Sonderthema
Gustav Schwab: das Faktotum der Musen
Gustav Schwab, 1850
Als er am 4. November 1850 starb, beklagte die damalige deutsche Literaturszene den Tod einer ihrer fruchtbarsten und vielseitigsten Federn. Schwab war zumindest für den Südwesten ein literarisches und insbesondere für Stuttgart ein gesellschaftliches Faktotum, ein Literaturmanager und Impresario, ein Ansprechpartner für gleichaltrige Kollegen, ein Mäzen für jüngere Autoren, denen er gerne Kontakte zum Großverleger Cotta vermittelte. So berühmt der «schaffige» Autor auch zu Lebzeiten war, von seinen Werken haben sich nur wenige im Gedächtnis der Nachwelt erhalten – ein, zwei Balladen und vor allem seine Bearbeitung der antiken Sagen, früher ein beliebtes Geschenk für die reifere Jugend. Schwab ist ein rechtschaffener, ein biederer, ja zuweilen betulicher Autor, ein Kind der Biedermeierzeit, ein Sänger des heimischen Herds und der gewachsenen Traditionen. Nicht von ungefähr galt ihm sein Landsmann Uhland, mit dem er befreundet war, als dichterisches Vorbild.
Kein Wunder also, dass er mit den überragenden Größen seiner Zeit wenig Umgang hatte und immer ein wenig im Mittelfeld blieb, dort, wo er sich selbst am wohlsten fühlte. Exzesse und Extreme mochte er so wenig leiden wie unchristliches oder gar atheistisches Gehabe. Freisinnige Autoren wie Heinrich Heine, David Friedrich Strauß und Friedrich Theodor Vischer mussten ihm gleich verwerflich erscheinen. Heine, der ja den Dichter Uhland bei allen Vorbehalten geschätzt hat, ließ sich auch über dessen Gefolgsmann aus, respektlos wie gewöhnlich, aber nicht unzutreffend. In der Romantischen Schule würdigt er Schwab als berühmten, «aus den schwäbischen Gauen hervorgeblühten» Dichter, der «jährlich mit hübschen duftenden Liedern» erquicke. «Besonderes Talent», fährt Heine fort, besitze er für die Ballade, und er habe «die heimischen Formen der Sagen in dieser Form auf das erfreusamste» besungen. Der Tonfall ist zwar, wie bei Heine nicht anders zu erwarten, ironisch, doch die Grundtendenz ist wohlwollend.
Weniger freundlich klang der von Heine virtuos eingesetzte Vergleich im polemischen Schwabenspiegel von 1839. Der bedeutendste unter den provinziellen Dichtern des Schwabenlandes sei der evangelische Pastor Gustav Schwab. «Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz. Er hat einige schöne Lieder gedichtet, auch etwelche hübsche Balladen; freilich, mit einem Schiller, mit einem großen Walfisch, muss man ihn nicht vergleichen.» Heines Porträt des Dichters Schwab konnte nicht positiver ausfallen, denn Schwab hatte aus seiner Abneigung gegen den jungdeutschen Autor nie ein Hehl gemacht.
Gustav Benjamin Schwab wurde am 19. Juni 1792 in Stuttgart geboren als Sohn des Geheimen Hofrats Johann Christoph Schwab und seiner Frau Friederike, Tochter eines angesehenen Stuttgarter Kaufmanns, Nichte des Bildhauers Johann Heinrich Dannecker. Der Vater, zeitweilig Professor an der Hohen Karlsschule, prägte den Bildungsweg des Sohnes entscheidend. Das Kind muss offenbar nach der Geburt so schwächlich ausgesehen haben, dass der Hausarzt bei seinem Anblick ausrief: «Wird wohl kein Erdenbürger!» Er sollte sich täuschen. Nicht nur, dass der Knabe Gustav bald erstarkte und geistig-künstlerische Fähigkeiten entwickelte. Er absolvierte auch das Gymnasium erfolgreich (außer in Mathematik). Der stehende Spruch des Vaters beim Anblick untätiger Kinder «Kinder, tut etwas, spielt etwas, was ihr wollt; nur nicht müßig dastehen!» ging dem jungen Schwab in Fleisch und Blut über. Untätigkeit gab es für ihn fortan nicht mehr.
