Sonderthema
Josef von Fraunhofer: «Das ist der Mann, den wir suchen!»
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Josef von Fraunhofer
Seine Büste steht in der Ruhmeshalle in München. Der einstige Spiegelmacherlehrbub Josef Fraunhofer war ein Genie. Anfang des 19. Jahrhunderts begründete er als Leiter des Münchner Mathematisch-Mechanischen Instituts und der Glashütte von Benediktbeuern den wissenschaftlichen Fernrohrbau. Grundwissen der heutigen optischen Physik sind seine Forschungen zum Wellencharakter des Lichts und seine Untersuchungen zum Farbspektrum des Sonnenlichts. Seine Erfindung, den «Dorpater Refraktor», kann man heute im Deutschen Museum in München bestaunen. Fraunhofer, stets in seiner beruflichen Arbeit giftigen Schmelzdämpfen, Glasstaub und Quecksilber ausgesetzt, starb bereits im Alter von 39 Jahren.
Am 21. Juni des Jahres 1801 ereignete sich in München ein folgenschwerer Unglücksfall.
«Im Thiereckgässchen stürzten zwei Häuser plötzlich zusammen. Es ist mehr dem Zufall als der Vorsicht der Hausbewohner zuzuschreiben, dass von 42 in den beiden Häusern wohnenden Menschen nur vier mit umsanken. Der Spiegelmacher Philipp Weichselberger, welcher das sicherste Mittel ergriff, sich unter der Tür festzuhalten, wurde doch noch glücklich herausgebracht. Desto unglücklicher ging es dessen Ehegattin und dem Lehrjungen, der im Augenblick unter mehreren tausend Zentnern Stein und Gebälke begraben lag.»
In Windeseile sprach sich das Unglück in der ganzen Stadt herum. Von allen Seiten strömten Helfer und Schaulustige herbei. Sogar der Kurfürst persönlich eilte zur Unglücksstelle.
«Hier erfuhr man, dass der Lehrjunge noch lebte und anfangs einen Finger, dann die Hand, endlich einen Arm herausstreckte. Man steckte ihm Schnupftücher zu, die mit Wasser und Essig getränkt waren, und brachte ihn endlich nach vierstündiger Arbeit ans Tageslicht.
Seine kurfürstliche Durchlaucht, welche während der Arbeit unten an den gefährlichsten Plätzen sich aufgehalten hatte, gingen selbst in das halb abgerissene Zimmer im ersten Stock, um die Arbeiter zu ermuntern, und sahen mit sichtbarer Rührung, wie der Knabe den Arm aus der Ritze herauslangte.»
Was nach der Rettung des jungen Glaserlehrlings aus den Trümmern geschah, klingt fast wie ein Märchen. Sein Name: Josef Fraunhofer.
«Am 1787, den 6. Märzen ist der JOSEPH zur Welt geboren zwischen 8 und 9 Uhr im Zeichen einer Waag.» So steht es im Straubinger Familienbuch des Glasermeisters Franz Xaver Fraunhofer und seiner Frau Anna.
Joseph war das elfte Kind in der Familie. Er wurde in eine unruhige Zeit hineingeboren. Revolution, Krieg und Hungersnöte erschütterten Europa und brachten Elend und Leid auch nach Bayern. Dazu kamen familiäre Schicksalsschläge: Die Mutter starb 1797, nachdem sie die Kellertreppe heruntergefallen war. Nur ein Jahr später starb auch der Vater – der jüngste Sohn Josef war erst 10 Jahre alt. Als Vollwaise erhielt er zwei Straubinger Handwerker als Vormünder zugeteilt, deren einer, ein Drechslermeister, ihn in die Lehre nahm. Als sich der Junge als zu schwach für die Drechslerei erwies, schickte ihn der Meister nach München – zur Ausbildung bei einem Spiegelmacher.
