Sonderthema
Konrad Lorenz – der große Kommunikator
Konrad Lorenz
Der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz war nicht nur der Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung, Nobelpreisträger und für kurze Zeit Nazi-Sympathisant. Er war auch ein glänzender Wissenschaftsvermittler, dessen Wirken weit über sein Fach hinaus ausstrahlte: Lorenz machte zum einen sein eigenes Fach populär, er stellte sich zum anderen auch in den Dienst der Umweltschutzbewegung, verhinderte Kraftwerksbauten und warnte vor der Selbstzerstörung der Menschheit.
Wenige Monate vor seinem Tod zog Konrad Lorenz ein letztes Mal Bilanz. Der 85-jährige Nobelpreisträger war auf seine alten Tage bescheiden geworden. Mit untypischem Understatement diktierte er seiner Sekretärin unter anderem die folgenden Zeilen: «Der Leumund meiner Zeitgenossen, vor allem der wissenschaftlichen, behauptet, dass ich ein großer Mann bin, und sie müssen es wohl besser wissen als ich. Wenn ich zurückblicke und dasjenige hervorzuheben trachte, worauf ich stolz bin, so ist das Resultat bescheiden – ehrlich!» Und weiter ließ er in seiner Fragment gebliebenen Autobiografie selbstkritisch verlauten: «Alles, was ich entdeckte, hatte schon vorher einer entdeckt.»
Dem scheint zu entsprechen, dass es spätestens nach seinem Tod im Februar 1989 still zu werden begann um Konrad Lorenz. Auch im Science Citation Index, der internationalen Börse der Wissenschaftswelt, ist der Kurs des Namens Lorenz in der Zwischenzeit längst ins Bodenlose gefallen. Was aber waren die großen Leistungen des Naturforschers, der sein Fach verkörperte wie kein Zweiter? Und wie kam es, dass Lorenz wie kaum ein anderer seiner Forscherkollegen weit über die Wissenschaft hinaus wirkte?
In seinen erst vor Kurzem wieder aufgetauchten autobiografischen Fragmenten hält sich Lorenz viele Seiten lang mit seiner Kindheit auf – und gibt dafür auch eine gute Begründung: «Man kann einen Menschen nur verstehen, wenn man Einsicht in das früheste Vorgehen seiner Kindheit und sein Elternhaus gewinnen kann.» Als zweiter Sohn des Orthopäden Adolf Lorenz geboren, der es durch die von ihm erfundene unblutige Behandlung der angeborenen Hüftluxation zu großem Ansehen und Reichtum brachte, wuchs der kleine Konrad in wahrhaft paradiesischen Verhältnissen auf. Er wurde von seinen Eltern verwöhnt, von Kindermädchen umsorgt und war von klein auf von Tieren umgeben.
Die Toleranz der Eltern ging dabei so weit, dass der jugendliche Konrad die eben erst fertiggestellte Nobelvilla samt dazugehörigem Park nach und nach in eine Art Privatzoo verwandeln durfte. Zwar musste der verwöhnte Sohn auf Geheiß seines Vaters Medizin studieren – seine ganze Leidenschaft gehörte aber seinen halbzahm gehaltenen Tieren. Diese besondere Form der Tierhaltung ermöglichte ihm dabei völlig neue Einsichten in das Verhalten seiner vor allem gefiederten Hausgenossen. Der revolutionäre Grundgedanke bei seinen Beobachtungen war dabei von Darwin entlehnt: Lorenz übertrug jene vergleichend-evolutionäre Perspektive, mit der man anhand von anatomischen Merkmalen die Stammesgeschichte verschiedener Arten rekonstruieren konnte, auf die von ihm erstmals im Detail beschriebenen angeborenen Verhaltensweisen der Tiere – und erschloss damit in den 30er Jahren ein neues fruchtbares Forschungsfeld.
