Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №16/2009

Literatur

Rolf Schneider
Bodensee oder Das Paradies

Fortsetzung aus Nr. 14, 15/2009

Unter einem helldunklen Himmel, der wie von Grünewald war, trieb ich vorüber an jenen unvergleichlichen Panoramen: in wildestem Baumgrün manchmal fast ertrinkende Gebäude auf dem einen Ufer, die vage erahnbare, mit ewigen Schneegipfeln geheimnisvoll blinkende Alpenkette auf dem anderen. Irgendwann drehte der Dampfer eine umständliche Kurve, um Einlaß zu finden in den sehr anmutigen Hafen von Lindau. Der Himmel war jetzt rotbraun vor Abendsonne. Ich stieg aus, ging ein wenig am Ufer hin und her, bestieg dann die Eisenbahn und fuhr durchs Allgäu bis nach München.
Das ist, wie gesagt, nun die zwölf Jahre her. Ich habe inzwischen mancherlei von der Welt gesehen, auch höchst Eindrucksvolles und Wunderbares; gleichwohl war dies, und es ist doch bloß das Erlebnis eines einzigen Tages gewesen, es war mir so unauslöschlich, daß ich es bis heute jederzeit und in allen Einzelheiten abrufen kann, und dabei wird es bleiben. Als ein Widerhaken, als ein kleines Opiat hält sich die Erinnerung in meinem Gedächtnis und meinem Gemüt; und die Folge war unter anderem, daß ich, als ich sechs Jahre später ein kleines Westgeld-Honorar und fünf freie Tage zu verbrauchen hatte, mir keinen anderen Ort des Landes Bundesrepublik zum Aufenthalt erwählen mochte als eben diesen.
Ich reiste diesmal zusammen mit meiner mir angetrauten Gefährtin, der ich alles zu zeigen gedachte.
Es war der späteste Spätsommer. Das Laub begann sich zu verfärben, an den Rändern; in den Weingärten würde demnächst die erste Lese sein. Die Nächte waren schon kühl, aber an den Tagen schufen Windarmut und blanke Sonne jene silbrige, traurig-schöne Stimmung von Sommerabglanz und großer Vergänglichkeit, die einem bewußt macht, daß Leben bloß ein Synonym für Altern ist.
Wir langten am frühen Abend an in Wasserburg. Wir fuhren mit dem Taxi zu jenem Hotel, für das wir blind und von ferne gebucht hatten. Es befand und befindet sich wohl noch in jenem Gebäude, welches diesem Ort zu seinem Namen verhalf, also in der Wasserburg; wir gerieten in ein Zimmer, dessen Außenwand zum See zeigte, dessen Fenster eine Öffnung war in einer wehrhaftigen, einer meterdicken Festungswand; und hinter jenem Fenster war dann die unvergleichliche Szenerie von See, Schweizer Ufer und fernem Gebirge, alles im klaren Lichte eines frühen und sehr sanften Abends, es war atemberaubend, ach, es war gewiß paradiesisch! Meine Gefährtin begann Sinnloses zu murmeln, sie fing zu weinen an, weil ein Übermaß an Schönheit fast ebenso schmerzen kann wie ein Übermaß an Grausamkeit; trink, o Auge, was die Wimper hält, dichtete einer, der zwar nicht an diesem See siedelte, vielmehr an einem benachbarten; immerhin war auch er ein Alemanne, und ich könnte mir keine andere Umgebung denken, wo Ästhetik, Sinnlichkeit und Weinkellerei auf so natürliche Weise zu einer einzigen Metapher kontaminieren.
Damit aber ist zum anderen Mal nach Annette ein Thema im Spiel, das wir nun bedienen müssen und das den Wortlaut hat: Bodensee und die schönen Künste.
Wir befinden uns auf ältestem Kulturboden. Seit den Pfahlbau-Leuten gehen fast ungebrochen Siedlung, Zivilisation und Kultur in diesem Raum durch die Jahrhunderte und Jahrtausende. Einige der ältesten Denkmäler deutscher Sprache, Notate des Althochdeutschen, entstammen diesem Raum, der Reichenau und St. Gallen. Die Alemannen sind vielleicht jener germanisch-deutsche Stamm, der sich am beharrlichsten und seßhaftesten zeigte; nichts von Fahrensdrang und blutiger Eroberungslust; im angestammten Territorium kam er bruchlos über die Zeiten und konnte sich allzeit der Spuren seiner Herkunft erfreuen. Die Schweiz, als Staat einer von drei Anrainern des Sees, ist der am längsten befriedete und friedliche Staat unseres Erdteils: Friede, Gottesfriede, das sind fast schon wieder Austauschwörter für Paradies.
Drei unverwechselbare Charakteristika dieser Landschaft sind: Überfluß, Weiträumigkeit, Gelassenheit. Wer solcherart verwöhnt wird, hat gut gelassen sein. Wohin ich greife, ist Geschichte und Reichtum.

