Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №24/2009

Sonderthema

Samuel Fischer
Zum 150. Geburtstag des Verlegers

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Gedenktafel am Haus Erdener Straße 8, in Berlin-Grunewald

«Ein erfahrener Kenner der Buchmacherey wird als Verleger nicht erst darauf warten, dass ihm von schreibseligen, allezeit fertigen Schriftstellern ihre eigene Ware zum Verkauf angeboten wird; er sinnt sich, als Direktor einer Fabrik, die Materie sowohl als die Façon aus, welche mutmaßlich die größte Nachfrage oder allenfalls auch nur die schnellste Abnahme haben wird.»

Sehr freundlich klingt das nicht: «schreibselige Schriftsteller», aber es stammt aus einer prominenten Feder: Über die Buchmacherey nannte Immanuel Kant seine Schrift und wiederholte eigentlich nur, was schon acht Jahre zuvor, 1790, der Berliner Verleger und Buchhändler Christoph Friedrich Nicolai geschrieben hatte: «Es gibt sehr viele Schriften, wo der Verleger selbst eine Idee hat und zu dieser Idee sich des Schriftstellers nur als eines Werkzeuges bedient, und wo es immer von ihm abhängt, durch wen er diese Ideen ausführen lässt.

Ich versichere gewiss, dass eine große Menge gemeinnütziger Bücher durch die Buchhändler entstanden sind, welche gemeiniglich besser wissen, was das Publikum verlangt, als die Schriftsteller.»
Also der Verleger, der Buchhersteller als der eigentliche Schöpfer und Verursacher von Literatur? So dürfte das nicht gemeint gewesen sein, von «Kunst» ist hier bei den beiden nicht unbedingt die Rede, es geht mehr um den Verkauf der «Ware» Druck­erzeugnis, so wie sie das Publikum gerne hätte: Leicht konsumierbar bitteschön! Dem Sprachgebrauch nach gab es übrigens noch andere «Verleger». Verleger, das waren Unternehmer, die auf der Basis ihrer Kenntnisse des Marktes nach eigenen Vorstellungen, vornehmlich in Heimarbeit, Halb- oder Fertigfabrikate herstellen ließen und dafür in Form von Rohstoffen oder Kapital die Vorlage oder den «Verlag» zur Verfügung stellten. So gab es bis vor gar nicht langer Zeit zum Beispiel Bierverleger oder Spielwarenverleger, übrig geblieben und weiterentwickelt hat sich nur der Buchverleger. Der «Heimwerker»-Schriftsteller liefert ihm Halb- oder Fertigprodukte, die der Verleger, oft gegen Vorschuss, druckt, also fertigstellt und vertreibt. Dieser kleine Exkurs sollte nur darauf hinweisen, dass ein Verlag ein Wirtschaftsunternehmen ist, das sich nach Gusto mit Kunst beschäftigen kann, aber nicht muss.
Samuel Fischer hatte aber schnell begriffen, wie man Kunst und Kommerz zusammenbringt. Mit klaren Vorstellungen und der Lust an ihrer Umsetzung auch gegen Widerstände legte er einen Blitzstart als Verleger hin, der ihn schnell zu einer festen Größe in seinem Gewerbe machte. Ein paar Details seines Aufstiegs sollen hier stellvertretend für sein ganzes Leben und Wirken erzählt werden. Eigensinn war wohl der Schlüssel zu seinem Erfolg, ganz wörtlich genommen: Eigener Sinn!
Der Dichter schafft nicht für das Bedürfnis des Publikums. Je eigener und eigensinniger seine Natur sich äußert, umso schwerer wird er sich deutlich und verständlich machen können. Dem Publikum neue Werte aufzudrängen, die es nicht will, ist die wichtigste und schönste Mission des Verlegers.
Welch ein Unterschied zu den am puren Bedarf angepassten Meinungen Kants und Nicolais! Der Verleger als Mitstreiter, eigensinniger und wohl auch ein bisschen eigennütziger Begleiter des Schriftstellers.
Samuel Fischer wurde zu Weihnachten 1859 in Sankt Nikolaus in der Liptau in Oberungarn geboren. Der Ort hat 800 jüdische, 700 evangelische und 200 katholische Einwohner, der Vater ist Kaufmann. 1867 ist vielleicht ein bestimmendes Jahr in der Berufswahl von S. Fischer – er nannte und schrieb sich selbst niemals mit Vornamen –, denn da wurden in Deutschland durch Bundesbeschluss die Verlagsrechte aller Autoren aufgehoben, die seit mehr als 30 Jahren tot waren.
