Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №14/2009

Literatur

Rolf Schneider
Bodensee oder Das Paradies

Als ich das erstemal in meinem Leben an den Bodensee fahren wollte, erklärte mir ein zu Stuttgart wohnhafter Freund, der von diesem meinem Entschluß wußte und mir bei der Herstellung der Fahrverbindungen behilflich gewesen war –, er erklärte mir, und zwar erklärte er es mir mit leicht verdrehtem Blick und schwärmerisch gedämpfter Stimme: Am Bodensee, mußt du aber wissen, wurde die Welt erschaffen!
Es war dies eine etwas hermetische Erklärung. Welterschaffungen sind außer­ordentliche Vorgänge. Der Ort, wo sie stattgefunden haben, müßte, so dachte ich mir, den Charakter einer Werk- und Walstatt aufweisen, mit Spuren der gehabten gewaltigen Anstrengungen allenthalben, mit Abfall und Resten, gleichsam mit Sternenstaub, Chaos, Wasser, Land, Sand und Brennesseln.
Ich brach dann auf, zu allerfrühester Stunde. Ich fuhr mit der Eisenbahn und fuhr, erinnere ich mich, gemeinsam mit einer Gruppe laut und lustig trällernder Schulkinder. Es war ein schöner sonniger Sommermorgen, aus dem ein heißer Tag zu werden versprach. Ich fuhr insgesamt zwei Stunden. Ich langte an zu Meersburg, verließ das Abteil und verließ den Bahnhof.
Ich ging ein wenig umher, blickte neben und unter mich und rieb mir unentwegt die Augen. Ich verstand jetzt, was mein Stuttgarter Freund hatte sagen wollen mit seiner Bemerkung. Der Ort, an dem die Welt erschaffen worden war, hieß nach alttestamentarischer Vorstellung das Paradies, und die Gegend, in der ich mich befand, war, daran bestand für mich kein Zweifel, dem Paradiese gleich.
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, sie brannte schattenlos und unbarmherzig. Ich taperte hin und her zwischen Ober- und Unterstadt. Ich sah mir das alte Schloß an und vernahm von Konradin, dem jungen, dem bedauernswerten. Ich sah mir das neue Schloß an, mit seinem hellen, lächelnden Barock, und man muß dazu wissen: ich hatte bisher Barock bloß in jener Form gekannt, die architektonischer Ausdruck von Gegenreformation ist, von Blut und Tränen des Dreißigjährigen Krieges, das Prag des düsteren Rudolf, das geschundene Schlesien des Andreas Gryphius und der schmerzenssüchtigen Pietisten.

Aus: Rolf Schneider: Annäherungen & Ankunft.
Hinstorff Verlag, Rostock 1982. S. 220–232.

Fortsetzung folgt

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1982 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

Wal|statt, die; -, Walstätten [mhd. walstat, aus mhd., ahd. wal = Kampfplatz u. Statt] (veraltet): Kampfplatz; Schlachtfeld: *auf der W. bleiben (veraltet; im Kampf fallen).

al|lent|hal|ben <Adv.> [-halben] (geh. veraltend): überall: das Lied ist jetzt a. zu hören.

un|ent|wegt <Adj.> [urspr. schweiz., Verneinung von schweiz. entwegt = unruhig, 2. Part. von: entwegen = von der Stelle rücken (mhd. entwegen = auseinanderbewegen, scheiden, trennen)]: stetig, beharrlich, unermüdlich; mit gleichmäßiger Ausdauer bei etw. bleibend, durchhaltend: ihr -er Einsatz; ein -er Kämpfer; u. weiterarbeiten, an etw. festhalten; er sah sie u. (ohne Unterbrechung) an; das Telefon läutete u. (ununterbrochen); <subst.:> nur ein paar Unentwegte waren geblieben.

ta|pern <sw. V.; ist> (nordd.): sich unbeholfen, unsicher fortbewegen.

Pi|e|tist, der; -en, -en: Anhänger des Pietismus. Pi|e|tis|mus [pie...], der; - [zu lat. pietas, Pietät]: protestantische Bewegung des 17. u. 18. Jh.s, die durch vertiefte Frömmigkeit u. tätige Nächstenliebe die Orthodoxie zu überwinden suchte.