Sonderthema
Fritz Langs Metropolis im Wandel der Zeit
Stadt mit Turm: Entwurf
von Erich Kettelhut für Metropolis.
Fritz Langs monumentaler Science-Fiction-Film verbindet visuelle Kraft mit einer Liebesgeschichte um die Versöhnung von Arbeit und Kapital: Hoch über der Stadt herrscht Joh Fredersen, während unter der Erde die Arbeiter schuften. Fredersens Sohn Freder verliebt sich in die Arbeiterführerin Maria.
Gleichzeitig erschafft Rotwang, der Erfinder, einen stählernen Roboter, dem er auf Fredersens Anweisung das Aussehen Marias gibt. Die falsche Maria wiegelt die Arbeiter auf, die ihre Maschinen verlassen und damit die Überflutung der Stadt auslösen. Erst durch Freders und Marias Einsatz kann Metropolis gerettet werden. Herr der Stadt und Arbeiter erkennen, dass «Hirn» und «Hände» zusammengehören.
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Wohl kaum ein anderer deutscher Film hat in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts so viele Spuren hinterlassen wie Fritz Langs Metropolis. Dabei polarisierte das produktionstechnische Mammutunternehmen der Ufa seit seiner Uraufführung am 10. Januar 1927 gleichermaßen Kritiker, Historiker und Publikum. Bis heute existieren verschiedene, oft gänzlich unvereinbare Interpretationen des legendären Science-Fiction-Prototyps nebeneinander. Der bekannte Kritiker H. Ihering schrieb kurz nach der Premiere des Films im «Berliner Börsen-Courier»: «Eine technische Zukunftsstadt und Gartenlaubenromantik; eine Maschinenwelt und lächerliche Einzelschicksale; soziale Weltgegensätze, und als Mittler zwischen ‹Hirn und Hand das Herz›. Thea von Harbou erfindet eine unmögliche Personenhandlung, die in den Motiven überstopft wird, Fritz Lang stilisiert diese Unterlage und lässt die Bildmotive sich schlagen. Bald mittelalterlicher Totentanz, bald moderner Totentanz. Bald eine Zeitanstrengung, bald eine Bildungsanregung; aber niemals die Orientierung vom Stoffe her.» Oft zitiert wurde auch Luis Buñuels überaus ambivalente Einschätzung des Films, die er in der «Gazeta Literaria» vom 1. Mai 1927 veröffentlichte: «Metropolis ist nicht ein Film. Metropolis sind zwei Filme, am Bauch aneinandergeklebt, aber mit unterschiedlichen, extrem antagonistischen Ansprüchen. Wer den Film als diskreten Geschichtenerzähler betrachtet, erlebt bei Metropolis eine herbe Enttäuschung. Was uns hier erzählt wird, ist trivial, schwülstig, pedantisch, von einem übermächtigen Romantizismus. Aber wenn man sich nicht auf die Anekdote, sondern auf den plastischen Hintergrund konzentriert, dann übertrifft Metropolis alle Erwartungen, erstaunt einen wie das wunderbarste Bilderbuch, das je geschaffen wurde.»
Der kontroverse Klassiker
Tatsächlich reichte das Spektrum von der inhaltlichen Kritik am spekulativen Drehbuch Thea Harbous über die Diskussion der formalen Qualitäten der aufwendigen Inszenierung bis hin zu Siegfried Kracauers berühmtem Verdikt in seiner einflussreichen Studie Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (1947), in der er Langs Zukunftsmärchen als protofaschistische Allegorie analysiert. Dabei widmet sich Kracauer insbesondere dem «Ornament der Masse», das in Metropolis durch die geometrisch choreographierten Aufmärsche der gewaltigen Komparserie in Erscheinung tritt. Für Kracauer sind diese entindividualisierten Massenszenen nicht zuletzt Manifestationen totalitärer Demagogie, wobei der Text auch auf die nationalsozialistischen Parteitagsinszenierungen der 30er Jahre rekurriert.
