Sonderthema
M – Eine Stadt sucht einen Mörder
Der Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) von Fritz Lang zählt zu den bedeutendsten Werken des deutschen Films. Im geschichtlichen Rückblick erweist er sich als treffendes Abbild der vom erstarkenden Nationalsozialismus in Frage gestellten Weimarer Republik. Als eine der ersten deutschen Tonfilmproduktionen schöpfte er die Möglichkeiten dieses neuen Mediums aus.
Handlung des Films
Ein unbekannter Kindermörder versetzt die Bewohner einer Großstadt in Schrecken und Hysterie, sodass sowohl die Polizei als auch die Unterwelt seine Verfolgung aufnehmen. Er hat bereits mehrere Kinder umgebracht; eine hohe Belohnung ist ausgesetzt.
Eine Mutter in einer Arbeiterwohnsiedlung wartet ungeduldig auf die Rückkehr ihrer Tochter aus der Schule, die sich aber von einem nicht gezeigten Unbekannten mittels Süßigkeiten verschleppen lässt. Als man die Leiche findet, intensiviert die Polizei ihre Anstrengungen, ohne eine vielversprechende Spur zu finden. Die polizeilichen Aktionen vermindern die Nervosität der Bevölkerung nicht, zumal sie wirkungslos bleiben. Die Bürger steigern sich in gegenseitige Verdächtigungen und anonyme Anzeigen, was die Anspannung und Übermüdung der Polizeibeamten weiter verschlimmert.
Die ständigen Razzien und Kontrollen behindern aber die kriminellen Banden bei ihrem «Geschäft». Daher beschließen sie unter Führung des Schränkers, selbst nach dem Mörder zu suchen, und spannen dafür auch das Netz der Bettler ein. Der Mörder wird von einem blinden Ballonverkäufer erkannt, auf dessen Hinweis hin von einem «Kollegen» mit einem «M» auf dem Mantel markiert und flüchtet in ein Bürogebäude, das die Kriminellen umstellen. Unter Einsatz von Einbruchswerkzeug durchsuchen sie das Haus und bringen den gefangenen Kindermörder in eine stillgelegte Fabrik. Dort ist die gesamte Halb- und Unterwelt versammelt und macht ihm einen makabren Prozess. Dabei drückt er verzweifelt seine Selbstentfremdung und innere Spaltung aus: «Immer muss ich durch Straßen gehen, und immer spür ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber! … Manchmal ist mir, als ob ich selbst hinter mir herliefe! Ich will davon, vor mir selber davonlaufen, aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen! … Wenn ich’s tue, dann weiß ich von nichts mehr … Dann stehe ich vor einem Plakat und lese, was ich getan habe. Das habe ich getan?»
Kriminalkommissar Lohmann erreicht den Ort in letzter Minute und verhindert, dass das Tribunal den Mörder lyncht. Allerdings wird dieser dann von einem Gericht für schuldig befunden und zum Tode verurteilt, die Vollstreckung selbst wird aber nicht gezeigt. In der im Jahre 2002 überarbeiteten Fassung ist das Urteil nicht zu sehen. Der Film endet mit einer Einstellung der Mutter vom Anfang des Films, die sagt, dies bringe ihr ihre Tochter auch nicht zurück und man müsse einfach besser auf die Kinder aufpassen.
Drehbuchentwicklung
Durch die gewohnheitsmäßige intensive Zeitungslektüre wurden Lang und Thea von Harbou auf eine Reihe schwerer Gewaltverbrechen aufmerksam, die sich damals in Deutschland häuften. Den stärksten Eingang in die Handlung gefunden hat der Fall des Serienmörders Peter Kürten, auch bekannt als der «Vampir von Düsseldorf». Kürten wurde im Mai 1930, nach Fertigstellung des Drehbuchs, verhaftet; sein Prozess fand unter enormer Medienaufmerksamkeit statt. Drei Wochen nach dem Todesurteil hatte M Premiere. Andere Fälle, die als Vorlage gedient hatten, lagen schon länger zurück.
Fritz Lang und Thea von Harbou recherchierten für das Drehbuch ausgiebig in Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken und trafen Triebtäter. Lang verfügte zudem über Kontakte zur Berliner Kriminalpolizei und deren Mordkommission und konnte in die Akten authentischer Fälle Einsicht nehmen. Mit der Figur des unkonventionellen Kriminalkommissars Karl Lohmann setzte Lang dem berühmten Berliner Kriminalbeamten Ernst Gennat (1880–1939) ein Denkmal, der auch im Fall Kürten ermittelt hatte.
