Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №3/2010

Sonderthema

Karoline von Günderrode
Zum 230. Geburtstag der Dichterin

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Karoline von Günderrode

Ihr Element war das Feuer, auch wenn viele in ihr einen Luftgeist sahen. Sie war in Liebesdingen von tödlichem Ernst, auch wenn manche sie für unverbindlich hielten: Karoline von Günderrode, Dichterin der Romantik.
Günderrödchen wurde sie liebevoll von ihren Freunden gerufen, von Bettine von Arnim, die sie glühend liebte, von Achim von Arnim, der vielleicht ihr einziger wirklicher männlicher Freund war, von Friedrich Carl von Savigny, von Gunda Brentano u. a.

Herkunft
Die Familie Günderrode gehörte seit dem 16. Jahrhundert zu den führenden Patriziergeschlechtern von Frankfurt am Main. Die Günderrodes schrieben sich stets mit doppeltem «r». Diese Schreibweise wurde später gelegentlich missachtet – daher die häufig zu lesende Namensform Günderode – und fand erst seit den 1970er Jahren wieder Eingang in die Literatur.
Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe als ältestes Kind eines badischen Regierungsrates geboren. Sie war erst sechs Jahre alt, als ihr Vater, der Hofrat und Schriftsteller Hector Wilhelm von Günderrode, drei Wochen nach der Geburt seines einzigen Sohnes starb. Karolines Bruder, Friedrich Carl Hector Wilhelm von Günderrode wurde zum Senator und Älteren Bürgermeister der Freien Stadt Frankfurt.
Die Mutter, ebenfalls aus einem alten hessischen Adelsgeschlecht stammend, zog daraufhin mit ihren fünf Töchtern und ihrem Sohn nach Hanau, wo sie am Hof des Erbprinzen Wilhelm verkehrte.

Zeit des Reifens
Nach dem Tod des Vaters lebte die Familie in beengten Verhältnissen, da die Mutter nur eine schmale Pension bezog. Karolines frühe Jahre sind von einem gerichtlichen Streit gezeichnet, den sie zusammen mit der Mutter um das Erbe führte.
Die allseits als schön und hochbegabt, liebenswürdig und sanft gepriesene Karoline wurde mit siebzehn Jahren als «Stiftsfräulein» des evangelischen Cronstetten-Hynspergischen Adeligen Damenstifts in Frankfurt am Main angenommen, einer relativ liberalen Wohnanlage für unverheiratete bzw. verwitwete, feine, mittellose Frauen, testamentarisch begründet von Justina von Cronstetten, einer wohlhabenden, ebenfalls unverheirateten Frankfurterin. Zwei weiße Kleider aus Musselin, acht Leibchen, einen Spieltisch aus Kirschbaum, ein Dutzend Kaffeelöffel – nicht viel brachte sie mit.
Die Stiftsdamen waren zu einem «sittsamen Lebenswandel» angehalten. Die strengen Vorschriften wurden zwar, was Kleidung, Reisen oder Besuch betraf, für die mit Abstand jüngste Stiftsdame gelockert, dennoch fühlte sie sich fremd und eingeengt. Einen gewissen Freiraum schuf sie sich – trotz Kopfschmerzen und Augenproblemen – durch autodidaktische Studien. Sie las ungeheuer viel: Goethe und Schiller, Novalis und Jean Paul, Schlegel und immer wieder Hölderlin, der zu Beginn ihrer Stiftszeit in unmittelbarer Nähe als Hauslehrer bei den Gontards lebte. Sie las Kant und Fichte, Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit und Schleiermachers Reden über die Religion, legte Arbeitshefte zur Geografie, Metrik, Physiognomik an und ließ sich von Lektüre, die sie begeisterte, zu eigenen Dichtungen anregen.
Damals wurden Ossians Gedichte begeistert gelesen – von Herder über Goethe bis zu den Romantikern, in der irrigen Annahme allerdings, es handele sich nicht um die Produkte eines schottischen Zeitgenossen, sondern um originale Heldenlieder eines keltischen Barden. Bei der Lektüre, so Günderrode an Gunda Brentano im August 1801, habe sie «der alte Wunsch, einen Heldentod zu sterben, mit großer Heftigkeit» ergriffen.
Karoline empfand eine tiefe Sehnsucht nach einem erfüllten, selbstbestimmten Leben. Schon früh zeichneten sich die Themen ab, die sie ein Leben lang beschäftigen sollten: Gefangenschaft und Freiheit, Freundschaft und Liebe, Natur und Kunst, Liebe und Tod.
Der Tod ist ein zentrales Thema in Günderrodes schmalem, aber alle Gattungen umfassendem Werk. Karoline war sechs, als ihr Vater starb, vierzehn, als ihre ein Jahr jüngere Schwester qualvoll an Tuberkulose zugrunde ging. Als 1801 ihre Lieblingsschwester Charlotte starb und 1802 ihre jüngste Schwester Amalia, wachte sie wochenlang an deren Krankenlagern. Nach Charlottes Tod hatte sie sich auf der Frankfurter Ostermesse einen Dolch gekauft, den sie auf Reisen bei sich trug. Daran erinnerte sich Achim von Arnim, nachdem sich Karoline von Günderrode mit eben diesem Dolch das Leben genommen hatte.
In ihrer Dichtung bedeutete der Tod allerdings kein endgültiges Auslöschen. Der Tod, so belehrt der Meister in dem Dialog Die Manen seinen Schüler, sei nur «ein chemischer Prozess, kein Vernichter, er zerreißt das Band zwischen mir und ähnlichen Seelen nicht», trennt nur das nicht Zusammengehörige. Glücklich pries die Dichterin die, «denen vergönnt ist zu sterben in der Blüte der Freude, die aufstehen dürfen vom Mahle des Lebens, ehe die Kerzen bleich werden und der Wein sparsamer perlt».
Jedoch bedeuteten solche Gedanken, wie sie sich ähnlich bei Goethe, Novalis, Kleist oder Hölderlin finden, durchaus nicht, dass Günderrode nicht mit allen Fasern ihres Lebens gelebt hätte. «Lebendger Wandel», lässt sie Narziss in dem Gedicht Wandel und Treue sagen, «buntes, reges Streben! Strom! In dich ergießt sich all mein Leben.» Sie lässt sich von der Natur, von Landschaften bezaubern, dichtet über den «königlichen Rhein», begeistert sich für die Kunst, besingt den Dom zu Cölln, schreibt in Die eine Klage:
Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.

