Methodisches
Die erste Denkfabrik
Lesetext
In einer riesigen Feuersbrunst sei sie untergegangen: sie, das Herz der griechischen Wissenschaft und die einzige vollständige Sammlung des antiken Schrifttums. Diese Legende machte die Große Bibliothek von Alexandria bekannt. Doch kam ihr Ende wirklich so abrupt? Und worin liegt ihre wahre historische Bedeutung?
Geköderte Gelehrte
Als König Ptolemäus I., einer der drei Thronfolger Alexanders des Großen, in dessen neu gegründeter Stadt Alexandria eine Akademie bauen ließ, schwebte ihm Grandioses vor: Er wollte ein Zentrum der Wissenschaft errichten, wie es kein anderes in der damaligen Welt gab. Ägypten, sein ererbtes Reich, sollte eine Hauptstadt bekommen, die nicht allein Sitz von Handel und Verwaltung war, sondern auch die bedeutendsten Gelehrten aller Kulturen lockte. Bildung bedeutete für Ptolemäus vor allem eines: Macht.
Schrift als Machtbasis
Nur durch einen kleinen geschulten Apparat von Beamten funktionierte die erstaunlich weit entwickelte Bürokratie, nur durch schreibende Priester konnten spirituelle Riten an nachfolgende Generationen überliefert werden. Die Pflege der Schriftkultur war deshalb gerade für den Gründervater der Dynastie eine existenzielle Frage.
Wie ein Marktplatz
Die 295 v. Chr. von Ptolemäus eröffnete Akademie, das sogenannte Museion, war gebaut wie eine Wandelhalle und belebt wie ein Marktplatz – ein Tempel der Musen, in dem es kein formales Lehrprogramm gab. Freiheit im Austausch von Wissen bestand allerdings nur nach innen. Wem die Mitgliedschaft in der Akademie nicht zuteil wurde, dem blieb der Blick hinter ihre Mauern verwehrt. So durfte auch die rasch anwachsende Bibliothek, die in Teilen des Museions unterkam, allein von den bei Hofe akkreditierten Gelehrten genutzt werden.
Spott für die Elite
Ausgeschlossene bezeichneten die Akademie deshalb spöttisch als «Musenkäfig», in dem «weltfremde Bücherwürmer» auf Kosten des Königs lebten. Und tatsächlich setzte Ptolemäus finanziell wie personell alle Hebel in Bewegung, damit die Wissenschaftler seinem Reich zu Ruhm und Ansehen verhalfen...
Fahrlässiger Umgang
Die Erweiterung der Bibliotheksbestände wurde rigoros betrieben. Ptolemäus’ Nachfolger entsandten sogar spezielle Literaturagenten. Sie sollten in Ephesos, Rhodos, Pergamon, Athen und anderen kulturellen Zentren jener Zeit Schriftrollen aufkaufen, die in Alexandria fehlten. Oft liehen sie die Werke einfach aus, ohne sie ihren Besitzern zurückzugeben, oder überließen ihnen lediglich eilends angefertigte Abschriften. Ähnliche Schikanen betrafen Reisende, die Ägyptens Hauptstadt besuchten.
Begehrte Ressource
Indem sie Wissen wie eine Ressource behandelten, die es zu sammeln und zu vermehren galt, waren die Ptolemäer ihrer Zeit weit voraus. Wie die berühmten Universalbibliotheken der Gegenwart, allen voran die Harvard College Libraries, diente auch die Große Bibliothek von Alexandria als Denkfabrik für eine Gelehrtenelite aller wissenschaftlichen Disziplinen. Etwa 400 000 bis 700 000 Schriftrollen sollen in ihren Regalen gelagert haben. Eine bis dahin und auf lange Sicht beispiellose Konzentration von Wissen.
Der Glanz des alexandrinischen Schriftschatzes überdauert bis heute. Ebenso wie die vage Vorstellung von seinem tatsächlichen Umfang fasziniert die Frage nach seinem Verlust: Wer verursachte die berüchtigte Katastrophe? Von einem Brand ist die Rede, den römische Söldner 47 v. Chr. zum Schutz gegen die Flotte Ptolemäus’ XIII. gelegt haben sollen. Der letzte Ptolemäer versuchte vergeblich, Alexandria aus den Händen Kleopatras VII. und Julius Caesars zu befreien. Aber griff das Feuer wirklich auf das Museion und seine Große Bibliothek über?
