Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №14/2009

Sonderthema

Verkannte Größen: Gregor Mendel

img1

Das Züchten begleitete ihn seit seiner frühen Kindheit, als er dem Vater beim Veredeln von Obstbäumen zur Seite stand. Im Garten seiner Dorfschule experimentierte er mit Bienenzucht, und als er nach harter Gymnasialzeit zu weiteren Studien und um der ständigen Not zu entfliehen, ins Kloster eintrat, waren Mäuse die Objekte seiner Forschungsgier. Mit Erbsen schließlich gelang ihm der Durchbruch, den er leider nicht mehr selbst erleben durfte.

Durch intensive und langjährige Kreuzungsversuche mit dem kugeligen Gemüse kam Gregor Mendel zu statistischen Grundregeln der Vererbung, die 16 Jahre nach seinem Tod als die «Mendel’schen Regeln» weltberühmt werden sollten und ihn zum Begründer der Genetik machten.

Bischof: Sie lassen singen, zur Vesper?
Abt: Die Brüder üben für den Pfingstsonntag …
Bischof: Wer wohnt hier?
Bruder: Das ist meine Zelle, ich bin Bruder Xaver.
Bischof: Und wessen Zelle ist das hier? Kommt mir das nur so vor, oder stinkt es hier?
Abt: Ja, äh … hier wohnt Pater Gregor … er macht Züchtungsversuche mit Mäusen … er hält sie in Käfigen … deshalb riecht es etwas streng.
Bischof: Ich möchte die Zelle besichtigen.
Bruder: Pater Gregor, Seine Eminenz, der Herr Bischof, wünscht Ihre Zelle zu sehen …
Bischof: Was für ein Gestank! Mann, was treiben Sie denn hier bloß?
Gregor: Ich kreuze Feldmäuse und Albinomäuse. Ich möchte herausfinden, welche Farbe die Nachkommen haben.
Bischof: Heißt das, Sie fördern die Fortpflanzung dieser Viecher und beobachten sie dabei? Das ist ja widerlich! Denken Sie denn gar nicht an Ihr Keuschheitsgelübde?
Gregor: Was hat denn das mit mir zu tun?
Bischof: Sie befassen sich mit den niedersten Trieben der Tierwelt, anstatt Ihre Gedanken auf die geistige Welt zu richten! Die Mäuse müssen weg! Prälat Napp, Sie sorgen dafür, dass die Mäuse entfernt werden!
Gregor: Unser gnädiger Herr Bischof! Der trägt auch schwerer an seinem Fett als an seinem Verstand!
Das war der Besuch des Bischofs Ernst Anton von Schaffgotsch im Kloster Altbrünn. Man kann es dem jungen Priester Gregor Mendel nicht verdenken, dass ihm die zornige Bemerkung über den dicken Bischof entschlüpfte – aber klug war das nicht. Einer der Klosterbrüder hat dem Bischof die Bemerkung hinterbracht, und Schaffgotsch hat sie sein Leben lang nicht verziehen. Später, als Mendel zum Abt des Klosters aufstieg, machte ihm Schaffgotsch das Leben besonders schwer.
Doch etwas Positives hatte der Klosterbesuch des Bischofs bewirkt: Gregor Mendel musste sich ein neues Forschungsobjekt einfallen lassen. Mit feinem Spott schrieb er: «Ich habe mich von der Tier- zur Pflanzenzucht gewandt. Dem Bischof war nicht bewusst, dass auch Pflanzen ein Geschlechtsleben haben.»
Wie kam der Priester und Realschullehrer Mendel überhaupt auf die Idee, Naturforschung zu treiben?
Ein Grund dafür liegt sicher in seiner Herkunft: Johann Mendel°– den Namen Gregor bekam er erst als Mönch – war der Sohn eines Landwirts. Er kam im Juli 1822 in Heinzendorf in Mähren zur Welt, das damals zu Österreich gehörte. Bei der Volkszählung unter Kaiser Franz I. im Jahr 1817 wurde auch Mendels Geburtsort in den Akten beschrieben: «Heinzendorf hat 71 Häuser, 102 Familien und 479 Seelen, an Pferden 41 Stück und an Rindern 98 Stück. Durch das Dorf fließt der Rossbach und treibt eine Wassermühle mit 2 Gängen. Soldaten werden dem Graf-Josef-Colloredo-Infanterieregiment zugeteilt.»
