Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №11/2010

Literatur

Martin Sperr
Die Spitzeder

Personen

Adele Spitzeder
Emilie Stier
Wirt
Wucherer Dirschl
Frau Fleck
Mizzi
Bella
Kora
Theres
Hannerl
Susanne
Esther
Ein Ober
Alois
Patricia Quirin
Ein Bankabgesandter
Journalist
Von Mengershausen
Direktor der Süddeutschen Bodenkreditbank
Polizeipräsident
Direktor Sparkasse
Direktor Bayrische Vereinigte
Köchin
Hoflieferant
Gloria
Josefine
Gefängniswärterin

Gäste im Café, Möbelpacker, zwei Boys in Livree, Adeles Kunden, Bauern, Bäuerinnen, vier Dachauer, Adeles Sekretär Konstantin, ein Kutscher, Bauern im Dorf, Bedienung in der Dorfwirtschaft, kleine Musikkapelle, Gäste auf Adeles Einweihungsfest, männliche Bedienstete, Angestellte, mehrere Polizisten.

1. Szene

Vor dem Hote1 «Zum Roß»

Eine abgerissene Gegend in der Innenstadt. Aus dem Hotel rötliches Licht. Auf der Straße stehen Huren. Adele kommt allein um die Ecke, sie trägt ein Netz mit einer Kaffeemaschine.

Nutten

ADELE So. Hotel zum Roß. Da ists. Komm, Emmi, jetzt sind wir da.

Emmi kommt um die Ecke, sie ist schwer bepackt und setzt sich sofort auf den Koffer.

EMMI Ich hätt jetzt auch nicht mehr können.
ADELE Wenns uns da auch nicht nehmen, können wir gleich wieder heim gehen.
EMMI Ich kann nicht mehr. Adele, ich kann nicht mehr. Ich hab Hunger. Und meine Füße. Seit in der Früh laufen wir schon umeinander. Au. Zuerst rein in die Stadt. Und dann in der Stadt umeinand. Au. Auau. Au. Hunger. Aua. Ich bin müd. Au. Mei, gehts mir schlecht.
ADELE Wir werdens schon schaffen. Freust dich, daß wir in der Stadt sind?
EMMI Freilich.
ADELE Haben wir uns auch so lang gewünscht. Gell?!
EMMI Ja. Aber ich kann nicht mehr. Ich will heim. Au. Warum geben sie uns nirgends ein Bett. Warum kriegen wir kein Zimmer nicht! Wir sind auch Leut. Daheim hätt ich wenigstens mein Bett. Wenns sonst auch nix ist daheim. Ich möcht jetzt ins Bett. Ich bin müd. Aua.
ADELE streicht Emmi die Haare aus der Stirn Jetzt gibst mir den Koffer.
EMMI Ich kann schon noch, Adele. Dir ist er ja zu schwer.

Fortsetzung folgt

 

Martin Sperr

(* 14. September 1944 in Steinberg bei Marklkofen;
† 6. April 2002 Landshut)