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Friedrich Karl von Savigny

Die erste Liebe
1799 hatte Caroline von Barkhaus Karoline von Günderrode auf ihr Landgut in Lengfeld im Odenwald eingeladen. Zu Gast war außerdem der ein Jahr ältere Jura-Student Friedrich Carl von Savigny, der – wie Günderrode – sehr früh ein großes Maß an Unglück erfahren hatte. Von den zwölf Savigny-Kindern hatte nur er überlebt. Nach dem Tod von Vater und Mutter wurde der zwölfjährige Junge – einziger Erbe eines großen Vermögens und des Hofgutes Trages bei Gelnhausen am Rand des Spes­sarts – von einem Freund der Familie in Wetzlar erzogen. Später wurde er einer der bedeutendsten Rechtsgelehrten seiner Zeit und Minister des «Romantikers auf dem Thron» Friedrich Wilhelm IV.
Die beiden jungen Leute kamen sich auf Ausflügen, in Gesprächen, beim Vorlesen von Goethe-Texten näher und verliebten sich ineinander. «Ich liebe, wünsche, glaube, hoffe wieder, und vielleicht stärker als jemals», gestand die Neunzehnjährige einer Freundin. Einzig auf politischem Gebiet gingen ihre Meinungen auseinander. Die Französische Revolution begeisterte Karoline. Der konservative Monarchist Savigny kritisierte ihre republikanische Gesinnung. Sie verteidigte in ihrem noch im selben Jahr entstandenen Buonaparte-Gedicht den «schönen Morgen der Freiheit», ohne die «blutigen Tränen» zu vergessen, die die Befreiung aus den «Banden der Knechtschaft» kostete.
Savigny hinterließ einen tiefen Eindruck bei Günderrode. Sie bat ihre Freundin Caroline von Barkhaus, ihr zu schreiben, wenn sie etwas von Savigny höre, «verargen Sie mir diese Bitte nicht, es ist ja das Einzige, was ich von ihm haben kann, den Schatten eines Traumes». Den «Schatten eines Traums» nennt Güldenstern in Shakespeares Trauerspiel Hamlet dessen Vorschlag, er könne aus Dänemark ein freies Land machen. Bei Günderrode klingt der Satz wie eine scheu vorauseilende Erklärung des Verzichts auf eine ersehnte Liebe.
Als Günderrode Savigny kennenlernt, hat sie bereits – heimlich – begonnen, Gedichte zu schreiben. Er ahnt davon nichts. Sie hat auch allen Grund, es ihm zu verbergen. Denn: Zwar gibt es einzelne Frauen in jener Zeit, die sich literarisch betätigen. Aber das sind Ausnahmen. Für «tugendhafte Personen», wie Karoline von Günderrode eine sein soll, gilt unumstößlich der Satz, den Freiherr von Knigge in seiner Sittenlehre (Über den Umgang mit Menschen) aufgestellt hat: «Ich tadle nicht, dass ein Frauenzimmer ihre Schreibart und ihre mündliche Unterredung durch einiges Studium und durch keusch gewählte Lektüre zu verfeinern suche, dass sie sich bemühe, nicht ganz ohne wissenschaftliche Kenntnisse zu sein; aber sie soll kein Handwerk aus der Literatur machen.»
Karoline von Günderrode wird diesen Grundsatz wohl gekannt haben, hatte doch Knigges Sittenlehre damals auf dem Buchmarkt einen festen Platz. Im Übrigen ist darin auch genau beschrieben, wie ein Frauenzimmer zu sein habe, nämlich ausgestattet mit «Feinheit, unschuldiger Verschlagenheit, Behutsamkeit, Witz, Dulden, Nachgiebigkeit und Geduld». Diese Eigenschaften sind nicht gerade ihre Stärke. Das mag mit dazu beitragen, dass ihre Verliebtheiten immer wieder so unglücklich enden. Savigny zum Beispiel, mit dem sie einen langen Briefwechsel führt, akzeptiert Karoline als anregenden, geistreichen «Freund». Heiraten aber möchte – und wird er auch – eine Frau, die sich für die Rolle der «Professorengattin» eignet.
«Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges, aber unverbesserliches Missverhältnis in meiner Seele; und es wird und muss so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, und so uneins mit mir.»
Das schreibt Karoline von Günderrode im Sommer 1801 an Gunda, die Schwester des Clemens Brentano.
Als Savigny im April 1804 eben diese praktisch veranlagte, besitzergreifende Gunda Brentano heiratete, erklärte er Günderrode, die Beziehung zwischen ihnen hätte womöglich eine Zukunft gehabt, wenn sie weniger zurückhaltend gewesen wäre. Zur Hochzeit schickte sie ihm ein Sonett: Der Kuss im Traume, in dem sie zunächst auf den realen Kuss zwischen ihnen in Lengfeld anspielt – «Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht» –, um dann ihren Rückzug ins Reich der Träume anzutreten: «Drum leb ich, ewig Träume zu betrachten.»
Ein Brief aus Trages, wohin sie zur Hochzeit eingeladen war, gibt ihre Stimmung wieder: «Träume umschweben mich, mein Bewusstsein verliert sich in der Betrachtung. So mag es einem Sterbenden sein, das Bewusstsein wird immer schwächer und unterbrochner; Träume umhüllen es immer dichter und vermählen sich mit den Gestalten der Wirklichkeit, bis diese ganz schwinden und der Träumer zum Traum wird. In Träumen ist die Ewigkeit, da gelten nicht die Berechnungen der Zeit, im Traum ist Seligkeit, und alle Seligkeit ist nur erträumt.»

