Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №17/2009

Aktuelles

Palmen, Meer und glückliche Kinder

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Spät nachts, endlich, saß ich im Flugzeug. Die Maschine startete sehr sanft. Der Flug sollte über fünf Stunden dauern, ziemlich lange. Und nun in der Luft wurde ich plötzlich sehr nervös. Nein, nicht weil ich Flugangst hatte, sondern mir fehlten einfach Stereotype, die alles leichter gemacht haben würden: Denn ich flog nach Oman, auf die Arabische Halbinsel, hatte überhaupt keine Bilder im Kopf und versuchte nun fast zwanghaft, irgendetwas Bekanntes zu finden. Arabisch, Islam, Maskat, Palmen, Sand – nicht viel, um von einem Land begeistert zu sein...
Am frühen Morgen landeten wir auf dem Internationalen Flughafen Seeb in Maskat, der Hauptstadt von Oman. Als Erstes fühlte man beim Aussteigen heißen Wüstenwind, sah helle Flughafengebäude und Palmen, ganz große und kleine, mit rauen und glatten Stämmen, mit Kokosnüssen oder mit grünen Datteln, Bananenstauden mit kleinen grünen Früchten.
Dann folgte eine relativ lange Fahrt bis zum vorübergehenden Domizil. Und unterwegs wieder Palmen, Blumen, Sträucher, schöne Autos, so gut wie keine Busse auf den Straßen; blendend weiße Wohnhäuser mit zierlichen Balkons; zweisprachige Straßenschilder – Englisch und Arabisch – und die Geschwindigkeitsbeschränkungszeichen mit «doppelt» arabischen Ziffern: mit «unseren arabischen» und den «arabischen arabischen».
Weitere Überraschungen folgten: das Rauschen des Meeres (Golf von Oman), das man vom Haus aus hört; fließendes Wasser im Bad und in der Küche, natürlich keine Überraschung, aber – nur heißes Wasser, kaltes scheint es nicht zu geben; schöne Blumen in grellen Farben; viele Vögel; Flugzeuge, die bei der Landung so niedrig und langsam die Küste entlang fliegen, dass man alle Kennzeichen deutlich sieht; Schiffe und Boote im Golf; viele Muscheln und kleine Fische; der Widerschein der Sonne auf der Wasseroberfläche beim Sonnenuntergang; freundliche Leute; alte Burgen und unerträgliche Hitze... heiß, heiß, heiß...
Bei der Hitze kann man nur früh am Morgen oder spätabends spazieren gehen, ohne sich einen Schaden zuzuziehen, – entlang der Küste oder auch im Wohnviertel.
Während eines solchen Spazierganges ist mir ein Schild aufgefallen: «Al Sahwa Schools». Ich bin einfach mal hingegangen. Mehrere helle, umzäunte Gebäude. Am Eingangstor langweilt sich die Wache. Ich habe mich vorgestellt und erklärt, dass ich gerne eine Unterrichtsstunde besuchen möchte, weil ich Deutschlehrerin aus Moskau wäre. «Madame, dann müssen Sie herkommen. Fragen Sie da irgendjemanden...» Ich ging hinein. Im Flur des Hauptgebäudes waren mehrere Erwachsene und kein einziges Kind. Mir wurde gesagt, ich solle einfach zu Muna gehen, denn «Muna weiß alles». Muna (war sie die Sekretärin?) sah mich freundlich lächelnd an: «Was möchten Sie, bitte? Wollen Sie hier arbeiten?» Meinen Wunsch, irgendeine Unterrichtsstunde zu besuchen, konnte sie nicht verstehen: «Waaas? Sie wenden sich an uns als Erste mit so einer Bitte. Warten Sie mal, ich muss fragen.» Und sie griff nach dem Telefon und hat sehr lange mit irgendjemandem gesprochen, auf Arabisch und auf Englisch. Ich musste so lange warten und Muna hat so lange gesprochen, dass ich schon gehen wollte: «Vielleicht schickt es sich nicht, abzusagen, und sie warten nur, dass ich nun endlich abhaue??? Mit wem telefoniert sie, mit der Polizei? Eine komische Madame ist in die Schule gekommen und will zum Unterricht...»
Als ich schon fast überzeugt war, meine Bitte das nächste Mal auf dem Polizeirevier vorbringen zu müssen, kam Miss Liz. Sie ist an der Schule für den Primarbereich verantwortlich. Nach einem Gespräch sagte sie: «Kommen Sie morgen!»
Am folgenden Morgen machte ich mich sehr früh auf den Weg. Schon von weitem sah ich viele Autos vor dem Schultor anhalten, aus denen Kinder und manchmal auch Erwachsene ausstiegen. Ich war die Einzige, die zu Fuß zur Schule kam, denn die Kinder werden hingefahren.
Miss Liz wartete und gab mir ein Blatt, auf dem stand:

8:00–8:40
8:40–9:20
9:50–10:20
10:20–11:00

B3
B1b
G3p
G6

Rena
IT
Veronica
Diana

...

Anhand des Planes war zu erkennen, dass fast alle Unterrichtsstunden nur 40 Minuten lang sind, dass ich in zwei Jungs- und zwei Mädchenklassen hospitieren würde.
Miss Liz brachte mich als Erstes in die Klasse zu Miss Rena. Auf dem Weg dorthin erzählte sie, dass sie schon zwölf Jahre an der Schule sei und 19 Jahre in Oman lebe: «Weil es mir hier sehr gut gefällt und weil es hier sehr schön und ruhig ist...»
Im Klassenzimmer waren außer Miss Rena an die 15 Jungs (8–9 Jahre alt) und kein einziges Mädchen. Na klar, denn es war ja eine Boys’ School. Die Lehrerin stand an der Tafel, die Jungen, in langen weißen Überwürfen – Dischdaschs – und mit weiß-goldenen Mützen, saßen vorn neben der Tafel auf einem großen Teppich. Nach einer Begrüßung durfte ich irgendwo Platz nehmen.
Tische gibt es in der Klasse auch, aber sie stehen, für mich ein bisschen ungewohnt, durcheinander, nicht wie bei uns in Reihen hintereinander. Es waren kleine quadratische Tische, jeweils einer für einen Schüler. Mal sind vier Tische aneinander gestellt, mal sechs. Ich war erstaunt: Licht fällt nicht von links auf die Tische, manche Kinder müssen sogar mit dem Rücken zum Fenster sitzen. Völlig falsche Beleuchtung! Auf den Tischen lagen Kugelschreiber, Bleistifte, Papier. Alle Schultaschen – große Trolleys – standen an der gläsernen (!), mit allerlei Bildchen, Zeichnungen, Wortkärtchen und anderem Anschauungsmaterial beklebten Wand.
Ich setzte mich hinten an einen Tisch, sah mich um und hörte zu. Die Unterrichtssprache war Englisch. Das war eine Mathestunde, Kopfrechnen. Miss Rena formulierte sehr schnell Aufgaben, die Kinder haben sie sehr schnell gelöst und Antworten gegeben, mal einzeln, mal alle im Chor. Sie sollten u. a. gerade und ungerade Zahlen von 1 bis 20 nennen, dann in Fünfern von
1 bis 100, dann in Zehnern von 1 bis 1000. Als sie bei 500 waren, wurde es Miss Rena langweilig: «Wir machen morgen weiter!»
Nun waren die Gewichtsmaße an der Reihe:

1 kg = 1000 g
1 kg = ? × 500 g
500 g = ? × 250 g
1 kg = ? × 250 g
1 kg = ? × 100 g