Dort hatte auch Mendels Vater Anton gedient und war als Teilnehmer an den Napoleonischen Kriegen weit herumgekommen. 1818 übernahm er den kleinen Bauernhof der Eltern mit zwei Pferden, vier Kühen, 30 Joch Ackerland und einem Obstgarten.
Frei war er nicht. Drei Tage pro Woche musste er für die Gutsherrschaft unentgeltliche Frondienste leisten und auch sein Pferdegespann mitbringen. Wie er es schaffte, neben der harten Fron und der Arbeit auf den eigenen Feldern auch noch den Obstgarten und die Imkerei zu pflegen, bleibt ein Rätsel. Er liebte seine Obstbäume und kultivierte sie, indem er ihnen edle Reiser aufpfropfte. Den kleinen Johann nahm er immer mit, sodass der Bub schon früh mit der Obstbaumzucht vertraut war und vor den Bienen keine Angst mehr hatte. Es sah ganz so aus, als ob der einzige Sohn – Mendel hatte noch zwei Schwestern – den Hof des Vaters übernehmen würde. Doch es kam anders.
Vater: Und? Hat er sein Frühstück gegessen?
Mutter: Ja, und Fieber hat er auch keins, und Schmerzen hat er auch nicht.
Vater: Das heißt, er ist wieder gesund? Dann kommt er herunter und kann mir helfen?
Mutter: Ich glaub’s nicht. Er hat sich zur Wand gedreht und die Decke über die Ohren gezogen.
Vater: Was hat er nur? Ist gesund und liegt den ganzen Tag im Bett! Und ich brauch ihn doch so dringend.
Johann war sechzehn und für die Sommerferien nach Hause gekommen. Er wohnte in Troppau, um aufs Gymnasium gehen zu können, in einem «Quartier mit halber Kost», so hieß es auf dem Papier. In Wirklichkeit war es wohl nur «ein Viertel Kost», denn er hatte ständig Hunger. Wann immer ein Frachtwagen von Heinzendorf nach Troppau fuhr, schickten die Eltern ihm Brot und Kartoffeln mit.
Wenn er in den Sommerferien heimkam, musste er bei der Ernte helfen. Aber diesmal blieb er wie ein Schwerkranker 4 Monate im Bett liegen und konnte nicht aufstehen. Das passierte auch später, wenn in Mendels Leben Krisen und Umbrüche stattfanden – er legte sich ins Bett und war dann wochenlang nicht ansprechbar. In diesem Sommer, mit sechzehn, trat das Phänomen zum ersten Mal auf. Der Hintergrund: ein Unglück, das die gesamte Familie betraf. Gregor Mendel hat es später in seinem Lebenslauf für die Prüfungskommission der Universität Wien beschrieben: «Im Jahr 1838 hat mein Vater Anton Mendel bei der Fronarbeit im Wald einen schweren Unfall erlitten. Beim Holzfällen ist ihm ein Baumstamm auf die Brust gestürzt und hat mehrere Rippen gebrochen: Ein chronisches Siechtum war die Folge und mein Vater war außer Stand gesetzt, mein Schulgeld weiter zu bezahlen.»
Dem Sohn war schon lange klar geworden, dass er den Hof des Vaters nicht übernehmen würde. Er wollte studieren. Aber wie sollte das gehen ohne Geld?
Gregor: «Ich war damals erst 16 Jahre alt und kam in die traurige Lage, ganz allein für meine Erhaltung sorgen zu müssen. Es gelang mir, durch Nachhilfestunden so viel zu erwerben, dass ich notdürftig leben konnte.»
Drei Jahre nach dem Unfall verkaufte Vater Mendel seinen Hof an den Schwiegersohn Alois Sturm, den Mann seiner Tochter Veronica. Er war zu krank, um ihn weiter zu bewirtschaften. Die jüngere Tochter Theresia verzichtete auf ihr Erbteil am Verkauf des Hofes, nur damit der geliebte Bruder weiter zur Schule gehen konnte. 1843 machte Johann endlich sein Abitur – mit 21. Die häufigen Krankheiten und der Zwang, Privatstunden geben zu müssen, hatten die Ausbildung verzögert: «Ich konnte nur mit Aufwand aller Kräfte die Schule beenden. Ich fühlte, dass es mir nicht möglich sei, solche Anstrengungen noch weiter zu tragen. Ich sah mich gezwungen, in einen Stand zu treten, der mich von den bitteren Nahrungssorgen befreite. Ich trat im Jahr 1843 in das Augustiner-Stift St. Thomas in Altbrünn als Novize ein. Meine Verhältnisse entschieden meine Standeswahl.»
