Bildung und Erziehung
Bilanz: zehn Jahre Bologna-Prozess
GEW und fzs: «Lernende und Lehrende fordern Kurswechsel»
Frankfurt am Main. Repräsentanten der Studierenden und der Lehrenden an Hochschulen haben eine kritische Bilanz der Bologna-Erklärung gezogen und einen Kurswechsel gefordert.
«Vom Aufbau eines Europäischen Hochschulraums hatten wir uns eine erleichterte Mobilität, eine bessere Qualität der Lehre und bessere Studienbedingungen erhofft – diese Ziele wurden bisher noch nicht erreicht», erklärte Anja Gadow, Mitglied des Vorstands des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs). «Ein Geburtsfehler der Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland war, dass Bund und Länder die Reformen bei gleich bleibender Ausstattung der Hochschulen durchsetzen wollten. Die Studiengänge lassen sich aber nur dann erfolgreich reformieren, wenn die Betreuung der Studierenden verbessert wird», sagte Andreas Keller, für Hochschulen verantwortliches Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Gadow und Keller betonten, dass Studierende und Lehrende gleichermaßen von der unzureichenden Umsetzung der Bologna-Reform betroffen seien. «Die neuen Studiengänge muten den Studierenden einen zu großen ‹Workload› zu: zu viele Prüfungen, zu dichte Stundenpläne, zu wenig Freiraum für eigenverantwortliche Arbeit», kritisierte Gadow. «Auch die Hochschulbeschäftigten klagen über hohe Arbeitsbelastungen: Sie müssen mehr Prüfungen abnehmen, intensivere Beratungen leisten und aufwändige Qualitätssicherungsverfahren organisieren – ohne dass dafür mehr Personal eingestellt wird», erklärte Keller. «Die Hochschulen brauchen daher mehr Lehrpersonal mit fairen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – gute Lehre und gute Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille», forderte der GEW-Hochschulexperte. «Die Studienstrukturen müssen flexibler werden und den unterschiedlichen Erwartungen und Lebenswelten der Studierenden gerecht werden. Wir fordern für alle Studierenden einen Rechtsanspruch auf ein Teilzeitstudium», sagte Gadow.
GEW und fzs appellierten an Bund und Länder, endlich die soziale Dimension des Europäischen Hochschulraums ernst zu nehmen, zu der sich die Unterzeichnerstaaten der Bologna-Erklärung verpflichtet hätten. «Wir fordern mehr Chancengleichheit im Europäischen Hochschulraum: durch eine leistungsfähige Studienfinanzierung ohne Studiengebühren, durch eine soziale Öffnung der Hochschulen und eine verlässliche Finanzierung von Auslandsaufenthalten», sagte die fzs-Sprecherin. «Mobilität hängt nicht nur von den Studienstrukturen ab, sondern auch von den materiellen Rahmenbedingungen. Es kann daher nicht länger sein, dass Hochschulbeschäftigte einen Auslandsaufenthalt mit Lücken in ihrer Altersversorgung bezahlen müssen», erklärte Keller.
Gadow und Keller kündigten ein «Bündnis der Lernenden und Lehrenden» an, um Bund und Länder zu einem Kurswechsel im Bologna-Prozess zu bewegen: «Der Bildungsstreik hat gezeigt, dass Studierende und Lehrende nicht nur gemeinsame bildungspolitische Interessen haben, sondern auch viel bewegen können, wenn sie zusammenarbeiten. Lernende und Lehrende, fzs und GEW werden sich daher bei Bund und Ländern gemeinsam für einen Kurswechsel im Bologna-Prozess einsetzen.»
Info:
Am 19. Juni 1999 unterzeichneten in Bologna die für Hochschulen zuständigen Ministerinnen und Minister aus 29 europäischen Staaten die Bologna-Erklärung. Ziel des mit dieser Erklärung gestarteten Bologna-Prozesses ist der Aufbau eines «Europäischen Hochschulraums» bis 2010. Inzwischen haben sich 46 Staaten dem Bologna-Prozess angeschlossen. Bei der fünften Bologna-Folgekonferenz im April 2009 im belgischen Leuven wurde die Verlängerung des Bologna-Prozesses bis 2020 vereinbart.
Der Text ist entnommen aus: http://www.teachersnews.net