Aus: Rolf Schneider: Annäherungen & Ankunft.
Hinstorff Verlag, Rostock 1982. S. 220–232.

Fortsetzung folgt

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1982 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

va|ge [unter Einfluss von frz. vague < lat. vagus = unstet, umherschweifend], (seltener auch:) vag <Adj.>: nicht genau, nicht klar umrissen; unbestimmt: vage Versprechungen, Anhaltspunkte, Vermutungen, Andeutungen; ein vager Verdacht; seine Vorstellungen davon sind sehr v.; etw. nur v. andeuten.

an|mu|tig <Adj.>: voller Anmut: eine -e Erscheinung; a. tanzen. An|mut, die; - [mhd. anemuot = Vergnügen, Lust, eigtl. = der an etw. gesetzte Sinn, aus: ane (an) u. muot, Mut]: Harmonie [der Bewegung]: A. besitzen; sich mit A. bewegen; Ü die A. (Lieblichkeit) einer Landschaft.

un|aus|lösch|lich <Adj.> (geh.): sich als Eindruck, Tatbestand o. Ä. nicht auslöschen lassend: -e Erlebnisse, Erinnerungen.

Wi|der|ha|ken, der; -s, - [mhd. widerhake]: Haken, dessen Ende in der Art einer Speerspitze mit zurücklaufendem Teil gestaltet ist, der das Zurück-, Herausziehen aus etw. unmöglich macht.

Opi|at, das; -[e]s, -e [spätmhd. opiat < mlat. opiata (Pl.), zu lat. opium, Opium]: Arzneimittel, das Opium enthält.

blank <Adj.> : a) auf der Oberfläche glatt u. glänzend: -es Metall; -e (leuchtende) Augen; der Fußboden ist b. ([glänzend u.] sauber); etw. b. reiben; ein b. gescheuerter, b. geputzter Boden; b. polierte Gläser; b) (dichter.) hell, leuchtend: in -em Licht.

an|lan|gen <sw. V.>: 1. an einem Ziel ankommen <ist>: glücklich am Ziel, zu Hause, unten a.; Ü er war auf der Höhe des Ruhmes angelangt. 2. (landsch.) anfassen <hat>: du darfst die Ausstellungsstücke, Waren nicht a. 3. in der Verbindung was jmdn., etw. anlangt (was jmdn., etw. betrifft, angeht): das ist meine Antwort, was mich, unsere Familie, diese Frage anlangt.

ver|hel|fen <st. V.; hat> [zu helfen]: dafür sorgen, dass jmd. etw., was er zu gewinnen, zu erreichen sucht, auch wirklich erlangt, erhält, dass etw. Angestrebtes verwirklicht wird: jmdm. zu seinem Recht, zum Erfolg, zu einer Anstellung, zu Geld, zur Flucht v.; Ü einer Sache zum Durchbruch, Sieg v.

Sze|ne|rie, die; -, -n [zu Szene]: 1. (Theater) Bühnendekoration, -bild einer Szene: die S. einer Gelehrtenstube. 2. Schauplatz eines Geschehens, einer Handlung; Rahmen, in dem sich etw. abspielt: die -n des Romans; sie waren überwältigt von dieser S. (landschaftlichen Kulisse).

Über|maß, das; -es, -e: <o. Pl.> über das Normale hinausgehendes Maß; ungewöhnlich große [nicht mehr erträgliche od. zuträgliche] Menge, Intensität von etw.: ein Ü. an Arbeit, Belastungen; ein Ü. an, von Leid; etw. im Ü. haben, besitzen, genießen; das strapazierte uns bis zum, im Ü.