Mit andern Worten: Er ging ins Kloster, weil er arm war und die Armut nicht länger ertragen konnte. Er wollte sich endlich satt essen können. Und dazu gab es keinen besseren Ort als das Kloster Altbrünn mit seiner erstklassigen Küche.
Aus ganz Mähren kamen die Mädchen in die Lehrküche des Klosters. Von dort aus gingen sie nach Wien in die Adelshäuser, denn die Ausbildung bei der berühmten Köchin Luise Ondrackova genügte höchsten Ansprüchen. Ein Klassiker war zum Beispiel ihr Rezept für Hagebuttensauce zum Roastbeef: «Einer Béchamelsauce füge man Weißwein hinzu und rühre Hagebuttenmus zu, dann gieße man das Ganze mit kräftiger Rinderbrühe auf. Anschließend rühre man die Sauce auf dem Herd, bis sie dick und sämig wird, und füge erst am Schluss Salz nach Bedarf hinzu.»
Kein Wunder, dass es den Mönchen in St. Thomas gut schmeckte. Gregor Mendel hat die Speisefolge seines ersten Tages im Kloster aufgeschrieben. Nach so viel Entbehrung muss er sich wie im Himmel gefühlt haben: «Mittags: Erbsensuppe mit Croutons, Schweinskotelett mit Erbsen und Salzkartoffeln, Apfelstrudel mit gehackten Nüssen. Nachmittagskaffee: Biskuitrollen, Blätterteighörnchen, Sahnerollen, Likör. Abends: Gebratene Nierchen mit Kartoffelkroketten, kein Nachtisch, damit wir nachts besser schlafen.»
Er war der beste Kunde der Köchin Ondrackova, er aß mit größtem Genuss. Schon bald wurde er korpulent – eine Folge seines Jugendtraumas. Mit 45 war er so kugelrund, dass er die Exkursionen zum Sammeln von Pflanzen anderen übertragen musste. Das Bergsteigen und das Bücken gingen nicht mehr so recht.
Schon allein wegen der wunderbaren Küche hat er es nie bereut, ins Kloster gegangen zu sein. Aber St. Thomas war auch in geistiger Hinsicht eine, wie man heute sagen würde, Top-Adresse.
Der Abt Cyrill Napp war Professor der Orientalistik und unterrichtete an der Brünner Theologischen Lehranstalt Altes Testament und orientalische Sprachen.
Die Patres im Kloster waren alle wissenschaftlich oder künstlerisch tätig. Mendel schloss Freundschaft mit drei Tschechen: den Philosophen Klacel und Bratranek und dem Kirchenmusiker Krizkovsky. Franz Mattheus Klacel verband die Hegel’sche Dialektik mit utopisch-sozialistischen Ideen und war tschechischer Nationalist. Er unterrichtete Philosophie an der Brünner Philosophischen Lehranstalt und machte aus seinen politischen Ansichten kein Hehl: «Das tschechische Volk muss sich von den Fesseln der Habsburger Monarchie befreien!»
Das kam dem Bischof Schaffgotsch zu Ohren, der Klacel Lehrverbot erteilte – wegen «Slawomanie». An seiner Stelle wurde Franz Thomas Bratranek berufen, der zwar auch ein tschechischer Nationalist war, aber vorsichtiger in seinen Äußerungen. Er gilt bis heute als bedeutender tschechischer Goethe­forscher. Der Dritte im Bunde, Paul Krizkovsky, machte sich um die Pflege alter Kirchenmusik verdient. Er sammelte tschechische Volkslieder. Alle drei Patres interessierten sich auch für Botanik und legten Herbarien an – ein Beweis für die geistige Vielseitigkeit des Klosters. Als der junge Mendel dort eintrat, beeindruckte ihn am meisten die Bibliothek.
Abt: Und hier ist unsere Klosterbibliothek. Wir haben mehr als 20 000 Bände. Hier auf der Nordseite stehen die alten Pergamenthandschriften. Streichen Sie mal nur einmal über die Seiten! Sie sind aus der Haut junger Tiere hergestellt, Kalb, Lamm oder Ziegenkitz. Das Pergament ist viel feiner als das vom ausgewachsenen Rind oder Schaf oder Ziege.