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Clemens Brentano

Poetische Treffen
In ihren Versen drückt sich ihr Wunsch aus, die eng gezogenen Grenzen zu sprengen.
Gibt es irgendjemanden, dem die Dichterin ihre Gedanken mitteilen kann? Ja, sie hat Freundinnen. Eine von ihnen, Lisette von Esenbeck, hilft ihr im Jahr 1804, einen Verleger für ihren ersten Gedichtband zu finden. Eine andere, fünf Jahre jünger als die Günderrode, schwärmt sie an und sagt später über sie: «Das Reich, in dem wir zusammentrafen, senkte sich herab wie eine Wolke, die sich öffnete, um uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen.» Es ist Clemens Brentanos Schwester Bettine, die hier so schwärmt.
Bettine, das Quecksilber, notierte später: «Ich lief alle Nachmittag’ zu ihr hin; ihre kleine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten; vor dem Fenster stand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorlesen; bei jedem Kapitel erstieg ich einen höheren Ast und las von oben herunter; sie stand am Fenster und hörte zu.»
Die beiden Freundinnen lesen gemeinsam Herder, Hölderlin, Goethe, Schelling, historische und philosophische Werke. Sie unternehmen lange Spaziergänge. Am liebsten würden sie zu weiten, abenteuerlichen Reisen aufbrechen, in unbekannte Länder. Doch das ist völlig ausgeschlossen für sie als Frauen. Sie erfüllen sich ihren Wunsch auf ihre Art und Weise. «Wir machten ein Reiseprojekt», erzählt Bettine, «wir erdachten unsre Wege und Abenteuer, wir schrieben alles auf, wir malten alles aus, unsre Einbildung war so geschäftig, dass wir’s in der Wirklichkeit nicht besser hätten erleben können; oft lasen wir in dem erfundenen Reisejournal und freuten uns der allerliebsten Abenteuer, die wir drin erlebt hatten.»
Die beiden beklagten den verkehrten Zustand einer Welt, in der Frauen nicht unabhängig waren, und träumten sich im kalten Winter 1804/05 «ins Innere von Asien», nach Damaskus, zum Ganges. Bettine: «Da kam ich zu Dir in die Stube herein und sagte: Gott, es ist so heiß hier in Asien, dass wir nur so hinschmachten, und draußen vor der Tür in Frankfurt, da hängen dem Kutscher die Eiszapfen im Knebelbart. Was haben wir gelacht, Günderrode; und haben unter Zimmetbäumen eine Tasse Schokolade getrunken, die wir in Deinem Öfchen kochten.»
Clemens Brentano indessen erlebt Reisen und Abenteuer nicht nur in der Fantasie. Er hat die Chance, sich in seiner Jugend Erfahrungen auszusetzen. In Jena, wo sich um die Jahrhundertwende eine neue literarische Bewegung bildet, ist er ständiger Gast im sogenannten «Romantiker-Haus», und er kennt alle, die – so würden wir es heute ausdrücken – zu seiner Zeit in sind. Zum siebzehnten Geburtstag seiner Schwester Bettine macht er 1802 einen Abstecher nach Frankfurt. Er lernt auf der Geburtstagsfeier Karoline von Günderrode kennen. Natürlich ahnt er nicht im Geringsten, dass sie ähnliche Pläne wie er im Kopf hat, dass sie Gedichte schreibt und Bücher veröffentlichen will. Schüchtern und zurückhaltend wird sie auf ihn gewirkt haben, aber nicht ohne Reiz. Immerhin wird er ihr ein Gedicht widmen: Süßer Maie Blüthenjunge. Vorerst aber geht er mit seinem Freund Achim von Arnim wieder einmal auf Reisen: eine Rheinreise mit Turmbesteigungen und Kahnfahrten und nächtlichen Wanderungen und unverbindlichen kleinen Liebesgeschichten. Karoline von Günderrode kann von solchen Erfahrungen nur träumen.
Unter den vielen mit ihr befreundeten Menschen gab es wohl niemanden, der von Karoline von Günderrode gesagt hätte: Sie ist eine von uns – ausgenommen Bettine Brentano. Kurz nach Karolines Tod schrieb Bettine in einem Brief an Goethes Mutter: «Sie war so zaghaft; eine junge Stiftsdame, die sich fürchtete, das Tischgebet laut herzusagen; sie sagte mir oft, dass sie sich fürchtete, weil die Reihe an ihr war; sie wollte vor den Stiftsdamen das Benedicite nicht laut hersagen ... Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; – ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihrer weichen Bewegung her; – ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als dass man es mit dem Wort schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos, als dass sie in der Gesellschaft sich hätte bemerkbar gemacht. Einmal aß sie bei dem Fürst Primas mit allen Stiftsdamen zu Mittag; sie war im schwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Ordenskreuz; da machte jemand die Bemerkung, sie sähe aus wie eine Scheingestalt unter den anderen Damen, als ob sie ein Geist sei, der eben in die Luft zerfließen werde.»
Bettine blieb der Freundin und geistigen Lehrmeisterin Zeit ihres Lebens in Treue und Dankbarkeit verbunden. Sie war es auch, die mit ihrem «den Studenten» gewidmeten Briefroman Die Günderode die nach ihrem frühen Tod von vielen rasch vergessene Schriftstellerin wieder in Erinnerung brachte, ja, eine jüngere Generation erst mit ihr bekannt machte.