Die Werke der Klassiker erscheinen ganz schnell in Billigausgaben auf dem Markt und füllen auch eine Bücherwand im Hause Fischer. Freunde sagen später, Fischers Vorliebe für Gesamtausgaben rühre von der Erinnerung an Vaters gut gefüllte Bücherwand. S. Fischer besucht ein paar Jahre das private jüdische Gymnasium in Sankt Nikolaus und geht dann, 1874, nach Wien, um eine Buchhändlerlehre anzutreten. 1880 übersiedelt er dann, zwanzigjährig, als Buchhändlersgehilfe nach Berlin, in die Centralbuchhandlung von Hugo Steinitz, der nebenbei einen kleinen Kommissionsverlag betreibt. Im Februar 1883 wird Fischer Teilhaber: Man verlegt nicht etwa Literatur, es erscheinen Fachzeitschriften, Kursbücher, Reiseführer, Witzblätter, alles gegen Vorkasse. Am 1. September 1886 teilen sich Steinitz und Fischer den Laden, Fischer macht sich als Buchhändler und Verleger selbstständig und nimmt auch ein paar der Steinitz-Titel mit. Nun hat Fischer seinen eigenen Verlag, er ist gerade 26 Jahre alt und besitzt 10 000 Mark als Startkapital.
Was macht man mit ganzen 10 000 Mark als Verleger? Die Buchhändler rechnen nur einmal im Jahr ab, zur Osterbuchmesse in Leipzig. Der Jungunternehmer Fischer muss also Produktionskosten und Honorare für ein Jahr vorfinanzieren, dazu noch die Anlaufkosten der Produktion des zweiten Jahres. Schätzt er den Markt richtig ein und wie sieht der aus? In Frankreich macht Émile Zola mit seinen sozialkritischen Romanen Furore, in Russland sprengen Dostojewski und Tolstoi alle Grenzen der Erbauungsliteratur. Aus Skandinavien kommen Ibsens Dramen, und in Deutschland?
Schaumschlägerei und Unter­hal­tungsliteratur in Riesenauflagen nach dem euphorischen Taumel der Reichsgründung. Die Marlitt darf sogar einen ihrer Kitschromane mit einer Widmung an den Kaiser versehen. Was soll da Fischer?
Die Jugend regt sich vorerst nur in ihrer Kraft und ohne Ziel. Nur so viel wusste sie, dass sie das epigonenhafte Nachahmen als ein Zerrbild echter Tradition verwerfen müsste. Es kam hinzu, dass die zur Herrschaft des Tages berufene Produktion von ungewöhnlicher Seichtheit und Anmaßung war.
Der gleiche unkünstlerische Amüsierbetrieb im Theater. Otto Brahm, Kritiker und Theatermacher in Berlin, später Fischers Freund: «Es war die Zeit nach dem Deutsch-Französischen Kriege, die Zeit des Milliardensegens und des Gründungstaumels, wo in der werdenden Weltstadt ein bequemes und seichtes Genießen des Errungenen auch auf der Bühne seinen Ausdruck suchte. Man amüsierte sich in Operetten, die ihre Glanzzeit im Friedrich-Wilhelm-Städtischen Theater erlebte.
Man lachte über die Späße im Wallnertheater, man erfuhr im Kleinen Residenztheater mit gebührender Spannung Sensationen der Dumas und Sardous, und man fand auch im Königlichen Schauspielhaus ein gemäßigtes Behagen an den heimischen Nachahmern der Franzosen, die eine deutsche Salonwelt uns vorzugaukeln wünschten, welche niemals existiert hatte.»
Fischers Buch-Lädchen in der Friedrichstraße ist gut sortiert, das interessierte Publikum findet die Neuheiten aus Russland, Frankreich und Skandinavien, man trifft sich bei S. Fischer, und sei’s, um zu diskutieren.
«Wir unterhielten uns, wie es selbstverständlich war, sehr viel über die Probleme der neuen Literatur. Man wollte nichts mehr von gestern wissen, man wollte endgültig sich von abgelebten romantischen Idealen freimachen und versuchen, die lebendige Gegenwart künstlerisch zu gestalten. Der Alltag, vor allem der soziale Alltag, und der moderne Mensch und seine psychologischen Probleme, das waren die neuen Erlebnisse einer neuen Dichtergeneration.»