«Was die Bedingnisse betrieft, sind uns selbe ganz anständig. Und besser wenn er 6 Jahre lernet. Wenn er etwas braucht, so werden wir es besorgen, nur bitten wir darauf zu sehen, was ihm notwendig ist, denn Buben haben immer Gedanken und Einbildungen, die zur Häuslichkeit und Wirtschaft nicht stimmen. Butzen und säubern kann er sich selbst, hierzu ist er geschickt und groß genug.» Mit diesem Schreiben seiner Vormünder an den künftigen Lehrherrn in der Tasche machte sich das Kind auf die dreitägige Fahrt in die Hauptstadt.
«Damit Josef nicht einige Seitenwege oder sogenannte Tauschlereyen machen kann, so muss ich ihnen noch melden, dass er zwei Diamant und 1 Gulden Taschengeld von uns erhalten hat. Der Both hat ihn auf seiner Reise zu verpflegen und die Auslage wird ihm von uns vergütet.»
Ein strenger Ton! Nicht weniger streng war die Behandlung, die Josef Fraunhofer in seiner Lehre erfuhr – beim Hofspiegelmacher und Glasschleifer Philipp Weichselberger. Der Wissenschaftshistoriker Ivo Schneider: «Das heißt, dass er vom eigentlichen Handwerk noch nicht viel mitbekommen hat, sondern dass er für Dienstbotenarbeiten unter heute unerträglichen Umständen – in einer Kammer ohne Licht und dass bei diesem Lehrmeister so gut wie alles verboten war. Er durfte also überhaupt nichts, er durfte nicht lesen, er durfte nicht in die Schule gehen, sondern nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dort Dienstbotengeschäfte und niedrige Arbeiten verrichten. Bis dann das Haus, in dem er mit seinem Meister und der Meisterin wohnte, eingestürzt ist.»
Dieses Unglück leitete die Wende ein in Fraunhofers Leben: Er erhielt nach seiner Rettung vom bayerischen Kurfürsten und späteren König Max I. 18 Dukaten. Damit erwarb er später eine eigene Glasschneidemaschine und kaufte sich von den letzten Monaten seiner Lehre frei. Und noch ein weiterer Gönner fand sich: der Münchner Unternehmer Josef von Utzschneider: «Ich sah ihn zum ersten Mal, als er aus dem Schutte hervorgebracht wurde. Dann besuchte ich ihn einige Mal; er zeigte mir unter anderem auch das Geldgeschenk, das er vom aller höchstseligen König erhielt, und rechnete mir vor, wie er diese für ihn große Summe nützlich anwenden wolle.
Er ließ sich eine Glasschneidemaschine machen und schliff an Feiertagen optische Gläser; stieß aber auf allerlei Hindernisse, weil es ihm an Theorie und Mathematik überhaupt mangelte. Ich brachte ihm Klemms und Tanzers mathematisches Lehrbuch und nannte ihm einige über die Optik erschienene Bücher.»
Das hat schließlich dazu geführt, dass Fraunhofer zu Utzschneider und dem Institut von Reichenbach, Liebherr und Utzschneider, wie es damals hieß, Kontakt bekam und dass er nach Abschluss der Lehrzeit in dieses Institut eingetreten ist, allerdings auch dort natürlich am Anfang keine Bäume ausgerissen hat, weil er bei Weichselberger, der ihm zwar ein gutes Gesellenzeugnis ausgestellt hat, Wesentliches gar nicht erlernen konnte.
Von dem großen Fraunhofer-Refraktor wurden insgesamt zwei Exemplare gefertigt. Der erste Refraktor wurde 1824 in Dorpat (heute Tartu, Estland) von Friedrich Wilhelm Georg Struve in Betrieb genommen und zur Doppelsternbeobachtung eingesetzt. Nach Fraunhofers Tod 1826 wurde ein zweites, baugleiches Exemplar in seiner Werkstatt gefertigt und an die Königliche Sternwarte in Berlin geliefert. Mit diesem Teleskop entdeckte Johann Gottfried Galle 1846 den Planeten Neptun. Zu dieser Zeit gehörten diese beiden Teleskope zu den weltweit besten. Das Berliner Exemplar ist heute im Deutschen Museum in München zu besichtigen. Foto : J.S. Schlimmer 1995
Utzschneider erkannte jedoch das Potenzial, das in dem hochbegabten jungen Mann steckte. Ebenso sein Kompagnon im Mathematisch-Mechanischen Institut, Georg von Reichenbach. Der geniale Mechanikus, Erfinder und Erbauer von Qualitätsinstrumenten sagte bereits beim ersten Treffen mit Fraunhofer: «Das ist der Mann, den wir suchen, der wird uns liefern, was uns noch gefehlt hat!»