Uraufführungsplakat
des Films
Formale Mittel
Nach seinen aufwendigen Spektakeln ab Mitte der 1920er Jahre – den großen «Schinken» in seinen Worten – wollte sich Fritz Lang dem Menschen zuwenden, intimer werden, tiefer in die Psychologie der Figuren gehen. Es heißt von ihm, dass er mit Der müde Tod, Dr. Mabuse und den Nibelungen bis 1924 die Filmästhetik kühn entwickelt, doch anschließend, in einer künstlerischen Sackgasse, nur noch brillante Routineunterhaltung produziert habe.
Trotz Langs Hinwendung zur Psychologie steht M jenseits von Moral, Sympathie und Antipathie. Das eigentliche Subjekt des Films ist nicht eine der Figuren, sondern der Ablauf, die Gesetzmäßigkeiten des kollektiven Handelns von Gesellschaftsgruppen, der Stadt.
Peter Lorre, der wie Fritz Lang aus Wien stammte und in Berlin lebte, war bereits ein bekannter Theaterdarsteller, aber noch nicht beim Film etabliert. Seine darstellerische Leistung trägt zum Rang des Werks bei; er habe «das definitive filmische Porträt eines Triebtäters geschaffen». Die Rolle brachte seiner Filmkarriere zwar den Durchbruch, legte ihn aber auch für lange Zeit auf diesen Typus fest. Auch Gustaf Gründgens war schon als Bühnendarsteller berühmt, als er kurz vor Drehbeginn für M verpflichtet wurde. Dass er den Schränker mit eiskalter Präzision spielt, passt zum Charakter der Figur. Positiv wird auch Otto Wernicke kritisiert, der den Kommissar Lohmann gibt: Pragmatisch und rational ist dieser Kommissar angelegt, der obendrein durch körperliche Wucht Respekt einflößt. Es sind nicht mehr Intuition und Genialität, die ein Verbrechen aufklären, sondern handfeste Kleinarbeit und rationale Überlegung.
M gleitet souverän durch mehrere Genres. Zunächst ein sozialrealistisches Proletarierdrama, schildert der Film daraufhin fast dokumentarisch die Polizeiarbeit. Es folgt eine Satire auf die hysterische Angst der Bürger, ihr Denunziantentum und ihre Lynchlust. Als sich die Jagd auf den erkannten Mörder konkretisiert, wird der Film zum Thriller, und entsprechend den Gesetzmäßigkeiten dieses Genres wechselt die Teilhabe des Publikums auf die Seite des Verfolgten. Den Endteil bildet ein absurdes Gerichtsdrama.
Fritz Lang wandte sich entschieden gegen einen naturalistischen Einsatz des Tons im aufkommenden Tonfilm, gegen seine Verwendung zur Steigerung des Realitätseindrucks. M stellte einen ersten filmtonlichen Höhepunkt dar. Lang glückte, woran viele andere in der schwierigen Übergangszeit zum Tonfilm versagten, da er den Ton zur Verbesserung des aus der Stummfilmzeit stammenden kinematografischen Stils einsetzte und nicht etwa zu dessen Ersetzung. Es gibt längere Momente geisterhafter Stille, die der nächste Toneffekt jäh unterbricht. So fahren in einer Szene ohne Geräusch erst die Ganoven, danach die Polizei in Wagen vor, und erst ein schriller Polizeipfiff lässt die Unterwelt tumulthaft das Weite suchen.
Das leitmotivisch eingesetzte Pfeifen aus Griegs Peer-Gynt-Suite kündigt jeweils eine neue Bedrohung an. Lang zufolge stammt das Pfeifen von ihm selbst – es verfehle die Melodie, aber das passe zum abseitigen Geist des Mörders. Bis auf das Pfeifen verzichtet M völlig auf Filmmusik, und der minimalistische Einsatz des Leitmotivs entfaltet so noch stärker seine dramatische Wirkung.
Die Konferenzen der Polizei und der Verbrecher werden durch akustische wie optische Parallelmontagen miteinander verbunden. Manchen Satz, der bei der Polizei begonnen wird, spricht ein Verbrecher zu Ende, oder umgekehrt. So erscheint das Handeln zweier Systeme gleichgerichtet, die eigentlich gegeneinander handeln müssten.