Mit siebzehn Jahren bezog er die Universität Tübingen und belegte die Fächer Philosophie und Theologie. Hier schloss er auch Freundschaft mit Uhland und Kerner. Der Theologe Karl Ullmann, ebenfalls ein lebenslanger Freund, hat eine Beschreibung Schwabs aus jener Zeit hinterlassen: «Im Spätjahr 1813 lernte ich Schwab als Student in Tübingen kennen. Ich sah ihn zuerst in einer öffentlichen Gesellschaft. Noch heute steht er vor mir, die kräftige, damals schlanke Gestalt in der schwarzen, etwas schmuck gehaltenen Theologentracht, durch sein jugendlich leuchtendes, Gesundheit und Leben sprühendes Angesicht, durch sein ganzes sprudelndes Wesen mehr den frisch ins Leben hineinschreitenden Dichter, als den werdenden Theologen ankündigend.»
Das Gomaringer Schloss wurde bis 1993 als Pfarrhaus genutzt. Hier wohnte Gustav Schwab 1837–1841, als er in Gomaringen als Pfarrer amtierte. Jetzt ist in diesem Gebäude das Gustav-Schwab-Museum untergebracht.
«Bemooster Bursche zieh ich aus»
Als Schwab nach fünf Jahren Tübingen verließ, nicht ohne mit dem bekannten Lied Bemooster Bursche zieh ich aus seinen poetischen Zoll entrichtet zu haben, übernahm er zunächst ein Vikariat in Bernhausen. Eine große Deutschlandreise im Frühjahr 1815 führte ihn nach Norddeutschland. Weimar, wo er Goethe und Schillers Witwe besuchte, Berlin, Hamburg und Bremen waren die Stationen, auf denen er zahlreiche Dichter kennenlernte und viele lebenslange Beziehungen anknüpfen konnte. Seit damals erhielt er sich eine lebenslange Neigung zu norddeutscher Lebensart. Zurückgekehrt wirkte er eine Zeit lang am Tübinger Stift als Repetent. Im Dezember 1817 erhielt er eine Professur für alte Sprachen am oberen Gymnasium in Stuttgart. Schon wenige Monate später heiratete er Sophie Gmelin, Tochter eines Juraprofessors, die er während seines Tübinger Studiums kennen- und liebengelernt hatte. Einem Freund gegenüber rühmt er sein «liebes Sophienkind» gleicherweise als «rüstige» Hausfrau und als «köstliches Weib». Im Laufe der Jahre vergrößerte sich die Familie um drei Söhne und zwei Töchter.
Die neunzehn Stuttgarter Jahre stellen den Höhepunkt in Schwabs literarischem Wirken dar. In diesen Jahren entstanden seine eigenen dichterischen Werke, neben lyrischen Gedichten die Romanzenzyklen über das Jugendleben des Herzogs Christoph von Württemberg, über Robert den Teufel, die Legende von den heiligen drei Königen, die Übersetzung der Méditation von Lamartine, verschiedene Editionen (Paul Fleming, Hölderlin, Wilhelm Müller und Wilhelm Hauff) und Anthologien griechischer, lateinischer und deutscher Gedichte, und schließlich das umfangreiche, mit Ludwig Richters reizvollen Holzschnitten illustrierte Buch der schönsten Geschichten und Sagen. Hier erzählt Schwab, auf den Spuren Herders und der Romantiker, die frühneuhochdeutschen Volksbücher in leichtfasslicher Prosa nach.
Seine Motive waren volkskundlich und bildungspolitisch zugleich und nicht frei von Ressentiments, wie sein Bekenntnis gegenüber Freund Ullmann ausweist: «Sammlung und Volkssagen habe ich mit Liebe gemacht; es freut mich, wenn sie wieder Liebe finden. Könnte ich mich doch in diesen bösen Zeiten, wo das Junge Deutschland den Frevel der Verwüstung aufpflanzen wollte und, auch verfolgt, noch einschwärzt, mich ganz ins Wunderland der Poesie aus der verfluchten und verruchten Tagesliteratur, wo der Judaismus, mit allen ekelhaften Lastern, Lüge, Prahlerei und Feigheit, Schmeichelei und Verleumdung herrscht, herausretten.»