Die Herstellung von Brillen, Lupen und Fernrohren war um 1800 reine Handwerkerarbeit, bei der praktische Erfahrungen von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Statt mathematischer Berechnungen war Überlieferung und Ausprobieren die Grundlage der Produktion.
Den Anforderungen der modernen Zeit allerdings konnten die Betriebe damit nicht gerecht werden. Vor allem die Nachfrage nach exakten Vermessungsgeräten war groß, weil auf Befehl des neuen bayerischen Kurfürsten und seines Ministers Montgelas ein topographischer Atlas des gesamten Landes erstellt werden sollte, als unabdingbare Basis für ein funktionierendes Steuerwesen und ein schlagkräftiges Militär.
Entsprechend war die Unterstützung für Reichenbach, als er ankündigte, zusammen mit dem Uhrmacher Liebherr geodätische Instrumente herzustellen – nach einer neuen, selbst entwickelten Methode. Es gab von mehreren Seiten Zuschüsse und reichlich Aufträge. Dennoch ging den beiden Tüftlern schon bald das Geld aus. Daraufhin hatte sich Reichenbach noch den erfahrenen Kaufmann Utzschneider ins Mathematisch-Mechanische Institut geholt. Ein großes Problem allerdings konnte auch der nicht lösen: Hochwertiges Glas für die optischen Geräte war kaum zu bekommen.
Kronglas und Flintglas sind die Ausdrücke dafür, die bezog man aus England, das war natürlich teuer, außerdem haben die Glashersteller in England das beste Material – das hat man ja immer ausgewählt – für sich behalten, und das hat bei Utzschneider das Bedürfnis ausgelöst, sich der Glasproduktion selbst zu bemächtigen und diese anzufangen. Er hat bemerkt, da ist ein riesiger Bedarf und hat das selbst in die Hand genommen.
Die Herstellung von Glas war bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein streng gehütetes Geheimnis. Das Mischungsverhältnis von Sand, Soda und Kalk, die zusätzlichen Beigaben und die Temperatur, mit der das Kron- und Flintglas geschmolzen wurde – all das musste jeder Glasmacher für sich selbst herausfinden in ständigem Experimentieren und Versuchen.
Für sein Institut hatte Utzschneider bereits den «Star» unter Europas Glasmachern nach Bayern geholt, den Schweizer Luis Guinand. Er richtete im säkularisierten Kloster Benediktbeuern eine Glashütte ein. Optisches Glas wurde damals nicht anders hergestellt als Gebrauchsglas; man schnitt einfach aus den fertigen Blöcken die besten Stücke heraus, frei von Blasen und Schlieren.
Mit einer speziellen Rührtechnik für die heiße Glasmasse brachte Guinand in Benediktbeuern einigermaßen gute Ergebnisse zustande. Doch nach wie vor war dieses Glas nicht von gleichmäßiger Qualität – die Schicht am Boden des Schmelztopfes war anders als die an der Oberfläche. Exaktes Arbeiten war damit also nach wie vor nicht möglich. Fraunhofer schrieb später: «Man musste sich innerhalb gewisser Grenzen auf einen günstigen Zufall verlassen, weswegen man eine große Anzahl Gläser schliff und diejenigen zusammensuchte, bei welchen sich die Fehler am nächsten kompensierten.»
Nur wenige Monate nach seinem Eintritt ins Mathematisch-Mechanische Institut verlegte Fraunhofer seinen Arbeitsplatz in die Benediktbeurer Werkstatt. Dort entwickelte er neue Verfahren für das Schleifen, Polieren und Prüfen der Linsen und baute mit Reichenbachs Unterstützung auch die dafür erforderlichen Maschinen.
