Bildung und Erziehung
«Lernfreude kontra Lernstress – Mit Kopf, Herz und Hand in die Zukunft»
Neues Buch zu Schulreformen greift auf das Wissen von Pestalozzi zurück.
Viele Fragen gibt es derzeit von Eltern, Lehrern und Entscheidungsträgern zur Bildungspolitik, zu Schulformen und zu Lehrinhalten. Die Stichworte dazu haben längst den Weg in die Schlagzeilen der Medien gefunden: Disziplinarprobleme im Klassenzimmer, Gewalt auf dem Pausenplatz, lernfaule Jugendliche und Pädagogen, für die Burn-out kein Fremdwort mehr ist. Was läuft denn schief in der Schule? Der Schweizer Pädagoge Arthur Brühlmeier gibt Antworten und zeigt Lösungswege auf.
In seinem Buch «Menschen bilden» beschreibt Brühlmeier in 27 knappen Kapiteln – sogenannten Mosaiksteinen – seine Vision einer Schule, die junge Leute nicht nur zum Funktionieren in der Gesellschaft bringt, sondern ihnen hilft, «sich als eigenständige Persönlichkeiten mit all ihren menschlichen Möglichkeiten zu entfalten».
Weshalb hängen Mädchen, die in der Freizeit beim Reiten oder im Ballettunterricht hochkonzentriert bei der Sache sind, in der Schule gelangweilt auf den Stühlen herum? Weshalb praktizieren Jungen, die nach der Schule mit dem Skateboard stundenlang auf Treppenstufen ihre Geschicklichkeit üben, gegenüber dem Lehrer pure Leistungsverweigerung? Die Antwort des langjährigen Grundschullehrers und Dozenten für Pädagogik, Psychologie und Didaktik: Weil Lernfreude durch Lernstress ersetzt worden ist, weil die Schule sich zu wenig auf das ursprüngliche Wesen von Bildung, Lernen, Unterrichten und Erziehen besinnt. Und diese Ursprünglichkeit findet sich, so Brühlmeier, in den Ideen von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827).
Ganze zweihundert Jahre ist es her, dass Pestalozzi in der französischsprachigen Westschweiz sein Bildungsmodell in einem Schulinstitut umsetzte, aufmerksam beobachtet von Pädagogen aus aller Welt. Entsprechend antiquiert wirken auf den ersten Blick denn auch die Begriffe, auf die Arthur Brühlmeier in seinem Buch Bezug nimmt. Aber ob Menschennatur, Naturgemäßheit oder Herzensbildung – Brühlmeier greift sie alle ungerührt auf, bläst den Staub von ihnen weg, bringt sie in Bezug zum Hier und Jetzt und präsentiert sie solchermaßen aufgepeppt als Richtwerte für die Zukunft. Gleichzeitig zerzaust er nach Strich und Faden vieles, was ein individuelles, ganzheitliches Unterrichten erschwert, vom fixen Stundenplan über fest zementierte Lehrpläne bis zu sakrosankten vorgegebenen Lehrzielen. Zu einseitig seien viele Schulreformen, zu sehr auf Normierung und Strukturierung ausgerichtet, moniert er. Wer meine, die Art von Problemlösungen, wie sie in der Wirtschaft üblich seien, auf die Schule übertragen zu können, täusche sich gewaltig.
Ganz praxisorientiert für den Unterricht zeigt Arthur Brühlmeier in seinem Buch 27 Facetten eines Schulbetriebs im Geiste Pestalozzis auf, mit zahlreichen Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung. Oberste Richtschnur dabei: Die Bildungsqualität bemisst sich nach dem Grad der Lebensqualität, die durch die Bildung erschlossen wird. Eine Schule, die ihren Schülerinnen und Schülern Lebensqualität ermöglichen will, darf sich demzufolge nicht damit begnügen, verwertbares Wissen und direkt anwendbare Fertigkeiten fürs künftige Erwachsenenleben zu vermitteln. Ihr Auftrag ist es vielmehr, sich um «die gesunde leiblich-seelisch-geistige Entwicklung des Kindes schlechthin» zu kümmern, wie Brühlmeier in seinen einleitenden Betrachtungen zum Thema Qualität festhält. «Wirkliche Bildungsqualität ist immer mehr als das, was sich mit Lernkontrollen und Qualitätssicherungssystemen erfassen lässt.»
Neu ist das alles nicht, aber neu zu entdecken. Brühlmeiers Buch will Mut machen, zum Beispiel den Bildungspolitikern.
Mut zum Andenken und Realisieren alternativer Schulmodelle, in denen der Geist Pestalozzis wieder vermehrt weht: weniger Störungen, mehr Wärme, weniger Gewalt, mehr Gemeinschaftsgefühl. «Von Herz zu Herz» nannte das seinerzeit Pestalozzi, «Management by love» kürzlich eine Rezensentin von Brühlmeiers Ausführungen.
Nun arbeiten lange nicht alle Lehrkräfte in Rahmenbedingungen, die solches fördern. Ihnen will Arthur Brühlmeiers Buch Anstöße geben, sich in der Tretmühle des Schulalltags immer wieder Zeit für eine Prise Pestalozzi zu nehmen. Als Burn-out-Prophylaxe für sich selber, als Motivationskick für die Schülerinnen und Schüler, als schöpferischer Input an Elternabenden. Brühlmeier hat ein Buch aus der Praxis für die Praxis geschrieben, lebensnah, voll guter Tipps und konstruktiver Kritik. Zu Pestalozzis Zeiten hätte man Brühlmeiers 27 Mosaiksteine wohl eine «Fibel» genannt.
Der Text ist entnommen aus: http://www.teachersnews.net