Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №12/2010

Sonderthema

Erich Maria Remarque
Im Westen nichts Neues
(Auszug)

Acht Tage lang könnte man glauben, in einer Rekrutenkaserne zu sitzen, so wird gearbeitet und exerziert. Alles ist verdrossen und nervös, denn übermäßiges Putzen ist nichts für uns und Parademarsch noch weniger. Gerade solche Sachen verärgern den Soldaten mehr als der Schützengraben.
Endlich ist der Augenblick da. Wir stehen stramm, und der Kaiser erscheint. Wir sind neugierig, wie er aussehen mag. Er schreitet die Front entlang, und ich bin eigentlich etwas enttäuscht: nach den Bildern hatte ich ihn mir größer und mächtiger vorgestellt, vor allen Dingen mit einer donnernderen Stimme.
Er verteilt Eiserne Kreuze und spricht diesen und jenen an. Dann ziehen wir ab.
Nachher unterhalten wir uns. Tjaden sagt staunend: «Das ist nun der Alleroberste, den es gibt. Davor muß dann doch jeder strammstehen, jeder überhaupt!» Er überlegt: «Davor muß doch auch Hindenburg strammstehen, was?»
«Jawoll», bestätigt Kat.
Tjaden ist noch nicht fertig. Er denkt eine Zeitlang nach und fragt: «Muß ein König vor einem Kaiser auch strammstehen?»
Keiner weiß das genau, aber wir glauben es nicht. Die sind beide schon so hoch, daß es da sicher kein richtiges Strammstehen mehr gibt.
«Was du dir für einen Quatsch ausbrütest», sagt Kat. «Die Hauptsache ist, daß du selber strammstehst.»
Aber Tjaden ist völlig fasziniert. Seine sonst sehr trockene Phantasie arbeitet sich Blasen. «Sieh mal», verkündet er, «ich kann einfach nicht begreifen, daß ein Kaiser auch genauso zur Latrine muß wie ich.»
«Darauf kannst du Gift nehmen», lacht Kropp.
«Verrückt und drei sind sieben», ergänzt Kat, «du hast Läuse im Schädel, Tjaden, geh du nur selbst rasch los zur Latrine, damit du einen klaren Kopp kriegst und nicht wie ein Wickelkind redest.»
Tjaden verschwindet.
«Eins möchte ich aber doch wissen», sagt Albert, «ob es Krieg gegeben hätte, wenn der Kaiser nein gesagt hätte.»
«Das glaube ich sicher», werfe ich ein, «er soll ja sowieso erst gar nicht gewollt haben.»
«Na, wenn er allein nicht, dann vielleicht doch, wenn so zwanzig, dreißig Leute in der Welt nein gesagt hätten.»
«Das wohl», gebe ich zu, «aber die haben ja gerade gewollt.»
«Es ist komisch, wenn man sich das überlegt», fährt Kropp fort, «wir sind doch hier, um unser Vaterland zu verteidigen. Aber die Franzosen sind doch auch da, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wer hat nun recht?»
«Vielleicht beide», sage ich, ohne es zu glauben.
«Ja, nun», meint Albert, und ich sehe ihm an, daß er mich in die Enge treiben will, «aber unsere Professoren und Pastöre und Zeitungen sagen, nur wir hätten recht, und das wird ja hoffentlich auch so sein; aber die französischen Professoren und Pastöre und Zeitungen behaupten, nur sie hätten recht, wie steht es denn damit?»
«Das weiß ich nicht», sage ich, «auf jeden Fall ist Krieg, und jeden Monat kommen mehr Länder dazu.»
Tjaden erscheint wieder. Er ist noch immer angeregt und greift sofort wieder in das Gespräch ein, indem er sich erkundigt, wie eigentlich überhaupt ein Krieg entstehe.
«Meistens so, daß ein Land ein anderes schwer beleidigt», gibt Albert mit einer gewissen Überlegenheit zur Antwort.
Doch Tjaden stellt sich dickfellig. «Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen. Oder ein Fluß oder ein Wald oder ein Weizenfeld.»