Utzschneider war begeistert und überließ dem jungen Mann immer mehr Verantwortung. Fraunhofer erinnerte sich: «Meine Beschäftigung ist also Aufsicht über das ganze Institut, das Schleifen der wichtigsten Gläser, Rechnung und Prüfung der Gläser.»
50 Untergebene gehorchten den Anweisungen eines Zweiundzwanzigjährigen! Guinand, bisheriger Leiter der Glashütte, war empört. Nach einigen schwierigen Jahren der Zusammenarbeit verließ er Benediktbeuern mit einer stolzen Abfindung und ging zurück in die Schweiz.
Im selben Jahr 1809 holte Utzschneider Fraunhofer als Mitbesitzer ins Unternehmen und stellte ihm sogar die Gesellschaftereinlage von 10 000 Gulden zur Verfügung – wohl wissend, welche Möglichkeiten sich auftaten, wenn das junge Genie dem Mathematisch-Mechanischen Institut, wie es nun hieß, erhalten blieb.
Die beiden haben sich, was die Aufträge anging, in einem Briefwechsel unterhalten, wo allein von Utzschneider 300 erhalten sind. Und aus diesem Briefwechsel wird deutlich, dass Fraunhofer viel selbstständiger geworden war, dass er den Wünschen von Utzschneider durchaus nicht so willfährig entgegenkam, wie man das bei dem, was Utzschneider für ihn getan hat, erwarten hätte können – er hatte Funktionen an der bayerischen Akademie der Wissenschaften, er wollte auch publizieren – das erfordert alles Zeit, und er musste sich auch irgendwann erholen, und da haben Erledigungen von Aufträgen länger gedauert, als es sich Utzschneider erwartet hat. Wobei das von Utzschneider auch nicht willkürlich war, sondern er hat Aufträge von den Sternwarten, von berühmten Astronomen erhalten, ich hab das schon vor 2 Jahren bestellt, was ist denn – versprochen war mir – dann kommt ein Brief von Utzschneider an Fraunhofer, der von Zach in Genua wartet auf die Lieferung der Instrumente, was ist denn schon, oder die Königin möchte ein Opernglas haben und es wird doch Zeit, dass der Wunsch, der als vorrangig angesehen wird, erfüllt wird. Und da zeigte sich Fraunhofer, sagen wir, wenn man’s positiv ausdrückt, immer souveräner.
Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften war Fraunhofer aufgrund seiner 1817 erschienenen Schrift Bestimmung des Brechungs- und Farbzerstreuungsvermögens verschiedener Glasarten geworden.
Hier fasst er unter anderem die Entdeckungen zusammen, mit denen er ein großes Problem der optischen Industrie lösen konnte: den Umstand nämlich, dass bei der Betrachtung durch die Linse in einem Fernrohr manches scharf zu sehen war, anderes aber nicht – eine Folge der «Dispersion». Dazu Ivo Schneider: «Man hat dann die sogenannte Dispersion schon früh bemerkt, das heißt, dass die Brechung für dieselbe Glassorte verschieden ausfällt, je nachdem, um welche Farbe des Lichts es sich handelt. Dass nämlich blaues Licht stärker gebrochen wird als rotes Licht. Und das führt zu Verzerrungen bei Abbildungen durch Linsen, die natürlich sehr störend sind, was die Bildschärfe anlangt.»
Fraunhofer arbeitete daran, diese Farbfehler zu beseitigen. Dafür musste er die einzelnen Farben exakt orten können: Wo genau im regenbogenfarbenen Spektrum lag der jeweilige Farbton?
«Wenn Sie ein Prisma nehmen und ein sogenanntes kontinuierliches Spektrum, dann haben Sie einen Übergang von Rot über Gelb, Grün zu Blau – kontinuierlich, wenn Sie eine Farbe raussuchen, blau, können Sie irgendwo im Blau sein und natürlich ist auch ein Unterschied im Blau in der Brechung und in der Dispersion, es wäre also ganz wichtig, einen genauen Ton festzulegen. Und der war nur möglich durch die sogenannten Absorptionslinien im Sonnenspektrum.»
