Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2010

Literatur

Alice Schwarzer
Warum gerade sie? Weibliche Rebellen

Fortsetzung aus Nr. 03, 04, 05/2010

Nina Hagen
Sängerin

Als ich das Gespräch mit ihr machte, war Nina Hagen noch nicht berühmt, sie war ein «Geheimtip». Abends, nach ihrem Auftritt, gingen wir zusammen essen. Und auf dem Weg hat Nina im Bus zu mir gesagt: «Mensch, du bist ja ganz toll! Ich dachte, du wärst ganz anders...» – Wie denn? – «Na, so ernst. So wie Rosa Luxemburg oder so...»
In den Jahren danach hielten wir freundschaftlichen Kontakt. Manchmal rief sie an, meist nachts. Wegen Liebeskummer oder so. Seit Nina in die höheren Sphären abgerückt ist («kreative Revolution»), verbindet uns nichts mehr. Schade. Das Gespräch erschien im Januar 1979.

Ihre Utensilien kommen aus dem Karnevalsladen, und tagsüber läuft sie genauso rum wie abends auf der Bühne: Nikolausmantel am Leib, auf dem Kopf ein Hörnchen vom eigenen Haar und um die Augen Übermütiges. Clownpower nennt das Nina. Ihre Konzerte sind ausverkauft, ihre Fans um die 20 und die Fachleute nicht minder hingerissen. Nur die Journalisten, die konnten bisher nichts Rechtes mit ihr anfangen, denn Nina hält sich nicht an Spielregeln, ist keine «Vernünftige» – und wird es hoffentlich auch nie werden. Und sie ist viel zu unbequem, um nur gefällig zu sein. «Zeit»-Schreiber Sack ging sie offensichtlich so an die Nieren, daß er allen Ernstes behauptete, die «kreischende, sopranierende, schwitzende, prustende und linkisch hopsende Person» habe «außer dröhnender Musik keine Botschaft».
Eine Stunde vor Auftritt habe ich sie zum erstenmal getroffen und gleich gemocht: keine Show, ganz sie selbst, offen und spontan, warmherzig und witzig. Und so ist sie auch auf der Bühne. Hinzu kommt da nur eines: ihr schlicht unerhörtes Talent! Eine unbekümmert, ja dreist eingesetzte Stimme, dazu ein energischer Körper und ein kluges Gesicht, das ist Nina, und die macht in Sekunden klar, wie erbärmlich diese aufgezäumten Hitparader und andere sind. Nina ist auf ihre Art schon jetzt Stars wie Patti Smith oder Liza Minelli (an denen sie nicht zufällig gemessen wird) durchaus ebenbürtig. Und – sie ist noch lange nicht am Ende ihres Weges. Sie steht am Beginn ihrer zweiten Karriere.
Schon in der DDR, die sie kurz nach Biermann verließ, war sie ein Star, und sie hat auch jetzt Chancen, den Rummel relativ heil zu überstehen. Ungezähmt ist sie und stark, verletzbar und komisch. Eine glatte Herausforderung für die Welt der Männer, der Normalen und der Erwachsenen. Was für ein Prachtweib diese Nina ist, läßt der nachfolgende, redigierte Extrakt aus unserem gemeinsamen Nachmittag nur ahnen. Denn Nina, die darf man eigentlich gar nicht lesen, die muß man hören und sehen.

Alice Schwarzer: Wenn man so über dich liest in der Presse, dann gibt’s vielleicht ein, zwei Artikel, die sensibel sind, aber beim Rest hat man entweder das Gefühl, du spinnst, oder du bist ein Journalisten killendes Monster. Oder aber, da sind sich zwei Wesen von verschiedenen Sternen begegnet.
Nina Hagen: Die stellen mich als merkwürdiges Wesen hin, dabei sind sie die merkwürdigen Wesen, weil sie kranke und tote Fragen stellen. Da bin ich einfach nicht gewillt, in ihrer Sprache zu antworten. Dagegen wehr ich mich, und deswegen kommen da auch manchmal so merkwürdige Interviews zusammen. Zum Beispiel: Wie finden Sie denn die deutsche Showszene? Dann erzähl ich was aus meinem Leben. Oder: Ihre Texte sind ja nun sehr provozierend; meinen Sie, daß Sie sich noch lange über Wasser halten? Was soll ick denn da sa­gen... Da bin ick sauer! Und dann sagen die, die Nina Hagen ist eine schwierige Person. Nee – die sollen doch erst mal ihre Denkweise ändern, dann werden sie feststellen, daß sie die schwierigen Personen sind.
Schwarzer: Hast du denn auch schon die Erfahrung gemacht, daß deine Antworten verdreht, manipuliert worden sind?
Hagen: Na klar. Von dem «Spiegel»-Menschen zum Beispiel. Der hat mich gefragt: Punk, was ist das eigentlich? Da hab ick gesagt, dat kann ich Ihnen ganz kurz erklären: Wenn ich ein Punk wäre – ich bin aber kein Punk, weil ich Nina bin und individuell, und Punk ist Punk – also wenn ich ein Punk wäre, dann hätte ich Sie schon längst rausgeschmissen. Da macht der dann im «Spiegel» draus: Nina Hagen würde Punks rausschmeißen... So geht das. Und wenn du dem dann ’nen Brief schreibst, das richtigstellst, dann druckt er das noch nicht mal so. Da muß man aufpassen.