Konrad Lorenz mit Graugans
Aus vielen Wurzeln zu neuen Konzepten
Lorenz’ Pionierleistung ging dabei auch auf eine ideale interdisziplinäre Kombination seiner Lehrer und Förderer zurück. Neben dem Anatomen Ferdinand Hochstetter, bei dem Lorenz auch als Uni-Assistent arbeitete, waren dies die beiden damals führenden deutschen Ornithologen Oskar Heinroth und Erwin Stresemann sowie der Psychologe Karl Bühler, der den jungen Forscher mit den Ansätzen der US-amerikanischen Psychologie konfrontierte.
Und genau in diesem interdisziplinären Spannungsfeld von Anatomie, Ornithologie und Psychologie entstanden jene bahnbrechenden Arbeiten, in denen die Schlüsselkonzepte der Ethologie wie «Instinkt», «Prägung» oder «angeborener Auslöser» erstmals formuliert wurden. Die Anerkennung für seine Entdeckungen, deren wichtigste er bis zu seinem 35. Lebensjahr gemacht hatte, ließ allerdings auf sich warten.
Der Darwinist Lorenz hatte im katholisch-ständestaatlich regierten Österreich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen und keine Chance auf eine adäquate Anstellung. Im Deutschen Reich hingegen wurde die Biologie weitaus stärker gefördert als noch in der Weimarer Republik – und so orientierte sich der Nachwuchswissenschaftler mehr und mehr an der reichsdeutschen Wissenschaft.
Als Österreich im März 1938 an Deutschland angeschlossen wurde, war seine Begeisterung entsprechend groß: Der Forscher trat der NSDAP bei – und «heulte» in einigen Publikationen «mit den Wölfen», wie er es später selbst formulierte. Er übertrug seine an Entenvögeln gewonnenen Erkenntnisse über die negativen Auswirkungen der Domestikation spekulativ auf die Menschen der Großstadt und wollte den Machthabern damit rassenpolitische Ideen liefern.
Im Jahr 1940 schließlich erhielt Konrad Lorenz im ostpreußischen Königsberg ein Ordinariat für Psychologie, das noch dazu der «umgewidmete» Lehrstuhl Immanuel Kants war. Lorenz begann, seine durch und durch evolutionäre und biologische Perspektive auch auf Fragen der Humanpsychologie und der Erkenntnistheorie anzuwenden – ehe der Krieg und danach die russische Kriegsgefangenschaft seine Forschungen für einige Jahre in den Hintergrund drängten. Gleichwohl war Lorenz auch in dieser Zeit wissenschaftlich tätig und verfasste in den russischen Lagern auf gebügelten Zementsäcken ein buchlanges Manuskript über die Naturwissenschaft vom Menschen. Vor allem aber bewährte er sich dort als Lagerarzt und «Seelsorger».
Nachdem Lorenz 1948 nach Österreich zurückgekehrt war, hatte er in seiner Heimat auch wegen seiner NS-Vergangenheit erneut mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine Professur in Graz blieb ihm trotz vieler Empfehlungsschreiben aus dem In- und Ausland versagt, weshalb sich Lorenz gezwungen sah, ins Ausland zu gehen, das ihn mit offenen Armen empfing. Sowohl in England als auch in Deutschland herrschte mittlerweile großes Interesse an seinen Arbeiten und an seiner Person.
Schließlich nahm Lorenz ein Angebot der Max-Planck-Gesellschaft an und übersiedelte Ende 1950 zunächst nach Buldern in Westfalen, ehe er 1958 gemeinsam mit dem Physiologen Erich von Holst das eigens errichtete Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie am oberbayerischen Esssee bezog.
Seewiesen, wie die Wissenschaftler ihre kleine Forscherkolonie nannten, wurde in den nächsten Jahrzehnten zum internationalen Mekka der Ethologie, deren konzeptuelle Fundamente Lorenz in den 30er Jahren nahezu im Alleingang aufgestellt hatte. Nach dem Krieg ging es darum, das Fach zu etablieren – und dabei spielte der brillante Kommunikator Lorenz abermals die entscheidende Rolle. Durch seine populären Veröffentlichungen, vor allem aber durch seine mitreißenden Vorträge konnte er nicht nur Studierende und Kollegen aus angrenzenden Disziplinen für das Fach begeistern, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Der gezielte Einsatz von Film und Fernsehen tat ein Übriges.