Während einer Versuchsreihe entdeckte Fraunhofer diese Linien. Sie tauchen in den Farben des Sonnenlichtes auf und haben eine unveränderliche Lage. Das war genau das, was ihm bisher gefehlt hatte: Die Linien waren feste Markierungspunkte im Spektrum des Sonnenlichtes und erlaubten somit genaue Messungen. Jetzt konnte man genau feststellen, welche Intensität ein Farbton an einer bestimmten Stelle des Spektrums hatte – nämlich bei einer der Linien. Somit ließ sich die Qualität und Brechkraft von Linsen genau prüfen.
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Büste Fraunhofers in der Ruhmeshalle in München
Fraunhofer: «Ich habe mich durch viele Versuche und Abänderungen überzeugt, dass diese Linien und Streifen in der Natur des Sonnenlichtes liegen und dass sie nicht durch Beugung, Täuschung und so weiter entstehen.»
574 dieser dunklen, senkrechten Linien entdeckte Fraunhofer im Farbspektrum des Sonnenlichtes. Mit ihnen ließ sich nicht nur die Qualität von Linsen mit einem Mal exakt bestimmen – sie brachten auch weitere entscheidende Erkenntnisse zum Thema «Licht».
Heute spielen sie bei der Spektralanalyse, dem wohl wichtigsten chemischen Analyseverfahren, eine bedeutende Rolle. Denn die Linien sind zwar bei ein und derselben Lichtquelle immer gleich, bei verschiedenen Lichtquellen jedoch unterschiedlich. Kurz, sie sind abhängig von der Zusammensetzung der Lichtquelle und lassen Rückschlüsse auf diese zu.
Fraunhofer: «Ohne Täuschung habe ich im Farbenbilde vom Lichte des Sirius drei breite Streifen gesehen, die mit jenem vom Sonnenlichte keine Ähnlichkeit zu haben scheinen. Auch im Farbenbilde vom Lichte anderer Fixsterne erkennt man Streifen, doch scheinen diese Sterne in Beziehung auf die Streifen unter sich verschieden zu sein.»
Als «Fraunhofer’sche Linien» sind diese Streifen heute in der Astrophysik ein fester Begriff. Zur Legende geworden ist die Art und Weise, wie Fraunhofer auf ein anderes wichtiges Forschungsgebiet stieß: das Beugungsverhalten von Licht: «Als er eines Abends im Klosterwirtshause zu Benediktbeuern saß, betrachtete er das Licht auf dem Tische durch den Bart einer Schreibfeder. Dabei nahm er das Farbenspektrum wahr und schloss daraus, dass sich durch feine Gitter und ein Fernrohr der Grad der Beugung von Lichtstrahlen genauer bestimmt als durch bisherige Verfahren.»
Im Jahr 1819 musste Utzschneider das Kloster Benediktbeuern verkaufen – die Werkstatt ging zurück nach München; lediglich die Glashütte blieb am alten Ort. Fraunhofer traf dieser Wechsel schwer – er hatte die ländliche Ruhe der Umgebung sehr geschätzt. Nur wenn Glas geschmolzen wurde, kam er persönlich nach Benediktbeuern. Auf seine Mitarbeiter konnte er sich nur bedingt verlassen: «Nachdem er seinem Vorarbeiter die nötige Anleitung gegeben hat, begab er sich mit einem Freunde zu einer musikalischen Unterhaltung, die in der Klosterschenke stattfand, in der guten Meinung, dass seine Aufträge pünktlich erfüllt würden. Aber was geschah? Der Vorarbeiter und seine Helfer verfielen in einen tiefen Schlaf, und als Herr Fraunhofer von der Schenke in die Glashütte zurückkam, fand er die Arbeiter schlafend, das Feuer erloschen und die Schmelze war verloren.»
Eine der wenigen Gelegenheiten, wo von einem Zornesausbruch Fraunhofers berichtet wird – peinlich exaktes Arbeiten war die Grundlage seines Erfolges.