Angst, Ignoranz und Habgier
Bibliothekshistoriker wie Uwe Jochum verneinen das. Jochum schildert den Untergang vielmehr als Ergebnis von Angst, Ignoranz und Habgier: Zuerst suchten die Gelehrten beim Fall des Ptolemäerreiches ihr Heil in der Flucht. Dann siedelten sich Kopten, Römer, Aramäer in Alexandrien an, für die die altgriechischen Schriftrollen schlicht unverständlich waren. Anstatt in ihren Erhalt zu investieren, ließen sie die Papyri in den Regalen vermodern.
Verlorenes Wissen
Auf den geistigen Abriss folgte der physische: Kaiser Aurelian sorgte im 3. Jahrhundert n. Chr. dafür, dass auch die sichtbaren Überreste des Museions verschwanden. Das Ende der Großen Bibliothek war somit zwar nicht bewusst herbeigeführt, aber doch in Kauf genommen. In diesem Licht erscheint es umso deutlicher als Exempel für den fahrlässigen Umgang mit überliefertem Wissen, der die abendländische Geschichte bis heute prägt.
Michael März
Aufgaben
1. Lesen Sie die folgende Definition. Wovon ist die Rede?
Definition |
Begriff |
Einrichtung zur systematischen Erfassung, Erhaltung, Betreuung und Zugänglichmachung von Büchern |
______________ |
2. Welche Assoziationen haben Sie mit dem Wort «die Bibliothek»?
3. Überlegen Sie sich, seit wann gibt es Bibliotheken? Welche war die älteste Bibliothek?
4. Sehen Sie sich das Bild an. Wer ist auf diesem Bild dargestellt? Welche Rolle hat diese Person bei der Entwicklung des Bibliothekswesens gespielt?
Ptolemäus I. lebte 367 bis 283 v. Chr. und begründete in Ägypten
eine dreihundert Jahre überdauernde Dynastie.
5. Lesen Sie den Text. Beachten Sie die Worterklärungen. Versuchen Sie, möglichst viele Informationen zu behalten.
6. Wer hatte recht mit seinen Vermutungen (Aufgaben 3, 4)?
7. Erklären Sie den Titel dieses Artikels.
8. Was passt zusammen? Verbinden Sie. Bilden Sie mit den entstandenen Wortgruppen Sätze.
1. in einer riesigen Feuersbrunst
2. ein Zentrum der Wissenschaft
3. spirituelle Riten an nachfolgende Generationen
4. wie eine Wandelhalle
5. die Erweiterung der Bibliotheksbestände
6. Schriftrollen
7. eilends angefertigte Abschriften den Besitzern
8. als Datenfabrik für eine Gelehrtenelite aller wissenschaftlichen Disziplinen
9. die berüchtigte Katastrophe
10. einen Brand
11. sein Heil in der Flucht
12. sich in Alexandrien
13. die Papyri in den Regalen
14. das Ende der Großen Bibliothek in Kauf
a) aufkaufen
b) bauen
c) betreiben
d) dienen
e) errichten
f) legen
g) nehmen
h) sich ansiedeln
i) suchen
j) überlassen
k) überliefern
l) untergehen
m) vermodern lassen
n) verursachen
9. Steht das im Text? Wo?
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Ja, im Absatz |
Nein |
1. König Ptolemäus I. ließ in Alexandria eine Akademie bauen. |
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2. Ptolemäus ließ in erster Linie Geografen, Astronomen und Mathematiker nach Alexandria kommen. |
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3. Von besonderer Bedeutung war für den Gründer der Akademie die Pflege der Schriftkultur. |
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4. Die Akademie, das sog. Museion, war voll Leben und Betrieb. |
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5. Alle Interessenten konnten das notwendige Wissen im Museion bekommen, da dort Freiheit im Austausch von Wissen bestand. |
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6. Nur Akademiemitglieder konnten die Bibliothek nutzen. |
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7. Gegen Geld war auch den Nicht-Mitgliedern der Akademie der Zugriff zu den Bibliotheksbeständen erlaubt. |
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8. Die Akademie wurde von den Mitgliedern spöttisch als «Musenkäfig» bezeichnet. |
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9. Ptolemäus setzte finanziell wie personell alle Hebel in Bewegung, damit die Wissenschaftler seinem Reich zu Ruhm und Ansehen verhalfen. |
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10. Die Literaturagenten sollten Schriftrollen aufkaufen, die in Alexandria fehlten. |
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11. Den Literaturagenten wurde erlaubt, Schriftrollen zu klauen. |
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12. Die Große Bibliothek von Alexandria diente als Denkfabrik für alle Gelehrten aller wissenschaftlichen Disziplinen. |
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13. Heute wissen die Wissenschaftler Bescheid über den tatsächlichen Umfang der Großen Bibliothek. |
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14. Die Wissenschaftler recherchieren nach dem Namen des Verursachers der Katastrophe. |
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15. Nach dem Fall des Ptolemäerreichs mussten die Gelehrten fliehen. |
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16. Für die neuen Bewohner Alexandriens waren die Schriftrollen unverständlich und sie ließen sie in den Regalen vermodern. |
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10. Was bedeuten folgende Wendungen?