Gregor: Ja! Und auf der Seite, wo das Fell war, fühlen sie sich an wie Veloursleder! Auf der andern Seite sind sie ganz glatt! Und diese wunderbaren Malereien!
Abt: Ja, das sind Schätze! Augustinus hat einmal gesagt: «Wenn du betest, sprichst du mit Gott. Wenn du liest, dann spricht Gott mit dir!» Ich muss immer daran denken, wenn ich eine dieser schönen Handschriften lese.
Gregor Mendel studierte zunächst Theologie und wurde schon zwei Wochen nach seinem 25. Geburtstag zum Priester geweiht. Das war das Mindestalter. Dem Kloster fehlte es an Priestern – allein drei junge Priester starben im Jahr 1848 an einer Infektionskrankheit. Der frisch gebackene Pater Gregor übernahm auf Anweisung des Abtes seelsorgerische Aufgaben und betreute in der Stadt Brünn die Kranken und Gebrechlichen, die nicht zur Kommunion in die Kirche gehen konnten, und die Sterbenden, denen er die Letzte Ölung gab. Doch plötzlich erkrankte er selbst.
Die Brüder rätselten – Mendel lag einen ganzen Monat zu Bett und konnte nicht aufstehen. Was war denn das für eine Krankheit? Nur der Abt Cyrill Napp erkannte den tieferen Grund. Mendel fühlte sich überfordert von der Seelsorge. Er eignete sich nicht für das Priesteramt. Und wie immer, wenn er in eine Krise geriet, legte er sich ins Bett. Napp besorgte ihm eine Stelle als Aushilfslehrer am Gymnasium in Znaim. Mendel unterrichtete in der Unterstufe und kam gut zurecht, doch da fiel dem österreichischen Kultusministerium ein, dass «vom kommenden Schuljahr an außer den wirklichen Gymnasialprofessoren nur denjenigen der Unterricht gestattet wird, welche nach der neu erlassenen Vorschrift für das Gymnasiallehramt geprüft sind».
Mendel meldete sich in Wien zur Prüfung für die Fächer Naturgeschichte und Physik an, bereitete sich autodidaktisch vor und – fiel durch die Prüfung.
Er versagte auf so dramatische Weise, dass er Jahre brauchte, um darüber hinwegzukommen. Es war natürlich nicht der Mangel an Kenntnissen oder analytischem Verstand – Mendel konnte in hohem Maße systematisch denken. Es war das Phänomen Prüfungs­angst. Mendel kam tief deprimiert nach Brünn zurück, und wieder erwies sich der Abt als Förderer und Freund. Gregor sollte die Universitätsausbildung erhalten, die er immer so ersehnt hatte. Der Abt brachte es sogar fertig, den grimmigen Bischof Schaffgotsch zur Genehmigung zu überreden. Der Bischof willigte ein: «Aber nur unter der Bedingung, dass der benannte Stiftspriester Mendel in Wien auch das Leben eines Ordensmannes führe!»
Mendel stellte sich einen geradezu mörderischen Stundenplan zusammen, 32 Wochenstunden Vorlesungen und Praktika in Experimentalphysik, mathematischer Physik, Chemie, Botanik und Zoologie. Einer seiner Lehrer war Andreas von Ettingshausen, der Leiter des Physikalischen Instituts.
Ettingshausen galt als Begründer der Kombinatorik, einer statistischen Methode, mit der man Beziehungen zwischen den Objekten einer Gruppe beschreiben konnte. Auf Mendel machte diese Kombinationslehre großen Eindruck und sie half ihm – wie wir sehen werden – bei seiner genialen Entdeckung. Doch das Examen bestand er wieder nicht.
Wir können uns vorstellen, wie er sich diesmal fühlte. Drei Jahre angestrengtes Studium – und wieder nichts als die große Schmach. Der Zusammenbruch, der danach folgte, war verheerend. Selbst der gebrechliche alte Vater Mendel fuhr nach Altbrünn, um bei dem kranken Sohn zu sein. Nach einem halben Jahr stellt ihn der beherzte Rektor der Brünner Realschule als Aushilfslehrer ein – soll doch das Ministerium sagen, was es will! Und vor allem hilft der Abt noch einmal dem Pater, den er ins Herz geschlossen hat: Er gestattet den Bau eines Treibhauses, das doppelt so groß sein wird wie das alte Gewächshaus des Klosters. Er hat nämlich bemerkt, mit welcher Hingabe Mendel Erbsen züchtet. Nichts Exotisches – nur ganz gewöhnliche Gartenerbsen. Die Brüder fragen sich, warum.

