Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2010

Sonderthema

Fragen zum Text

1. Welchem kulturellen und sozialen Hintergrund entstammte Emilie Kempin?

2. Welche Gründe bewogen die 32-jährige Emilie, obwohl sie zu dieser Zeit schon Mutter war, ein Studium aufzunehmen?

3. Welche Hürden musste die promovierte Juristin überwinden, um als Anwältin arbeiten zu können?

4. Welche Möglichkeiten boten sich der Schweizerin in den USA?

5. Welche Meinung vertrat die Juristin zur Thematik «Doppelbelastung durch Beruf und Familie»?

6. Nach ihrer Rückkehr aus den USA musste Emilie Kempin einige berufliche Niederlagen einstecken. Welche?

7. Welchen Anteil hatte Emilie Kempin an der Schweizer und deutschen Frauenbewegung?

8. Woran scheiterte die Rechtsgelehrte letztendlich?

9. Wie und wo verbrachte Emilie Kempin ihre letzten Lebensjahre?

 

Mögliche Antworten

1. Emilie Kempin, geborene Spyri, kam aus einer bekannten Pfarrersfamilie. Ihr Vater Johann Ludwig Spyri wechselte vom Pfarramt zur Kommunalpolitik, wo er das Amt eines Stadt- und Kantonsrats bekleidete. Die konservative und frauenfeindliche Haltung des Vaters, wonach Frauen allein aufgrund ihrer Gebärfähigkeit zu keiner anderen Aufgabe als der der Ehefrau und Mutter befähigt seien, führte zum Bruch mit Emilie.

2. Ihr Ehemann Walter verlor aufgrund von Unstimmigkeiten mit der Kirchenbehörde seine Pfarrstelle und konnte seine fünfköpfige Familie nicht mehr ernähren. Ein Studium war somit die naheliegende Lösung, um Emilie zu Beruf und Einkommen zu verhelfen.

3. In der Schweiz wurde ihr die Zulassung als Anwältin mit dem Hinweis auf die rechtliche Lage verweigert. Sie besaß als Frau kein sogenanntes Aktivbürgerrecht, das zu dieser Zeit männlichen Schweizer Bürgern vorbehalten war. Trotz einer Verfassungsbeschwerde vor dem Höchsten Schweizer Gericht, in der sich Emilie Kempin auf den Grundsatz der Gleichheit nach Art. 4 der Bundesverfassung berief, wurde ein ablehnendes Urteil gefällt. Emilie Kempin kämpfte noch ein knappes Jahr um ihre anwaltliche Gleichstellung.

4. Emilie Kempin wusste von weiblichen Rechtsanwälten in den USA und entschied sich, ihr Glück im Ausland zu suchen. Nach ihrer Ankunft in New York wurde sie als erste Frau an der Rechtsfakultät, der Law School, der New Yorker Universität als Studentin zugelassen. Sie arbeitete sich zügig in das ihr fremde amerikanische Recht ein und bekam eine Stelle als Volontärin in einem Anwaltsbüro. Neben der Gründung einer eigenen Rechtsschule für Frauen, die ihren Namen trug, lehrte Dr. Kempin am «Medical College & Hospital for Women» Gerichtsmedizin. Trotz dieses Engagements blieb ihr noch Zeit für das Verfassen ihrer Habilitationsschrift. Schließlich erhielt sie als erste Frau an einer amerikanischen Universität überhaupt eine Lehrbefähigung für die Rechtswissenschaft. An der New Yorker Universität lehrte Prof. Dr. Kempin römisches Recht und die Geschichte des amerikanischen Rechts.

5. Emilie Kempin blieb zeit ihres Lebens einem sehr traditionellen Rollenbild verhaftet. Die Mutterrolle besaß für sie unbedingte Priorität. Sie war eine entschiedene Gegnerin der Frauen, die aus «Laune, Bequemlichkeit, Ehrsucht und dergleichen», so ihre Formulierung in einer Art Selbstbekenntnis, ihren Beruf fortsetzten. Letztendlich sei es, so ihre Ausführungen in einem Vortrag, unmöglich, dem Doppelberuf gerecht zu werden, denn entweder müsse der häusliche oder der geschäftliche Beruf leiden.