So weit so gut! Aber Fischer hat ja auch einen Verlag, was macht er, geht er aufs Ganze? Sechs Titel kann er sich gerade für das erste Programm leisten! Als erstes Werk mit dem Impressum S. Fischer Verlag erscheint Ibsens Rosmersholm am 18. Januar 1887.
Es folgt Ibsens Wildente. Im zweiten Vierteljahr kommt Émile Zolas Drama Therese Raquin heraus, und der Novellenband Maurus Jokai’s Decamerone. Im August schließlich das Drama Die Macht der Finsternis von Tolstoi und dann wieder ein Novellenband eines Senior Domino: Der Cirkus und die Cirkuswelt. Kurios, aber doch wohldurchdacht dieser Kurs zwischen Kunst, Wagnis und Kommerz. Fischer weiß ganz genau: Die Buchhändler werden seinen Verlag nur unterstützen, wenn er ihnen mit leichter Kost auch etwas zum Verdienen gibt, er selber kann ein paar Einnahmen auch gut gebrauchen, denn mit 10 000 Mark kann man als Unternehmer keine Bäume ausreißen. Die eigentliche Sensation aber, das absolute Wagnis Fischers: Kein einziger Roman, nur zwei Novellen und dafür vier Dramen. Dabei kennt Fischer sicher den Brief, den sein Leipziger Verleger-Kollege Friedrich Mitte 1886 an seinen Autor Detlef von Liliencron geschrieben hat: «Verehrtester! Machen Sie sich doch mal die Sachlage mit Gedichten, Dramen in Deutschland recht klar. Letztere haben als Buchausgabe überhaupt noch niemals Erfolg gehabt, selbst wenn die Stücke über alle Bühnen gehen, kauft der deutsche Michel sich doch keine Dramen. Wer heute Geld verdienen will, muss verkäufliche Ware auf Lager haben, aber mit Dramen und Gedichten ist als unverkäuflicher Ware kein Geld zu verdienen. In der Prosa liegt die Poesie des Geldes! Schreiben Sie Prosa und jedes Honorar wird von mir bezahlt!»
Fischer setzt auf das Theater! Auch wenn hier neben dem Buchverkauf nicht viel zu verdienen ist, denn die Bühnenrechte liegen alle bei speziellen Theaterverlagen. Aber: Für Fischer und seine Kunden im Laden steht fest: Die Erneuerung der Literatur in Deutschland wird vom Theater her kommen, nur Geduld muss man eben als Geschäftsmann haben und nicht aus falscher Eile aufs falsche Pferd setzen.
Verlegeralltag, Verlegerweisheit: «Die Tätigkeit des Verlegers ist praktisch, und doch auch nicht praktisch; sie ist ideell, und doch auch nicht ideell; sie bedarf der Initiative und ist doch darauf gestellt, zu warten. Was hilft es, gute Bücher verlegen zu wollen, wenn nicht gute Bücher geschrieben werden!»
Fischer lässt in Warteschleife Dostojewski übersetzen. Das ist verhältnismäßig einfach damals, denn Russen und Skandinavier sind in ihrem Urheberrecht noch nicht durch die Berner Konvention geschützt. Jeder im Ausland kann sie übersetzen, im Original nachdrucken, gezahlt werden muss nicht. Auf dem Übersetzermarkt herrscht drum ein ungeheurer Trubel, jeder Verlag versucht schnell sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, Fischer inklusive. Sein Übersetzer bekommt einen knallharten Vertrag. Beginnend mit dem Idioten hat er in sechs Monaten ... «die Ablieferung des Manuskriptes bei einer Konventionalstrafe von Mark 500 in der Weise zu bewirken, dass Der Spieler im Januar 1888, Der Doppelgänger im März 1888 im druckfertigen Manuskript in die Hände des Verlegers gelangt».
Kein Vorschuss, kein Geld bei Ablieferung, eine Mark pro verkauftes Exemplar, Abrechnung vierteljährlich. Bekämen die Erben Dostojewskis auch ein bisschen Geld, müsste der Übersetzer sein Honorar mit ihnen teilen. Aber so, ohne Berner Konvention ...
Dass Ibsens Gespenster über Jahre in Deutschland nicht gespielt wurden, lag aber nicht an der Berner Konvention, auch nicht an den vielen grassierenden schlechten Übersetzungen, es lag auch am Geschmack der Philister, unterstützt durch die Zensur.