Schwabs Schulpensum betrug zwischen sechzehn und achtzehn Wochenstunden; hinzu traten Privatstunden. Dennoch blieb ihm genügend Zeit für dichterische und redaktionelle Arbeiten.
In den Jahren 1823/24 redigierte er das Schorn’sche «Kunstblatt», Anfang 1828 übernahm er die Mitredaktion des bei Cotta verlegten «Morgenblattes», eines der wichtigsten belletristischen Journale. In diesem Amt, das er bis 1837 innehatte, besaß er eine literarische Schlüsselposition. Mit Chamisso gemeinsam betreute er zwischen 1832 und 1838 den «Deutschen Musenalmanach» (zuständig für die Sektion «Süddeutschland»), darüber hinaus wirkte er seit 1825 zwanzig Jahre lang an den bei Brockhaus erscheinenden «Blättern für literarische Unterhaltung» mit. Hier war der Literaturmäzen, dem das Entdecken jugendlicher Talente eine große Freude bedeutete, voll in seinem Element. Er nahm sich der Landsleute Wilhelm Hauff, Wilhelm Waiblinger, Graf Alexander von Württemberg, Eduard Mörike, Gustav Pfizer und Hermann Kurz an, doch auch Auswärtige wie August von Platen, Nikolaus Lenau, Anastasius Grün und Ferdinand Freiligrath konnten sich seiner Förderung erfreuen.
Neben Kerners gastfreiem Haus in Weinsberg bildete das Schwab’sche Haus das «literarische Hauptquartier», das Mekka für die süddeutschen Literaturfreunde.
Überall, wo man sich in Stuttgart für Literatur und Kunst engagierte, war Schwab ein willkommener Gast, vielbegehrt als Mitglied zahlreicher Lesekränze, als Festredner und Prologdichter. Über das rein Literarische hinaus half er freiheitlich gesonnenen Bewegungen, so den Komiteen zur Unterstützung der Griechen und der Polen. Dazu gehörte auch, dass er sich, obgleich vergeblich, um ein Landtagsmandat bewarb. Als Ausgleich für Schreibarbeit und nicht immer erquickliche Organisationstätigkeit pflegte Schwab das Wandern und das Reisen. Nicht nur, dass er das eigene Land systematisch erwanderte, im Frühjahr 1827 machte er sich auch auf eine mehrwöchige Fahrt nach Paris, wo er Zutritt zu literarischen Salons hatte und Einblicke in das freiheitliche politische Leben der französischen Kapitale gewann. Beides schlug sich – wie konnte es bei einem schreibwütigen Autor anders sein? – sogleich in umfangreichen Briefen und Büchern nieder. Immer wieder aufgelegt wurden seine Einführungen in Wesen und Eigenart schwäbischer Regionen: Die Neckarseite der schwäbischen Alb (1823), Der Bodensee (1827) und Schwaben (1836) in der Reihe «Das malerische und romantische Deutschland».
Während im Bodensee-Buch die Naturbeschreibung, Topographie und Geschichte in getrennten Sektionen dargestellt sind, zeichnen sich die beiden anderen Werke durch die essayistische Verflechtung dieser Gesichtspunkte aus. Ihre an Kupferstichen orientierten Beschreibungen erhalten heute zusätzlichen nostalgischen Reiz.
Der Gustav-Schwab-Gedenkstein wurde 1895 in Friedrichshafen am Bodensee aufgestellt.
«Im rührenden Abendrot ferner Erinnerungen»
Mochte die Vielfalt schwäbischer Landschaften ein äußerer Ansporn sein, so war es darüber hinaus die landsmannschaftliche Verbundenheit, die Schwab zu diesen Werken animierte: «Wenige Gegenden Deutschlands vereinigen so verschiedenartige landschaftliche Reize wie Schwaben; weniger Länder reizende Bilder schmücken Sage und Geschichte mit einem so rührenden Abendrot ferner Erinnerungen.» Diese einleitenden Sätze aus dem Schwaben-Opus können als Motto über seinen Reisebeschreibungen stehen, in denen sich Belesenheit, unaufdringlich belehrende Tendenz und volkstümlicher Stil zu einer unterhaltsamen Synthese verbinden.
