Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №7/2010

Wissenschaft und Technik

Der Traum vom sagenhaften Goldreich El Dorado

El Dorado, «der Vergoldete»: Die Legende von dem Land in Südamerika, in dem man den neuen Herrscher mit Goldstaub puderte, inspirierte Generationen von Abenteurern. Archäologen haben jetzt Reste einer großen Kultur im Amazonas-Dschungel entdeckt. Stimmen die Geschichten über die sagenhafte Urwaldmetropole doch?

Geheimnisvoll war die Neue Welt für die Europäer, die im 16. Jahrhundert in den südamerikanischen Kontinent eindrangen. Als sie es in die Hochanden geschafft hatten, offenbarte sich den Spaniern ein straffes Staatswesen mit steinernen Großstädten, mit Wehrbauten und Heiligtümern, über Tausende Kilometer verbunden durch breite Straßen mit Rasthäusern und Botensystemen. Das Reich der Inka, fremdartig, als wäre es ein Traum, eine Welt ohne Rad, Pferd und Schrift. Und dennoch eine sagenhafte Hochkultur, voller Gold.
Unten aber, im Osten, im unendlich weiten Land der großen Flüsse, herrschte der Dschungel. Hier lebten der Jaguar, der Affe, der Skorpion und unbekannte Insekten. Für mehr war kein Platz im dichtesten Wald der Welt, wo kein Mensch hätte gehen oder stehen können. Nur hier und da, so hörte man, sollten steinzeitliche Indianer ihr Fleckchen gefunden haben zum Leben. Und irgendwo, Monate entfernt oder vollends unerreichbar, hieß es, sollten auch prächtige Städte sein, mitten im Urwald. Mit Palästen aus Gold. Regiert von einem Herrscher, der in Goldstaub badete: «El Dorado». Aber dies, so meinte man damals schon, war wohl kaum mehr als ein Gerücht. Alexander von Humboldt verkündete nach seiner Dschungelfahrt vor 200 Jahren endgültig: Es gibt kein El Dorado.
Nur ein Gerücht? Kürzlich meldete die Londoner Zeitung «Guardian»: «Amazonas-Entdecker bringen Spuren des realen El Dorado ans Licht». Eine ähnliche Schlagzeile stand in der italienischen «La Repubblica». Das sagenhafte Goldland, ist es 500 Jahre nach Kolumbus und 200 nach Humboldt doch noch ans Licht gekommen?
Eine gerade veröffentlichte Studie lag den Meldungen zugrunde, in denen Archäologen neue, brisante Funde aus dem südamerikanischen Urwald vorstellten. Etwas zu forsch texteten die Blätter daraus ihre Balkenüberschriften. Unnötigerweise. Denn auch wenn in der Studie kein Wort steht vom sagenhaften Goldland – sensationell ist es allemal, was die Forscher um den Finnen Martti Pärssinen in der Fachzeitschrift «Antiquity» jetzt präsentierten: Auf einer Fläche mit dem Durchmesser von 250 Kilometern war ihr brasilianischer Kollege Alceu Renzi einer hoch entwickelten versunkenen Kultur auf die Spur gekommen. Nicht im Hochland, sondern im Amazonasbecken, dort, wo nach alter Lesart niemand über das Steinzeitniveau hinausgekommen sein sollte.
Das bisher unbekannte Reich im Dschungel lag dort, wo heute der brasilianische Bundesstaat Acre an den äußersten Norden Boliviens grenzt. Kein Zufall, dass Spuren dieses gewaltigen Gemeinwesens erst jetzt ans Licht kommen. Offenbar waren die Siedlungen vor der Ankunft der Spanier verlassen worden. Dichter Regenwald wucherte anschließend wieder über die vorkolumbischen Liegenschaften. Nun aber, da hier nach Jahrhunderten erneut der Dschungel fällt, diesmal für Rinderweiden, gibt der Boden seine Vergangenheit preis. Renzi sah die ersten Strukturen aus dem Flugzeug, anschließend half die Satellitenbeobachtung für jedermann, Google Earth – eine Suchmaschine auch für untergegangene Welten.

Über 200 Muster, wie von Riesenhand ins Erdreich gepflügt
Großflächige geometrische Figuren sind auf dem ehemaligen Urwaldboden zu sehen, von der Forschergruppe vorläufig «Geoglyphen» (Erdzeichen) genannt. Noch sind sie sich über die genauen Funktionen nicht im Klaren. Wozu dienten sie, etwa die im Süden gefundenen, elf Meter breiten und bis drei Meter tiefen Gräben, die Kreise von bis zu 300 Metern umschließen? Als Stadtgräben? Oder die riesigen rechteckigen Formationen aus doppelten parallelen Gräben weiter im Norden? 55 Meter breite Straßen, flankiert von turmähnlichen Aufschüttungen verbinden diese rätselhaften Hinterlassenschaften einer alten Kultur. Warum waren sie so breit? Stand hier die Metropole eines größenwahnsinnigen Urwaldherrschers, vor 1000 Jahren?
Aus der Luft erinnert uns all das an Kornkreise auf den Äckern, mit denen Scherzbolde die Ankunft Außerirdischer suggerieren wollen. Doch bei den neuen Funden handelt es sich um mehr als reine Zeichensetzungen. Die Forscher fanden Bruchstücke von Hütten, Palisaden, Keramikscherben, gefertigte Holzkohle, Reste künstlicher Teiche, in denen die Bewohner Schildkröten oder Fische gehalten haben könnten, um Durststrecken bei einer Belagerung durchstehen zu können.
Organische Funde wie Holzkohle geben der Wissenschaft Auskunft über ihr Alter: Die Region war wohl in den Jahrhunderten vor und nach der vorletzten Jahrtausendwende bewohnt, offenbar aber vor der Ankunft der Europäer wieder verlassen worden. Aus unbekannten Gründen, ähnlich wie beim rätselhaften Zusammenbruch der Maya-Kulturen in Yucatán. Doch während die mächtigen Bauwerke der Maya wie die der Azteken, der Inka und anderer altamerikanischer Hochkulturen zum Teil noch heute stehen, weil sie aus Stein errichtet wurden, ist von den Holzbauten im weiten Unterland nichts mehr übrig. Hier gab es keine Steine, und was damals aufgegeben wurde, versank in wenigen Jahren im Wald, wurde von seinem Stoffkreislauf einverleibt.