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Obwohl diese Aufgabe schon viel schwerer und anstrengender war, wurde auch sie erstaunlich schnell gelöst.
Dann folgten schriftliche Aufgaben. Die Jungs gingen zu ihren Tischen, setzten sich und machten sich an die Arbeit. Auf einem DIN-A4-Blatt stand in drei Spalten: «3+2=, 6–4=...» Sie mussten die Lösungen mit Bleistift schreiben. Miss Rena hat mir erklärt: «Ich lasse sie fast in jeder Stunde diese Aufgaben lösen. Erstmal lasse ich ihnen fünf Minuten, dann immer weniger, damit sie selbst ihren Fortschritt erkennen können.»
Um 8:40 hat es dreimal geklingelt, jedoch keiner bewegte sich. Miss Rena sammelte die Blätter ein und verteilte Englisch-Lehrbücher. Ohne Pause ging es sofort in die nächste Stunde über. Ich schaute ratlos auf meinen Stundenplan und wusste nicht, was ich anfangen sollte, wo sollte ich «B1b/IT» suchen? Ich habe mich nicht getraut, Miss Rena zu unterbrechen und zu fragen und bin in ihrer Klasse beim Englischunterricht geblieben. Sie haben einen lustigen Text über Ferien durchgenommen. Und nebenbei besprochen, wie man sich bei der Hitze benehmen muss. Und haben eine Reihe von «Man-darf-nicht» aufgezählt: «Man darf nicht lange in der Sonne bleiben, sonst kriegt man Brandblasen!», «Wenn man lange in die Sonne schaut, kann man blind werden!» Miss Rena hat gefragt, in welchen Ländern es so enorm heiß ist. «In Oman, in..., in South Africa!» Miss Rena hat gelacht und mir erklärt: «Sie sagen so, weil ich aus Südafrika komme!» Zum Schluss haben sie mehrmals, sehr laut ein lustiges Lied über eine Kokosnuss gesungen. Dann war Pause. Ich habe mich bedankt, die Kinder gelobt und gesagt: «Ihr seid enorm klug! Ihr könnt so schnell rechnen! Ihr könnt so schön singen! Schade, dass ich den Ferien-Text nicht gelesen habe, sonst hätte ich mich richtig benehmen können bei der Hitze und hätte jetzt keine Brandblasen auf meinen Schultern!» – «Ist es in Ihrem Land nicht so heiß?» – «Nein, in meinem Land ist es nicht so heiß wie hier!» An der Wand hing ein Plakat mit Nationalflaggen. Ich habe auf die Flagge gezeigt und gesagt: «Das ist die Flagge des Landes, aus dem ich komme.» Sie rannten alle zum Plakat: «Russland? Sind Sie aus Russland?» – «Ja. Aus Russland, aus Moskau.» Wir haben uns dann verabschiedet. Die Jungs gingen in die Mensa, und ich musste in ein anderes Gebäude, in die Girls’ School, zu Miss Veronica.
Die Pause dauerte eine halbe Stunde. Ich hatte genügend Zeit, mich umzusehen.
An den Wänden im Flur hängen zahlreiche selbstgemachte Poster und Bilder. Überwiegend mit Umweltschutz-Thema: Plastikbehälter für Reinigungs- und Putzmittel als Umweltkiller, Wälder (aber keine Palmen!), Schmetterlinge, Meer und sogar – zu meiner großen Überraschung – ein geschmückter Tannenbaum! An den Klassentüren hingen lustige Bildchen und die Einladung: «Welcome» oder «Welcome to Miss Veronica’s Grade 3 Class».
Wenige Minuten später kam ein Schwarm Mädchen aus der Mensa, uniformiert, in weißen Blusen, kurzen blauen Kleidern und Hosen. Sie näherten sich, kreisten mich ein, lächelten und fragten: «Sind Sie die Miss, die zu uns zu Besuch gekommen ist?» – «Wenn ihr in Miss Veronicas Klasse seid, dann bin ich die ‹Miss›.» – «Ja, wir sind in Miss Veronicas Klasse.» –«Jaaa. Miss, stimmt es, dass Sie aus Russland sind?» – «Ja, ich bin aus Russland.» – «Und mein Hund zu Hause ist auch aus Russland. Man hat ihn uns aus Moskau hergebracht!»
