Wissenschaft und Technik
Jetzt aber!
Wer sich nicht motivieren kann, braucht mehr Vorstellungskraft. Mit den richtigen Tricks verlieren auch unangenehme Dinge ihren Schrecken – und dann macht sogar die Steuererklärung auf einmal Spaß.
Zu Benthe Müllers Job gehört es, sich beschimpfen zu lassen – ausgerechnet von den Menschen, denen sie helfen will. Und manche hauen einfach wieder ab, nachdem sie ihnen viel Zeit und Geduld gewidmet hat. Benthe Müller ist Streetworkerin beim Verein Off Road Kids in Hamburg, sie betreut dort Kinder und junge Erwachsene, die auf der Straße leben. In schlimmen Momenten fragt sie sich manchmal, ob ihre Arbeit überhaupt einen Sinn hat.
Wieso schafft Benthe Müller es trotzdem, jeden Tag mit frischem Schwung zur Arbeit zu gehen, während andere schon Mühe haben, sich für vergleichsweise angenehme Tätigkeiten zu motivieren? Vergeblich nehmen sie sich vor, endlich einen Fortbildungskurs zu belegen. Endlich einen Sonntagsspaziergang zu machen. Endlich die Steuererklärung zu erledigen. Was hat Benthe Müller, was die anderen nicht haben?
Die Antwort lautet: Motivation. Deren landläufiges Bild gleicht einem Lichtschalter: An/Aus. Entweder ist man motiviert oder nicht. Der Satz «Ich kann mich einfach nicht motivieren» wird zum Mantra, die guten Vorsätze pflastern den Weg in die Hölle.
Tatsächlich ist aber jeder Mensch grundsätzlich motiviert. Schließlich gibt es genügend Dinge, die man sofort, mit Freude und ohne groß darüber nachzudenken erledigt. Zu anderen kann man sich dagegen einfach nicht aufraffen. Die Psychologie sagt, dass dann Weg oder Ziel nicht passen: Entweder will man das alles nicht wirklich. Oder man hat sich nicht gut genug überlegt, wie man das Erwünschte erreicht. Und vor allem: was einem dabei in die Quere kommen kann.
«Gleich nach dem Studium habe ich noch geglaubt, ich kann allen helfen», sagt Benthe Müller. «Seit ich gelernt habe, dass ich nicht für alles verantwortlich bin und auch nicht immer eine Lösung finden kann, fällt mir die Arbeit leichter.»
Wer das, was er sich vornimmt, wirklich erreichen will, kommt mit Schwierigkeiten auf dem Weg dahin besser zurecht. «Das Ziel zieht die Handlung», umschreibt es Hugo Kehr, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie an der TU München. Das Wichtigste ist also, sich Ziele zu setzen, die zu einem passen.
Wenn Hugo Kehr in seinen Selbstmanagementtrainings die Bedingungen für Motivation erklärt, greift er zu drei Metaphern: Kopf, Bauch und Hand. «Der Kopf steht für Ratio, Vernunft, Entscheidung», sagt Kehr, «auf Motivationspsychologisch heißt das: explizite Motive. Darunter versteht man alle bewusst gefassten Ziele. Den Fortbildungskurs, den man endlich machen will. Das gute Buch, das man endlich lesen will.
Der Bauch repräsentiert die impliziten Motive, also Dinge, die man gern und ohne Anstrengung tut. Wer überlegt sich schon, wieso er gern seine Freunde trifft oder Spaß daran hat, sein Golfspiel zu verbessern? Die Hand stellt die Fähigkeiten eines Menschen dar. Man kann bis zum Scheitel motiviert sein, einen Kampfjet zu fliegen – wenn man keine Ahnung hat, wofür all die Knöpfe da sind, helfen die besten Absichten nichts.»
«Wenn aber Kopf und Bauch auseinanderklaffen», erklärt Kehr, «muss man sich überwinden. Dann braucht man Volition, den Willen.» Kehr nennt dies sein Kompensationsmodell von Motivation und Volition. Wenn der Kopf etwa beschlossen hat, dass er nun endlich den Brief an die Großmutter schreiben will, der Bauch jedoch viel lieber den Fernsehkrimi einschalten würde, muss Willenskraft eingesetzt werden, damit Oma doch noch Post bekommt.
Diese Willensstärke könne sich allerdings erschöpfen wie ein Muskel, sagt Kehr. «Sie kann aber vielleicht auch durch Übung aufgebaut werden. Dafür gibt es allerdings noch keine experimentellen Belege. Versucht wird es schon lange.»
Mindestens seit 1923. Da schrieb der Jesuit Johannes Lindworsky im Vorwort zu seinem Buch Willensschule: «Wenn du willst, so kannst du alles; nur musst du wollen können.» Er wollte den Willen mit Aufgaben wie Fliegenschlucken oder Eiswassertrinken trainieren.