Deutungen
Die Figur des Kindermörders ist eine unfreie, ihren kranken Impulsen ausgelieferte, infantile und verletzliche Gestalt, «ein Nachfahr der Schlafwandler, geteilten Persönlichkeiten und menschlichen Marionetten» aus den expressionistischen deutschen Stummfilmen.
M zeichnet kompakt und Details verdichtend die Struktur der Gesellschaft. Polizei und Verbrecher sind zwei Organisationen, die ebenso ihre Machtbereiche gegeneinander abstecken, wie sie sich gegenseitig bedingen und deren Vorgehen sich ähnelt. Die polizeiliche Fahndung erfolgt teilweise mittels Täuschungen. Eine Polizei, die sich ihre Ordnungsaufgabe durch die Kriminellen streitig machen lässt, ist aber auch ein Abbild der Situation in der Weimarer Republik, in der die Nazis die schwachen Institutionen herausfordern. Die Wühlarbeit im Bürogebäude entspricht der Unterwanderung des Staates mit dem Versprechen, «wieder geordnete Verhältnisse» zu schaffen.
Lang nimmt Stellung für die rechtsstaatlichen Regeln und gegen populistische Lynchjustiz. Die Gerichtsverhandlung ist eine Farce, das Urteil steht wie bei den später von den Nazis eingeführten Volksgerichtshöfen schon vorher fest: «Hier kommst du nicht mehr raus. … Unschädlich bist du nur, wenn du tot bist.»
Auch warnt Lang zum Schluss mit dem Ausruf einer Mutter vor der Zukunft. «Man muss eben noch besser auf die Kinder achtgeben … Ihr!» Damit ruft Fritz Lang zur Vorsicht gegenüber dem die Republik zersetzenden Nationalsozialismus auf und mahnt, dass die junge Republik (Kinder) besser beschützt werden muss. Dabei werden alle Menschen (Ihr) aufgefordert, die Demokratie zu schützen.
Fritz Lang ist klarsichtig über das sich allmählich offenbarende Wesen der Nazis, wie auch über den Zustand von Staat und Volk nach Eintreten der Weltwirtschaftskrise. Lang selbst nannte als Hauptthemen von M die Beweggründe von Serienmördern, «das Für und Wider der Todesstrafe» und eine Stellungnahme gegen die Todesstrafe.
Peter Lorre als Hans Beckert
Ausdruck der Kriegshysterie
Der Gründer der Filmsoziologie Siegfried Kracauer beschreibt die Hauptfigur des Films als «regressiven Rebellen», der die kollektive Gefühlswelt der Gesellschaft mit ihrer Angsterfahrung aus dem Ersten Weltkrieg darstellt, die sich nun einer nationalsozialistischen Ordnung unterwirft und in ihr eine «beschützende Autorität» sucht. Der Film schwenkt ständig, so Kracauer, zwischen «den Vorstellungen von Anarchie und autoritärer Ordnung hin und her».
Zahlreiche Filmkritiker sehen im Film Verweise auf faschistische Reaktionen auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und die Unfähigkeit, die Kriegshysterie zu verarbeiten. Der Film sei ein historischer Beleg für eine «Essenz» der damaligen Zeit und ihrer Todesangst als Erfahrung aus dem Krieg.
Filmgeschichtliche Bedeutung des Werks
Gemäß «Positif», einer der führenden französischen Filmfachzeitschriften, ist M als Scharnier zwischen Langs nachexpressionistischen Stummfilmen und seinen kühlen, nüchternen, neoexpressionistischen Hollywood-Produktionen «das absolute Meisterwerk, von allen anerkannt, der große Pflichtklassiker, der Schulstoff, Bild für Bild untersucht». Oft greift man bei M zu Superlativen. Es sei «der beste deutsche Kriminalfilm» oder «auf jeden Fall einer der wenigen unabkömmlichen Filme der modernen Zeit». 1994 gab die Stiftung Deutsche Kinemathek als Ergebnis einer Umfrage unter Filmsachverständigen bekannt, dass M das wichtigste Werk der deutschen Filmgeschichte sei. 2003 erstellte die Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit zahlreichen Filmschaffenden einen Filmkanon mit 35 Werken für die Arbeit an Schulen und nahm M in diese Liste auf.
Der Text ist entnommen aus:
http://de.wikipedia.org