Wenn sich in Schwab dennoch der Wunsch regte, ein ruhigeres Amt auf dem Land zu übernehmen, so steckt dahinter sowohl die Hoffnung, mehr Zeit für eigene literarische Produktion zu erhalten, als auch das Unbehagen über politische und literarische Entwicklungen, mit denen er in Stuttgart ständig konfrontiert war. In Gomaringen auf der Schwäbischen Alb, nicht weit von Reutlingen und Tübingen entfernt, übernahm er die Aufgabe des Seelsorgers in der 1 800 Einwohner zählenden Gemeinde. Neben dem Lehren war auch das Predigen eine seiner Lieblingstätigkeiten, und so fühlte er sich nach kurzer Frist bald recht wohl, zumal das Pfarrhaus in einem alten Schlösschen untergebracht war. In die stillere Gomaringer Zeit fielen Schwabs Mitwirkung am neuen württembergischen Kirchengesangbuch, seine mit großem Beifall gehaltene Festrede anlässlich der Enthüllung des Schiller-Denkmals in Stuttgart und die Arbeit an einer großen Schiller-Biografie, in der er sich dem Dichter weniger denkerisch als biografisch-menschlich näherte. Diese Biografie verdankte sich einem Zwist mit den Pietisten, die an der Tatsache, dass beim Schiller-Fest die Kirchenglocken läuteten, Anstoß nahmen.
In seiner ehrenwerten apologetischen Absicht ging Schwab freilich ein Stück zu weit, indem er Schiller durchgängig christliche Intentionen nachwies. Die Bodenständigkeit Schwabs fundiert und begrenzt seine Schriftstellerei; sie prägt auch seine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Literatur, Theologie und Philosophie. Vor allem mit Hegels System konnte er sich nie befreunden, jedoch distanzierte er sich von Versuchen, den Hegelianismus staatlich oder kirchlich zu verbieten. Während das Schiller-Buch also bald der Vergessenheit anheimfiel, wurde ein anderes, ebenfalls in Gomaringen abgefasstes Werk zum generationenlangen Dauerbrenner: Schwabs Darstellung der Sagen des klassischen Altertums.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass Schwab ausgerechnet mit diesem Buch in den literarischen Olymp Einzug hielt: Verbreitete der so christlich gesonnene Schulmann mit diesem Werk doch gerade eine nichtchristliche Mythologie! Viele Generationen haben aus diesem Buch ihre Kenntnisse über die griechische Sagen- und Götterwelt bezogen, sicherlich mehr als aus den Quellen selbst. Das Griechenbild, das Schwab hier der Jugend vermittelte, war freilich ein humanistisch getöntes. Die grellen Töne und die krassen Farben der antiken Originale erscheinen gedämpft, gewissermaßen verchristlicht und humanisiert, im Lichte noch der Winckelmann’schen Vorstellung einer edel einfältigen, in stiller Größe erstrahlenden Antike. Die Vorrede macht aus der didaktischen Absicht kein Hehl: «Der Verfasser hat dafür gesorgt, dass alles Anstößige entfernt bleibe und deswegen unbedenklich alle diejenigen Sagen ausgeschlossen, in welchen unmenschliche Gräuel erzählt werden, die nur eine symbolische Erklärung gewissermaßen entschuldigt, die aber als Geschichte dargestellt – als welche der Jugend diese Sagen doch gelten müssen – nur einen empörenden Eindruck auf sie machen könnten. Wo aber unsern höheren Begriffen von Sittlichkeit widerstrebende oder auch schon im Altertum als unsittlich und widernatürlich anerkannte Verhältnisse (wie in der Ödipussage) in einer ihrer Totalrichtung nach hochsittlicher Mythe nicht verschwiegen werden konnten, glaubt der Bearbeiter dieser Sagen, solche auf seine Weise angedeutet zu haben, welche die Jugend weder zum Ausspinnen unedler Bilder noch zum Grübeln der Neugier veranlasst.»
