Bildung und Erziehung
E-Learning bringt den Hörsaal nach Hause
Zur Vorlesung schnell nach Mexiko? Oder nach Paris? Das Startup-Unternehmen «Lecturio» will wissenschaftliche Veranstaltungen weltweit aufzeichnen. Studenten und Forscher können sie dann jederzeit am heimischen Computer abrufen.
Studieren ist kein Zuckerschlecken. Neben finanziellen Problemen haben angehende Nachwuchswissenschaftler meistens auch noch mit anderen Dingen wie überfüllten Hörsälen zu kämpfen, die das Lernen erschweren. Wer ein Auslandssemester einplant, riskiert obendrein, an seiner Heimat-Uni wichtige Pflichtveranstaltungen zu verpassen und so das Studium in die Länge zu ziehen.
Wissen via Internet zur Verfügung stellen
Zwar nutzen Universitäten und Hochschulen teilweise schon heute die Möglichkeiten, die ihnen das Internet bietet, und stellen ihren Studenten Informationen online zur Verfügung. In den meisten Fällen handelt es sich aber eher um studienbegleitende Bereiche wie Lehrpläne, Prüfungsvorschriften, Vorlesungsverzeichnisse oder den Speiseplan der Mensa. Lehrinhalte wie Vorlesungen von Professoren sucht man dagegen oft vergeblich. Und wenn sie denn existieren, haben in der Regel nur die eigenen Studenten Zugriff darauf – geschlossene Gesellschaft sozusagen.
Doch das könnte sich schon bald ändern. Möglich macht es «Lecturio». Das Startup-Unternehmen aus Leipzig will wertvolles akademisches Wissen dauerhaft archivieren und via Internet zur Verfügung stellen. Studierende wären dann in der Lage, bequem von Computer aus Vorlesungen vor- oder nachzubereiten. Und zwar überall und zu jeder Zeit.
«Lecturio» macht Wissen zugänglich
Die Idee zu dem Online-Angebot hatten die Absolventen der Handelshochschule Leipzig (HHL) Martin Schlichte und Tim Koschella. Ihre Vision: Ein Internet-Portal, das Studenten die Möglichkeit bietet, schwieriges Wissen zu vertiefen und sich auch mit Inhalten angrenzender Fachgebiete zu beschäftigen. Im Sommer 2008 gründeten die beiden schließlich ihr Unternehmen «Lecturio», das im November eine größere Anschubfinanzierung durch den Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) erhielt.
Doch worin genau unterscheidet sich «Lecturio» von anderen Online-Angeboten? Videoaufnahmen von Vorlesungen alleine können es nicht sein. Denn die bieten auch andere Einrichtungen an. An der Stanford University im kalifornischen Silicon Valley zwischen San Francisco und San Jose beispielsweise können Studenten schon heute in der sogenannten «E-Corner» Videos und MP3-Audiostücke von Professoren und prominenten Gastrednern betrachten und anhören.
Videos und Inhalte auf einen Blick
Das, was «Lecturio» letztlich von anderen Angeboten unterscheidet, ist die Art und Weise, in der es Wissen vermittelt. Dabei werden sowohl der dozierende Professor (als Video) als auch dessen Vorlesungsmaterial gleichzeitig im Internet-Browser auf einer einzigen Seite zu sehen sein. Mit Hilfe von Schlagwörtern kann der Nutzer zudem zusätzliche Informationen innerhalb der Aufzeichnung suchen und abrufen.
Der damit verbundene Aufwand ist groß. So müssen die Vorlesungen zunächst mit einer speziell optimierten Technik aufgezeichnet werden. Im nächsten Schritt werden dann die zum Vortrag gehörenden Dokumente erfasst. Schließlich werden beide Teile – Texte und Videos – zusammengeführt und auf dem Internet-Portal veröffentlicht. Dieses aufwendige Verfahren kostet natürlich viel Zeit. Bis zum offiziellen Start von «Lecturio» im April 2009 müssen sich die beiden Jungunternehmer also sputen.
Weltweite Vernetzung geplant
An interessierter Kundschaft mangelt es jedenfalls nicht. Neben der Handelshochschule Leipzig und der Universität Leipzig sitzt auch die Technische Universität München mit im Boot, die ersten Aufnahmen haben bereits begonnen. Langfristig soll «Lecturio» nach dem Willen der beiden Geschäftsführer Schlichte und Koschella auch Vorlesungen und Konferenzen in aller Welt aufzeichnen, um diese dann weltweit zugänglich zu machen. Gerade diese globale Vernetzung bietet Forschern und Studierenden die Chance, auf einfache Weise beispielsweise eine Vorlesung in Mexiko, Paris oder einem anderen Ort anzuschauen.
Der umgekehrte Weg ist ebenfalls möglich. So können etwa deutsche Studenten, die ein Semester im Ausland verbringen, die Veranstaltungen ihrer Heimat-Uni überall auf den PC holen.
Das «Lecturio»-Konzept ermöglicht es außerdem, sich vorab schon mal über die Studienbedingungen ausländischer Universitäten zu informieren und so einfach per Mausklick einen internationalen Bildungsvergleich durchzuführen.
Die Verschmelzung von Videos und Informationen ist übrigens nicht auf die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Studium beschränkt. Da «Lecturio» auch für die Aufzeichnung von Konferenzen taugt, ist das System auch für andere Personenkreise interessant. Journalisten etwa, die nicht zu einem Pressetermin erscheinen können, wären damit in der Lage, das gesamte Vortragsmaterial nachträglich online abzurufen, ohne vor Ort zu sein.
INFO
Gründerschmiede HHL
Die Handelshochschule Leipzig (HHL) gehört zu den ältesten Hochschulen Deutschlands. Sie entstand ursprünglich 1898 und wurde 1992 – nach der deutschen Wiedervereinigung – neu gegründet.
Als sogenannte Business School konzentriert sich die Hochschule auf die Ausbildung von Nachwuchs-Managern. Daneben bietet sie ein spezielles Programm, das angehenden Unternehmensgründern das nötige Rüstzeug vermittelt.
In den letzten zehn Jahren wurden so von HHL-Absolventen mehr als 60 Unternehmen gegründet, die über 1500 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.