Wissenschaft und Technik
Viel Speck, wenig Hirn
Aufnahmen mit dem Kernspintomografen offenbaren: Das Gehirn übergewichtiger Menschen ist auffällig verkleinert. Erkranken sie deshalb leichter an Alzheimer?
Dick zu sein war noch nie besonders gesund: Egal ob Schlaganfall, Herzinfarkt oder Diabetes – wer zu viel Fett am Leib trägt, der lebt besonders gefährlich.
Und als wäre das noch nicht schlimm genug, präsentiert die Medizinforschung jetzt einen weiteren Grund zur Besorgnis: Übergewicht lässt das Gehirn schrumpfen und macht es offenbar anfällig für geistigen Niedergang.
In mehreren Labors und Kliniken weltweit haben Wissenschaftler Probanden in Kernspintomografen geschoben, ihr Gehirn vermessen und mit dem Körpergewicht abgeglichen – mit dem stets gleichen Befund. Paul Thompson von der University of California in Los Angeles zum Beispiel hat 94 gesunde Frauen und Männer untersucht, die über 70 Jahre alt waren. Einige hatten ein normales Gewicht, andere waren übergewichtig – Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30 – wieder andere fettleibig (BMI von mehr als 30).
Das Ergebnis: Je mehr ein Mensch auf die Waage bringt, desto weniger scheint sein Gehirn zu wiegen. Bestimmte Schlüsselareale waren bei den übergewichtigen Menschen gegenüber dünneren Vergleichspersonen um vier Prozent verkleinert; bei den extrem fettleibigen war der Schwund sogar doppelt so groß.
Von einer «schweren Gehirndegeneration» spricht Thompson. Gerade der Frontallappen, der für das Planen zuständig ist, sei betroffen. Geschrumpelt waren aber auch Teile des Scheitellappens und der Hippocampus.
Das Gehirn wird im Alter kleiner, das ist leider normal, aber der Schwund («Atrophie») lief bei den korpulenten Probanden viel früher und schneller ab. «Das Gehirn der übergewichtigen Menschen sah acht Jahre älter aus als das Gehirn der dünnen», sagt Thompson, «und bei fettleibigen Leuten sah es sogar 16 Jahre älter aus.»
Der Befund liefert eine biologische Erklärung für ein Phänomen, das Psychologen bereits in vielen Verhaltenstests aufgefallen ist: Dicke tun sich, besonders im Alter, mit Gedächtnis-, Knobel- und Denkaufgaben merklich schwerer als normalgewichtige Altersgenossen.
Doch scheint Fettleibigkeit nicht nur das geistige Leistungsvermögen zu vermindern; sie macht das Gehirn offenbar auch anfällig für Erkrankungen. Der Verlust an Nervengewebe verringere «die kognitiven Reserven», mahnt Thompson. Dadurch habe man «ein viel größeres Risiko für Alzheimer und andere Krankheiten, die das Gehirn angreifen».
Die Gefahr für wohlbeleibte Menschen ist jedoch nicht auf das fortgeschrittene Alter beschränkt. An der University of Wisconsin in Madison zum Beispiel haben Mediziner Frauen und Männer im Alter von 40 bis 66 Jahren mit Waage, Maßband und Kernspin gemustert. Und auch hier zeigte sich: Im Vergleich zu normalgewichtigen war das Gehirn der fettleibigen Probanden um 2,4 Prozent verkleinert.
Regelmäßig ein wenig Bewegung reicht aus
In Japan wiederum hat der Arzt Yasuyuki Taki von der Tohoku-Universität in Sendai knapp 700 Knaben und Männer ganz unterschiedlichen Alters untersucht. Und auch er fand bestätigt: Ist der Fettanteil am Körper erhöht, so ist das Volumen der grauen Substanz merklich verringert.
«Hoch spannend» findet Arno Villringer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig diese Ergebnisse. Es gebe keinerlei Zweifel mehr: «Die Gehirne dicker und dünner Leute unterscheiden sich voneinander.»
Wie dieser Unterschied jedoch zustande kommt, das wissen die Forscher noch nicht. Vielleicht ist der Hirnschwund sogar vorher da und löst dann erst die Fettsucht aus. Möglicherweise gehen ja ganz am Anfang gerade jene Areale im Hirn verloren, die für das Essverhalten und die Kontrolle des Stoffwechsels eine Rolle spielen.
Vieles allerdings spricht für den umgekehrten Ablauf: Zuerst wird der Leib fett, dann erst schwindet das Hirn. Um das zu prüfen, hat der japanische Arzt Taki die Entwicklung seiner Probanden acht Jahre lang verfolgt. In der noch unveröffentlichten Studie glaubt er, Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben, dass die Gewichtszunahme dem Hirnschwund vorangeht.
Darauf deuten auch biochemische Veränderungen hin, die sich im Körper Fettsüchtiger abspielen. Sie neigen zu Bluthochdruck sowie erhöhten Blutzuckerwerten, was die Gefäße schädigt: Teile des Gehirns werden deshalb schlechter mit Blut versorgt. Der Leipziger Neurologe Villringer kann sich auch einen anderen Wirkmechanismus vorstellen: «Möglicherweise werden Substanzen freigesetzt, die direkt die Nervenzellen schädigen.»
Allerdings haben die Hirnforscher auch Tröstliches zu berichten: Das Gehirn ist der Fettsucht nicht schutzlos ausgeliefert, vielmehr kann man ihrem schädlichen Einfluss aktiv entgegenwirken: durch körperliche Ertüchtigung. Wer sich bewegt, der versorgt dadurch sein Gehirn mit Proteinen, die das Nervengewebe schützen und im Hippocampus sogar neue Neuronen sprießen lassen.
Egal ob dick oder dünn: Regelmäßig ein wenig Bewegung reicht aus, um den Verfall im Oberstübchen zu bremsen.
Von Jörg Blech
Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de