img2

Mendels Augustiner-Kloster in Brünn

Gregor: Ich wollte sichergehen, dass ich absolut reinerbige Erbsensorten habe. Das heißt, grüne Erbsen müssen immer grüne Nachkommen haben und gelbe Erbsen immer gelbe, zwergartige Pflanzen dürfen ausschließlich zwergartige Nachkommen haben und hochrankende Pflanzen immer nur hochrankende. Wenn also die Nachkommen durchaus identisch sind mit den Eltern, dann kann ich mit der Kreuzung beginnen.
Bruder: Ja, aber wozu denn erst ganz reinerbige herstellen, wenn du dann doch wieder Bastarde machst?
Gregor: Ich will herausfinden, warum Merkmale, die in einer Generation ganz verloren gegangen zu sein scheinen, plötzlich in der nächsten oder übernächsten Generation wieder auftauchen. Das hier ist zum Beispiel die Erbse mit Blüten an der Spitze. Ich schneide die Blütenknospen auf und hol mit dem Pinsel die Pollen heraus. Dann bestäub ich die zweite Reihe damit, das sind die Erbsen mit Blüte an der Achse.
Bruder: Und warum bindest du dann noch ein Tüllsäckchen drum? Das ist ja eine Zuchthausarbeit!
Gregor: Es könnt ja ein Windstoß kommen, oder ein Insekt, und die Pflanze mit einem ganz andern Pollen bestäuben! Ich muss schon jede zubinden und schützen, sonst hab ich keine Kontrolle!
Bruder: Das ist ja eine Heidenarbeit! Aber wenigstens musst du sie nicht auspulen. Ich weiß, wie das ist. Ich hab als Kind meiner Mutter beim Erbsenauspulen helfen müssen! Das hab ich vielleicht dick gehabt!
Gregor: Ich muss sehr wohl pulen. Nämlich die, die nicht nach der Blüte, sondern nach der Samenform klassifiziert werden.
Bruder: Wie viele sind denn das?
Gregor: 7 000 Stück Schoten pro Generation. Kannst mir ja helfen!
Bruder: Nein, danke! Erbsenzählen ist nicht mein Steckenpferd! Ehrlich gesagt, ich versteh auch gar nicht, was das Ganze soll!
So dachten alle. Als Gregor Mendel im Jahr 1865 nach elf Jahren Forschungsarbeit zwei Vorträge im «Naturforschenden Verein» in Brünn hielt und seine Ergebnisse vorstellte, traf er auf ein wohlmeinendes, aber verständnisloses Publikum.
«Versuche über Pflanzen-Hybride», so lautete das Thema seiner beiden Vorträge. «Hybride» ist der botanische Ausdruck für Kreuzung. Mendel erläuterte seine Versuchs­anordnung und die Merkmale, die er geprüft hatte.
Gregor:
Samenform: kantig oder rund
Samenfarbe: grün oder gelb
Samenschale: weiß oder grau
Farbe der unreifen Frucht: grün oder gelb
Form der Hülse: glatt oder hügelig
Stellung der Blüten: an der Spitze oder an der Achse
Höhe der Ranke: großwüchsig oder zwergwüchsig
Diese sieben Merkmale werden stets unabhängig voneinander weitergegeben. Der Grund dafür wurde erst hundert Jahre später entdeckt: Jedes der sieben Merkmale befindet sich auf einem anderen Chromosom. Mendel hat ein ausgesprochen glückliches Händchen gehabt, als er gerade diese sieben Merkmale auswählte.
Gregor: «Werden zwei reinerbige Eltern gekreuzt, die sich in einem oder mehreren Merkmalen unterscheiden, sind alle Nachkommen der ersten Bastardgeneration gleich. Sie sind uniform. Das ist die erste Regelmäßigkeit, die ich herausgefunden habe.
Wenn man nun diese Bastarde untereinander kreuzt, erhält man in der zweiten Bastardgeneration Individuen, die nicht mehr alle gleich aussehen. Manche tragen das Merkmal des einen reinerbigen Großelternteils und manche das Merkmal des anderen Großelternteils.