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Friedrich Creuzer

«Sappho der Romantik»
Als Karoline von Günderrode mit 24 Jahren unter dem männlichen Pseudonym «Tian» ihr erstes Buch, Gedichte und Phantasien, veröffentlichte, schrieb Goethe an die Dichterin: «Diese Gedichte sind eine wirklich seltsame Erscheinung.» Auch Clemens Brentano war überrascht. Im Juni 1804 schreibt er an Karoline von Günderrode: «Ich kann es immer noch nicht verstehen, wie Sie Ihr ernsthaftes poetisches Talent vor mir verbergen konnten ... Das Ganze muss eine Epoche in Ihrem Leben sein, Sie können nicht gut zurücktreten. Sie haben die Welt zu Forderungen an Sie berechtigt, und Sie müssen verstummen oder beweisen, dass Sie selbst über der Welt stehen, weil Sie sich erkühnt haben, ihr das Ihrige anzuvertrauen.» Er, der schon als Siebzehnjähriger ein Gedicht im Privatdruck veröffentlichen ließ, klagt: «Traurig werde ich oft, wenn ich einen neuen Schriftsteller auftreten sehe, denn es ist ein Beweis, dass die Menschen keine Freunde mehr haben und jeder sich an das Publikum wenden muss.» Schließlich kommt er in seinem Brief noch einmal auf seine wichtigste Frage zurück: Was hat sie dazu bewogen, mit ihren Gedichten an die Öffentlichkeit zu treten? Neugierig erkundigt er sich: «Überhaupt bin ich sehr begierig, von Ihnen selbst zu hören, warum Sie sich entschlossen haben, Ihre Lieder drucken zu lassen, und wie Sie die Berührung mit dem Buchhändler vermittelt haben.»
Die Günderrode antwortet ihm ruhig, gelassen und erstaunlich selbstbewusst: «Wie ich auf den Gedanken gekommen bin, meine Gedichte drucken zu lassen, wollen Sie wissen? Ich habe stets eine dunkle Neigung dazu gehabt, warum? und wozu? frage ich mich selten; ich freute mich sehr, als sich jemand fand, der es übernahm, mich bei dem Buchhändler zu vertreten; leicht und unwissend, was ich tat, habe ich so die Schranke zerbrochen, die mein innerstes Gemüt von der Welt schied; und noch hab ich es nicht bereut, denn immer neu und lebendig ist die Sehnsucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form auszusprechen ...»
Aus ihren Sätzen geht hervor, dass sie ahnte, was von nun an auf sie zukommen würde. Sie hatte «eine Schranke zerbrochen». Sie wollte «ihr Leben in einer bleibenden Form aussprechen».
Warum ist es so verwerflich, wenn eine Frau diesen Schritt wagt? Deutlicher als der schon zitierte Freiherr von Knigge kann man die­se Frage gar nicht beantworten: Eine Frau, «die ein Handwerk aus der Literatur macht», stellt er klar, «sieht die wichtigsten Sorgen der Hauswirtschaft, die Erziehung ihrer Kinder und die Achtung unstudierter Mitbürger als Kleinigkeiten an, glaubt sich berechtigt, das Joch der männlichen Herrschaft abzuschütteln».
Clemens Brentano wurde kurz darauf berühmt. Das Werk Karolines von Günderrode aber steht bis heute im Schatten ihres Lebens. Dabei schrieb sie einige der schönsten Gedichte der europäischen Romantik, so das todessüchtige Hochroth. Ihre Dichtungen sind schwermütig und kühn, dabei aber eingängig. Schon im 19. Jahrhundert nannte man Karoline von Günderrode die «Sappho der Romantik».
Karolines Dichtungen bringen nicht nur den Konflikt zum Ausdruck, in dem sich eine liebende Frau damals befand, die zugleich ihre eigenen Ideen zu verwirklichen suchte, sie nehmen auch das Ende ihres hochgespannten Lebens vorweg:
In die heitre freie Bläue
In die unbegrenzte Weite
Will ich wandeln, will ich wallen,
Nichts soll meine Schritte fesseln.

Leichte Bande sind mir Ketten
Und die Heimat wird zum Kerker.
Darum fort und fort ins Weite
Aus dem engen dumpfen Leben.