Immerhin, während es sich bei der Bearbeitung der deutschen Volksbücher nur um eine sprachliche Neufassung handelte, war die eigengestalterische Leistung Schwabs hier wesentlich größer: Aus poetischen Werken und historischen Texten formte er einen geschlossenen Kosmos, der für manche Einseitigkeit und Betulichkeit durch einen «wohlgeründeten» Erzählton entschädigte.
Auch in Gomaringen erhielt Schwab manchen anregenden Besuch. Nikolaus Lenau beschrieb das ländliche Idyll anschaulich in einem Brief an Sophie Löwenthal: «Heute hab ich bei Schwabs zu Mittag gegessen, wo Spargel mit Spätzle mich nicht vergessen ließen, dass ich in Schwaben bin, woran mich freilich auch der in echtester Sorte verabreichte Dialekt lebhaft erinnerte. Ich habe für Schwab, abgesehen von seinen persönlichen Vorzügen, eine treue Liebe; denn er war meine erste Anerkennung und gewissermaßen mein literarischer Ausgangspunkt, auf den ich gern zurückkomme.»
Grabmal des Gustav Schwab und seiner Gattin Sophie, geb. Gmelin auf dem Stuttgarter Hoppenlaufriedhof.
Kein Lyriker mit dem «echten Tirili der Seele»
Der Lyriker Schwab besitzt keine tiefe lyrische Ader. Über den «Urlaut», das «echte ‹Tirili› der Seele», das etwa Theodor Storm vom echten Lyriker forderte, verfügte Schwab jedenfalls nicht. Er dichtete in der romantisch-klassizistischen Konvention Bildungspoesie in gereimten Versen, und Uhland war hierin sein unerreichtes Vorbild. Seine Uhland-Nachfolge ging zuweilen so weit, dass Friedrich Theodor Vischer gegenüber Mörike das harte Urteil fällte: «Schwab hab ich auch bei Uhland kennengelernt, der schwätzt natürlich dem Herrn und Meister als getreuer, süßer, fetter Geselle nach.» Hier mochte indes persönliche Animosität Vischers Feder gelenkt haben. In der Öffentlichkeit galt Schwab als durchaus eigenständiger Poet.
Seine Gedichte erschienen erstmals 1828/29 in zwei Bänden; 1838 traten in einer Auswahlausgabe neue Gedichte hinzu. Eine dritte und vierte Auflage konnte in den Jahren 1846 und 1851 erscheinen. Schwab war damit ein erfolgreicher Poet, und die Aufnahme vor allem seiner Balladen in die gängigen Anthologien und Schullesebücher signalisierte, wie sehr seine Dichtung dem Zeitgeschmack entsprach. Zu den Liedern und Zeitgedichten, den Gelegenheitsdichtungen zu allerlei festlichen oder jahreszeitlichen Anlässen, gesellten sich Sonette und – seine Hauptleistung – Romanzen, Balladen und Legenden. Noch heute sind einige dieser Balladen bekannt, allen voran Das Gewitter («Urahne, Großmutter, Mutter und Kind»), Der Reiter und der Bodensee und Das Mahl zu Heidelberg.
Im Übrigen sind Schwabs Balladen keine Balladen im Sinne des Goethe’schen «Ur-Eis», das die organische Verbindung der drei dichterischen Grundarten, des Lyrischen, des Epischen und des Dramatischen, als Wesensmerkmal proklamiert. Schwab ist mehr Erzähler als Dramatiker, und so sind seine «Balladen» auch eher gereimte Sagen als dramatisch zugespitzte Handlung. Wie Uhland hat er sich speziell der württembergischen Geschichte angenommen und kann so allemal regionales Interesse beanspruchen.
Gerhard Storz hat in seinem Buch über die Schwäbische Romantik Schwabs Balladenproduktion nüchtern charakterisiert: «Kirchenstiftungen alter Grafen, Narrheiten schwäbischer Schildbürger, aber auch sensationelle Tagesnachrichten, ob vom griechischen Schauplatz oder vom Blitzestod in einer Bauernstube oder im Turmverlies zu Biberach – das alles geht in endlose Kolonnen gereimter Vierzeiler ein, wird zu versifizierten Erzählungen.»