Jene Merkmale, die immer sichtbar sind, auch in der ersten Bastardgeneration, nenne ich dominant. Die anderen Merkmale, die in der ersten Bastardgeneration verschwunden zu sein scheinen, aber dann in der zweiten Bastardgeneration wieder auftauchen, die nenne ich rezessiv. Das dominante Merkmal ist also bei allen Nachkommen der ersten Generation sichtbar, das rezessive Merkmal wird erst wieder in der Enkelgeneration sichtbar. Die Merkmale stehen in einem bestimmten Zahlenverhältnis. In der zweiten Bastardgeneration tragen drei Viertel das dominante Merkmal und ein Viertel das rezessive Merkmal. Wenn ich also reinerbige gelbe und reinerbige grüne Erbsen kreuze, ist die erste Generation gelb, denn gelb ist das dominante Merkmal: Wenn ich diese Bastarde der ersten Generation untereinander kreuze, habe ich bei den Nachkommen drei Viertel gelbe und ein Viertel grüne Erbsen. Das Verhältnis 3 zu 1 gilt für alle Merkmale und für alle Versuche. Das ist die zweite Regelmäßigkeit, die ich herausgefunden habe.
Und die dritte lautet: Wenn man Individuen kreuzt, die sich in mehr als einem Merkmal unterscheiden, dann werden die Merkmale unabhängig voneinander vererbt, aber jeweils wieder im Verhältnis 3 : 1. Die Grundregel bleibt also immer bestehen, aber die Kombinationen werden zahlreicher. Damit Sie sich das besser vorstellen können, zeichne ich das Schema jetzt an die Tafel …»
Hörer 1: Was kritzelst du denn dauernd auf deinem Block herum?
Hörer 2: Ich hab grad ausgerechnet, dass der Mendel mindestens 40 000 Blüten und mindestens 300 000 Erbsen gezählt haben muss.
Hörer 1: Soo viel Arbeit! Und dann kommt eigentlich gar nichts Besonderes dabei heraus …
So dachten alle. Keiner erkannte den großen Wurf. Mendel war seiner Zeit einfach voraus. Zwei Tage später erschien ein beschönigender Artikel im «Brünner Tagesboten»: «Pater Gregor Mendel sprach im ‹Naturforschenden Verein› über Pflanzen-Hybride. Dass der Gegenstand der Vorträge gut gewählt und die Ausführung ganz und gar gelungen waren, zeigte sich an der lebhaften Beteiligung der Zuhörer.»
Das war schlicht gelogen. Es kam keine einzige Frage. Keiner hatte gemerkt, dass er eine Sternstunde der Wissenschaft miterlebt hatte. Was war es, das Mendels Ansatz so genial machte und das seine Zuhörer überforderte?
Mendel hatte die Lehre der Kombinatorik, die er an der Wiener Universität durch Professor Ettingshausen kennengelernt hatte, in seine botanischen Versuchsreihen eingeführt. Er wendete die Prinzipien des mathematischen Modells auf die botanischen Ergebnisse an und verband damit zwei geistige Denkwelten, die bisher noch niemand miteinander verbunden hatte: die Katalogisierung der Pflanzen einerseits und die mathematisch-statistische Kombinationslehre andererseits. Er verband Botanik und Kombinatorik, zwei Bereiche, die, so dachten zumindest die Wissenschaftler bis dahin, überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Das war Mendels genialer Einfall, und er blieb nicht der Einzige. Der zweite Geniestreich war die Entwicklung eines binomischen Buchstabensystems. Mendel stellte jedes einzelne von ihm untersuchte Merkmal mit einem Buchstaben dar. Der Großbuchstabe stand für das dominante Merkmal, der Kleinbuchstabe für das rezessive Merkmal. Reinerbige gelbe Erbsen wurden zum Beispiel mit zwei großen A gekennzeichnet, reinerbige grüne mit zwei kleinen a. Eine Hybride, die gelb aussieht, wird mit einem großen A für das sichtbare dominante Merkmal und einem kleinen a für das unsichtbare grüne rezessive Merkmal dargestellt.
Mendel zeigte mit dieser Systematik, dass es einen Unterschied zwischen dem Erscheinungsbild einer Pflanze und dem ihr zu Grunde liegenden Bauplan gibt.
Damit gilt er als Begründer der Genetik. Später wird die Wissenschaft von Phänotyp und Genotyp reden, doch diese Vokabeln kannte Mendel noch nicht.
