Sonderthema
Robert Walsers Werk
Robert Walser wäre gerne Schauspieler geworden. Jung und unbekümmert, so wird kolportiert, sprach er ausgerechnet dem zu seiner Zeit berühmtesten Mimen Josef Kainz vor – und fiel durch. Robert Walser, der Verlierertyp. Das wurde zu seinem Programm.
Die Konsequenz, die er zog, war, dass er nun entschlossen den Schriftstellerberuf wählte, ohne Publikumserfolg auch hier, aber er blieb beharrlich auf der Spur dieser Berufung, an der er keinen Zweifel zuließ. Lebenslang schrieb er in der Verkleidung eines Schauspielers, der sich auf eine Bühne stellte und sich in wechselnden Rollengewändern in unablässigen Monologen produzierte, sich aber nie wirklich als dichtendes Subjekt, das private Audienzen zu gewähren bereit war, zu erkennen gab. Er schrieb Gedichte, die, gereimt und artig, sich dennoch über jede lyrische Konvention hinwegsetzten und sich in ihrer Nacktheit kunstvoll versteckten. Das klang dann so: «Ich mache meinen Gang, / das führt ein Stückchen weit / und heim; dann ohne Klang / und Wort bin ich beiseit.» (Beiseit). Der Robert Walser-Ton. Niemand schien ihn hören zu wollen. Mit seinen in schneller Folge erscheinenden Romanen Geschwister Tanner (1906), Der Gehülfe (1908), Jakob von Gunten (1909), jeweils mit einem biografischen Hintergrund, und zuvor schon (1904) seinem ersten Kurzprosaband Fritz Kochers Aufsätze erging es ihm nicht viel besser. Aber die literaturverständigen Intellektuellen horchten auf: J.V. Widmann, sein erster Förderer, Franz Blei, Christian Morgenstern, etwas später Walter Benjamin und Robert Musil, auch Hermann Hesse. Genützt hat es ihm nicht viel. Die überredeten, zunächst auch überzeugten Verleger gaben es bei anhaltend ausbleibender Leserresonanz bald auf, ihn unter die Leute zu bringen. Er wechselte, allerdings ohne dass da ein Zusammenhang bestand zu seinen schriftstellerischen Misserfolgen, frühzeitig eine postmoderne Ich-AG, in verschiedene Berufe: Hilfsbuchhalter, Bankangestellter, sogar Diener auf einem Schloss in Oberschlesien, Sekretär. Subalterne Berufe, in denen er unauffällig und klein sein konnte, ohne je die Überzeugung von seiner dichterischen Aufgabe aus den Augen zu verlieren.
Ein schwieriger Zeitgenosse war Robert Walser zweifellos. Er faszinierte die Wenigen, die ein Ohr für ihn hatten, für seine stilistischen Extravaganzen, bis hin zum zitiert-imitierten Rokoko, aber er irritierte eben auch, bediente, wahrscheinlich nicht ohne eigensinnige Absicht, keineswegs die legitimen Erwartungen durchschnittlicher Leser, deren Hauptberuf nicht das Eindringen in künstlerische Labyrinthe sein konnte. Er saß dann sozusagen am kleinen Tisch mit der literarisch professionellen Intelligenz und wurde frühzeitig ein Künstler auch im Umgang mit der Armut.
So sehr viel hat sich, was die Beziehung seiner Leser zu ihm angeht, auch heute nicht geändert, obwohl sich, Jahrzehnte nach seinem Tod im Schnee, den er sich selbst gewünscht und vorhergesagt hatte, eine wachsende Lesergemeinde um sein Werk, seine nachgelassene Person, deren Aura und fast schon Mythos geschart hat.
Wie verlief sein Leben? Ziemlich viel Unruhe ist da zu spüren. Er war, durchaus auch in den damaligen Metropolen, viel unterwegs, häufig die Wohnung wechselnd, genoss, in gestaltungsreicher Kleinprosa dokumentiert, zwischen 1905 und 1913 mit Unterbrechungen das nervöse Großstadtleben Berlins, innig verbunden damals mit seinem als Maler und Bühnenbildner schnell berühmt gewordenen Bruder Karl, der dann aber ebenso schnell wieder aus der Mode kam.