Schon die Literaturkritik des 19. Jahrhunderts hat Schwabs Verdienste und Defizite klar erkannt: seine handwerklich-technische Gewandtheit und seinen Mangel an dichterischer Tiefe und Ursprünglichkeit. Im Übrigen ließ Schwabs lyrisch-poetische Schaffenskraft Mitte der dreißiger Jahre nach; seine eigentliche Domäne war doch eher die poetische Prosa.
Vom Literaturmanager zum Schulverwaltungsmann
Dem umtriebigen Mann mochte auf die Dauer das geruhsame Gomaringen doch allzu weltenfern abgelegen scheinen. Der Tod seines jüngsten Sohnes verleidete ihm die Abgeschiedenheit noch mehr, und so bewarb er sich um die vakante Stelle des Stadtpfarrers von St. Leonhard in Stuttgart. Die letzten neun Jahre seines Lebens verbrachte Schwab dann wieder in seiner Stadt. Das neue Amt brachte außer dem aufwendigen Predigtgeschäft das Dekanat über einundzwanzig Landpfarreien mit sich. Seit 1844 wirkte Schwab auch im Studienrat mit; seit 1845 oblag dem mittlerweile zum Oberkonsistorialrat und Oberstudienrat Avancierten die Oberaufsicht über die württembergischen Gelehrtenschulen.
Aus dem ehemaligen Literaturmanager war nun ein Schulverwaltungsmann geworden – eine Aufgabe, die seinem extravertierten Naturell entgegenkam. Trotz der zeitraubenden Verwaltungstätigkeit fand er noch Zeit zur Herausgabe der Anthologie Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf unsere Tage. Zusammen mit seinem Schwiegersohn Karl Klüpfel, der auch verschiedene Lebensdarstellungen Schwabs verfasst hat, gab er einen Wegweiser durch die deutsche Literatur heraus, ein weiteres Beispiel für sein didaktisch geprägtes Literaturinteresse.
In zwei Zimmern des eigenen Hauses hielt er Privatvorlesungen über Literatur, die offenbar großen Anklang fanden; auch die höheren Töchter am Katharinenstift kamen einmal pro Woche in den Genuss seines Literaturunterrichts. Das Revolutionsjahr 1848 und das Scheitern der Einigungsbestrebungen stürzte ihn in große Depressionen, sodass er zeitweilig den Plan erwog, nach New York auszuwandern, wo sein zweitältester Sohn eine florierende Drogerie betrieb.
Obwohl Schwab schon seit einigen Jahren an wiederkehrenden Herzbeschwerden litt, hatte mit seinem plötzlichen Tod am 4. November 1850 niemand gerechnet. Mit einem Mal war ein unermüdlicher und um das Kulturgeschehen seiner Zeit höchst verdienter Mann vom Schauplatz abgetreten, kein unverwechselbarer und großer Dichter oder Denker, doch ein im «Mittelreich» angesiedelter Kulturträger und -vermittler, ein Popularisator von weitreichendem Einfluss. Schwab war sich der eigenen Grenzen durchaus bewusst. Ein am 6. Oktober 1850 verfasstes Epigramm hält die bescheidene Selbsteinschätzung fest:
Du fragst, von welcher Dichtersort’ ich sei?
Ich bin, wie viele, halt ein morscher Knochen,
Vom Alter in das Mittelreich gesprochen;
Die Gegenwart ist längst für mich vorbei,
Und die Vergangenheit nicht angebrochen!
Von Gunter Grimm
Redaktion: Ruprecht Skasa-Weiß
DIE BRÜCKE ZUR WELT,
Sonntagsbeilage der Stuttgarter Zeitung
Gustav Schwab
Zeittafel
1792 19. Juni: Gustav Benjamin Schwab wird in Stuttgart geboren.
Er ist das sechste von sieben Kindern des Professors an der Karlsschule und Geheimen Hofrats Johann Christoph Schwab und der Kaufmannstochter Friederike Rapp. In der Kindheit wird er vor allem durch zwei Onkel beeinflusst: den kunstliebenden Heinrich Rapp und den Bildhauer Dannecker.