Doch auch innerhalb der schnell wachsenden internationalen Ethologen-Gemeinde war Lorenz – gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen und Freund Nikolaas Tinbergen – die unumstrittene Leitgestalt des Fachs. Während Tinbergen nach 1945 zweifellos mehr zur inhaltlichen Weiterentwicklung beitrug und auch das erste Ethologie-Lehrbuch verfasste, verstand es Lorenz durch seine charismatische Persönlichkeit und sein Kommunikationstalent, dem Fach seinen Stempel aufzudrücken. Und so wie sich die beiden auch als Forscher ergänzten – Tinbergen war eher Experimentator, Lorenz der geborene Beobachter – so taten sie das auch als Protagonisten der neuen Disziplin.
Vollends zum öffentlichkeitswirksamen Prediger wurde Lorenz dann in den 70er Jahren, als er die Tuchfühlung zu den aktuellen Entwicklungen in seinem Fach mehr und mehr zu verlieren begann. Hatte er bereits in seinem umstrittenen Bestseller Das sogenannte Böse (1963), in dem er sich mit der angeborenen Aggression bei Tier und Mensch beschäftigte, vor der Selbstausrottung der Menschheit gewarnt, so legte er mit seinem leidenschaftlich diskutierten Pamphlet Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, das 1973 als Buch erschien, noch einmal nach. Ehe dies der Club of Rome tat, prangerte Lorenz die Zerstörung der Umwelt und die Überbevölkerung an. Er warnte aber auch – so wie er es schon um 1940 getan hatte – in bedenklicher Weise vor der genetischen Degeneration.
1973 war auch das Jahr, in dem Lorenz in Seewiesen emeritierte, in seine österreichische Heimat zurückkehrte – und mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit dem Bienenforscher Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen. Die höchste Auszeichnung, die die wissenschaftliche Welt zu vergeben hat, machte Lorenz aber zugleich zu einer noch öffentlichkeitswirksameren Figur, als er ohnehin schon war. Der mediengewandte Forscher hat das selbst am besten gewusst und auch besonders treffend auf den Punkt gebracht: Vor dem Nobelpreis sei er bloß der Sprecher der «Gruppe Ökologie» gewesen, der ersten Umweltschutzinitiative deutschsprachiger Wissenschaftler; danach aber ihr «Lautsprecher».
Mit dem Nobelpreis gegen Zwentendorf
Fünf Jahre später gelang ihm ein Triumph, dem er persönlich noch größere Bedeutung zumaß als dem Nobelpreis: Eine knappe Mehrheit der Österreicher stimmte im November 1978 gegen die Inbetriebnahme des bereits fertig gebauten Atomkraftwerks Zwentendorf. In den beiden Jahren vor der Abstimmung habe er sich verpflichtet gefühlt, «jede sich mir bietende Gelegenheit in Zeitung, Radio und Fernsehen zu ergreifen, um dagegen zu predigen», schrieb Lorenz seinem Freund Niko Tinbergen. Der «an sich hohle Ruhm» des Nobelpreises habe an der Wahlurne «eine weit größere Wirkung entfalten» können. Noch am Tag vor der Abstimmung hatte Lorenz in der größten österreichischen Tageszeitung öffentlichkeitswirksam erklärt: «Ich gestehe, ohne mich dessen zu schämen: Ich habe einfach Angst.» Solche offenen Worte aus dem Mund eines Wissenschaftlers haben viele für ihn und seine Position eingenommen.
