Wissenschaft und Technik
Katastrophen fordern fast eine Viertelmillion Opfer
Fast 250 000 Tote durch Stürme, Erdbeben, Hungersnöte und Unfälle: 2008 war das zweittödlichste Jahr seit 1999, heißt es im Weltkatastrophenbericht der Rotkreuz- und Rothalbmond-Verbände. Auch die Aussichten für 2009 lassen nichts Gutes ahnen.
Hamburg – Wenn eine Naturkatastrophe über eine Region hereinbricht, weiß am Ende meist niemand exakt, wie viele Menschen genau umgekommen sind. Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (IFRC) wagt sich dennoch mit einer Zahl vor: 242 662 Tote haben die Unglücke des Jahres 2008 gefordert, schreibt die Organisation in ihrem Weltkatastrophenbericht 2009, der in New York vorgestellt wurde. Damit sei 2008 das zweittödlichste Jahr seit 1999 – nur übertroffen von 2004, als der Tsunami in Asien allein rund 230 000 Menschen tötete.
2008 war der größte Teil der Opfer auf nur zwei Katastrophen zurückzuführen: 138 366 Tote und Vermisste waren nach dem Zyklon «Nargis» vor allem in Burma zu beklagen, das Erdbeben im chinesischen Sichuan forderte 87 476 Menschenleben. Beides zusammen macht rund 93 Prozent der Katastrophenopfer des vergangenen Jahres aus. Die Katastrophen-Sachschäden summierten sich 2008 auf insgesamt rund 200 Milliarden Dollar, wie die Münchener Rück schon am Jahresende vorgerechnet hat.
Da die Opferzahlen stark vom Eintreten großer Katastrophen abhängen, schwanken sie von Jahr zu Jahr deutlich: 2007 gab es dem IFRC-Bericht zufolge weltweit knapp 24 000 Todesopfer, 2006 waren es rund 33 500. Die Zahlen des IFRC basieren durchweg auf den Angaben der Behörden in den betroffenen Ländern.
Eine erfreuliche Tendenz gibt es bei den technischen Katastrophen, bei denen im vergangenen Jahr immerhin noch 6926 Menschen starben – hauptsächlich bei Unglücken mit Transportmitteln. Das sei die geringste Zahl seit 1999, so die IFRC. Zwischen 2002 und 2005 seien jeweils zwischen 10 000 und 13 000 Tote durch technische Katastrophen zu beklagen gewesen.
Da insbesondere Naturkatastrophen kaum vorhersehbar sind, fallen Prognosen schwer. Dennoch sieht die IFRC eine Reihe von konkreten Gefahren aufziehen. So lebten immer mehr Menschen in von Hungersnöten bedrohten Gebieten. 220 Millionen weltweit seien derzeit von Ernährungsnotlagen bedroht – doppelt so viele wie 2006. Allein in Äthiopien hätten in diesem Jahr bereits rund fünf Millionen Menschen Hilfslieferungen benötigt.
Umweltzerstörung bedroht Existenzgrundlagen
Die Ausbeutung der Natur dürfte derartige Probleme künftig drastisch verschärfen. Die Überfischung der Meere, die Ausrottung von Landtierarten, die Brandrodung großer Waldgebiete und die Folgen der globalen Erwärmung gefährden in zahlreichen Regionen die Existenzgrundlagen der Menschen. Der Klimawandel wird nach Meinung vieler Forscher dazu führen, dass tropische Wirbelstürme an Zerstörungskraft gewinnen.
Auch die Vereinten Nationen warnten erneut vor den dramatischen Folgen des Klimawandels. Die Entwicklung sei «extrem besorgniserregend», sagte Uno-Nothilfekoordinator John Holmes. Rund 90 Prozent der Naturkatastrophen wie Stürme, Überschwemmungen oder Dürren seien klimabedingt. Einige der größten Städte der Welt mit Millionen von Einwohnern seien durch ihre Lage in Küstennähe zunehmend von «Mega-Katastrophen» bedroht. Künftig werde es wesentlich mehr Tote geben als bisher.