Aber eben das gehört zu den Glücksfällen von Fischers Verlagslaufbahn: Ganz an ihrem Anfang erlaubte die Berliner Zensur eine einzige Vorstellung der Gespenster und der Erfolg dürfte ihn sicher auch bewogen haben, auf die Moderne zu setzen. Otto Brahm über die denkwürdige Gespenster-Vorstellung: «Am ersten Akt brach das bis dahin in tiefster Aufmerksamkeit gewandte Publikum in einen Beifallssturm, so spontan und gewaltig, dass Ibsen wohl ein Dutzend Mal vor der Rampe erschien. Wir hatten das Gefühl, jetzt ist gewonnen. Jetzt sind die Dämme durchbrochen, die Konventionen und Vorurteile vor diesem Riesen aufgetan hatten, alle Perücken wackelten, auch die freiesten Geister waren erschreckt durch diese Revolte in der Ästhetik; und so hatte man nach jenem Goethewort den Offizieren und den Mannschaften, den Ahnungslosen wie den Ahnungsvollen, wieder einmal zurufen dürfen: ‹Von hier und heute fängt eine neue Epoche der Literaturgeschichte an, und ihr dürft sagen, ihr seid dabei gewesen.›»

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Familiengrab in Weißensee

Dabei gewesen war auch Fischer, aber noch einer, der den Verlag S. Fischer sehr bald zu einem Fixstern am Verlegerhimmel machen sollte, seinen endgültigen Aufstieg an die Spitze besiegeln. Otto Brahm erinnert sich: «In der Schar der Gläubigen, die gekommen waren, Gespenster zu schauen, verweilte auch an jenem Sonntagmorgen des Januar 1887, still und uns allen unbekannt, ein junger blonder Poet; er sah in seinem Seminaristenrock bartlos und milde aus und empfing von dem ganzen großen Werk einen unauslöschlichen Eindruck. So trafen sich, einander noch fremd, schon diejenigen im Zeichen Ibsens, die von verschiedenen Seiten nach gleichen Zielen aufmarschierten: Gerhart Hauptmann und die künftigen Freie-Bühne-Männer.»
Der Erfolg der Gespenster, Fischer hatte sich zehn Tage nach der Vorstellung dazu entschlossen, Ibsen zu verlegen, machte Appetit auf mehr. Die sture preußische Zensur war aber nur durch einen Trick zu überwinden: Privatvorstellungen! Man musste einen Verein gründen, für dessen Mitglieder man dann professionell Theater spielen konnte, ohne Eingriff des Zensors, weil die Vorstellungen ja «nicht öffentlich» waren. Otto Brahm nahm das in die Hand, und im März 1889 schließlich stand das Gründungsprotokoll. Schatzmeister des Vereins: «S. Fischer, Verlagsbuchhändler». Am 29. September soll die Eröffnung der Freien Bühne stattfinden, mit Ibsens Gespenstern. Auch der weitere Spielplan stand schon fest, aber da passierte etwas, was alles veränderte. Brahm erhielt von einem ihm unbekannten Autor ein Stück zugeschickt. Er las es sogleich, der Vorstand der Freien Bühne ebenfalls, und der Schriftsteller Paul Schlenther, festes Mitglied des Vereins, erinnert sich: «Der Verein glaubte, ein starkes und ursprüngliches Talent der Reife und künstlerischen Selbstzucht näher führen zu können. Nicht die ästhetische und soziale Tendenz des außergewöhnlichen Stücks, sein schrankenloser, noch schlackenreicher Naturalismus und sein schwer durchsichtiges Lebensprogramm sollte gelohnt werden, sondern der kühne Wagemut des Dichters, aller Konvention und aller Schablone gründlich zu entsagen, und der geniale Versuch, ein neues und volles Leben in dramatische Formen zu fassen.»
Schon nach kurzer Zeit konnte Brahm «Herrn Gerhart Hauptmann mitteilen, dass die Freie Bühne bereit sei, sein Stück darzustellen». Es hieß Vor Sonnenaufgang. Der Verleger Fischer wurde sanft, aber bestimmt mit seinem Schicksal zusammengebracht. Die Uraufführung fand am 20. Oktober 1889 statt.
