Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №5/2010

Wissenschaft und Technik

Die Zeit im Sack

Um das Jahr 1500 stellten findige Uhrmacher in Süddeutschland und Frankreich erste Taschenuhren her – als Luxusartikel für die Oberschicht. Von den genialen «Sackuhren» des deutschen Tüftlers Peter Henlein ist leider kein einziges Exemplar erhalten. Nur das Lob seiner Kunden.

Wir wissen wenig über diesen Peter Henlein. Es gibt keine persönlichen Zeugnisse von Zeitgenossen, keine einzige seiner Taschenuhren blieb erhalten. Schon über sein Geburtsjahr herrscht Unklarheit. Jahrhundertelang war er vergessen – erst mit dem Aufkommen des Nationalstaatsgedankens kam er zu etwas prekärem1 Ruhm.
Um 1480 wird Peter Henlein in Nürnberg geboren, als Sohn eines Messerschmieds. Urkundliche Erwähnung findet er erstmals 1504 – in den Akten zu einem Fall von Totschlag. Asyl geben ihm die Barfüßermönche, zu den Gerichtsverhandlungen bekommt er freies Geleit. 21 Gulden «Söhnungssumme» an die Hinterbliebenen zahlt er erst elf Jahre später.
Zu dieser Zeit ist Henlein schon ein angesehener Bürger, die ominöse Kriminalgeschichte scheint keine Rolle mehr zu spielen. Nach drei Lehr- und vier Gesellenjahren legt er Ende 1509 die Prüfung zum Schlossermeister ab und kann kurz darauf heiraten. Seine Frau stirbt bald, 1521 heiratet er wieder; kurz vor seinem Tod wird er sich ein drittes Mal verehelichen.
Henlein arbeitet viel an Uhrwerken, die Mechanik hat es ihm wohl angetan2. Besonders interessieren ihn die kleinen Taschen- oder Sackuhren, die zu dieser Zeit aufkommen. Henlein und seine Kollegen haben viele Schwierigkeiten zu überwinden, bevor sie brauchbare Ergebnisse erzielen können. Es gibt keinerlei Normung, von der heute selbstverständlichen Vereinheitlichung, etwa von Gewindemaßen, ist man weit entfernt. Jedes Schräubchen, jedes Zahnrad wird mühevoll in Handarbeit hergestellt.
Wenn es aber Orte gibt, an denen solche feinmechanischen Konstruktionen damals schon gelingen können, dann gehört die freie Reichsstadt Nürnberg sicher dazu: Hier liegt der Kreuzungspunkt der wichtigsten europäischen Handelswege. Handwerker profitierten vom besten Material, das der Markt zu bieten hat. Sie bekommen die neuesten Produkte in die Hände und holen sich Anregungen aus allen Himmelsrichtungen. Stahl in sehr guter Qualität ist verfügbar, 70 metallverarbeitende Handwerkszweige stellen Werkzeuge wie Sägen, Feilen, Reibahlen, Schaber oder Stichel in hoher Präzision her. Zu den Artikeln, für die Nürnberger Handwerker berühmt sind, gehören Brillen, Fernrohre und Mikroskope.
Die bis dahin gebräuchlichen mechanischen (Groß-)Uhrwerke werden mit Gewichten angetrieben und durch die Waage im Gang geregelt. Sie funktionieren nur in einer Position. Jeder Versuch, diese Uhren transportabel zu machen, scheitert. Erst die Erfindung des Federantriebs macht Taschenuhren denkbar. Erste Federuhren sind bereits ab 1410 nachweisbar. Aber die sind noch zu groß, um sie bei sich zu tragen. Um das Jahr 1500 kommen in oberdeutschen Städten und in Frankreich Taschenuhren auf.
Nur Adlige und reiche Stadtbürger können sich die Luxusartikel leisten. Als Zeitmesser sind sie wenig geeignet, da sie lediglich über einen Stundenzeiger verfügen und nicht gerade genau gehen.
Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Herstellung von Taschenuhren liegt darin, das Werk einigermaßen kontinuierlich laufen zu lassen. Eine Spiralfeder hat die Eigenschaft, ihre Energie nicht gleichmäßig abzugeben: Ist sie gerade frisch aufgezogen, treibt sie das Uhrwerk schneller an. Um Ganggenauigkeit zu erreichen, setzen die Handwerker einen zu dieser Zeit im süddeutschen Raum verbreiteten Ausgleichsmechanismus ein: Ein Stackfreed, eine Verbindung aus Kurvenscheibe und Blattfeder, bremst die gespannte Zugfeder erst ab und sorgt dann für einen leichteren Ablauf der Feder.
Henlein ist erfolgreich: Johannes Cochläus, Theologe in Nürnberg, berichtet 1511: «Petrus Hele fertigt aus wenig Eisen Werke mit sehr vielen Rädern, die immer, wie man sie kehrt und wendet, ohne jedes Gewicht 40 Stunden lang zeigen und schlagen, auch wenn man sie an der Brust trägt.»
An diffizile3 Arbeiten wagt sich Henlein ebenfalls heran. Ein kleines Uhrwerk baut er offenbar in einen sogenannten Bisamapfel ein – eine oft aus Kupfer getriebene, reich verzierte und durchbrochene feuervergoldete Kugel, in der sich Stoffe wie Kampfer oder Moschus befinden. Die Träger der Riechkugeln erhoffen sich von den Düften Schutz vor der Pest und anderen Seuchen. Stadtakten von 1524 belegen, dass der Schlosser für solch einen «Apfel» 15 Gulden erhalten hat.
All diese schönen Details wissen wir aus Urkunden. Leider lässt sich aber keine erhaltene Taschenuhr mit letzter Sicherheit Henlein zuschreiben.
Seine Arbeit fiel in eine Epoche, in der mechanische Uhren im städtischen Raum immer häufiger wurden. Ein neuer Zeitbegriff entstand, den schlagende Uhren bestimmten.
Mit der weiteren Verbreitung der mechanischen Schlaguhren verschwand allmählich die noch aus der Antike übernommene Einteilung der Zeit in Stunden variabler Länge, «horae inequales». Diese alte Zeitmessung gliederte zwar schon Tag und Nacht in jeweils zwölf Abschnitte. Deren Länge aber schwankte je nach Jahreszeit deutlich. Nun verbreitete sich das neuzeitliche System der «horae equales» – Stunden von immer gleicher Länge.
Nachdem Henlein im 18. Jahrhundert fast völlig in Vergessenheit geraten war, besann sich der mächtig anschwellende Nationalismus im 19. Jahrhundert wieder auf ihn. Bei der Suche nach Identifikationsfiguren wurde er nun für politische Zwecke vereinnahmt: Er sollte deutschen Genius im Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit verkörpern, Glanz und Gloria des versunkenen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation vor Augen führen.
Der romantische Vielschreiber Karl Spindler legte einen der Grundsteine der Henlein-Verehrung mit seiner 1839 veröffentlichten Novelle Der Nürnberger Sophokles. Hierin wird der Held fälschlich mit den «Nürnberger Eiern» in Verbindung gebracht – Taschenuhren mit ovalen Gehäusen, die erst nach Henleins Tod entstanden sind.
In der Folge wurde das Leben Henleins mehr und mehr anekdotisch überwuchert. So hieß es etwa, seine Frau habe eine der Uhren zerschmettert, weil sie darin ein «tickendes Teufelsherz» vernommen habe. Oder Henlein wurde zum «Erfinder» der Federzuguhr und der Taschenuhr schlechthin hochgejubelt – längst widerlegte Behauptungen. Auch vor kleinen Mogeleien schreckte man nicht zurück: Die Gravur «Petrus Hele me fecit» auf dem Boden einer Dosenuhr, die das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg nach wie vor zeigt, wurde erst Jahrhunderte später angebracht. Da wollte die Stadt Nürnberg sich nicht lumpen lassen – und weihte im Jahr 1905 einen Peter-Henlein-Brunnen ein.
Folgerichtig bemächtigte sich das Dritte Reich der Gestalt Henleins. 1942 gab die Reichspost eine Sonderbriefmarke zum 400. Todestag heraus.
Der Henlein der Legende avancierte zum Helden von Hans Dominiks Roman Das ewige Herz, der es bis zu einer Frontbuchausgabe im Zweiten Weltkrieg brachte, und stand im Mittelpunkt des Veit-Harlan-Films Das unsterbliche Herz.
Der historische Henlein starb 1542 in seiner Geburtsstadt, wohl im August. Das Großtotengeläutbuch von St. Sebald vermerkt knapp und schlicht: «Peter Henlein urmacher auf St. Katharinagraben.»