Wieso erreichen manche Menschen alles mit beneidenswerter Leichtigkeit? Sie wählen intuitiv Tätigkeiten aus, die ihren Motiven entsprechen. «Als Kinder werden wir ein Stück weit entfremdet, das zu tun, was wir gern tun würden», sagt Oliver Schultheiss vom Human Lab an der Uni Erlangen. «Ein großer Teil der Sozialisation besteht darin zu lernen, dass man eben nicht die Dinge tun kann, die einen gerade ziehen oder treiben, sondern dass man erst einmal den ganzen anderen Mist erledigen muss.»
Um es sich leichter zu machen, sollte man wissen, was einen anspornt. Die Psychologie hat sich auf drei Grundmotive geeinigt, die Menschen unbewusst treiben: Macht, Leistung und Anschluss. Machtmotivierte wollen anderen überlegen sein, Leistungsmotivierte sich selbst verbessern und Anschlussmotivierte gemocht werden – Letztere kommen oft allein durch das Lächeln ihres Gegenübers in Schwung.
Motiviert ist, wer seine Ziele passend zu diesen Anreizen wählt. Welcher Typ man ist, lässt sich mit psychologischen Tests herausfinden. Oder mit etwas Kopf- und Baucharbeit. Wer zum Beispiel vor einer Entscheidung steht – sei es, ein neues Projekt zu übernehmen oder doch noch seinen Doktor zu machen –, sollte dieses Ziel gedanklich ausprobieren. Der Trick ist, sich in die künftige Situation hineinzuversetzen und sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, etwa in einer Führungsposition andere Leute anzuleiten. «Wenn sich die Vorstellung gut anfühlt, steht einem sofort seine komplette Energie zur Verfügung», sagt Oliver Schultheiss.
Wie wichtig es ist, seine Projekte den Motiven entsprechend zu wählen, zeigen Untersuchungen des Psychologen Joachim Brunstein von der Universität Gießen. Wer sich unpassende Ziele setzt, zieht aus den damit verbundenen Erfolgen keine Befriedigung. Im Gegenteil: Manche sind nach einem Erfolg sogar unglücklicher als davor.
Doch das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof, man kann Ziele leider nicht immer nach seinen Vorlieben wählen. Viele Dinge muss man erledigen, ob der Bauch will oder nicht. Weil sie gesund sind, gesetzlich vorgeschrieben oder weil man seine Miete bezahlen muss. Und weder das Finanzamt noch der Arbeitgeber können immer auf die Grundmotivation des Einzelnen Rücksicht nehmen.
Könnte man unangenehme Tätigkeiten nicht so verpacken, dass sie doch zu den eigenen Vorlieben passen? Wäre die Steuererklärung ein Computerspiel, hätten viele sie vermutlich bereits am 1. Januar erledigt.
In Hugo Kehrs Seminaren wird diese Umverpackung mittels einer Partnerübung versucht. Ein Teilnehmer beschreibt eine Tätigkeit, die ihm wirklich Spaß macht, wie Tennis spielen. Danach schildert er eine, die ihm weniger leicht von der Hand geht, möglicherweise die Steuererklärung. Diese wird in viele Teilschritte zerlegt, die Aufgabe des Partners ist es zu erkennen, an welchen Stellen man an die Spaßfaktoren des Tennisspielens anknüpfen könnte. Spaß am Gewinnen etwa könnte eine Parallele sein, gerade bei einem machtmotivierten Menschen – der dann mit dem besten Freund darauf wetten könnte, wer als Erster seine Formulare beim Finanzamt hat. Ein Student, der keine Lust hat, sich auf die Prüfung vorzubereiten, aber anschlussmotiviert ist, könnte sich selbst überlisten, indem er mit anderen eine Lerngruppe gründet.
Motiviert mit Methode
Doch die meisten Menschen scheitern an den kleinen persönlichen Zielen, den klassischen Neujahrsvorsätzen, etwa mehr Sport zu treiben, weniger zu rauchen oder mehr Obst zu essen. Für diese Fälle bietet die DAK das Programm «Motiviert mit Methode» der Hamburger Motivationspsychologin Gabriele Oettingen an. In zahlreichen Studien hat sie untersucht, welche Imaginationstechniken zum gewünschten Verhalten führen. Das Ergebnis: Wer nur daran denkt, was auf dem Weg zum Ziel schiefgehen kann, lässt es gleich bleiben. Wer sich seine Zukunft wiederum in den rosigsten Farben ausmalt, ist nicht auf Hindernisse vorbereitet und strengt sich weniger an.
In einer Studie ließ Oettingen Universitätsabsolventen über ihre berufliche Zukunft nachdenken. Jene, die sie sehr positiv sahen, waren sich ihrer Sache offensichtlich so sicher, dass sie zwei Jahre danach weniger Jobangebote erhalten hatten und schlechter bezahlt wurden.
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de