen etwas Hunger leiden mußte, war nicht schlimm, und er gewöhnte sich sehr bald an diese schmale Kost. Seine Prinzipientreue ging so weit, daß er sich’s vorgenommen hatte, seiner Frau nur zweimal täglich einen Kuß zu geben, und damit er ja nicht in die Lage käme, über dieses Maß hinauszugehen, tat er nie mehr als einen Kaffeelöffel Pfeffer in die Suppe. Am Sonntag freilich wurde diese Regel nicht so streng befolgt; an diesem Tag trank Schiller nämlich stets zwei Flaschen Bier und eine Flasche Kümmelschnaps; obgleich er diesen immer für ein elendes Gesöff erklärte. Er trank nicht etwa wie ein Engländer, der nach dem Mittagessen gleich die Tür verschließt und sich allein dem stillen Suff ergibt. Nein, ganz im Gegenteil: als Deutscher hielt er sehr auf Unterhaltung und Gemütlichkeit beim Trunk, er trank entweder mit dem Schustermeister Hoffmann oder mit dem Tischlermeister Kuntz, der ebenfalls ein Deutscher und ein ausgepichter Säufer war. Ein solcher Mensch war also unser wackerer Schiller, der sich jetzt in äußerst widerwärtiger Lage fand. Trotz seinem deutschen Phlegma mußte er bei Pirogows unpassendem Benehmen fast so etwas wie Eifersucht empfinden. Er zerbrach sich den Kopf und fand doch keinen Weg, wie er sich diesen Russen, den verdammten Offizier, vom Halse schaffen könnte. Leutnant Pirogow saß mittlerweile bei den Kameraden, sog an seiner Pfeife – es ist ein Gebot der Vorsehung, daß man die Offiziere und die Pfeifen meist zusammen antrifft –, sog also an seiner Pfeife und ließ mit Behagen lächelnd sehr vielsagende Bemerkungen darüber fallen, daß er mit der hübschen Deutschen angebändelt hätte. Und nach seinen Worten stand er schon auf sehr vertrautem Fuß mit ihr, obgleich er in der Tat beinah schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, sie herumzukriegen.
An einem schönen Tage ging er durch die Mesch­tschanskaja, an dem Haus vorbei, das Schillers Firmenschild mit den daraufgemalten Kaffee- und Teemaschinen trug. Ganz außerordentlich erfreut sah er die blonde Frau im Fenster lehnen. Er warf ihr eine Kußhand zu, blieb stehen und begann: «Ah, guten Morgen, schöne Frau!»
Sie nickte ihm wie einem näheren Bekannten zu.
«Nun, ist Ihr Mann zu Hause?»
«Ja», erwiderte die blonde Frau.
«Wann ist er denn mal nicht zu Hause?»
«Sonntags ist er für gewöhnlich nicht zu Hause», sagte die ein wenig dümmliche Blondine.
‹Das ist fein›, sprach Pirogow zu sich, ‹das merk ich mir!›
Und schon am nächsten Sonntag stand er wie vom Firmament geschneit, vor der Blondine. Schiller war wirklich nicht da. Die hübsche Hausfrau hatte keinen schlechten Schrecken; aber Pirogow ging diesmal sehr behutsam vor, er zeigte sich respektvoll und verbeugte sich galant, wobei er seine schlanke, wunderbar geschnürte Taille schön zur Geltung brachte. Er scherzte liebenswürdig, doch die kleine deutsche Pute sagte höchstens ja und nein dazu. Er suchte ihr von allen Seiten beizukommen, aber als er sah, daß nichts bei ihr verfing, schlug er zu guter Letzt ein Tänzchen vor. Und damit war sie auf der Stelle einverstanden, weil die Deutschen alle leidenschaftlich gerne tanzen. Hierauf aber setzte Pirogow die größte Hoffnung; erstens machte es ihm selber Spaß, und zweitens gab es ihm Gelegenheit, seine Turnüre und Gewandtheit zu beweisen, und drittens kommt man sich beim Tanze näher als sonst bei irgendwas: er konnte seinen Arm um die entzückende Blondine legen, und das war der erste Schritt zu allem andern; kurz, er sah sich schon am Ziel. Und so begann er denn eine Gavotte vor sich hin zu trällern, weil es ihm bewußt war, daß es bei den deutschen Frauen heißt «nur immer langsam voran». Die reizende Blondine stellte sich mitten in die Stube hin und hob den schönen kleinen Fuß. Und diese Stellung fand der Leutnant so entzückend, daß er sich gleich auf sie stürzte und sie küssen wollte, doch die Deutsche fing zu schreien an und wurde dadurch in den Augen Pirogows noch reizender. Er küßte sie, wohin er traf. Da ging die Tür auf, und in ihr erschienen Schiller, Hoffmann und der Tischlermeister Kuntz. Und diese biedern Handwerksmeister waren alle drei besoffen wie die Schuster.