Besuch des Stuttgarter Gymnasiums.
1809–1814 Studium in Tübingen: zwei Jahre Philologie und Philosophie, dann Theologie am Evangelischen Stift. Er ist der gesellige Mittelpunkt des Studentenkreises «Romantika». Neben seinen Freunden Uhland und Kerner entwickelt sich Schwab zur dritten großen Gestalt der Tübinger Romantik.
1812 Stark geprägt von romantischen Themen und Formen, veröffentlicht Schwab seine ersten Gedichte in dem «Poetischen Almanach für das Jahr 1812» (Heidelberg).
1813 Er assistiert bei der Herausgabe des «Deutschen Dichterwalds» (Tübingen).
1815 Eine mehrmonatige Bildungsreise bringt ihn in Verbindung mit Gotthilf Heinrich Schubert in Nürnberg, in Weimar mit Goethe und Charlotte von Schiller, in Berlin mit Chamisso, Tieck, E. T. A. Hoffmann, Varnhagen, Schleiermacher, Jahn, Franz Horn, Fouqué und anderen, in Kassel mit den Brüdern Grimm.
Während seines ersten Stuttgarter Aufenthalts übt er eine umfassende Tätigkeit als Autor, Herausgeber, Redakteur, Ratgeber und Rezensent aus und wird durch seine Kontakte mit Dichtern und Verlegern zum Mittelpunkt des literarischen Lebens in Stuttgart und zu einem literarischen Mittler von nationalem Ausmaß.
Er gibt ein «Neues deutsches allgemeines Kommers- und Liederbuch» (Tübingen) heraus.
1818 Nach einer Tätigkeit als Repetent am Tübinger Stift tritt Schwab eine Stelle als Professor für Latein am Stuttgarter Obergymnasium an und heiratet Sophie Gmelin, mit der er drei Söhne und zwei Töchter bekommt.
1823 Er veröffentlicht und kommentiert die Werke Flemings (Stuttgart). Die Neckarseite der Schwäbischen Alb (Stuttgart).
1826 Hölderlinkommentare (Stuttgart).
1827 Mitherausgeber der «Übersetzungen griechischer und römischer Autoren» im Metzler Verlag. Der Bodensee nebst dem Rheinthale (Stuttgart).
1828 Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Bergschlössern (Chur 1828–1839).
1828–1837 Er redigiert die Literaturseite des «Morgenblatts».
1830 Wilhelm Müller-Kommentare (Leipzig). Kommentare über Hauff (Stuttgart 1830).
1833–1836 Zusammen mit Chamisso führt er die Redaktion des «Deutschen Musenalmanachs».
1835 Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte (Leipzig).
1837 Schwab tritt ein Pfarramt im Dorf Gomaringen bei Tübingen an. Wanderungen durch Schwaben (Leipzig).
1839 Er fördert den literarischen Nachwuchs, unter anderem Platen, Lenau, Mörike, Freiligrath, Kurz, Waiblinger, Anastasius Grün, Paul und Gustav Pfizer. Er sammelt Geld für das Stuttgarter Schiller-Denkmal und hält die Einweihungsrede.
1841 Mitte des Jahres: Er wird Stadtpfarrer in Stuttgart.
Kommentare über Horn (Leipzig).
1842 Dekan in Stuttgart.
Die deutsche Prosa von Mosheim bis auf unsere Tage (Stuttgart).
1845 Als Oberkonsistorialrat und Oberstudienrat Leiter der höheren Schulen in Württemberg.
1847 Er erhält von der Universität Tübingen den Ehrendoktor der Theologie.
1848/1849 Zunächst nationalliberal und Anhänger des deutschen, griechischen und polnischen Befreiungskrieges, wird Schwab zunehmend konservativer; er neigt nun mehr der kleindeutschen Lösung zu.
1850 4. November: Schwab stirbt in Stuttgart; seine Grabstätte befindet sich dort auf dem Hoppenlaufriedhof.
Der Text ist entnommen aus:
http://duepublico.uni-duisburg-essen.de