Gleichwohl war ihm bewusst, dass er grundlegende genetische Gesetze entdeckt hatte. Nicht er war gescheitert, sein Publikum hatte nichts verstanden. Deshalb wurde er diesmal auch nicht krank. Nach dem enttäuschenden Echo im «Naturforschenden Verein» ließ er seinen Vortrag drucken und schickte ihn an zwölf bekannte Naturforscher in ganz Europa, allen voran den international berühmten Bastardforscher Carl von Nägeli an der Universität München: «Sehr geehrter Herr Professor von Nägeli, bei meinen Bastardierungen der gemeinen Gartenerbse ‹pisum sativum› fand ich bei jedem Versuch konstante Zwischenformen, die eine besondere Aufmerksamkeit zu verdienen scheinen. Noch habe ich nicht alle Merkmalsstudien gemacht, da ich durch anstrengenden Schuldienst daran gehindert bin. In den großen Ferien aber ist es dann für vieles schon zu spät. Trotzdem bin ich zu interessanten Ergebnissen gekommen.»
Ungeschickter hätte er es nicht anstellen können. Seine Bescheidenheit war bei einem Manne wie Carl von Nägeli fehl am Platz. Der hielt es schon für unmöglich, dass ein Aushilfs-Realschullehrer, ein Autodidakt, eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung machen könne – das war die Engstirnigkeit vieler Universitätsprofessoren. Außerdem störte ihn, dass Mendel ausschließlich an einer einzigen Pflanze, der gemeinen Gartenerbse, Gesetzmäßigkeiten erkannt haben wollte. Und dann schien ihm das Zahlenmaterial zu dürftig: «Sehr geehrter Herr Mendel, es scheint mir, dass Ihre Versuche mit Pisum nicht abgeschlossen seien, sondern erst recht beginnen sollten. Der Fehler aller neuen Experimentatoren ist der, dass sie an Ausdauer weit hinter Kölreuter und Gärtner zurückstehen. Es ist in der Bastardlehre nur dann ein Fortschritt zu machen, wenn die Versuche mit dem Objekt in alle Richtungen erschöpft werden. Auch sollten Sie an anderen Pflanzen arbeiten. Besonders erwünscht wäre es, wenn es Ihnen gelänge, hybride Befruchtungen bei Hieracien auszuführen.»
Das war nun just die Pflanze, an der Nägeli herumexperimentierte, und wenn Mendel dort Ergebnisse erzielt hätte, dann hätte sie Nägeli zweifellos unter seinem eigenen Namen veröffentlicht und den armen Mendel nur in einer Fußnote erwähnt.
Hieracium, das Habichtskraut, ist extrem schwer zu kreuzen, weil die Blüten so zart und klein sind. Nur unter dem Mikroskop und nur mit einer ganz ruhigen Hand kann man die Staubgefäße mit einer Pinzette entfernen, ohne die Blüte zu verletzen. Mitarbeit in dieser Hinsicht wäre Nägeli deshalb recht gewesen – ein egoistischer Schachzug: Aber Nägeli war der einzige Fachmann, der überhaupt auf Mendels Brief antwortete.
Ein anderer Professor, Kerner von Marilaun in Innsbruck, machte sich gar nicht die Mühe, den Aufsatz zu lesen. Nach seinem Tod entdeckte man den Sonderdruck in seinem Arbeitszimmer, aber die Seiten waren nicht aufgeschnitten. Nägeli hat wenigstens den Aufsatz gelesen, aber er steckte zu fest in der herkömmlichen Denkungsart: Er übersah die realen Ergebnisse, weil sie nicht zu seiner gewohnten Theorie passten.
Noch im Jahr 1884 veröffentlichte Nägeli sein Hauptwerk Mechanisch-physische Theorie der Abstammungslehre. Darin vertrat er folgende Theorie: «Die Nachkommen in einer Bastardgeneration bekommen einen Teil des Idioplasmas von der Mutter und einen Teil vom Vater, und beide Teile vermischen sich zu einer idioplasmatischen Mittelform.»