6. Anders als noch vor drei Jahren erteilt ihr die Züricher Universität dieses Mal eine Lehrbefähigung für römisches, englisches und amerikanisches Recht. Scheinbar empfinden es ihre männlichen Studenten als demütigend, von einer Frau unterwiesen zu werden. So bleiben sie immer mehr den Vorlesungen Kempins fern. Auch das von ihrem Mann gegründete deutsch-amerikanische Rechtsbüro läuft mehr schlecht als recht. Emilie Kempin, die ja als Frau in der Schweiz nicht anwaltlich tätig sein darf, muss dabei zusehen, wie ihr Mann, der sein Jurastudium erst begonnen hatte, völlig überfordert die Mandaten vertritt. Sie ist aus finanziellen Gründen gezwungen, an einer Höheren Töchterschule zu unterrichten.

7. In den vier Jahren nach ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten widmet sie sich in Zürich unermüdlich der Frauenfrage. Sie gründet einen privaten «Frauenrechtsschutzverein» und gibt die Zeitschrift «Frauenrecht» heraus. Sie nimmt als einzige Frau an Fachtagungen teil, schreibt Artikel, hält Reden und Vorträge.
Anders als in der Schweiz wurde die Juristin von den Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung nur sehr bedingt akzeptiert. Sie wird wegen ihrer gemäßigten Positionen gerade in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Anschauungen heftig kritisiert. Den Frauenrechtlerinnen gehen die Bestimmungen des von Kempin mitverfassten BGB zu wenig weit. Auf dem Evangelischen Frauenkongress im Juni 1897 wird sie sogar als «entschiedene Gegnerin der Frauensache» beschimpft.

8. Emilie Kempin zerbrach letztendlich an ihrer völligen Isolierung und an der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz. Neben ihren beruflichen Misserfolgen musste sie zahlreiche private Niederlagen einstecken. Ihre Freunde, aber auch ihre eigene Familie hatten sich schon früh wegen der Heirat mit dem liberal gesinnten Walter Kempin von ihr abgewandt. Ihr Jurastudium tat dazu noch ein Übriges. Ihre Ehe stand unter einem unglücklichen Stern, schließlich kommt es 1895 zur endgültigen Trennung des Ehepaars. Die Kempin glaubt in dem um Jahre jüngeren Schriftsteller und Privatgelehrten Matthieu Schwann ein neues privates Glück gefunden zu haben. Doch Schwann beginnt ein Verhältnis mit Kempins Tochter Gertrud, die schließlich ein Kind von ihm erwartet. Emilie Kempin wird von ihrem früheren Geliebten in einem Artikel mit dem Titel Zur Frauenemanzipation bloßgestellt.

9. Nach einem Nervenzusammenbruch ließ sie sich im September 1897 freiwillig in eine psychiatrische Klinik in Berlin-Lankwitz einweisen. Die vielen persönlichen und beruflichen Niederlagen hatten ihre Spuren hinterlassen. Sie war, wie ihre Tochter Agnes es in ihren Erinnerungen beschreibt, unendlich müde geworden und litt mitunter an Wahnideen und Halluzinationen. Für ihre behandelnden Ärzte war die Sache klar: Emilie Kempin litt an Schizophrenie. Nach ihrer Entmündigung verlegte man sie Anfang 1899 in eine Nervenheilanstalt nach Basel. Die promovierte Juristin kämpfte in den verbleibenden zwei Lebensjahren mit allen Mitteln darum, die Klinik wieder verlassen zu können. Sie schrieb unzählige Bittgesuche, Anträge und Bewerbungen, die von der Anstaltsleitung gänzlich ignoriert wurden. Im April 1901 stirbt die Frau, die als erste Studentin an einer deutschsprachigen Universität ein Jura­studium absolviert hatte, 48-jährig an Krebs.