Karoline von Günderrode, Stiftsdame und Poetin, ist für die Männer ihrer Zeit ein Rätsel. Ein Journalist, der mit «Juhus» zeichnet, spricht das offen aus. Er hat sie auf einem Maskenball in Offenbach gesehen und schreibt im «Journal des Luxus und der Moden» über sie: «Schüchtern, neugierig schlich sich die Pilgerin durch das Gedränge. Aber die Pilgerin dort gehört nicht zu den gewöhnlichen ... in ihr wohnt eine höhere Ansicht des Lebens. Tian demaskiert sich; die sanften, blauen Augen sprechen ein unendlich zartes, liebendes Gemüt aus; und – mir ein Rätsel – das zarte Gemüt schafft Helden und Tyrannen mit mehr Glück als sanfte, weibliche Charaktere.»
Auch ihre Poesie schreckte in ihrer Bedingungslosigkeit viele Leser ab. Karolines Dichtung erschien «etwas zu kühn und männlich», wie die Vorsteherin eines Heidelberger Mädchenpensionats urteilte. Man zweifelte an ihrer Weiblichkeit. Denn Karoline von Günderrode widersprach den Vorstellungen der damaligen Zeit, wie eine Frau sich zu verhalten – und wie sie zu dichten habe.

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Grab der Karoline von Günderrode
in Winkel am Rhein

Die große Liebe
1805 lernte Karoline auf einem Ausflug zur Abtei Neuburg bei Heidelberg den bedeutenden Philologen und Mythenforscher Friedrich Creuzer und seine Frau kennen.
Er war im Frühjahr desselben Jahres auf Empfehlung seines einstigen Studenten Friedrich von Savigny an die neu gegründete Heidelberger Universität berufen worden. Schon beim ersten Treffen entwickelte sich zwischen dem
33-jährigen liebenswürdigen und trotz seines hohen Ansehens bescheidenen Mann und der so belesenen wie wissbegierigen 25-jährigen Karoline ein lebhaftes Gespräch. Creuzer, der fünf Jahre zuvor eine Vernunftehe mit der vermögenden, dreizehn Jahre älteren Witwe seines einstigen Professors eingegangen war, verliebte sich heillos in die wie Jugend und Sonnenschein in sein Leben tretende «Zauberin der Poesie».
Eine für beide äußerst befruch­tende und beglückende Zusammenarbeit begann. Für ihre Treffen stellte ihnen Günderrodes Freundin Susanne von Heyden den Gro­ßen Kettenhof, eine alte umgebaute Wasserburg mit einer damals herrlichen Aussicht auf Rödelheim, zur Verfügung.
Karoline und Friedrich Creuzer versprachen einander bis in den Tod zu lieben. «Den Verlust Deiner Liebe könnte ich nicht ertragen», schrieb die junge Frau dem Forscher in einem ihrer Briefe.
Sie macht den Vorschlag, er solle sich nach Moskau bewerben, sie werde ihm folgen. Sie erwägt, in Männerkleidung seine Vorlesungen zu besuchen – nur, um ihm nahe zu sein. Es gibt wohl kein Risiko, zu dem sie nicht bereit wäre. So ganz allmählich aber wird sie wieder in eine Rolle gedrängt, die sie schon einmal spielen musste: Sie wird «der Freund». So nennt sie sich selbst vom Frühjahr 1805 an in den Briefen, die sie Creuzer schickt.
