Sonderthema
Historischer Hintergrund
Preußische Reformen
Unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der napoleonischen Eroberungen von Freiherr vom Stein, Friedrich Freiherr von Hardenberg, Wilhelm Freiherr von Humboldt und August Gneisenau in Gang gesetzte Reformen im sozialen, wirtschaftlichen, bildungspolitischen und militärischen Bereich. Ab Oktober 1807 begann Stein in seiner etwas über einjährigen Amtszeit mit der Reform der Staatsverwaltung, indem er ein Kabinett unabhängiger, verantwortlicher Minister mit klar umrissenen Ressorts an die Stelle der Zentralregierung setzte. Das von Stein erlassene Oktober-Edikt von 1807 schaffte die Erbuntertänigkeit der Bauern ab; einen Monat später beschloss er die Selbstverwaltung der Gemeinden und befreite sie vom Zunftzwang. Hardenberg, der nach Steins Sturz von 1810 bis 1822 das Amt des Staatskanzlers innehatte, setzte das begonnene Werk mit eigenen Akzenten fort. Von besonderer Bedeutung war die unter Gneisenau und Scharnhorst in Angriff genommene Heeresreform. Zwar ließ sich eine allgemeine Wehrpflicht nicht durchsetzen, doch entstand neben einer 120 000 Mann starken Landwehr eine Berufsarmee, die sich dank einer kurzen Wehrdienstdauer permanent erneuerte («Krümpersystem») und daher im Ernstfall eine hohe Zahl ausgebildeter Reservisten heranzuziehen vermochte. Gleichzeitig musste der Adel fortan denselben militärischen Ausbildungsgang durchlaufen wie die Bürger. Die von Humboldt initiierte Bildungsreform, die das gesamte Unterrichtswesen der staatlichen Aufsicht unterstellte, verfolgte parallel dazu das Ziel, im zivilen Bereich ein eigenverantwortliches, hoch qualifiziertes Personal heranzubilden. Hierzu sollten die ab 1809 neu gegründeten humanistischen Gymnasien ebenso beitragen wie noch weiterführende Bildungseinrichtungen, etwa die ebenfalls neu entstandene staatliche Universität von Berlin (Humboldt-Universität). Obgleich konservative Kräfte, insbesondere der Adel, die Reformen zu bremsen versuchten, ließ sich die Neustrukturierung des preußischen Staates nicht aufhalten. Dabei teilten Politiker wie Stein oder Hardenberg keineswegs die Ideale der Französischen Revolution, sondern versuchten vielmehr im Gegenteil, sich von ihr «inspirieren zu lassen, um ihr besser Widerstand leisten zu können».
Wiener Kongress
Versammlung der europäischen Herrscher, um die territoriale Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen und dem Sturz Napoleons zu verhandeln. Der Kongress fand von September 1814 bis Juni 1815 in Wien statt.
Bedeutende Teilnehmer
Die Staatsmänner aller europäischen Mächte, mit Ausnahme der Türkei, versammelten sich in Wien zum Kongress, der im Februar 1815, nachdem er durch Napoleons Rückkehr von Elba beschleunigt worden war, endete. Unter den Monarchen war Zar Alexander I. von Russland von größtem Einfluss. Er trat für verschiedene Ansichten ein, die von der Mehrheit nicht unterstützt wurden, wie etwa die Vereinigung der deutschen Staaten und die Gründung einer konstitutionellen Regierung in Polen. Die vermutlich wichtigste Funktion unter den Diplomaten nahm Fürst Klemens von Metternich, der österreichische Staatskanzler und Vorsitzende des Kongresses, ein. Obwohl die Großmächte England, Russland, Preußen und Österreich entschieden hatten, dass weder Frankreich noch Spanien noch irgendein kleinerer Staat an den wichtigen Entscheidungen teilnehmen sollte, gelang es dem französischen Diplomaten Charles Maurice de Talleyrand-Périgord, der das besiegte Frankreich vertrat, für sein Land gleiche Entscheidungsbefugnis durchzusetzen. England wurde vor allem durch seinen Außenminister Robert Stewart und durch den General und Staatsmann Arthur Wellesley, Herzog von Wellington, vertreten. Der Hauptvertreter Preußens war Karl August Fürst von Hardenberg.