Doch ich darf es meinen Lesern ruhig selber überlassen, sich des Meisters Schiller zornige Empörung auszumalen.
«Halunke!» brüllte er, im höchsten Grad empört. «Wie darfst du Schuft dich unterstehen, meine Frau zu küssen? Du bist kein Offizier, du bist ein Lump. Da schlag der Teufel drein! Hab ich nicht recht, mein guter Hoffmann, was? Ich bin ein Deutscher und kein Schwein von einem Russen.»
Hoffmann war natürlich ganz der gleichen Meinung.
«Nein, o nein! Ich danke schön für Hörner! Pack du ihn am Kragen, guter Hoffmann!» Schiller fuchtelte mit beiden Armen, sein Gesicht glich in der Farbe auf ein Haar der roten Weste, die er trug. «Acht Jahre bin ich jetzt in Petersburg, ich hab in Schwaben meine alte Mutter, und mein Onkel lebt in Nürnberg, ja, ich bin ein Deutscher, kein gehörntes Rindvieh! Reiß ihm alles runter, guter Hoffmann! Ja, und du, Freund Kuntz, du hältst ihn an den Armen und den Beinen fest!»
Die Deutschen packten Pirogow ganz unverfroren an den Armen und den Beinen.
Umsonst versuchte er sich loszumachen. Die drei Handwerksmeister waren Petersburger Deutsche von dem allerstärksten Schlag, und sie verfuhren derart unmanierlich und so grob mit ihm, daß ich bekennen muß: ich finde keine Worte, dies betrübliche Ereignis zu beschreiben.
Ich zweifle nicht daran, daß Schiller tags darauf im stärksten Fieber zitterte wie Espenlaub und jeden Augenblick das Eintreten der Polizei erwartete. Er hätte, weiß der liebe Gott, wieviel darum gegeben, wenn die Sache gestern bloß ein Traum gewesen wäre. Aber was geschehen ist, das läßt sich nicht mehr ändern. Es gibt nichts auf der Erde, was sich mit dem Zorn und der Empörung Pirogows vergleichen ließe. Schon der Gedanke an die gräßliche Beleidigung, die man ihm angetan, versetzte ihn in Raserei. Verbannung nach Sibirien und Spießrutenlaufen deuchten ihn das mindeste an Strafe für den Meister Schiller. Er rannte heim und zog sich um, entschlossen, gleich zu seinem General zu laufen und ihm das gemeine Attentat der deutschen Handwerksmeister in den grellsten Farben auszumalen. Weiter wollte er dem Generalstab eine schriftliche Beschwerde unterbreiten, und sollte die von diesem ausgesprochene Strafe ihm noch nicht genügen, so war er entschlossen, bis zur obersten Instanz zu gehen.
Doch alles lief sehr seltsam aus: der Leutnant Pirogow trat unterwegs in ein Café, verspeiste dort zwei Stück Blätterteiggebäck, las dies und das in der «Nordischen Biene» und war, als er von neuem auf die Straße trat, bedeutend milder aufgelegt. Der Abend war sehr angenehm und kühl; darum flanierte er noch eine Weile auf dem Newskij Prospekt. Um neun Uhr fühlte er sich ganz beruhigt und fand nun, daß er den General am Sonntag besser nicht belästigen sollte; auch würde er ihn wohl um diese Stunde kaum zu Hause antreffen. So ging er denn zu einer Soiree im Hause des Direktors eines Kontrollbüros. Dort traf er einen netten Kreis von Staatsbeamten und von Offizieren seiner Division. Es wurde ein vergnügter Abend, und der Leutnant Pirogow fiel bei der polnischen Masurka durch sein gutes Tanzen auf. Nicht nur die Damen, sondern selbst die Kavaliere waren förmlich «weg» von ihm. [...]

Aufgaben

  1. Aus welchem Werk Gogols stammt der Auszug?
  2. Welche Stereotype fallen Ihnen bei der Darstellung der Deutschen auf?