Dann ist Miss Veronica gekommen. Nach einem kurzen Gespräch hat sie ein Mädchen gebeten, mir den Schulkomplex zu zeigen, weil gerade dieses Mädchen «der beste Guide» sei und alles so toll erklären könne. «Miss Veronica, Miss Veronica, und ich bin die beste in Mathe! Darf ich auch mit?» Da es scheinbar überhaupt keine unbegabten Kinder gab, hatte ich das Glück, in Begleitung von etwa 30 Mädchen durch den Schulhof bei unerträglicher Hitze zum Schwimmbad zu gehen. Aber da war irgendeine Tür im Zaun verschlossen. Das Schwimmbad habe ich nicht gesehen, aber ein paar Bilder von meinem Begleitteam habe ich gemacht. Die Bibliothek habe ich auch nicht besichtigt, weil wir in die Klasse zum Unterricht mussten.
Die Mädchen haben es sich auf dem Teppich bequem gemacht. Miss Veronica und ich setzten uns vorn auf Stühle. «Wissen Sie was», sagte sie, «die Mädchen sehen nicht jeden Tag jemanden aus Russland. Dürfen sie an Sie irgendwelche Fragen stellen?» – «Aber natürlich! Ich hoffe, ich werde die Fragen beantworten können!»
Die Fragen verblüfften mich.
«Wie heißt auf Russisch ‹Hallo!›»
«Wie heißt ‹der Hund› auf Russisch und auf Deutsch?»
«Was gibt es extra Russisches?»
«Was isst man in Russland?»
«Gibt es in Russland auch omanisches Essen?»
«Feiert man Weihnachten in Russland?»
«Miss, waren Sie schon mal in einem anderen islamischen Land?»
«Gefällt es Ihnen hier in Oman?»
«Können Sie Arabisch sprechen?»
Als ich ein paar Fragen mit «Nein!» beantworten musste, hab ich gedacht: «Na, Marianna, die kleinen Drittklässlerinnen sind dir so sehr überlegen. Sie können Arabisch sprechen, und du? Sie sind von klein auf zweisprachig, und du? Sie kennen sich auch in der europäischen Kultur aus. Und du? Was verstehst du von der islamischen?»
Beim Abschied habe ich mich bei den Mädchen und Miss Veronica bedankt und gesagt: «Es gefällt mir so gut, dass die Kinder hier so offen, freundlich und schön sind!» Miss Veronica setzte fort: «Ich komme aus Australien. Da waren in der Klasse rote und blonde Köpfe und blaue Augen. Hier sehe ich nur schwarze. Aber ich liebe sie so sehr! I like it!»
Als Letztes an diesem Tag meines Besuches sollte es zum Englischunterricht in der Mädchenschule in der 6. Klasse bei Miss Diana gehen. Sprachlich war es hier für mich ganz schön anspruchsvoll und anstrengend. Verstanden habe ich, dass das Thema der Stunde war «Wie schreibt man eine Geschichte». Und nebenbei hat Miss Diana auch über Funktionalstile gesprochen, gerade das, was ich Studenten des 7. Semesters an der Uni beizubringen versuche...
Wenn man so viele frohe und glückliche Gesichter sieht, wird man selbst ein bisschen glücklicher. Auf dem Rückweg dachte ich: «Es ist absolut egal, wie die Tische in der Klasse stehen, besonders, wenn man mal von links nach rechts, mal von rechts nach links schreibt und wenn man Kunstlicht hat. Aber bei Partner- oder Gruppenarbeit schauen sie sich in die Augen...
Als ich dann schon wieder in Moskau war, ließ mir aber eine Frage keine Ruhe: Warum heißt es Al Sahwa Schools, warum im Plural, wenn es eine Schule ist. Ich sah mir die Fotos an und es kam mir der Gedanke: Wenn es da eine Schule für Jungen und eine Schule für Mädchen gibt, dann sind es doch zwei Schulen hinter einem weißen Zaun! Zwei Schulen, wo so schöne, lustige, glückliche Kinder lernen. Wenn man ihre Gesichter gesehen hat, denkt man an sie zurück. Und Stereotype, die braucht man nicht mehr.

Marianna Busojewa