In den 20er Jahren fast schon vergessen, zurückgezogen in seiner Schweizer Provinz in Bern, schrieb er noch einen letzten anarchischen, subjektivistisch modernen Roman, Der Räuber, für den er – bezeichnenderweise schrieb er ihn dennoch – wohl keinen Leser mehr erwartete.
Ein rücksichtslos chaotisches Werk, das in seiner listenreichen kryptischen Struktur eines Labyrinths sich nur dem geduldigen, der kompromisslosen Eigenwilligkeit dieses Autors zugewandten Leser aufschließt.
Diesen Leser, den er dann doch noch fand. Viel später, viele Jahre nach seinem Tode. Und ebenso wie zu seinen Lebzeiten die Eingeweihten der Literaturszene sich zuraunten: «Achtet auf diesen Robert Walser. Das ist ein Genie, aber das bleibt unter uns», ist es bis auf den heutigen Tag so geblieben, dass ein verschworener Kreis walserbegeisterter Literaturforscher und Literaten sich mit ganzer Seele und großem Engagement dieser singulären Gestalt widmet. Noch immer lassen sich in den Archiven diverser Zeitungen veröffentlichte und unveröffentlichte Prosatexte entdecken (Briefe, Gedichte. Der Schatz wächst und wächst). Denn davon lebte er in den letzten Jahren seiner Schriftstellerexistenz: vom Interesse und vom Wohlwollen einiger Redakteure, weit verstreut im deutschsprachigen Raum. Vieles auch blieb in der Schublade. Und Unmengen von Texten, Der Räuber gehört dazu, hinterließ er in bleistiftgeschriebener Miniaturhandschrift, inzwischen von
B. Echte und W. Morlang in jahrelanger Mühsal entziffert, publiziert unter dem Titel Aus dem Bleistiftgebiet. Die Zahl der Walser-Leser ist erheblich gewachsen, vor allem nachdem sich herumgesprochen hat, dass Franz Kafka ihn sehr hoch schätzte, dass er das wohl vor allem tat aufgrund einer untergründigen geistig-seelischen Verwandtschaft, wobei auf der Bühne der menschlichen Komödie Kafka den düsteren, Walser den heiteren Melancholiker gibt. Fest steht, unermüdlich erforscht und bloßgelegt, dass dieser oft skurril-clowneske, schwerzugänglich gesellige, fürchterlich Einsame schlicht ein Genie war. Ein Genie der Paradoxe in seinem Leben wie in seinem Werk. Dazu gehörte auch, dass er, in seinem Habitus geradezu autistisch, egomanisch, im Tonfall oft altmodisch auftretend, doch ein aufblitzend gedankenreicher, politisch sehr wacher, urteilsfähiger, dem aufkommenden Nationalsozialismus mit einer eigenen Sklavensprache begegnender Autor war, der sich hin und wieder bis an die Grenze der Satire vorwagte.
1933 verschwand er, ohne bis zum Lebensende noch eine Zeile zu schreiben, dennoch geistig ungebrochen, wie sein ihn regelmäßig besuchender einzig verbliebener Freund Carl Seelig feststellen konnte in der Heilanstalt Herisau, da er im Leben draußen allein nicht mehr zurechtkam und kein Angehöriger sich bereitfand, ihm einen Teil seines Lebens zu opfern. Die inzwischen entschieden angezweifelte Diagnose lautete auf Schizophrenie. Bis ans Ende, als er 1956, am ersten Weihnachtstag, tot in den Schnee fiel, machte er seine einsamen Spaziergänge, die ihn immer schon dichterisch inspiriert hatten und sein eigentliches Lebensthema waren.
Peter Gronau
Aus: Peter Gronau: Ich schreibe hier dekorativ. Essays zu Robert Walser. Königshausen & Neumann, 2006.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.sandammeer.at