Aktuelles
Alexander Puschkin
Der Sargmacher
Fortsetzung aus Nr. 11/2009
Es war schon spät, als die Gäste gingen; die meisten von ihnen waren angeheitert. Jurko wurde von dem dicken Bäcker und einem Buchbinder, dessen Antlitz rötlich wie ein Saffianeinband glühte, unter den Armen gefaßt und zu seinem Häuschen geschleppt, wobei sie in diesem Falle die Weisheit des russischen Sprichwortes befolgten: Schulden werden schön, wenn man sie zahlt. Betrunken und ärgerlich kam der Sargmacher nach Hause. «Was soll das, wahrhaftig?» sprach er laut. «Worin ist mein Gewerbe weniger ehrenhaft als das der anderen? Oder ist der Sargmacher etwa ein Bruder des Henkers? Worüber lachten die Heiden? Es war meine Absicht, sie zur Einweihung der neuen Wohnung einzuladen und ein großes Gelage zu veranstalten, aber nichts dergleichen jetzt! Ich will die einladen, für die ich arbeite: die rechtgläubigen Toten will ich einladen.» – «Was soll das, Väterchen?» unterbrach ihn die Bedienerin, die ihm derweilen die Stiefel auszog. «Was schwatzest du da? Bekreuzige dich! Tote zur Einweihung der neuen Wohnung zu laden! Hat man so was gehört!» – «So wahr mir Gott helfe, ich will sie einladen», fuhr Adrian fort, «und zwar schon auf morgen. Erweist mir die Ehre, meine Wohltäter, und kommt morgen mich besuchen; ich will euch vorsetzen, was Gott beschert hat.» Nachdem er diese Worte gesprochen, warf sich der Sargmacher auf sein Bett und schnarchte bald darauf.
Draußen war es noch stockdunkel, da wurde Adrian bereits wieder geweckt. Die Kaufmannsfrau Trjuchina war in der Nacht gestorben, und ein Eilbote ihres Verwalters überbrachte Adrian diese Nachricht. Der Sargmacher gab ihm ein Zehnkopekenstück als Trinkgeld, zog sich in aller Eile an, nahm eine Droschke und begab sich dorthin. Vor dem Tore hielt die Polizei Wache, und wie Krähen, die einen Leichnam spüren, schritten Händler auf und ab davor. Gelb wie Wachs, wenn auch noch nicht von der Verwesung verunstaltet, lag der Körper der Verstorbenen auf einem Tisch aufgebahrt. Die Verwandten, die Nachbarn und das Gesinde scharten sich im Kreise. Alle Fenster waren
geöffnet, Kerzen flackerten, und Priester sprachen ihre Gebete. Adrian näherte sich dem Neffen der Trjuchina, einem jungen Kaufmann in einem eleganten Gehrock nach der Mode, und benachrichtigte ihn, daß der Sarg, die Kerzen, der Überzug und all die anderen zum Leichenbegängnis notwendigen Gegenstände von ihm sogleich, und zwar mit der peinlichsten Genauigkeit, herbeigeschafft werden würden. Der Erbe dankte ihm ein wenig zerstreut und warf hin, daß er wegen des Preises nicht feilschen wolle, sondern daß er sich in allem auf seine Rechtschaffenheit verlasse. Der Sargmacher rief daraufhin, wie er dies immer tat, Gott zum Zeugen an, daß er nichts Überflüssiges berechnen werde, tauschte aber gleichzeitig einen bedeutungsvollen Blick mit dem Verwalter und eilte dann fort, alles zu besorgen. Der ganze Tag verging, indem er rastlos von jenem Stadtteil zur Nikitapforte hin und her fuhr, gegen Abend aber war endlich alles erledigt, und er begab sich, nachdem er den Kutscher bezahlt, zu Fuß nach Hause. Die Nacht war mondhell. Ungefährdet erreichte der Sargmacher das Nikitator. An der Himmelfahrtskirche rief ihn der uns bereits bekannte Jurko an, aber als er den Sargmacher erkannte, wünschte er ihm nur eine geruhsame Nacht. Es war schon ziemlich spät. Der Sargmacher näherte sich bereits seinem Hause, da war ihm plötzlich, als sähe er jemand durch das Tor treten, die Türe öffnen und im Innern verschwinden. «Was soll denn das nun wieder?» überlegte Adrian. «Hat schon wieder jemand etwas von mir nötig? Oder schlich sich ein Dieb ein? Oder am Ende Galane, die sich zu meinen Närrinnen stehlen? Jedenfalls nichts Gutes!» Und schon wollte der Sargmacher seinen Freund Jurko zu Hilfe rufen. Aber in dem Augenblick näherte sich wieder einer dem Tor und schickte sich an hineinzugehen, blieb jedoch, als er den herbeieilenden Hausherrn wahrnahm, stehen und lüftete den Dreispitz. Das Gesicht kam Adrian bekannt vor, obwohl er in seiner Hast unterließ, sich die Züge genauer anzusehen. «Sie geruhten, mich aufzusuchen», stieß Adrian noch atemlos hervor, «erweisen Sie mir doch die Ehre und treten Sie näher.» – «Keine Umstände, mein Väterchen», erwiderte jener dumpf. «Geh nur voran und zeige den Gästen den Weg!» Adrian hatte auch gar nicht die Absicht, Umstände zu machen. Die Tür stand offen, er schritt die paar Stufen hinan, und jener