Fortsetzung folgt

Aus: Alice Schwarzer: Warum gerade sie?
Weibliche Rebellen. 15 Begegnungen
mit berühmten Frauen. Frankfurt am Main:
Luchterband Literaturverlag, 1989. S. 183–190, 219–230.

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1989 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

Lie|bes|kum|mer, der: durch eine unglückliche Liebesbeziehung verursachte gedrückte Stimmung: sie hat L.

ab|rü|cken <sw. V.>: 1. von jmdm., etw. wegschieben <hat>: ich rückte das Bett [von der Wand] ab. 2. sich von jmdm., etw., von seinem Platz rückend, ein kleines Stück entfernen <ist>: ich rückte ein wenig von ihm ab. 3. sich von jmdm., etw. distanzieren, lossagen <ist>: er ist von seinen Äußerungen abgerückt. 4. (bes. Milit.) in geschlossener Formation abmarschieren <ist>: in die Quartiere, in die Kaserne a.; Ü eines Tages rückte er heimlich ab (ugs.; ging er heimlich weg).

Uten|sil, das; -s, -ien <meist Pl.>: etw., was man für einen bestimmten Zweck braucht: die -ien im Badezimmer; bei diesem Wetter ist der Regenschirm das wichtigste U.

hin|rei|ßen <st. V.; hat>: 1. in eine bestimmte Richtung, an eine bestimmte Stelle reißen: jmdn. zu sich h. 2. begeistern, bezaubern [u. dadurch eine entsprechende Emotion auslösen]: die Musik riss die Zuschauer hin; das Publikum zu Beifallsstürmen h.; <1. Part.:> ein hinreißender Redner; sie ist hinreißend [schön]; <2. Part.:> von etw. ganz, völlig hingerissen (überwältigt) sein; hin- und hergerissen sein (ugs.; 1. sich nicht entscheiden können. 2. von etw. begeistert sein); hingerissen lauschen. 3. gefühlsmäßig überwältigen u. zu etw. verleiten: sich [im Zorn] zu einer unüberlegten Handlung h. lassen; sich [von seiner Wut] h. lassen.

lin|kisch <Adj.> (abwertend): unbeholfen u. ungeschickt; ungewandt: eine -e Aushilfe; -e Bewegungen.

dreist <Adj.> [aus dem Niederd. < mniederd. driste, dristic = beherzt, kühn, frech, wahrsch. zu dringen]: mehr od. weniger frech, unverschämt; recht ungeniert u. ohne Hemmungen sich etw. herausnehmend: eine -e Behauptung; er wurde immer -er.

eben|bür|tig <Adj.>: 1. (früher) von gleicher vornehmer Abkunft: die zweite Frau des Grafen war nicht e. 2. gleiche Fähigkeiten erkennen lassend; jmdm. geistig od. körperlich gewachsen; im Vergleich mit etw. anderem gleichwertig: ein ihm -er Gegner; eine -e Leistung; die beiden waren sich, einander [geistig] e.

Rum|mel, der; -s: (ugs.) lärmende Betriebsamkeit; viel Aufheben, das um jmdn., etw. gemacht wird: ein fürchterlicher, unbeschreiblicher, riesiger R.; der R. dauert nun schon mehr als zwei Stunden; endlich war der R. vorbei; keinen R. wollen; wozu machen, veranstalten sie einen solchen R.?

sich, (seltener:) jmdn. über Wasser halten: durch etw. mühsam seine, jmds. Existenzgrundlage sichern: sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten.