Wissenschaft und Technik
Wie die Götter die Tempeltüren öffneten
Wundersame Technik der Antike: Wie von Geisterhand gelenkt tanzten Puppen, öffneten sich Tempeltüren und sangen Orgelpfeifen. Der Trick dahinter: Automaten, die mit Wasserdampf und raffinierter Technik arbeiteten. Ein Überblick über kuriose, jahrtausendealte Erfindungen.
Alexandrinische Tempeltüren öffneten sich, sie knarrten und quietschten, aber weder Mensch noch Tier zogen an den schweren Toren. Es war ein beeindruckendes Schauspiel – jedoch nur für Nicht-Eingeweihte. Die Gelehrten und Studenten vom Museion in Alexandria hingegen wussten: Es waren nicht die Götter, die das Volk in den Tempel einluden – die Türen öffneten sich automatisch.
Denn schon in der Antike gab es Automaten. Dampfmaschine, WC-Spülung, Maschinengewehr – ihre Vorläufer entstanden bereits um die Epoche des Hellenismus1 (336–30 vor Christus), als Alexandria kulturelle und wissenschaftliche Hochburg2 Griechenlands war. Ihre geistigen Väter waren Erfinder und Ingenieure wie Philon von Byzanz, Ktesibios und Heron von Alexandria.
Das mysteriöse Schauspiel der automatisch öffnenden Tempeltüren etwa ging auf einfache Überlegungen des antiken Mathematikers Heron von Alexandria zurück, der irgendwann zwischen 200 vor und 100 nach Christus lebte. Er hatte sich für seine Maschine die Kraft des Feuers zunutze gemacht. Unter einem Opferfeuer neben dem Tempel war ein halb mit Wasser gefüllter Behälter angebracht. Die Wärme des Feuers dehnte die Luft darin aus, sodass das Wasser über einen Schlauch in einen nächsten Topf floss, der immer schwerer wurde. Je tiefer der Topf sank, desto weiter öffneten sich die Türen, da sie über Ketten und Rollen an dem Topf befestigt waren. Wurde das Feuer gelöscht, entstand ein Unterdruck im Behälter, und der Prozess vollzog sich in umgekehrter Richtung – die Türen verschlossen sich wieder.
Heiliges Nass aus dem Weihwasserautomaten
«Das Besondere war, dass dieses Wissen in der Antike nicht unter Verschluss gehalten wurde», sagt Dimitrios Kalligeropoulos, Professor für Automatisierungs- und Regelungstechnik an der Technischen Hochschule Piraeus in Griechenland. In dem sogenannten Museion, einem großartigen Musentempel in Alexandria, wurde geforscht, gelehrt, diskutiert. «Ganz im Gegensatz etwa zum Mittelalter, als Wissen oft geheim gehalten wurde, hatten Schüler, Studenten und Gelehrte in der Antike Zugang zu neuen Technologien», so Kalligeropoulos.
In der alexandrinischen Bibliothek, dem Herzen des Museions, gab es sogar eine umfassende Büchersammlung zu den automatischen Wunderwerken: Der Konstrukteur Philon von Byzanz etwa hat neun Bücher über Hebelwirkung, Katapulte und Pneumatik geschrieben, und Heron von Alexandria beschreibt in seinem Werk Pneumatika detailliert die Tempeltüren, die er nach Angaben von Kalligeropoulos als «Automat 38» bezeichnet. In Belopoeika schildert er den Gebrauch von Waffentechnik, in Cheirobalistra erläutert er ein spezielles Katapult für mehrere Pfeile, das als Vorläufer des Maschinengewehrs gelten kann.
Und im Buch Pneumatika erklärt er zudem, wie der von ihm entwickelte Weihwasserautomat funktioniert: Durch einen Schlitz muss eine Münze eingeworfen werden. Sie schlägt auf den längeren Arm eines Hebels, der sich durch das Gewicht der Münze nach unten bewegt. Am kürzeren Arm ist ein Ventil befestigt, das sich durch die Bewegung öffnet – und ein paar Tropfen Weihwasser freilässt.
Auf Ktesibios, den Vater der antiken Automaten, geht die Entwicklung der Wasseruhr und der Wasserorgel zurück. In der Uhr regelt Ktesibios den Wasserfluss so, dass die Anzeige konstant fortschreitet. Die Orgel, die vor allem in Rom weit verbreitet war, funktioniert dank des gleichmäßigen Luftdrucks, der von Wasser in einem Gefäß aufrechterhalten wird. Die Luft wird durch einen Satz von Pfeifen geschickt und erzeugt Töne. Später hat Heron von Alexandria, der sich selbst als Schüler von Ktesibios bezeichnet, die mit zwei Pumpen arbeitende Orgel weiterentwickelt und nur noch eine Pumpe eingesetzt.
Die Dampfmaschine der Antike
«Die Technologie der Automaten diente zur Bewunderung», meint Kalligeropoulos, der das Buch Geschichte der Technologie und der Automaten geschrieben hat. «Offenbar kam niemand auf die Idee, die Automaten nur zur Arbeitserleichterung einzusetzen.» Künstliche Vögel, Musikmaschinen, automatische Theater – das waren nur einige der kuriosen Entwicklungen, die sich oft durch abwickelnde Seile bewegten. Doch ohne praktischen Einsatz gerieten die Errungenschaften in Vergessenheit und wurden nicht weiterentwickelt.
Dabei hätten die Automaten schon damals Arbeiten übernehmen können, die von Sklaven oder Tieren verrichtet3 wurden. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Äolsball, der Wasserdampf und das Rückstoßprinzip nutzte und dabei Energie erzeugte. Die Maschine besteht aus einem hohlen Metallball, der über einem halb mit Wasser gefüllten Kessel an zwei Rohren befestigt ist. Eines der Rohre ragt in den Kessel hinein, unter dem ein Feuer entfacht4 wird. Die sich erwärmende Luft aus dem Kessel strömt in die Kugel und von dort aus durch zwei rückwärts gebogene Röhren nach außen. Dadurch entsteht eine Kraft, die die Kugel rotieren lässt.
Im weitesten Sinne handelt es sich bei dem Äolsball um eine Dampfmaschine, die in der Antike allerdings nie als solche eingesetzt wurde. «Es war also schon in hellenistischen Zeiten möglich, Bewegung durch Dampf zu erzeugen und mit geschlossenen Regelsystemen zu arbeiten», erklärt Kalligeropoulos. «Das sind zwei Dinge, die Jahrhunderte später Voraussetzung für die Dampfmaschine waren – das wichtigste Gerät der industriellen Revolution.»
Von Heike Le Ker
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de
1 Hel|le|nis|mus, der; - [1b:gepr. von dem dt. Historiker J.G. Droysen (1808–1884)]: 1. a) Griechentum; b) nachklassische Kulturepoche von Alexander dem Großen bis zur römischen Kaiserzeit, die durch die wechselseitige Durchdringung griechischer u. orientalischer Kulturelemente gekennzeichnet ist. 2. nachklassische griechische Sprache des Hellenismus (1 b).
2 Hoch|burg, die [urspr. = über einer Stadt gelegene Befestigung, die als Zuflucht für die Stadtbewohner diente]: Ort, der als Zentrum einer geistigen Bewegung gilt: Münster ist eine H. des Katholizismus.
3 ver|rich|ten
4 ent|fa|chen