war ein niederbayerischer Dramatiker und Schauspieler. In seinen Stücken prangert er drastisch und im Dialekt die von ihm empfundenen Missstände an.
Martin Sperr wurde als Sohn eines Lehrerehepaars geboren und wuchs in Wendelskirchen auf. Später ging er auf ein Internat der Barmherzigen Brüder in Algasing beim oberbayerischen Dorfen. 1961 schloss er die Handelsschule mit der Mittleren Reife ab.
Er begann in München zunächst eine Lehre als Industriekaufmann. 1961 nahm er in München Schauspielunterricht und besuchte 1962 bis 1964 das Max-Reinhardt-Seminar in Wien und eine Schauspielschule in Wiesbaden. Seine Ausbildung als Schauspieler verdiente Sperr sich als Industriekaufmann, Hilfsarbeiter und Nachtportier. Sein Debüt gab er 1962 am Theater 44. Die Spielzeit 1965/1966 war Sperr Jungschauspieler am Bremer Stadttheater.
Seine dort 1966 uraufgeführten Jagdszenen aus Niederbayern wurden zur Theatersensation. In einer Berliner Inszenierung trat er selbst als Rovo auf. Peter Fleischmann verwendete 1968 den Stoff über einen homosexuellen Außenseiter und die Gewalt im Dorf zu einer Verfilmung mit Sperr in der Hauptrolle des Abram. Der Streifen gewann den Bundesfilmpreis, überzeugte auf der Berlinale und auch beim Filmfest in Locarno. 1971 erschien der Stoff als Erzählung unter dem Titel Jagd auf Außenseiter. 1984 war Sperr bei einer Aufführung am Münchner Volkstheater als Pfarrer zu sehen.
Sein nächster Erfolg wurde 1966 seine Übersetzung von Edward Bonds Stück Gerettet ins Bayerische. 1967 wirkte er selbst bei der Uraufführung in der Inszenierung von Peter Stein an den Münchner Kammerspielen mit. Im selben Jahr nahm Sperr ein Engagement an den Münchner Kammerspielen an, wo er als Hausautor und Schauspieler wirkte.
Seine bayerische Trilogie zur Nachkriegswirklichkeit nahm danach Gestalt an. Die Jagdszenen aus Niederbayern spielen anno 1948, eine Dekade später die 1967 erschienenen Landshuter Erzählungen mit ihrer Schilderung eines Konkurrenzkampfes zweier Bauunternehmer. Die Münchner Freiheit (1971) war eine gegenwartsnahe Satire auf Grundstücksspekulation und Wohnraumzerstörung.
Auch mit historischen Stoffen ging Martin Sperr keineswegs nostalgisch um. 1970 wurde in Stuttgart sein Stück Koralle Meier uraufgeführt. Es handelt von einer alternden Prostituierten in einer niederbayerischen Kleinstadt zur NS-Zeit. 1971 schrieb er mit Reinhard Hauff das Drehbuch zu dem Fernsehfilm Der Räuber Mathias Kneißl, worin Mathias Kneißl zum Sozialrebellen wurde. Bürgerlicher Gier und Dummheit hielt er mit seiner Tragikomödie über das Leben von Adele Spitzeder in dem gleichnamigen Film den Spiegel vor. 1977 erfolgte die Uraufführung an den Bühnen der Stadt Bonn.
1969/70 war Sperr wieder in Bremen engagiert. 1972 lag er nach einer Gehirnblutung bei einem Radwechsel an seinem Wagen lange im Koma, das Gedächtnisschwund und Motivationsverlust zur Folge hatte. Er litt seitdem an epileptischen Anfällen. 1974 kehrte er am Schauspielhaus Bochum auf die Bühne zurück, danach folgten Auftritte in kleinen Münchner Privattheatern, besonders 1976 bei der Lesung eigener Nonsens-Gedichte und 1978 in seinem Adele Spitzeder am Studiotheater München. 1982 war er am Theater Freiburg als Hamlet zu sehen.
1983 schloss er sich dem Ensemble des Münchner Volkstheaters an. Er übertrug deutschsprachige Theater­tex­te ins Bayrische, die dann am Volkstheater aufgeführt wurden. Sperr trat auch weiterhin am Volkstheater und bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs auf.
Der Titel seines ersten Theaterstückes Jagdszenen aus Niederbayern wurde zum geflügelten Wort. Es steht als Synonym für eine Hetz- und Verleumdungsaktion.
Martin Sperr ist mit Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz in einer Linie anzusiedeln und mag als literarisches Kind von Marieluise Fleißer gelten. Er wird als ein Erneuerer im Genre kritischer Volksstücke betrachtet. Unter dem Titel Das zweite Leben des Martin Sperr wurde sein Schicksal vom Fernsehen verfilmt.

Auszeichnungen und Ehrungen: Förderpreis des Gerhart-Hauptmann-Preises 1965; «Theater heute»-Preis für junge Theaterleute für Landshuter Erzählungen 1967; Förderpreis des Schiller-Gedächtnis-Preises des Landes Baden-Württemberg 1968; Bayerischer Hörfunk-Preis 1973; Ernst-Hoferichter-Preis 1977; Mülheimer Dramatikerpreis 1981.

Werke: Jagdszenen aus Niederbayern (1966, verfilmt 1968); Landshuter Erzählungen (1967); Koralle Meier (1970); Herr Bertolt Brecht sagt. Bei Brecht gelesen und für Kinder und andere Leute ausgesucht (1970, gemeinsam mit Monika Sperr); Münchner Freiheit (1971); Sammelband Niederbayrische Trilogie (1972, enthält die Stücke Jagdszenen aus Niederbayern, Landshuter Erzählungen, Münchner Freiheit); Die Kunst der Zähmung (1971); Die Spitzeder (1977); Willst du Giraffen ohrfeigen, musst du ihr Niveau haben. Prosa, Gedichte und Zeichnungen (1979).

Aus: Martin Sperr: Die Spitzeder. Frankfurt am Main:
Verlag der Autoren, 1980. S. 7–15.