In dieser quälenden Zeit entstehen Dramen und Prosastücke, die sie unter dem Titel Poetische Fragmente veröffentlicht. Wenn es um ihre Arbeit geht, das darf hier nicht unerwähnt bleiben, erweist sich Creuzer der Günderrode gegenüber als teilnehmender, sachkundiger Berater – ganz im Gegensatz zu Clemens Brentano. Der nämlich ist zur Zeit damit beschäftigt, ein Volksliederbuch zusammenzustellen (Des Knaben Wunderhorn) und fragt bei der Dichterin an, «ob sie ihm denn gar nichts für den Band verschaffen könne». Für die Kleinarbeit, so mag er sich gedacht haben, ist diese Frau sicher ganz brauchbar. Ansonsten fällt er immer wieder mal negative Urteile über die Texte der Dichterin.
Karoline von Günderrode konnte sich ein Leben als Professorengattin nicht vorstellen. Und Friedrich Creuzer bemängelte: «Lina schickt sich zur Ehe nicht ...» Der Gelehrte spielte mit dem Gedanken an eine ménage à trois. «Meine Frau sollte bei uns zu bleiben wünschen – als Mutter, als Führerin unseres Hauswesens. Frei und poetisch sollte Ihr Leben sein», schlug er Karoline vor. Es war die Zeit neuer Entwürfe des Zusammenlebens. So steht Creuzers Utopie in Beziehung zu den revolutionären Vorstellungen, wie sie zur gleichen Zeit in Frankreich Henri de Saint-Simon und sein Freundeskreis zu leben versuchten. Von einigen Kennern der Zeit wird sie gleichwohl als Charakterschwäche eingestuft – der kränkliche Friedrich Creuzer hatte nicht den Mut, sich von seiner Frau zu trennen.
Günderrode, der Creuzer inzwischen alles bedeutete, der ihr Lehrer, Geliebter und väterlicher Freund in einem war, mahnte: «Die Freundschaft wie ich sie mit Ihnen meinte, war ein Bund auf Leben und Tod.» Doch Creuzer, obgleich er seinen «Engel», seine «liebevolle Seele», sein «göttliches Mädchen» weiter begehrte und eifersüchtig über ihre Beziehungen zu anderen wachte, rückte – wankel- und kleinmütig geworden – von ihr ab.
Wann wurde der Zwiespalt, mit dem Karoline von Günderrode leben musste, so stark für sie, dass sie an Selbstmord dachte?
Bettine Brentano wusste, dass ihre Freundin einen Dolch mit silbernem Griff besaß. Karoline vertraute ihr an, sie habe sich von einem Chirurgen Rat geholt, wie es am leichtesten sei, sich umzubringen. Bettine, zutiefst verstört, versuchte, «das alles für Scherz zu nehmen». Vorübergehend verdrängte sie ihre Ängste um Karoline. Und Karoline – verdrängte Bettine aus ihrem Leben. Die Freundschaft der beiden Frauen reißt im Frühsommer 1806 abrupt ab. Das ist nicht ohne Zutun Creuzers geschehen. Er findet Bettine «egoistisch, kokett, faul und entfremdet von allem, was liebenswürdig heißt». Mit Genugtuung registriert er, dass Karoline sich von Bettine trennt.
Günderrode kämpfte bis zuletzt, einer Freundin schrieb sie, sie sei «lebensmüde», sie fühle, dass ihre Zeit aus sei, dass sie nur fortlebe «durch einen Irrtum der Natur».
«Lina, Lina, wie lieb ich dich», hat Creuzer an die Günderrode geschrieben. Sie, hoffnungslos erschöpft von dem zermürbenden Auf und Nieder in dieser Liebesbeziehung, wird sich an solche Sätze geklammert haben. Auch an die Tatsache, dass Creuzer es übernommen hat, ihr drittes Buch – Melete – einem Verleger zu übergeben. Ende Juni 1806 trifft sie ihn noch einmal in Frankfurt. Für den nächsten Monat ist ein Zusammensein in Winkel am Rhein geplant. Creuzer aber wird krank. Während seine Frau Sophie ihn gesund pflegt, tut er einen Schwur. Er wird das Verhältnis zu der Günderrode lösen. «Das soll ihr auch sofort / unverzüglich / auf der Stelle mitgeteilt werden.»