Auf 60 000 schätzen die Archäologen die Einwohnerzahl des Urwaldreiches
Angesichts des angrenzenden, undurchsichtigen Dschungels ringsumher gehen sie davon aus, dass sie von der einst bewohnten Fläche erst einen Bruchteil erfassen konnten. Dass es sich um eine Dependance der Andenkulturen gehandelt haben könnte, quasi als ein Volk von Tiefland-Inkas, schließen Pärssinen und seine Kollegen aus. Die Funde geben keinen Hinweis auf Beziehungen in die Berge. Man war autonom.
Es gab schon länger hier und da Hinweise, dass an den alten Geschichten über Städte im Amazonasdschungel mehr dran gewesen sein könnte, als sich die Altamerikanisten träumen ließen. Seit gut zehn Jahren, nach einzelnen Funden, beginnt die Zunft zu ahnen, was unter dem zum Teil offenbar gar nicht mal so alten Dschungel schlummern könnte. Allerdings tat sich nie ein nur annähernd so großes Areal auf wie jetzt rund um Acres Hauptstadt Rio Branco.
Ein Grund dafür, dass die Forscher es sich schlicht nicht vorstellen konnten, dass im Amazonasbecken ertragreicher Ackerbau für sesshafte Völker betrieben werden konnte, war der mangelnde Humus des Urwaldbodens. Erst vor wenigen Jahren geglückte Funde in der Nähe des Xingu-Flusses weiter im Osten zeigten ihnen aber, wie die Tieflandindianer durch ausgefeilte Agrartechnik dieses Manko umgingen: Holzkohle, Dung und Kompost, angereichert mit Tonscherben und, wo vorhanden, Muschelschalen – aus dieser Mixtur fertigten die Amazonasbewohner eine Art Dünger, der ihnen einen fruchtbaren Boden bescherte für Feldfrüchte und Obstbau.
Diese «Terra preta» (Portugiesisch: «schwarze Erde») findet sich, das haben neuere Untersuchungen ergeben, noch heute auf schätzungsweise zehn Prozent der Fläche des gesamten Amazonasraums, vornehmlich in den höheren Lagen, die vor den alljährlichen Überschwemmungen geschützt sind. Mindestens diese Urwaldflächen waren also schon vor Kolumbus beackert worden. Und: Sie gelten heute noch als äußerst fruchtbar. So wird die Terra preta von Landbaubetrieben unserer Tage fleißig nachgemixt, Biohöfe auch hierzulande schwören darauf.

Starben Hunderttausende Indianer an Seuchen?
Abgedriftet bei seiner Suche nach El Dorado befuhr im Jahre 1542 Francisco de Orellana als erster Europäer den Amazonas, vom Oberlauf bis zur Mündung. Von «vielen Millionen» Menschen berichtete er, die die Ufer und das Hinterland bewohnt haben sollten. Fast 100 Jahre später erst folgten die nächsten Entdecker. Sie aber trafen kaum noch Menschen an. Hatte Orellana übertrieben? Oder waren die Indianer zwischenzeitlich verschwunden, dahingerafft von Seuchen, die Orellanas Mannschaft oder andere, unbekannte Spanier über sie brachten und gegen die ihr Immunsystem nicht ankam? Historiker neigen heute zur letzten Variante.
Nicht nur Orellanas gewagte Behauptungen, auch die von Abenteurern der Moderne könnten bei weiteren Entdeckungen rehabilitiert werden. Wie etwa Percy Harrison Fawcett, ein britischer Offizier, der in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehrere Expeditionen in verschiedenste Gegenden des Amazonaswaldes unternahm und mit immer unglaublicheren Berichten zurückkehrte: über breite Chausseen durch den Dschungel, aufgeschüttete Erdhügel voller Keramik, Spuren untergegangener Zivilisationen, unter anderem – auch etwa dort, wo jetzt Pärssinen fündig wurde. Man belächelte ihn.
Erst recht, als er 1925 zu seiner letzten Reise aufbrach, mit seinem Sohn. Die verschwundene, reiche «Stadt Z» wollten sie aufsuchen, von der er auf seinen Touren gehört habe. Im Dschungel im Nordwesten des Bundesstaates Mato Grosso sollte sie liegen. Am Ende blieben auch die beiden verschollen – auch wenn 1931 ein Schweizer Jäger berichtete, er habe bei den Indianern tief im Wald einen großen Mann mit blauen Augen und Bart getroffen, der sich als Oberst der britischen Armee ausgegeben habe.

Von Ulli Kulke

Der Text ist entnommen aus:
http://www.welt.de