Mittlerweile stieg sein Stern höher und höher. Prominente aus Adel und Wissenschaft besuchten ihn in der Werkstatt – der König ebenso wie der Astronom Gauß aus Göttingen oder der russische Zar – und brachten Ehrungen aller Art: Medaillen, die Ehrendoktorwürde und endlich die Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Allerdings nur als außerordentliches Mitglied – die ordentliche Mitgliedschaft wurde ihm von der geistigen «Elite» Münchens verweigert. Einer seiner Widersacher war das prominente Akademiemitglied Joseph von Baader: «Er ist nicht studiert, nicht einmal die Gymnasialschule hat er durchgemacht. Wenn er bei seinem ungewöhnlichen Fortschritte in seinem eigentümlichen Kunstfache die unentbehrlichen Elemente der Dioptrik sich eigen gemacht hat, so ist er darum noch kein Mathematiker, kein Gelehrter.»
Vier Jahre später hatte sich das Blatt gewendet. Baader lobte Fraunhofer öffentlich: «Es ist schön, über Licht so viel Licht zu verbreiten.»
Zu dieser Zeit befand sich München geradezu im Fraunhofer-Taumel. Auslöser war ein riesiges Teleskop, das nach jahrelanger Bauzeit endlich fertig geworden war, der «Dorpater Refraktor». Bevor er an seinen Bestimmungsort verschickt wurde, die russische Stadt Dorpat, war er in der Salvatorkirche zur öffentlichen Besichtigung ausgestellt: ein Triumph bayrischer Technologie. Im selben Jahr erhielt Fraunhofer den Adelstitel.
Ein ruhigeres Leben allerdings konnten ihm all die Ehrungen und auch der steigende Verdienst nicht verschaffen. Er musste einfach immer weitermachen; bei jeder Lösung eines Problems tat sich ein neues auf, das ihn faszinierte: «Bei all meinen Versuchen durfte ich aus Mangel an Zeit hauptsächlich nur auf das Rücksicht nehmen, was auf praktische Optik Bezug zu haben schien, und das Übrige entweder gar nicht oder nicht weiter verfolgen.»
Angesichts all der zeitraubenden Tätigkeiten stellt sich die Frage nach einem Privatleben des schüchternen Junggesellen kaum – für ein Familienleben war vermutlich einfach zu wenig Zeit. Es sind einige Briefe an die Schwester und deren Töchter erhalten, die er finanziell unterstützte und später auch als Erben einsetzte – ansonsten, so Ivo Schneider, gab es neben der Arbeit nicht viel: «Er muss ein sehr bescheidener Mann gewesen sein, aber als er arriviert war, hat er sich gegönnt, bergsteigen – wahrscheinlich auch wegen seiner schwächlichen gesundheitlichen Kondition – das hat er ab und zu gemacht.»
«Während der Sommermonate hielt sich Herr Fraunhofer gern im wildromantischen Joche am Kochelsee auf, wohin er sich oft in Begleitung von zwei ehemaligen Ordensmitgliedern des vormaligen Klosters Benediktbeuern begab und sich in ihrer Gesellschaft beim Genusse von Milch erfreute. Denn, nebenbei bemerkt, Bier konnte er nur wenig vertragen, Lagerbier fast gar nicht, überhaupt gebot seine schwächliche Natur, im Genusse der Speisen und Getränke möglichst vorsichtig zu sein.»
Mit Fraunhofers Gesundheit stand es seit jeher nicht zum Besten. Von Schwächeanfällen wird berichtet, von immer wiederkehrendem Fieber und von Drüsengeschwüren. All das war vermutlich beruflich bedingt: Seit seiner Kindheit hatte er sich ohne jeden Schutz den giftigen Dämpfen der Schmelze ausgesetzt und dem Glasstaub an der Schleifmaschine. Noch schwerwiegender allerdings sind die Folgen der einstigen Spiegelmacherlehre einzuschätzen: «Spiegelmachen, das hat ja mit Quecksilber zu tun, und in Frankreich war es zum Beispiel so, dass in den Staatsmanufakturen zur Spiegelherstellung die Lebenserwartung bei 27 Jahren lag. Das wusste man – wer diesen Beruf ergreift, der ist mit 27 Jahren im Durchschnitt hinüber.»
