Wissenschaft und Technik
Schweigen im Weltall
Jubiläum für Alien-Fahnder: Vor einem halben Jahrhundert haben Wissenschaftler die Suche nach außerirdischen Zivilisationen gestartet. Doch trotz rasanter technischer Fortschritte gibt es bisher keinen Hinweis auf Intelligenzlinge im All. Sind wir am Ende doch allein?
«Du hast 25 Minuten, Frank», sagt die Frau auf dem Podium. «Danach zerre ich dich von der Bühne.» Der ältere Herr mit dem schlohweißen Schopf lässt das Lächeln aus dem Gesicht fallen und erinnert damit frappant an Freddie Frinton in «Dinner for One». Mit finsterem Blick übers Brillengestell nimmt er seine jüngere Kollegin ins Visier. «Ich bin größer als du!»
Das anschließende Gelächter im Saal bleibt nicht der einzige spaßige Moment in der Sitzung bei der Jahrestagung des weltgrößten Wissenschaftsverbands AAAS im kalifornischen San Diego. Einige der bekanntesten Fahnder nach außerirdischen Zivilisationen haben sich versammelt, um nach einem halben Jahrhundert der Suche nach außerirdischen Zivilisationen Bilanz zu ziehen. Das ging überraschend gut gelaunt vonstatten angesichts der Tatsache, dass es nicht besonders viel zu feiern gibt.
Jill Tarter und Frank Drake, die Protagonisten des Eröffnungsdialogs, haben nahezu ihre gesamten Karrieren der Alien-Fahndung gewidmet. Tarter, 66, arbeitet in leitender Position am kalifornischen Seti Institute (Search for Extraterrestrial Intelligence); ihr Leben diente als Basis für die Rolle von Oscar-Gewinnerin Jodie Foster im Hollywood-Film Contact. Der Radioastronom Drake, 79, ist der Vater des Seti-Projekts und Erfinder der nach ihm benannten Gleichung, mit deren Hilfe sich die Anzahl kommunikationsfähiger Zivilisationen in der Milchstraße berechnen lässt.
Vor fast genau einem halben Jahrhundert, im April 1960, hat Drake den Startschuss für die Suche nach außerirdischen Intelligenzen gestartet: Am National Radio Astronomy Observatory in Green Bank (US-Bundesstaat West Virginia) lauschte er nach verräterischen Signalen aus dem Umfeld zweier Sterne. Eine kleine Bandmaschine lief mit, um die Grüße der Fremdlinge aufzuzeichnen.
Doch die blieben aus – bis heute. 50 Jahre nach Drakes erstem Experiment warten Astronomen noch immer auf ein Funksignal aus den Tiefen der Milchstraße. Die Hoffnung wird von kontinuierlichen technischen Fortschritten am Leben gehalten, die allerdings nur auf den ersten Blick große Schritte in Richtung des Erfolgs sind.
So lauschen Astronomen inzwischen nicht mehr auf einem oder Dutzenden, sondern auf Milliarden Kanälen zugleich. Zugleich wird die Fahndung nach Lichtsignalen im optischen Bereich («Optical Seti») mit Nachdruck vorangetrieben. «In 20 Jahren werden wir voraussichtlich in der Lage sein, eine Million Sterne zugleich zu untersuchen», sagt Seti-Forscher Dan Werthimer auf dem Symposium in San Diego.
Aufgabe für viele Generationen
Doch wer deshalb glaubt, die entscheidende Entdeckung sei nur noch eine Frage von Monaten oder Jahren, dürfte enttäuscht werden. In Wahrheit haben die Seti-Forscher bisher gerade einmal ein Billionstel des Weltraums und der Frequenzen untersucht, die für außerirdische Signale mutmaßlich in Frage kommen. Trotz immer schnellerer Computer dürfte sich die Suche deshalb hinziehen. «Halten Sie besser nicht den Atem an», meint Werthimer. Mit einem Erfolg der Suche rechnet er innerhalb der nächsten 250 Jahre.
Sein Kollege Paul Shuch von der Seti League ist ähnlicher Meinung: «Ich glaube nicht, dass Seti zu meinen Lebzeiten erfolgreich sein wird. Und wohl auch nicht zu Lebzeiten meiner Enkel oder Urenkel.» Die Suche nach Außerirdischen sei eher eine Aufgabe für viele Generationen.
Die bisherige Suche sei in etwa damit vergleichbar, dass man dem Ozean ein Glas Wasser entnimmt. «Auch wenn es theoretisch möglich ist, wird man in dem Glas wahrscheinlich keinen Fisch finden», so die Astronomin. «Das heißt aber nicht, dass es im gesamten Ozean keine Fische gibt.»
Pessimisten wenden ein, dass die Menschheit womöglich bis ans Ende ihrer Tage auf ein Signal aus dem All warten wird. Ein Grund könnte sein, dass eine Zivilisation nur wenige Jahrzehnte lang im großen Stil Funksignale aussendet. Anzeichen dafür finden sich auch auf der Erde: Digitale Radio- und Fernsehstationen senden inzwischen mit weit geringerer Leistung als ihre analogen Vorläufer.