Auch die Coda des Films wurde zum Gegenstand verschiedener Interpretationen: War einigen Kritikern die abschließende Versöhnung zwischen Herrschenden und Arbeitern unter der Federführung von Brigitte Helms Maria und Gustav Fröhlichs Freder zuvorderst Beleg für einen naiven, letztlich weltfremden Symbolismus, so sahen andere im Ende von Metropolis eine anti-demokratische Apologie des Führerprinzips. Entsprechend unterschiedlich fielen die Deutungen der eingeblendeten Schlusssentenz «Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein» aus.
Mythos Metropolis
Gerade diese Uneinigkeit in der Rezeption ist ein wirkender Teil der andauernden Faszination, die von Metropolis ausgeht. 2001 nahm der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser in seinem Buch Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang die wechselvolle Wirkungsgeschichte des Werks zum Anlass für eine ebenso assoziative wie zwingende Spurensuche, die den Ursprung sowie die popkulturellen Neudeutungen des Mythos Metropolis beleuchtet.
Elsaesser sieht den Film als Produkt der «Buchstabensuppe der Avantgarde», gleichsam konstruiert aus Zitaten, Anspielungen und Anleihen aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte der frühen Moderne: «Tatsächlich lag der Sinn dieser internationalen Superproduktion darin, ein Werk mit Wiedererkennungswert zu schaffen, das verschiedene Arten des kulturellen Gedächtnisses berührte und auch Ur-Szenen der Fantasie ansprach, während es eine Erfahrung bot, bei der das Auge sieht, was der Kopf nur selten zu verstehen sucht.»
Den Wiedererkennungswert hat Metropolis bis heute vor allem dank seiner unverwechselbaren Ikonographie bewahrt, denn ungeachtet der enttäuschenden Einspielergebnisse und eher zurückhaltenden Kritiken setzte der Film technische und ästhetische Maßstäbe. Die Filmarchitekten sowie die Kameraleute schufen für die an materiellen Superlativen reiche Großproduktion einen stilbildenden Look, der zum festen Bestandteil der internationalen Filmsprache und -geschichte wurde. Über die Jahrzehnte hat sich das Design von Metropolis sogar im visuellen Gedächtnis derer verankert, die den Film noch nie gesehen haben. Denn seit dem Erscheinen von Metropolis hat sich die Medienproduktion immer wieder in Rückgriffen auf Langs Zukunftsvision geübt.
Die stilbildende Stadt-Maschine
Wo immer in einem Science-Fiction-Film die «Stadt der Zukunft» visualisiert wird, wird fast zwangsläufig die himmelgreifende «Oberwelt»-Architektur aus Metropolis bemüht. Bei Lang sind Bauten und Maschinen jedoch mehr als nur Kulisse, sie sind mit charakterähnlichen Eigenschaften versehene Bedeutungsträger. So fand der urbane Organismus Metropolis in den Großstadtgemälden des amerikanischen Film-Noir der 40er Jahre seine psychologisch und stilistisch konsequenten Nachfahren. Und später trieb die Fusion aus Science-Fiction und Noir in Ridley Scotts Blade Runner (1982) den an Metropolis gemahnenden Retro-Futurismus auf eine vorläufige Spitze. Noch viel eindeutiger lässt sich natürlich der Einfluss des Roboters Maria nachzeichnen, dessen goldene Gestalt zu einer Ikone der Popkultur wurde. Kaum ein Bericht über Roboter, Maschinenmenschen und künstliche Intelligenzen verzichtet auf eine Illustration mit der Kunstfigur des Bildhauers Walter Schultze-Mittendorf – sie lebt fort als Prototyp der beseelten Mechanik, dessen Design die Vorstellung vom artifiziellen Ebenbild des Menschen auf Dauer geprägt hat.
Fluchtpunkt der Postmoderne
Angesichts der formal-ästhetischen Suggestivkraft von Metropolis wundert es nicht, dass der Kino-Mythos auch neue Adaptionen und Hommagen hervorbringt. Vom Superman-Comic – dessen Heimatstadt nicht umsonst Metropolis heißt –, über Videoclips bis zum Bühnenmusical reicht die Palette der kulturellen Weiterverarbeitung des Stoffs. Auch im Kino erwachte die Metropole zu neuem Leben. Am kontroversesten diskutiert wurde jedoch die Neufassung, die der italienische Popkomponist Giorgio Moroder 1984 veröffentlichte. In seiner kolorierten und auf 87 Minuten gekürzten Version sind die Bilder Langs mit Popmusik unterlegt. Die Kritik fand größtenteils wenig Gefallen an dieser postmodernen Aneignung eines Klassikers, wobei Moroders Experiment gleichwohl die Auseinandersetzung mit dem «Original» beförderte. Der Begriff «Original» ist hier jedoch schon selbst durchaus fragwürdig, da die ursprüngliche Fassung von Metropolis nicht mehr existent ist. Bereits nach seiner Uraufführung wurde der Film verändert, gekürzt – bisweilen verstümmelt – und in alle Welt verstreut.