Die wichtigsten Beschlüsse
Frankreich verlor alle von Napoleon eroberten Gebiete. Norwegen und Schweden wurden unter Karl XIV. Johann von Schweden vereint (Personal-Union). Holland und die vormals habsburgischen Niederlande wurden zum Königreich der Niederlande vereint. Die Schweiz erlangte die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität als Gesamtstaat auf föderativer Grundlage. Russland erhielt den größten Teil des Herzogtums Warschau (Kongress-Polen), dem Zar Alexander I. als König vorstehen sollte. Preußen erhielt Schwedisch-Pommern, außerdem die nördliche Hälfte des Königreiches Sachsen und den größten Teil von Westfalen und dem Rheinland. Österreich bekam die meisten im Krieg verlorenen Gebiete zurückerstattet. Als Entschädigung für den Verlust der österreichischen Niederlande erhielt es zusätzlich die (ehemals italienischen) Gebiete Lombardei und Venetien sowie den ehemals venezianischen Teil von Dalmatien (heute in Kroatien). England behielt die Kapkolonie, Ceylon (heute Sri Lanka), Mauritius, Helgoland und Malta. Italien blieb geteilt. Der König von Sardinien erhielt Piemont, Nizza und Savoyen zurück und bekam zusätzlich Genua. Ferdinand I. wurde neuerlich zum König über das Königreich Sizilien ernannt, das Herzogtum Parma wurde Napoleons Frau Marie Louise von Österreich zugesprochen. In einer Bundesakte vom 8. Juni 1815 wurde auf dem Wiener Kongress der Deutsche Bund begründet, der 41 souveräne Staaten, darunter Preußen, in einer Föderation unter dem geschäftsführenden Präsidium Österreichs zusammenschloss.
Der Wiener Kongress erließ weiterhin Beschlüsse gegen den Sklavenhandel, über die Schifffahrt auf länderübergreifenden Flüssen. Seine größte Leistung war die Herstellung eines Gleichgewichts der europäischen Mächte. So konnte eine nahezu vierzig Jahre andauernde Friedenszeit eingeleitet werden.
Personen
Friedrich Wilhelm III. (König von Preußen) (1770–1840)
Friedrich Wilhelm wurde als Sohn von Friedrich Wilhelm II. am 3. August 1770 in Potsdam geboren. 1793 heiratete er Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz; 1824 ging er eine nicht standesgemäße Ehe mit Auguste Gräfin Harrach ein. In den ersten Jahren seiner Regierung führte Friedrichs Neutralitätspolitik zu außenpolitischer Isolation und Abhängigkeit von Frankreich. Dennoch konnte er Preußen in den Jahren 1803 und 1805/1806 wesentlich vergrößern. 1806 beteiligte er sich am Krieg gegen Napoleon I. und erlitt in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt eine Niederlage, die zum Frieden von Tilsit führte und über die Hälfte des preußischen Territoriums kostete. Großen Einfluss auf Friedrich Wilhelms Politik übten u. a. Karl August Freiherr von Hardenberg und der Freiherr vom Stein aus. Unter seiner Herrschaft wurden die preußischen Reformen durchgeführt: neben inneren auch militärische Reformen. 1813 schloss Friedrich Wilhelm sich nochmals dem Kampf gegen Napoleon I. an. Nach dem erneuten Erstarken Preußens verzichtete er auf eine Fortführung seiner Reform – zugunsten einer Restaurationspolitik. Das während seiner Herrschaft mehrfach abgegebene Versprechen einer «Nationalrepräsentation» (1810, 1815 und 1820) wurde nicht eingelöst, lediglich Provinzialstände wurden gebildet. Friedrich Wilhelm III. starb am 7. Juni 1840 in Berlin.
Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831)
Preußischer Politiker und Reformer. Stein wurde am 26. Oktober 1757 in Nassau geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen und trat 1780 in den preußischen Staatsdienst ein. Er stieg in der Verwaltung der westlichen Provinzen Preußens rasch auf: 1784 wurde er Direktor der westfälischen Bergämter, 1788 Direktor der Kriegs- und Domänenkammer von Kleve und Mark, 1796 Oberpräsident der rheinisch-preußischen Kammern und 1803 Oberkammerpräsident von Münster und Hamm. 1804 wurde er zum Preußischen Minister für Wirtschaft und Finanzen ernannt. Stein suchte mit einigem Erfolg, durch Wirtschafts- und Finanzreformen den preußischen Staat materiell für die Auseinandersetzung mit Napoleon zu rüsten; mit seinem Vorschlag zur Reform des Regierungssystems – verantwortliche Ministerialregierung statt königlicher Kabinettsregierung – konnte er sich jedoch nicht durchsetzen. Das ihm angebotene Amt des Außenministers lehnte er aus Protest gegen die Kabinettsregierung ab, und am 3. Januar 1807 wurde er von König Friedrich Wilhelm III. entlassen. Stein zog sich auf sein Gut in Nassau zurück und verfasste hier seine Nassauer Denkschrift zur Reform der Verwaltung; wichtigster Punkt seines Reformenkatalogs war seine Forderung nach mehr Selbstverwaltung der Gemeinden und Provinzen und somit die Beteiligung aller Bürger am Staatswesen. Im September 1807 wurde Stein erneut als leitender Minister berufen, und zwar auf Empfehlung Napoleons und des Freiherrn von Hardenberg. Stein begann sogleich mit der Durchführung grundlegender Reformen: Im Oktober 1807 wurde die bäuerliche Erbuntertänigkeit in ganz Preußen abgeschafft, und ständische Beschränkungen wurden aufgehoben; im November 1808 erhielten die Städte die Selbstverwaltung, und die Kabinettsregierung wurde durch eine Ministerialregierung ersetzt. Am 24. November 1808 wurde Stein auf eigenen Wunsch entlassen; seine antifranzösische Einstellung hatte ihn in Konflikt mit Napoleon gebracht. Stein ging zunächst nach Österreich ins Exil; 1812 holte ihn Zar Alexander I. als Berater nach Russland. Nach Napoleons Niederlage in Russland 1812 veranlasste er den Zaren zur Gegenoffensive; Anfang 1813 überredete er in russischem Auftrag die ostpreußischen Stände zur Erhebung gegen Napoleon, und anschließend vermittelte er ein preußisch-russisches Bündnis gegen Frankreich. 1814 nahm Stein ohne offiziellen Auftrag als Berater des Zaren am Wiener Kongress teil; hier setzte er sich ohne Erfolg für einen starken deutschen Bundesstaat und gegen die Restauration der alten politischen Verhältnisse ein. Ab 1818 lebte Stein zurückgezogen in Westfalen. Stein starb am 29. Juni 1831 in Schloss Cappenberg.
Humboldt, Wilhelm, Freiherr von (1767–1835)
Preußischer Politiker, Schulreformer, Sprachforscher und Philosoph. Er wurde am 22. Juni in Potsdam als Bruder des Naturwissenschaftlers Alexander von Humboldt geboren und studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten von Frankfurt an der Oder, Göttingen, Weimar und Jena. Während und nach den Napoleonischen Kriegen stand er im preußischen Staatsdienst, reformierte als Erziehungsminister das preußische Schul- und Universitätswesen nach humanistischen Prinzipien und den sozialreformerisch-anthropologischen Ansätzen des Schweizer Reformpädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Humboldt gründete in Berlin eine Universität, die nach ihm benannt wurde. Von 1810 bis 1815 war er Botschafter in Wien und nahm am Wiener Kongress teil. Später war er Gesandter in London.
1819 quittierte der liberal gesinnte Humboldt den Dienst als preußischer Beamter und brachte damit seine Opposition gegen die repressive und reaktionäre Politik des Staatsapparates zum Ausdruck. Den Rest seines Lebens widmete er sich wissenschaftlichen Studien. Er verfasste neben seinen philologischen und sprachtheoretischen Untersuchungen auch Arbeiten zur Staatstheorie und übersetzte Werke der klassischen Antike aus dem Griechischen. Er pflegte auch einen Schriftwechsel mit Johann Wolfgang von Goethe, der 1876 veröffentlicht wurde.