- das Herz der griechischen Wissenschaft;
- ein Tempel der Musen;
- jmdm. den Blick hinter die Mauern verwehren;
- Musenkäfig;
- weltfremde Bücherwürme;
- alle Hebel in Bewegung setzen;
- dem Reich zum Ruhm und Ansehen verhelfen;
- das Wissen wie eine Ressource behandeln, die es zu sammeln und zu vermehren galt;
- als Denkfabrik für eine Gelehrtenelite dienen;
- eine beispiellose Konzentration von Wissen;
- Alexandria aus den Händen Kleopatras und Caesars zu befreien versuchen;
- sein Heil in der Flucht suchen;
- das Ende der Großen Bibliothek in Kauf nehmen;
- Exempel für den fahrlässigen Umgang mit überliefertem Wissen.
11. Beantworten Sie Fragen zum Text.
- Wodurch ist laut der Legende die Große Bibliothek von Alexandria untergegangen?
- Von wem und zu welchem Zweck wurde die Akademie in Alexandria gegründet?
- Warum war für Ptolemäus Bildung gleich Macht?
- Welche Privilegien genossen die Mitglieder der Akademie?
- Auf welche Weise wurden die Bibliotheksbestände erweitert?
- Was war die Aufgabe der Literaturagenten?
- Wie groß war die Zahl der in der Bibliothek vorhandenen Schriftrollen?
- Schriftrollen zu welchen wissenschaftlichen Disziplinen waren da vorhanden?
- Warum mussten Gelehrte aus Alexandria fliehen?
- Was passierte dann mit den Schriftrollen?
- Gibt es heute eine Bibliothek von Alexandria?
(Die Antwort finden Sie auf der Internet-Seite http://www.aegypten-magazin.de/staedte/alexandria/)
12. Geben Sie den Inhalt des Textes kurz wieder.
13. Sehen Sie sich die Bilder an. Beschreiben Sie sie.
abendländisch: западный, (западно)европейский
der Abriss, -risses, -risse: снос (здания); обрыв, крутой склон; обвал
abrupt: внезапный, резкий
die Abschrift, =, -en: копия (документа)
anfertigen: изготовлять, делать; выполнять, приготовлять
das Ansehen, -s: авторитет, престиж; вес; уважение
ansiedeln, (sich): селиться, поселяться; становиться оседлым
anwachsen: возрастать, увеличиваться; прибывать; нарастать, усиливаться
aufkaufen: скупать, закупать
ausleihen: брать напрокат [взаймы, во временное пользование]
der Beamte: государственный служащий, должностное лицо, чиновник; служащий
begehrt: пользующийся (большим) спросом [успехом]
belebt: оживлённый, живой; (много)людный, шумный
berüchtigt: пресловутый, пользующийся дурной славой
der Bestand, -(e)s, -stände: состояние; наличность; запас, фонд
betreiben: заниматься; вести, проводить (политику, кампанию и т. д.); преследовать (цель); хлопотать (о чём-л.), ускорять (что-л.)
einen Brand legen [anlegen, anfachen]: совершить поджог, быть виновником пожара
der Bücherwurm: книжная моль; книжник, человек, постоянно углублённый в чтение книг
eilends: спешно, срочно; наскоро, второпях
entsenden: посылать, отправлять
ererben: унаследовать
der Erhalt, -(e)s: получение
errichten: сооружать, воздвигать, строить, выстроить, построить, возводить, ставить; учреждать, основывать, создавать (государство, учебное заведение и т. п.); формировать
das Exempel, -s, =: пример
existential, existentiell: жизненно важный; имеющий отношение к действительности
fahrlässig: халатный, небрежный, нерадивый; беспечный, неосторожный, невнимательный
faszinieren: околдовывать; очаровывать, ослеплять
die Feuersbrunst: пожар
die Flucht, =, -en: бегство, побег
geistig: духовный; умственный
gelten: es gilt (zu + Inf.): нужно, необходимо (сделать )
geschult: обученный; квалифицированный
der Glanz, -es, -e: блеск, сияние; лоск, глянец
der Gründervater, <meist Pl.>: an der Gründung von etwas entscheidend Beteiligter: er war einer der Gründerväter der Universität.