Hauptmann wird sofort unter die ordentlichen Mitglieder des Vereins aufgenommen und ist von diesem Tag an berühmt und berüchtigt zugleich. Der Kampf pro und kontra Sonnenaufgang tobt noch wochenlang durch die Presse. Sehr zur Freude von Fischer, der sich bestätigt fühlt in seinen Erwartungen und Prognosen: Hier im Theater spielt sich das neue Leben ab, und diesen Gerhart Hauptmann muss er haben, allein! Zunächst geht es darum, der neuen Dramatik eine Stimme neben den konservativen Kulturzeitschriften zu schaffen, ein eigenes Blatt musste gegründet werden! «Freie Bühne für modernes Leben» soll es heißen, und es ist selbstverständlich, dass es in Fischers Verlag erscheint, bezahlt aus Fischers Kasse. Der hatte mit Hauptmann schon vereinbart, dass sein nächstes Stück Das Friedensfest in seinem Verlag erscheinen sollte, ein Vorabdruck davon in der neuen Zeitschrift. Aber jetzt zeigte sich das sperrige Geschäft des Verlegers: Hauptmann ziert sich: «Sehr geehrter Herr Fischer! Ich habe doch recht gehört? Sie rechneten mit mir von 1000 Exemplaren á eine Mark 50, zuerst 150 Mark, dann 300 Mark Honorar heraus! 300 Mark, das wären 20 Prozent, und dies ist der Satz, der für mich feststand, bevor ich zu Ihnen kam. Damit nun also keine Unklarheit besteht, teile ich Ihnen das hierdurch nochmals mit. Den Kontraktentwurf anlangend, welchen Sie mir in Aussicht stellten, bitte ich Sie, den Honorarsatz für den Abzug in der ‹Freien Bühne für modernes Leben› genau anzugeben. Ich habe darüber bis jetzt noch keinerlei Vorstellung. Bezüglich meiner künftigen Arbeiten möchte ich mich schließlich nach keiner Richtung hin binden. Es ist meiner ganzen Natur nach, geradezu unmöglich, eine lebenslange Verpflichtung einzugehen.»
Fischer gibt nach und schickt einen neuen Vertrag. Hauptmann ant­wortet: «Der mir von Ihnen übergebene Vertragsentwurf weicht in zwei wesentlichen Punkten von meinen Ihnen ausgedrückten Wünschen ab. Ich wiederhole deshalb nochmals, dass ich Ihnen erstens das Vorkaufsrecht nur in dem Sinne einräumen möchte, dass bei zwei gleichen Geboten Sie die Vorhand haben; zweitens, dass ich nicht darauf eingehen kann, 20 Prozent vom verkauften Exemplar zu beziehen, sondern vom gedruckten. Sie werden mir nicht verargen können, dass ich Forderungen an Sie stelle, von denen ich sicher weiß, dass sie anderwärts erfüllt würden.»
Das ist harte Kost für den Verleger Fischer! Hauptmann ist nicht bereit, mit ihm das Risiko zu teilen, er will garantierte Einnahmen, obwohl Fischer an den Bühnenrechten nichts verdient, weil die in einem anderen Verlag erscheinen. Es muss zu einer sehr bitteren Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen sein, denn am 28. Januar 1890 schreibt Hauptmann: «Sehr geehrter Herr Fischer! Sie haben mir mit verhältnismäßig großer Schnelligkeit den Stuhl vor die Tür gesetzt! Dass ich Ihnen neue und immer neue Bedingungen gemacht habe, entspricht nicht ganz den Tatsachen; ebenso wenig trifft die Behauptung, nach welcher ich eine Geschäftsverbindung mit Ihnen nicht wünschte, zu, wofür hätte ich denn sonst andere Anerbietungen abgelehnt?»
Die Meinungsverschiedenheit mit Gerhart Hauptmann wird zu einer entscheidenden Existenzfrage für Fischer. Seine Nase hatte ihm recht gegeben, als er auf die neue Literatur, den Naturalismus setzte. Nun muss er den ersten Naturalisten auch haben, darf ihn nicht an die Konkurrenz verlieren, wenn sich sein verlegerischer und künstlerischer Instinkt auch in klingende Münze umsetzen soll, wenn er in Berlin als Verleger die erste Geige spielen will.
Und er schafft es! Am 29. Januar erscheint die erste Ausgabe der neuen Zeitschrift mit dem Abdruck des ersten Aktes von Das Friedensfest. Irgendwie müssen sich die beiden geeinigt haben, es ist nicht überliefert, wie. Jedenfalls: Sie bleiben 40 Jahre diskutierend, Erfolge einheimsend und streitend beieinander, und später wird Hauptmann von einem Glücksfall reden: «Mir war das große Glück beschieden, Dich, lieber Fischer, zu finden bei meinem ersten jugendlichen Schritt in die Öffentlichkeit. Von da ab sind wir gemeinsam gegangen. Bis zu dieser Stunde besteht diese Gemeinsamkeit. Das ist eine Schicksalsfügung, für die ich im Innersten dankbar bin.»