«Bist du so dämlich oder tust du nur so?» knurrt Kropp, «so meine ich das doch nicht. Ein Volk beleidigt das andere...»
«Dann habe ich hier nichts zu suchen», erwidert Tjaden, «ich fühle mich nicht beleidigt.»
«Dir soll man nun was erklären», sagt Albert ärgerlich, «auf dich Dorfdeubel kommt es doch dabei nicht an.»
«Dann kann ich ja erst recht nach Hause gehen», beharrt Tjaden, und alles lacht.
«Ach, Mensch, es ist doch das Volk als Gesamtheit, also der Staat», ruft Müller.
«Staat, Staat» – Tjaden schnippt schlau mit den Fingern –, «Feldgendarmen, Polizei, Steuer, das ist euer Staat. Wenn du damit zu tun hast, danke schön.»
«Das stimmt», sagt Kat, «da hast du zum ersten Male etwas Richtiges gesagt, Tjaden, Staat und Heimat, da ist wahrhaftig ein Unterschied.»
«Aber sie gehören doch zusammen», überlegt Kropp, «eine Heimat ohne Staat gibt es nicht.»
«Richtig, aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein französischer Schlosser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es ähnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir.»
«Weshalb ist dann überhaupt Krieg?» fragt Tjaden.
Kat zuckt die Achseln. «Es muß Leute geben, denen der Krieg nützt.»
«Na, ich gehöre nicht dazu», grinst Tjaden.
«Du nicht, und keiner hier.»
«Wer denn nur?» beharrt Tjaden. «Dem Kaiser nützt er doch auch nicht. Der hat doch alles, was er braucht.»
«Das sag nicht», entgegnet Kat, «einen Krieg hat er bis jetzt noch nicht gehabt. Und jeder größere Kaiser braucht mindestens einen Krieg, sonst wird er nicht berühmt. Sieh mal in deinen Schulbüchern nach.»
«Generäle werden auch berühmt durch den Krieg», sagt Detering.
«Noch berühmter als Kaiser», bestätigt Kat.
«Sicher stecken andere Leute, die am Krieg verdienen wollen, dahinter», brummt Detering.
«Ich glaube, es ist mehr ein Art Fieber», sagt Albert. «Keiner will es eigentlich, und mit einem Male ist es da. Wir haben den Krieg nicht gewollt, die andern behaupten dasselbe – und trotzdem ist die halbe Welt feste dabei.»
«Drüben wird aber mehr gelogen als bei uns», erwidere ich, «denkt mal an die Flugblätter der Gefangenen, in denen stand, daß wir belgische Kinder fräßen. Die Kerle, die so was schreiben, sollten sie aufhängen. Das sind die wahren Schuldigen.»
Müller steht auf. «Besser auf jeden Fall, der Krieg ist hier als in Deutschland. Seht euch mal die Trichterfelder an!»
«Das stimmt», pflichtet selbst Tjaden bei, «aber noch besser ist gar kein Krieg.»
Er geht stolz davon, denn er hat es uns Einjährigen nun mal gegeben. Und seine Meinung ist tatsächlich typisch hier, man begegnet ihr immer wieder und kann auch nichts Rechtes darauf entgegnen, weil mit ihr gleichzeitig das Verständnis für andere Zusammenhänge aufhört. Das Nationalgefühl des Muschkoten besteht darin, daß er hier ist. Aber damit ist es auch zu Ende, alles andere beurteilt er praktisch und aus seiner Einstellung heraus.
Albert legt sich ärgerlich ins Gras. «Besser ist, über den ganzen Kram nicht zu reden.»
«Wird ja auch nicht anders dadurch», bestätigt Kat.
Zum Überfluß müssen wir die neuempfangenen Sachen fast alle wieder abgeben und erhalten unsere alten Brocken wieder. Die guten waren nur zur Parade da.

(Aus: Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Berlin und Weimar: Aufbau Verlag, 1989. S. 127–130)