Von Thorsten Oltmer

Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de

 



1 pre|kär <Adj.> [frz. précaire= durch Bitten erlangt; widerruflich; unsicher, heikel < lat. precarius, zu: precari= bitten, anrufen] (bildungsspr.): in einer Weise geartet, die es äußerst schwer macht, die richtigen Maßnahmen, Entscheidungen zu treffen, aus einer schwierigen Lage herauszukommen; schwierig, heikel, misslich: eine -e [wirtschaftliche, finanzielle] Situation; die Lage wurde immer -er.

2 an|ge|tan <Adj.>: in den Wendungen es jmdm. a. haben (jmdn. bezaubern, entzücken; jmdn. für sich einnehmen): er, sein Geigenspiel hat es ihr a.; von jmdm., etw. a. sein (angenehm berührt, begeistert sein): sie waren von dem Konzert sehr a.; danach/dazu a. sein (geeignet sein, günstig für etw. sein): die Lage ist nicht dazu a., Feste zu feiern.

3 dif|fi|zil <Adj.> [frz. difficile < lat. difficilis = nicht leicht zu tun, zu: facere = machen, tun] (bildungsspr.): a) schwierig, nicht leicht [zu bewältigen]; peinliche Genauigkeit fordernd; kompliziert: eine sehr -e Arbeit; die Methoden sind äußerst d.; b) einen schwierigen Charakter habend, schwer zu behandeln: ein sehr -er Mensch; sie ist in allen Dingen sehr d.