Berühmte Alien-Formel
«Die Erde ist still geworden», sagt Drake. Ein moderner TV-Satellit schicke seine Programme nur noch mit einer Leistung von 20 bis 75 Watt auf die Erde. «Da strahlt fast nichts mehr ins All ab.» Es sei gut möglich, dass eine Zivilisation nur rund 50 Jahre lang aufzuspüren sei – in kosmischen Maßstäben ein verschwindend kurzer Moment. Auch sendeten viele starke irdische Radioquellen wie etwa Radargeräte nicht mehr wie früher auf einem schmalen Frequenzband, sondern benutzten ein breites Spektrum. Das erschwert die Suche nach derartigen Signalen zusätzlich.
Andererseits gibt es womöglich so viele fremde Zivilisationen im All, dass den irdischen Forschern früher oder später ein Zufallstreffer gelingt. Drake betont, dass seine 1961 entwickelte Gleichung noch immer gilt. Sie besteht aus sieben Variablen:
– wie viele Sterne pro Jahr entstehen,
– wie viele von ihnen ein Planetensystem besitzen,
– wie viele der Planeten Leben ermöglichen,
– auf wie vielen tatsächlich Leben entsteht,
– auf welchen intelligente Wesen wohnen,
– wie viele fremde Zivilisationen überhaupt ein Interesse an interstellarer Kommunikation haben,
– wie lang eine technische Zivilisation besteht.
«Als ich die Gleichung entwickelt habe, konnten wir die Faktoren nur schätzen», sagt Drake. Doch inzwischen wisse man, dass etwa die Hälfte aller Sterne Planeten besitzen. Die Entdeckung von Ozeanen unter dem Eis des Jupitermonds Europa wiederum lege nahe, dass die Zahl potenziell bewohnbarer Planeten größer ist als ursprünglich angenommen.
Dennoch gebe es weiterhin große Unsicherheiten. Zwar hegt Drake keinen Zweifel daran, dass es auf fernen Planeten Leben gibt. «Was im Sonnensystem passiert ist, war in keiner Weise ungewöhnlich, sondern dürfte an vielen anderen Orten auch geschehen sein – einschließlich der Entwicklung von Lebewesen, die Technologie benutzen.» Ungewiss sei aber, wie groß der Anteil dieser Zivilisationen sei. «Der zweite wichtige Faktor ist ihre Lebensdauer», sagt Drake. «Den werden wir nicht kennen, ehe wir eine fremde Zivilisation entdeckt haben.»
«Irgendwann wird die Öffentlichkeit zynisch»
Dennoch wagt er eine grobe Schätzung: «Ich gehe von rund 10 000 kommunikationsfähigen Zivilisationen in der Milchstraße aus.» Auch bei der Wartezeit bis zur Entdeckung des ersten Alien-Signals ist Drake optimistischer als die meisten seiner Kollegen: «Ich schätze, dass es in 20 bis 30 Jahren so weit sein wird.»
Die Frage ist, ob die Erdlinge selbst über eine so kurze Zeit bei der Stange bleiben werden – von deren Interesse hängt schließlich auch ein großer Teil der Finanzierung der Forschung ab, zumindest in den USA. «Das Interesse der Öffentlichkeit an Leben im All ist nach wie vor riesig», sagt Drake. «Die Öffentlichkeit erkennt aber auch, dass es schwierig sein wird, dieses Leben zu finden.» An dieser Stelle hätten sich die Wissenschaftler selbst einen Bärendienst erwiesen – «indem wir falsche Erwartungen geschürt haben». Die US-Weltraumbehörde Nasa etwa gerate in diese Gefahr, wenn sie vor jeder Mission aufs Neue verspreche, außerirdisches Leben zu finden. «Irgendwann wird die Öffentlichkeit zynisch», sagt Drake. «Unsere Suche wird oft stärker glorifiziert, als sie es verdient.»
Sollte man überhaupt größere Mittel in die Suche nach Außerirdischen stecken? Drake glaubt, dass sich die Fahndung lohnen könnte. Wenn wir ein Signal finden, werden wir zunächst wahrscheinlich nicht in der Lage sein, besonders viele Informationen daraus zu gewinnen», sagt der Astronom. Das werde ein nie dagewesenes technologisches Wettrennen um die besten Teleskope auslösen, um mehr über die Außerirdischen zu erfahren. «Wenn wir ihre Sendungen empfangen könnten, würden wir viel über die Fremden erfahren, ob sie andere Welten kolonisiert haben und wie ihre Technologie funktioniert. Das wäre für uns von unschätzbarem Wert.»
Außerdem mache die Suche eine Menge Spaß. «Das liegt vielleicht daran», grinst Drake, «dass man in dieser Disziplin nie völlig widerlegt werden kann.»
Markus Becker
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de