Rekonstruktion einer Utopie
Der Filmhistoriker Enno Patalas zeichnete als Leiter des Filmmuseums München verantwortlich für die erste umfassende Rekonstruktion von Metropolis in den 1980er Jahren. Über die aufwendigen Arbeiten und Recherchen berichtet sein Buch Metropolis in / aus Trümmern. Eine Filmgeschichte. Patalas geht davon aus, dass ursprünglich drei Originalnegative gezogen und montiert wurden: eins für die deutsche Premierenfassung, eins für die Paramount (den amerikanischen Partner der Ufa) und eins für den Export in andere Länder. Alle späteren Kopien und natürlich auch restaurierten Fassungen stammten daher von diesen drei Originalnegativen ab.
Während Patalas für die Münchner Fassung das Ufa-Originalnegativ verwendete, orientierten sich Martin Koerber und sein Team bei ihrer späteren Rekonstruktion des Films – von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Auftrag gegeben, in Kooperation mit den Partnern im Kinematheksverbund realisiert und schließlich auf der Berlinale 2001 uraufgeführt – zwar an Patalas’ grundlegender Arbeit. Jedoch griffen sie in der Auswahl des Ausgangsmaterials möglichst auf das Paramount-Originalnegativ aus dem Bestand des Bundesfilmarchivs zurück.
Abseits ihrer Unterschiede unterstreichen beide Rekonstruktionen den Stellenwert, den Metropolis auch im Selbstverständnis der deutschen Filmgeschichtsschreibung einnimmt. Dass er während seines ursprünglichen Kinoeinsatzes in Berlin vom 10. Januar bis zum 13. Mai 1927 lediglich um die 15 000 Besucher zählte, erscheint heute angesichts der weltweiten Präsenz und Bedeutung des Films eher unwirklich. Denn auch nach fast 80 Jahren bleibt Metropolis für Millionen die Stadt von Morgen.
Die Neuentdeckung von Metropolis
2008 wurde in Buenos Aires eine Kopie einer Langfassung von Metropolis entdeckt, darin Szenen, die seit fast 80 Jahren als verschollen galten. Nachdem der Film von den Experten begutachtet wurde, steht fest: Der Fund aus Buenos Aires ist ein echter Schatz, eine Weltsensation. Metropolis, der bedeutendste Stummfilm der deutschen Geschichte, darf seit diesem Tag als wiederentdeckt gelten.
Helmut Possmann, Vorstand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, der Rechtinhaberin von Metropolis, sagte: «Das bisher verschollen geglaubte Material führt zu einem neuen Verständnis des Meisterwerks von Fritz Lang.» Die Murnau-Stiftung sieht sich nun «in der Verantwortung, das Material zusammen mit dem Archiv in Buenos Aires und unseren Partnern der Öffentlichkeit zugänglich zu machen».
Das wiederentdeckte Material ist nach 80 Jahren in einem renovierungsbedürftigen Zustand, die Bilder sind zwar zerkratzt, aber deutlich erkennbar. Martin Koerber, Restaurator der bislang völlständigsten bekannten Fassung von Metropolis, der die Szenen ebenfalls begutachtete, sagte: «Egal wie schlecht der Zustand des Materials sein mag, wird jetzt auch für den normalen Zuschauer die ursprüngliche Intention des Films mit allen Nebenfiguren und Nebenhandlungen wieder erfahrbar. Der Rhythmus des Films wird wiederhergestellt.»
Und vielleicht haben die Kratzer, die vermutlich auch nach der Restaurierung bleiben werden, einen Vorteil: Der Kinogänger wird daran erinnert, welche aufregende Vergangenheit dieser große Film hat.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.filmportal.de/
http://www.zeit.de