Zudem hat die US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA erst Anfang Juni vor einem aufziehenden El Niño gewarnt. Im tropischen Pazifik seien die Temperaturen sowohl an der Oberfläche als auch in tieferen Wasserschichten gestiegen, was darauf hindeute, dass das zerstörerische Klimaphänomen noch in diesem Jahr auftreten könnte. Bei einem El Niño kommt es üblicherweise zu Überschwemmungen an den Küsten Süd- und Nordamerikas. In Nordaustralien, Indonesien und den Philippinen wird es dagegen trockener, wodurch die Waldbrandgefahr steigt. Im südlichen Afrika kann die größere Trockenheit zu verheerenden Dürren führen. Bei früheren El Niños wurden auch Massensterben von Korallen und Fischen beobachtet.
Arme Länder werden am stärksten betroffen sein
An den Zahlen des Weltkatastrophenberichts ist abzulesen, wo die Klimaphänomene die meisten Leben gefordert haben und fordern werden: Mehr als 90 Prozent der weltweiten Katastrophenopfer entfielen in den vergangenen zehn Jahren auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Eine Ausnahme gab es 2003, als die Rekord-Hitzewelle mehr als 70 000 Europäer tötete. Rechnet man dieses Jahr heraus, kamen nur etwa drei Prozent der Katastrophentoten seit 1999 aus den Industriestaaten. In Deutschland zählt die IFRC in diesem Zeitraum 9661 Tote, darunter mehr als 7000 durch die Hitzewelle von 2003.
«Wir haben seit jeher die von Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Dürren geplagten Regionen im Blick», erklärte Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. «Diese Regionen vergrößern oder verschieben sich in Folge des Klimawandels.» Besonders dramatisch sei die Veränderung von Pflanzperioden. «Viele Bauern vertrauen auf berechenbare Regenzeiten», so der CDU-Politiker. «Doch immer öfter ersäuft die Saat oder verdorren die Früchte.» Für die Nahrungsmittelhilfe sei das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen entscheidend. Das aber hänge von der Unterstützung der Geberländer ab – und die Wirtschaftskrise könnte sich hier negativ auswirken, befürchtet Seiters.
Aufklärung und Prävention sollen Leben retten
Die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung setzt deshalb vor allem auf Prävention durch Frühwarnsysteme und die Aufklärung der Bevölkerung. «Die Erfahrung zeigt, dass jeder Dollar, der in die Vorbeugung investiert wird, vier Dollar in der Notfallhilfe einspart», so das IFRC. Ähnlich hatte sich Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon geäußert: In einem Beitrag schrieb er im Juli 2008, wie man Krisen durch Vorsorge und Vorausplanung verhindern oder zumindest mildern kann.
Wie sehr präventive Arbeit helfen könne, habe sich etwa im November 2007 gezeigt. 5000 Mitarbeiter des Roten Halbmonds seien an der Südküste von Bangladesch ausgeschwärmt und hätten die Bewohner vor dem herannahenden Zyklon «Sidr» gewarnt. 3000 Menschen verloren in dem Sturm ihr Leben. «Hätte es eine solche Warnung nicht gegeben, wäre die Opferzahl weit höher ausgefallen», so das IFRC.
Dass Wissen Leben retten kann, beweise auch die Geschichte von Tilly Smith. Als der Tsunami im Dezember 2004 auf die Küste Thailands zurollte, erkannte die damals Zehnjährige den plötzlichen Rückzug des Wassers als Anzeichen der tödlichen Wellen – weil sie das Thema zwei Wochen zuvor im Schulunterricht durchgenommen hatte. Ihre Warnung rettete rund hundert Menschen das Leben.
Offen ist, ob technische Warnsysteme ähnlich wirkungsvoll sein können. So seien drei von vier Tsunami-Warnungen im Pazifik Fehlalarme gewesen, schreibt das IFRC. «Das zeigt, wie schwierig es ist, die Glaubwürdigkeit von Frühwarnsystemen aufrechtzuerhalten.»
Von Markus Becker
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de