Tod
In Winkel am Rhein, wo sie im Haus des Kaufmanns Joseph Mertens bei einer Freundin zu Besuch weilte, erreichte sie im Juli 1806 die Nachricht von Creuzers endgültigem Bruch mit ihr. Heiter erklärte sie der nichts ahnenden Freundin, sie wolle noch einen Abendspaziergang machen.
Da sie nicht zurückkehrte, suchte man nach ihr und fand am nächsten Tag im Wasser ihre Leiche auf einer weidenbewachsenen Landzunge am Rhein. Aus unglücklicher Liebe, aber auch belastet von dem unlösbaren Konflikt zwischen ihrem Freiheitsbedürfnis und der Frauenrolle der damaligen Zeit, erdolchte sie sich selbst am Flussufer.
«Eine tiefe Wunde, nicht ganz ein Zoll lang; der Stich zwischen
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Schonend – mit einer Schonung, die Karoline von Günderrode Zeit ihres Lebens nie erfuhr – wird Creuzer Wochen später davon Meldung gemacht. «Die Selige» heißt Karoline nun in dem Briefwechsel, den Creuzer mit seinem Vetter führt. In himmlischen Bereichen hatte er sie ja schon immer angesiedelt. Auch auf irdischem Gebiet schafft er jetzt Ordnung. Er sorgt dafür, dass Melete, das letzte Buch der Autorin, nicht erscheint: «Unterdrückung dieser Schrift ist durchaus nötig.» Er, der als «Eusebio» in dem Band auftaucht, möchte nicht auf diese Art und Weise erkannt und der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Stattdessen hat er nur einen Wunsch, einen, den seine Frau betrifft: «Wenn ich nur meine Sophie noch recht lange behalte.» Er behält sie. Er überlebt sie. Er heiratet nach ihrem Tod ein zweites Mal, wird fast 80 Jahre alt, gibt seine Memoiren heraus und streift in einem Satz auch kurz die Zeit, die er mit Karoline von Günderrode erlebte. So: «Jene Zeit werde ich als eine Periode schwerer Seelen- und Körperleiden stets in Erinnerung behalten.»
Erst hundert Jahre nach dem Tod der Günderrode wurde Melete, das letzte Buch der Dichterin, veröffentlicht.