Konrad Lorenz war zeitlebens ein Mensch, der leicht für oder gegen etwas zu begeistern war und diese Begeisterung auch an andere weiterzugeben verstand. Und er hatte es früh gelernt, über seine Arbeit verständlich und eingängig zu reden und zu schreiben: Als er Mitte der 30er Jahre seine Stelle an der Universität verlor, begann er populärwissenschaftliche Artikel für Zeitungen zu schreiben, um so für den Unterhalt seiner jungen Familie und der riesigen Tierschar in Altenberg zu sorgen. Seine frühen Artikel nahmen zum Teil in populärer Sprache vorweg, was er erst danach wissenschaftlich publizieren sollte. Zudem hielt er populärwissenschaftliche Vorträge an der Wiener Urania und kultivierte so die Kunst des Erzählens von Anekdoten.
Dieses Talent half ihm nicht nur in russischer Kriegsgefangenschaft, seine Kameraden zu unterhalten, sondern auch danach beim Verfassen seiner populärwissenschaftlichen Bücher, beginnend mit dem Klassiker der populären Verhaltensforschung Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen (1949). Vor der Kamera wusste er sich ebenfalls in Szene zu setzen. Er filmte Enten zu Lehr- und Dokumentationszwecken oder ließ sich mit ihnen filmen.
Mit diesen Filmen gelang es ihm einerseits, seine oftmals skeptischen Kollegen zu überzeugen. Andererseits wirkten sie – so wie Lorenz’ zahllose Fernsehauftritte seit den fünfziger Jahren – weit über die Wissenschaft hinaus: Seine oftmals provokanten Thesen wurden weit über sein engeres Fachgebiet hinaus von Wissenschaftlern vieler Disziplinen aber auch von der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Und die Bilder von Lorenz haben für viele die Vorstellung geprägt, was ein Naturforscher ist und was er macht. Das aber wirkte wieder auf die Forschung und seine wissenschaftliche Reputation zurück: So unbestritten Lorenz’ bahnbrechende Arbeiten in den 30er Jahren gewesen sind – dass er 1973 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Lorenz eben auch ein «laut sprechender Wissenschaftler» war.
Klaus Taschwer
Konrad Lorenz, Ethologe
Zeittafel
1903 Geboren in Wien am 7. November als zweiter Sohn des Orthopäden Adolf Lorenz und dessen Frau Emma.
1922 Medizinstudium an der Columbia-University, danach in Wien.
1927 Heirat mit Margarethe Gebhardt; erste wissenschaftliche Publikation Beobachtungen an Dohlen.
1928 Promotion zum Dr. med. und Aufnahme des Zoologiestudiums.
1933 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit über den Vogelflug.
1935 Publikation Der Kumpan in der Umwelt des Vogels; darin Schlüsselkonzepte der Ethologie. Kündigung seiner Assistentenstelle am Anatomischen Institut und vergebliche Versuche zur Gründung eines Kaiser-Wilhelm-Instituts.
1937 Privatdozent für vergleichende Anatomie und vergleichende Tierpsychologie an der Universität Wien.
1938 Beitritt zur NSDAP, Ende Juni 1940 Berufung zum Ordinarius für Psychologie an der Universität Königsberg auf den Lehrstuhl Immanuel Kants; Veröffentlichung von zwei besonders NS-lastigen Aufsätzen.
1941–1943 Soldat der Wehrmacht, Tätigkeit als Heerespsychologe und Militärpsychiater in Posen.
1944–1948 Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion; erste Fassung zu Die Rückseite des Spiegels.
1949 Das Buch Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen erscheint und wird zum Best- und Longseller.
1950 Übersiedlung nach Deutschland, Gründung einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Meeresbiologie in Buldern.
1958 Übersiedlung des Instituts nach Seewiesen unter dem Namen Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie.
1963 Das sogenannte Böse erscheint und löst heftige Debatten aus.
1973 Emeritierung und Rückkehr nach Österreich; Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin gemeinsam mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen. Das Buch Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens erscheint.
1978 Erfolgreiches Engagement gegen das erste österreichische Kernkraftwerk in Zwentendorf, das nicht in Betrieb geht.
1984 Volksbegehren unter seinem Namen gegen das Kraftwerk Hainburg.
1988 Veröffentlichung von Hier bin ich – wo bist du? Ethologie der Graugans.
1989 Konrad Lorenz stirbt am 27. Februar in Wien.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.mpg.de