Gut vier Jahre nach der Gründung seines Verlages ist Fischer, der ohne Beziehungen ankam, mit wenig Geld, ein einflussreicher Mann in der geistigen Hautevolée der Reichshauptstadt, und sein Einfluss wächst in dem Maße, wie die Avantgarde, wie Hauptmann, Ibsen und andere allmählich zu Klassikern der Moderne werden, überall gelesen und zensurfrei aufgeführt. Viele Dichter klopfen an Fischers Tür, später sehr bekannte Namen wie Schnitzler und Dehmel werden zunächst abgewiesen. Fischer ist nicht frei von Irrtümern, aber er übernimmt sich nie. Entscheidend ist für ihn: Wird der Mann ein Werk hervorbringen oder nur viele Bücher? Vielleicht besteht sein verlegerisches Genie gerade darin, das Buch als Ware und Kunstwerk zugleich zu betrachten und ganz nach Bedarf die Gewichtung zu verändern: Der unmessbare Wert des Buches weist ihm als gewerblichem Produkt auf dem Markt eine andere Stellung zu als jeder Ware, die einen materiell bestimmbaren Wert in sich trägt. Das Buch, das der Verleger druckt, ohne vorher feststellen zu können, wer es kaufen wird, passt nicht in das Handelsschema des Warenverkehrs. Die Verkehrsformen des Buchhandels mussten sich also nach anderen Grundsätzen ordnen, wie die des Warenhandels; der Buchhandel musste sich einen besonderen Markt schaffen, einen Markt für geistige Werte, der kulturbildende Kraft hat. Diesen Markt hat er organisiert.
Fischer gilt als Organisator eines kulturbildenden Marktes, als herausragende Figur des Bücherhandels um die Jahrhundertwende, ähnlich wie Cotta hundert Jahre zuvor als Verleger der Klassiker. Der «Cotta des Naturalismus» wird Fischer zu seiner Zeit genannt.
Aber er engagiert sich nicht wie sein «Vorgänger» politisch, hält sich im Gegenteil fern von Politik. Das hindert seine großen Autoren, allen voran Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Richard Dehmel, aber auch ihn selber nicht, zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges höchst Blutrünstiges von sich zu geben. Es hindert aber auch seine Autoren und Verlegerkollegen nicht, ihm zu seinem 70. Geburtstag 1929 in höchsten Tönen zu gratulieren, ohne dass es nach Schmeichelei klänge. Ernst Rowohlt: «In Fischers Katalogen blättern, heißt Literaturgeschichte lesen, nicht nur, weil die meisten seiner Autoren bereits wirklich in die Literaturgeschichte eingegangen sind, sondern weil man verwundert und bewundernd feststellen muss, dass dieser kluge Mann aktiv Literaturgeschichte trieb, wenn er bewusst und zielbewusst Jahr für Jahr Erstlingsbücher und für das große Publikum neue Autoren herausbrachte. Es gibt keinen Verleger in Deutschland, ich glaube keinen Verleger in der ganzen Welt, der in der Frist von 40 Jahren so viele unbekannte Dichter, der Kritiker muss hinzufügen, so viele gute Dichter bekannt gemacht hat, wie S. Fischer.»
Thomas Mann, frisch gekürter Nobelpreisträger: «Hier geschah es wirklich einmal, dass Verdienst und Glück sich auf jene lebensgeheimnisvolle Weise verketteten, die immer den Toren Anlass gibt, über das entscheidende Vorherrschen des einen oder anderen zu streiten, wobei sie es vorzugsweise natürlich mit dem Zweiten halten und mit dem Worte: ‹mehr Glück als Verstand›. Es glaube doch niemand, dass sich ein Werk, wie das dieses großen Verlegers, aufbauen lässt nur mithilfe des guten Glücks! Ich kenne die Zartheit und Verletzbarkeit eines Menschentums, das hat lernen müssen, in den Formen des trockenen und kalten Geschäftslebens sich seiner Haut zu wehren, vor allem aber durch große Leistungen sich gegen die Welt behauptete und sich vor ihr bewies.»
Fünf Jahre später, am 15. Oktober 1934, ist S. Fischer gestorben, die Nazis hatten bereits begonnen, seine Bücher zu verbrennen. Der S. Fischer-Verlag überlebte im Exil.

Autor: Ekkehard Kühn
Redaktion: Petra Herrmann
© Bayerischer Rundfunk

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