Karoline von Günderrode
Zeittafel

1780 11. Februar: Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderrode (Günderode) wird in Karlsruhe als Tochter des badischen Hof- und Regierungsrats Hector von Günderrode geboren, der historische Werke und Idyllen publiziert hatte.
1786 Tod des Vaters.
Karoline von Günderrode siedelt mit der Mutter und sechs Geschwistern (drei sterben als Kinder) nach Hanau über.
Die Mutter wird Hofdame beim Landgrafen Wilhelm von Hessen. Sie lebt über ihre Verhältnisse und braucht das Erbe auf.
Da die Mutter ihren Töchtern das ihnen zustehende Erbteil verweigert, kommt es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.
1797 Aus wirtschaftlichen Gründen tritt die Günderrode in das Cronstetten-Hynspergische Adelige Evangelische Damenstift in Frankfurt am Main ein, eine standesgemäße Versorgungsanstalt für unvermögende Töchter aus guten Familien, wo sie finanziell eingeschränkt, sonst aber kaum reglementiert lebt.
1799 Begegnung mit Carl von Savigny, zu dem sie eine nicht erwiderte Liebe entwickelt.
Sie verkehrt mehrfach auf dessen Gut Trages bei Hanau.
1801 Die Günderrode lernt Bettine, Gunda und Clemens Brentano kennen. Sie wird in das gesellige Leben des frühromantischen Freundeskreises einbezogen und erhält vielfältige geistige Anregungen.
1802 Aufenthalte in Hanau und Frankfurt.
Briefwechsel mit Gunda und Clemens Brentano.
1803 Briefwechsel mit Savigny.
1804 Gedichte und Phantasien werden unter dem Pseudonym «Tian» veröffentlicht.
Savigny heiratet die Freundin Gunda Brentano.
Begegnung und Liebesbeziehung mit dem Philologen Friedrich Creuzer in Heidelberg, der seit 1799 mit einer älteren, kränkelnden Witwe verheiratet ist. Heimliche Treffen, Fluchtpläne, vor allem aber die zögerliche Haltung Creuzers charakterisieren die Beziehung.
1805 Der Band Poetische Fragmente enthält u. a. die dramatischen Texte Hildegund und Mahomed, der Prophet von Mekka.
Creuzer gibt ihr Drama Udolah sowie Magie und Schicksal heraus.
Reisen nach Heidelberg und Darmstadt.
Wiederholte Krankheitsphasen.
1806 Die Günderrode wird von einem Augenleiden und von Depressionen geplagt.
Wenn ihr Zustand es erlaubt, arbeitet sie an dem Band Melete.
März: Creuzer spricht Karoline von Günderrode frei für andere Beziehungen. Sie zerbricht seelisch.
18. Juli: Creuzer kündigt sein Verhältnis zu ihr gänzlich auf. Die Nachricht lässt er durch einen Dritten überbringen.
26. Juli: Karoline von Günderrode ersticht sich mit einem Dolch in Winkel am Rhein.
Creuzer vernichtet nach ihrem Tod Handschriften ihrer Werke sowie die Druckfahnen der bereits fertig gesetzten Sammlung Melete (mit einer Ausnahme, die zur Grundlage des Erstdrucks 1906 wird).

Der Text ist entnommen aus:
http://de.wikipedia.org
http://www.fr-online.de
http://www.frankfurt.frblog.de
http://www.dichterinnen.de
http://www.arlindo-correia.com