die Habgier, die Habsucht: корыстолюбие, жадность, алчность
der Handel, -s: торговля
alle Hebel ansetzen [in Bewegung setzen]: пустить в ход все средства, привести в действие все рычаги
das Heil, -(e)s: благо, благополучие; спасение; счастье
herbeiführen: (по)влечь за собой, причинять, вызывать (что-л.); приводить (к чему-л.)
die Ignoranz: невежество, невежественность, темнота
investieren: инвестировать, вкладывать, помещать (капитал)
etw. in Kauf nehmen: смириться (c чем-л.)
ködern: приманивать, приваживать; заманивать, завлекать; насаживать приманку (на крючок)
lagern: храниться
lediglich: лишь, только, исключительно
locken: манить, заманивать; завлекать, привлекать
nachfolgend: следующий, последующий
der Nachfolger, -s, =: наследник; преемник; последователь, ученик
der Papyrus, =, -ri: папирус (растение, бумага, рукопись)
die Pflege, =, -n: присмотр, уход; попечение, забота
die Pflege der Schriftkultur: забота о письменном наследии
der Käfig, -(e)s, -e: клетка
der Priester, -s, =: священник, проповедник; жрец
rasch: быстрый, скорый; быстро, скоро
rigoros: строгий, непреклонный, суровый; придирчивый; жёсткий
der Ritus, =, -ten: ритуал, обряд; церемониал
der Ruhm, -es: слава
die Schikane, =, -n: придирка; каверза; тонкость, изощрённость; ухищрение
schlicht: просто
die Schriftrolle: свиток (рукописи)
sichtbar: видимый; зримый; явный, очевидный
der Sitz, -es, -e: местопребывание, местожительство; резиденция
der Söldner, -s, =: наёмный солдат; наёмник
somit: таким образом, итак
spiritual, spirituell: духовный, спиритуалистический
spöttisch: насмешливый, иронический, язвительный
der Tempel, -s, =: храм; святилище
überdauern: пережить (кого-л.); просуществовать дольше (чем что-л.)
übergreifen: распространяться, перебрасываться (на что-л.), охватывать (что-л., напр., о пожаре)
überlassen: оставлять, отдавать, предоставлять
überliefern: передавать, сообщать (из поколения в поколение)
der Überrest, -(e)s, -e: остаток; осколок, обломок; следы; пережитки, остатки
der Umgang, -(e)s, -gänge: обращение
der Untergang, -(e)s, -gänge: закат, заход; гибель, разрушение; крушение
untergehen: погибать, гибнуть
unterkommen: устраиваться, находить приют [кров, убежище, пристанище], укрываться, располагаться
vage: неопределённый, неясный; смутный; шаткий (о надеждах и т. п.)
vergeblich: тщетный, напрасный, бесполезный, безрезультатный
verhelfen: содействовать, способствовать (кому-л. в достижении чего-л.)
der Verlust, -es, -e: потеря, утрата, пропажа; убыток; проигрыш
vermodern: тлеть, истлевать, разлагаться, гнить
verursachen: (по)служить причиной (чего-л.); причинять; вызывать, возбуждать (напр., спор, гнев)
die Verwaltung, -en: управление; заведование; администрация, правление; управление
verwehren: запрещать (кому-л. что-л.), препятствовать (чему-л.), отказывать (кому-л. в чём-л.)
vielmehr: скорее, напротив (того), более того
voraus sein: перегнать кого-л. (тж. перен.)
vorschweben: мерещиться, представляться (кому-л.)
die Wandelhalle: крытая галерея; кулуары, фойе
weltfremd: оторванный [далёкий] от жизни; не от мира сего
jmdm. zuteil werden: выпасть на чью-л. долю, доставаться
Lösung
8: 1. l, 2. e, 3. k, 4. b, 5. c, 6. a, 7. j, 8. d, 9. n, 10. f, 11. i, 12. h, 13. m, 14. g
Der Text ist entnommen aus: http://lexi-tv.de
Didaktisiert von Marianna Busojewa