Auch Fraunhofers Leben währte nicht lange – im Alter von 38 Jahren brach er zusammen – nach einer anstrengenden Bergtour und der Heimfahrt im Regen auf einem Floß: «Da wurde der Reisende von einem Schüttelfroste befallen; er kam kränkelnd nach München und von da an nie mehr nach Benediktbeuern.»
Ein dreiviertel Jahr später, am 7. Juni 1826, starb Josef von Fraunhofer. Offizielle Todesursache: «Lungen- und Nervenschwindsucht.»
Sein Leichnam wurde auf dem alten südlichen Friedhof bestattet, direkt neben dem Grab von Reichenbach, der nur zwei Wochen zuvor gestorben war. Eine Nachricht, die man dem todkranken Freund vorenthalten hatte.
«Fraunhofers Tod ist ein europäischer Verlust und noch mehr», schrieb König Ludwig I. auf das offizielle Dokument mit der Todesnachricht. Auf den Grabstein ließ er die Worte setzen: «Approximavit Sidera» – «Er brachte uns die Sterne näher.»
Elf Tage später, am 18. Juni 1826, fand die Grundsteinlegung für den Königsbau der Münchner Residenz statt. In den Grundstein legte Ludwig zwei Stücke Flintglas, das Fraunhofer noch selbst geschmolzen hatte.
Autorin: Carola Zinner
Redaktion: Brigitte Reimer
© Bayerischer Rundfunk
Josef von Fraunhofer
Zeittafel
6. März 1787 Josef Fraunhofer wird als elftes Kind von Franz Xaver und Anna Maria Fraunhofer im niederbayrischen Straubing geboren.
1799–1804 Der junge Fraunhofer absolviert eine Lehre beim Spiegelmacher und Zierraten-Glasschleifer Philipp Anton Weichselberger in München.
1801 Weichselbergers Haus stürzt ein; Fraunhofer wird verschüttet. Bei der Rettung kommt er in Kontakt mit dem Geheimen Rat Josef von Utzschneider und mit Kurfürst Maximilian IV. Joseph.
1804–1806 Fraunhofer arbeitet als Geselle bei Weichselberger.
1806 Fraunhofer tritt als Optiker in das Mathematisch-Mechanische Institut von Reichenbach, Liebherr und Utzschneider in München ein.
1808 Fraunhofer arbeitet als Glasschleifer in der Glashütte Benediktbeuern, die zum Mathematisch-Mechanischen Institut gehört; er veröffentlicht seine erste wissenschaftliche Abhandlung.
1809 Bis auf die Glasschmelze trägt Fraunhofer die gesamte Verantwortung für die Glasherstellung in Benediktbeuern.
1811 Fraunhofer übernimmt die Gesamtleitung der Glashütte des Mathematisch-Mechanischen Instituts in Benediktbeuern.
1814 Fraunhofer wird alleiniger Partner von Utzschneider und Leiter des gesamten Mathematisch-Mechanischen Instituts.
1817 Die Bayerische Akademie der Wissenschaften ernennt Fraunhofer zum korrespondierenden Mitglied.
1819 Rückverlegung des Mathematisch-Mechanischen Instituts nach München.
1821 Nach einigen Diskussionen wegen seiner fehlenden akademischen Ausbildung wird Fraunhofer zum außerordentlichen besuchenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt.
1822 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Erlangen an Fraunhofer.
1823 Fraunhofer wird besoldeter Professor und Konservator des physikalischen Kabinetts der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
1824 König Maximilian I. Joseph ernennt Fraunhofer zum Ritter des «Civil-Verdienst-Ordens der Baierischen Krone»; damit ist der persönliche Adel verbunden.
7. Juni 1826 Josef von Fraunhofer stirbt in München.
Der Text ist entnommen aus:
http://www.br-online.de