folgte ihm. Adrian schien es dabei, als höre er Menschen in seiner Wohnung auf und ab gehen. Was für ein Teufelsspuk! dachte er und beeilte sich einzutreten°... aber da versagten ihm die Beine den Dienst. Das Zimmer war voll von Toten. Der Mond schien durch Fenster auf gelbe und bläuliche Gesichter, er zeigte klaffende Münder, gebrochene Augen und spitzige Nasen... Und mit Entsetzen erkannte Adrian eben jene in ihnen, die vermittels seiner Bemühungen beerdigt worden waren; der Gast aber, der mit ihm gleichzeitig eingetreten, war jener Brigadier, der während des Platzregens bestattet worden war. Mit Verbeugungen und Begrüßungen umringten sie alle, Frauen sowohl wie Männer, den Sargmacher, und nur ein Allerärmster, der kürzlich umsonst beerdigt worden war, stand zerknirscht und sich seines Hemdes schämend, demütig in einer Ecke und näherte sich nicht. Die anderen waren alle mit großem Anstand gekleidet: die Frauenleichname trugen Häubchen und Bänder, die verstorbenen Beamten hatten ihre Uniform an, freilich waren ihre Bärte ungepflegt, die toten Kaufleute aber wandelten in ihren Feiertagskaftanen. «Siehst du, Prochorow», redete ihn der Brigadier im Namen der ganzen respektablen Gesellschaft an, «auf deine Einladung hin sind wir alle gekommen, und nur die sind zu Hause geblieben, die schon gar nicht mehr konnten, die schon ganz und gar zerfallen sind, und jene, die nur noch aus Gerippe ohne Haut bestehen; aber auch von diesen wollte einer nicht still halten – so sehr verlangte es ihn danach, bei dir zu sein...» Und in diesem Augenblick drängte sich ein kleines Skelett durch die Schar und näherte sich Adrian. Sein Schädel grinste den Sargmacher liebenswürdig an. Fetzen hellgrünen und roten Tuches und morscher Leinwand baumelten an ihm wie an einem Gerüst, und die Beinknochen schlotterten in den viel zu weiten Stulpenstiefeln wie eine Keule im Mörser. «Du erkennst mich nicht mehr, Prochorow», sagte das Skelett. «Aber erinnerst du dich nicht an den verabschiedeten Gardesergeanten Pjotr Petrowitsch Kurilkin, an jenen, dem du noch im 1799er Jahre deinen ersten Sarg verkauftest – und dazu noch einen aus Fichtenholz statt aus Eiche?» Und mit diesen Worten wollte ihn der Tote in seine knöcherne Umarmung schließen, aber da nahm Adrian all seine Kraft zusammen, schrie auf und stieß ihn fort. Pjotr Petrowitsch taumelte, fiel und war auf einmal ganz und gar zerfallen. Ein unwilliges Gemurmel erhob sich unter den Toten; alle traten für die Ehre ihres Kameraden ein und rückten Adrian mit Scheltworten und Drohungen zu Leibe, der arme Hausherr aber, betäubt von ihrem Schreien und fast zerquetscht, war wie von Sinnen, fiel über die Knochen des verabschiedeten Gardesergeanten und verlor das Bewußtsein.
Die Sonne schien schon lange auf das Bett, in dem unser Sargmacher lag. Endlich öffnete er die Augen und erblickte die Bedienerin vor sich, die damit beschäftigt war, den Samowar anzufachen. Voller Grauen gedachte Adrian der gestrigen Erlebnisse. Dunkel kam ihm die Erinnerung an die Trjuchina, an den Brigadier und an Kurilkin, den Sergeanten. Er schwieg und wartete darauf, daß die Bedienerin zu sprechen anfange und ihm von den Folgen des nächtlichen Abenteuers erzähle.
«Väterchen Adrian Prochorowitsch, du hast dich aber verschlafen», sagte Axinja und reichte ihm seinen Schlafrock. «Der Nachbar, der Schneider, kam vorüber, und der Polizeiwächter kam mit der Nachricht, daß heute der Namenstag des Revieraufsehers sei, aber du schliefst in einem fort, und wir wollten dich nicht wecken.»
«Und von der verstorbenen Trjuchina, ist da jemand gekommen?»
«Von der verstorbenen? Ja, ist sie denn gestorben?»
«Närrin! Als ob nicht du mir gestern geholfen hättest, alles zu ihrer Beerdigung vorzubereiten?»
«Was soll denn das, Väterchen, hast du wohl gar den Verstand verloren, oder ist der gestrige Rausch immer noch nicht vergangen? Was für eine Beerdigung war denn gestern? Den ganzen Tag über zechtest du bei dem Deutschen, kamst betrunken nach Hause und fielst geradezu ins Bett und hast bis zu dieser Stunde durchgeschlafen, da doch schon die Glocken das Ende des Mittagsgottesdienstes geläutet haben.»
«Was du nicht sagst!» meinte erfreut der Sargmacher.
«Freilich, freilich», entgegnete die Bedienerin.
«Nun, wenn sich das so verhält, dann schneller her mit dem Tee und ruf meine Töchter.»
(Aus: A. Puschkin: Ausgewählte Werke. Bd. 3.
Aufbau-Verlag, Berlin 1949. Aus dem Russischen
übertragen von Johannes von Guenther)