Nägeli muss erkannt haben, dass Mendels Versuchen zufolge Merkmale in der zweiten Generation unvermischt wieder zu Tage treten. Wenn Mendel recht haben sollte, dann musste Nägeli sich geirrt haben. Dann hätte ein Autodidakt den Professor überflügelt. Das war für Nägeli unvorstellbar. Währenddessen machte sich Mendel, nachdem er den Brief des Professors erhalten hatte, voller Eifer an die Versuche mit den Habichtskräutern, blieb aber gleichzeitig seinen Erbsen treu. Sein liebenswerter Charme teilt sich sogar in den wissenschaftlichen Briefen mit: «Dem künftigen Sommer sehe ich mit Ungeduld entgegen, da mir zum ersten Male mehrere neue Hybriden ihre Nachkommen in der Blüte vorführen werden. Es ist dafür gesorgt, dass sie recht zahlreich erscheinen können, und ich wünsche nur, dass sie die Sehnsucht, mit welcher ich sie erwarte, durch zahlreiche Mitteilungen aus ihrer Lebensgeschichte lohnen mögen.»
Mendels Sanftmut und sein offenes Wesen machten ihn im Kloster beliebt. Deshalb wunderte sich auch keiner über den Ausgang der Wahl, die nach Cyrill Napps Tod stattfand.

img3

Büste Mendels in der Mendel-Universität in Brünn

Bruder: Abgegeben wurden siebenundvierzig Stimmen, davon zweiundvierzig für Pater Gregor. Ich begrüße hiermit Johann Gregor Mendel als neuen Prior von Sankt Thomas.
Gregor: Liebe Mitbrüder, ich danke euch für euer Vertrauen. Aus meiner bisherigen bescheidenen Stellung als Realschullehrer im Fach Physik … und als Erbsenzähler! … sehe ich mich mit einem Mal in eine Sphäre versetzt, die mir ganz fremd erscheint, und es wird wohl noch einige Zeit und Mühe kosten, bis ich mich darin heimisch fühle.
Am 30. März 1868 wurde er zum Abt des Altbrünner Stifts gewählt. Das bedeutete, den Lehrberuf in der Realschule aufzugeben und die Pflanzenzucht nur noch sehr eingeschränkt zu betreiben. Inspektionsreisen, Finanzverhandlungen, Reisen nach Wien, die Wahl in den Vorstand der mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Förderung des Ackerbaus verlangten seinen ganzen Einsatz. Im Jahr 1874 wurde das sogenannte «Religionsfondsgesetz» erlassen, das den Klöstern beträchtliche neue Steuern auferlegte.
Gregor: 36 000 Gulden! Nach Hektar! Die wissen ja gar nicht, dass wir kein Vermögen haben! Wir treiben ja keine Landwirtschaft, wir haben keinen Forst! Das hat sich ein Bürokrat in Wien ausgedacht! Bruder Clemens, bitte notieren Sie! Wir schreiben gleich einen Protestbrief an den Herrn von Possinger …
Von nun an rieb er sich auf im Kampf gegen die Klostersteuer, die er als ungerecht empfand. Zehn Jahre lang schrieb er zornige Briefe an die mährische Landesregierung, die Steuerbehörde, das Kultusministerium in Wien und den Kaiser. Eine Vermögensschätzung wollte er gar nicht erst zulassen, er empfand den Anspruch als solchen schon als Zumutung. Er steigerte sich in zunehmende Verbitterung hinein, sodass der mährische Statthalter ihm süffisant schreiben konnte: «Ihr Widerstand rührt von einer bedauerlichen geistigen Überspanntheit her.»
1884 wurde die Steuerforderung an das Kloster St. Thomas wieder gestrichen. Gregor Mendel hat das nicht mehr erlebt. Er starb am 6. Januar 1884 im Alter von 61 Jahren. Sein Nachfolger wurde Anselm Rambousek, der ihm im Jahr 1868 bei der Wahl zum Abt unterlegen war.
Diese Niederlage hat Rambousek nie vergessen. Nach Mendels Tod ließ er das Gewächshaus abreißen und alle Briefe, persönlichen und wissenschaftlichen Aufzeichnungen seines Vorgängers verbrennen. Es dauerte noch weitere sechzehn Jahre, bis Mendels Bedeutung anerkannt wurde.
Im Jahr 1900 entdeckten drei international berühmte Forscher unabhängig voneinander den Mendel’schen Aufsatz und prüften die Ergebnisse nach. Hugo de Vries in Amsterdam, Carl Correns in Tübingen und Erich von Tschermak in Wien. Tschermak war es auch, der die Bezeichnung «Mendel’sche Gesetze» einführte. Damit bestätigte er, was Mendel einmal zu Cyrill Napp gesagt hatte: «Meine Zeit wird noch kommen!»

Autorin: Susanne Tölke
Redaktion: Petra Herrmann
© Bayerischer Rundfunk

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de