Wissenschaft und Technik
Der Mogeldoktor
Doktor Faust, das Vorbild berühmter Dramen, Opern und Romane, hat um 1500 gelebt. Aber wer war der legendäre Astrologe und Experimentator wirklich?
Faust-Verfilmung (Will Quadflieg, links und Gustaf Gründgens, rechts): «Den historischen Faust umgibt ein Gestrüpp von Fragezeichen», schreibt der Literaturhistoriker Günther Mahal, «man kann seine Gestalt kaum fassen.»
Seine letzten Stunden mochte Doktor Faust nicht allein verbringen. Nachdem er mit befreundeten Studenten ausgiebig gefrühstückt hatte und spazieren war, lud er sie für den Abend ins Gasthaus «Zum Löwen» ein. Er habe ihnen dort eine wichtige Mitteilung zu machen.
Und so beichtete Faust den Studenten sein dunkles Lebensgeheimnis: Wie er den Wonnen von Wein und Weib zugetan war, welche unglaublichen Abenteuer zu Erde, Wasser und Luft er bestanden hatte, wie die Welt ihm schier zu gehorchen schien – und welchen Preis er dafür jetzt zahlen muss.
Denn seine Seele, ach, habe er an den Teufel verkauft, und diese Nacht wolle der kommen und den Wechsel einlösen.
Sein grausiges Ende solle den Studenten Mahnung sein, sich nicht von eitlem Schein und giftigen Reizen verlocken zu lassen, sondern brav und gottesfürchtig ihr Leben zu führen.
Nach Mitternacht geschah es: Ein gewaltiger Sturm raste ums Haus, dazu «ein grewliches Pfeiffen und Zischen, als ob das Hauß voller Schlangen, Natern unnd anderer schädlicher Würme were», wie ein Chronist es später notierte.
Als der Morgen anbrach, bot sich den verschreckten Studenten ein fürchterliches Bild: «Sie sahen keinen Faustum mehr und nichts, dann die Stuben voller Blut gesprützet. Das Hirn klebte an der Wandt, weil jn der Teuffel von einer Wandt zur andern geschlagen hatte. Es lagen auch seine Augen und etliche Zäen allda – ein greulich und erschrecklich Spectackel.»
Die sterblichen Überreste des Doktors fanden sich draußen auf einem Misthaufen, sein Gesicht war auf den Rücken gedreht.
All dies geschah in Staufen im Breisgau am 5. April anno 1540.
Oder war es der 8. April? Oder war es eher im Mai, in einem ganz anderen Jahr, an einem ganz anderen Ort? Und wer war da überhaupt zu Tode gekommen? Doktor Johann Georg Faust? Hat es den überhaupt je gegeben?
Ja, das ist gewiss: Faust hat gelebt.
Viel mehr weiß man nicht.
Weder wann er geboren wurde und starb, noch wie er aufwuchs, ob er je eine Schule besuchte oder eine eigene Familie hatte. Höchst unwahrscheinlich ist, dass er studierte, wohl war er ein begabter Autodidakt in jenen Disziplinen, die damals Einkommen, Ansehen und Aufmerksamkeit versprachen – in Astrologie, Magie und Alchemie.
So hat er sein Brot verdient, mit Horoskopen, Weissagungen und alchemistischen Experimenten, auf Märkten, in Gaststätten und auch bei hohen Herren – das zumindest belegen die äußerst spärlichen Zeugnisse seiner Existenz.
Wo aber kommt diese grässliche Geschichte her, über sein ausschweifendes Leben und den Teufelspakt?
Wer war Faust?
«Den historischen Faust umgibt ein Gestrüpp von Fragezeichen», schreibt der Literaturhistoriker Günther Mahal, «man kann seine Gestalt kaum fassen.»
Dabei gibt es wohl kaum ein Schicksal, das im vergangenen halben Jahrtausend häufiger beschrieben, besungen, auf die Bühne oder ins Kino gebracht wurde. Faust steht für die ewigen Fragen nach dem Woher, Wohin und Warum. Er symbolisiert Verführung und Grenzüberschreitung, Gut und Böse, das haltlose Streben nach irdischem Glück und das Scheitern daran.
Und er steht – wie der Gelehrte Heinrich Faust bei Goethe – für die Suche nach dem, «was die Welt im Innersten zusammenhält».
Christopher Marlowe, Gotthold Ephraim Lessing, Heinrich Heine sowie Klaus und Thomas Mann ließen sich von dem Thema ebenso anregen wie Hanns Eisler, Gustaf Gründgens, Ariane Mnouchkine oder Salvador Dalí. Mick Jagger ließ sich bei seinem Song Sympathie for the Devil von Michail Bulgakows Der Meister und Margarita inspirieren, in dem Wahrheitssuche und Teufel tragende Rollen spielen.
Nicht immer heißen die Helden «Faust», mal sind es Heldinnen, auch der Ausgang der Geschichte führt nicht zwangsläufig zur Fahrt in die Hölle.
Doch was hat all das mit dem ursprünglichen Faust zu tun, der wahrscheinlich zwischen 1480 und 1540 in Süddeutschland gelebt hat?
Ganze neun Nachweise seiner wohl 60-jährigen Existenz gibt es, Dokumente, die auf drei Din-A4-Blättern zusammenzufassen sind und deren Inhalt sich erst im Kontext der Epoche erschließt.
Das Neue sei alles Teufelswerk, riefen die Kleriker
«Was die Zeitgenossen über Faust zu berichten wussten, ist der Quantität nach äußerst dürftig, der Qualität nach eine Mischung aus banalen Aktenvermerken und hochkarätigem Rufmord», weiß Faust-Biograf Mahal.
Geboren wurde Faust wohl in Knittlingen, einem Städtchen in der Nähe von Pforzheim. Jedenfalls ausweislich eines Kaufbriefs von 1542, in dem das Haus neben der heutigen Stadtkirche als das Gebäude «allwo Fausten born» bezeichnet wird.
Der Knabe geriet in eine Welt, die gerade ihre Koordinaten verlor: Es waren Jahrzehnte des Umbruchs vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, Dekaden, in denen sich – je nach Betrachter – das Universum auftat oder der Himmel einstürzte. Columbus entdeckte Amerika, Magellan umsegelte die Erde, Luther begehrte gegen den Papst auf, und Kopernikus stürzte die Erde von ihrem Thron.
Es war aber auch die Zeit der Bauernkriege, der Pest, der Hexenverbrennungen und der Inquisition, mit deren Hilfe sich die Kirche ihren schwindenden Einfluss sichern wollte.
Das Neue sei alles Teufelswerk, riefen die Kleriker, und der Glaube an den Satan saß tatsächlich tief im Volk verankert. Selbst Luther, der Reformator, glaubte an den schwefligen Hinkefuß.
Und über alle dem drehte oben im All – jedem tatsächlich sichtbar – der später nach seinem Entdecker benannte Komet Halley seine Bahn, was die Menschen zusätzlich in Verwirrung stürzte. Fruchtbarer Boden für Wahrsager, Astrologen, Magier und Heiler, wie Faust einer war.
Bereits als Kind könnte er von den großen Umbrüchen in der Welt erfahren haben, auch ohne die örtliche Lateinschule zu besuchen. Denn von 1490 an befand sich eine Poststation der Fürsten von Taxis in Knittlingen und damit ein Umschlagplatz für Nachrichten und Gerüchte.
Dass Faust lesen und schreiben konnte, darf getrost angenommen werden, obwohl es dafür keinen Beleg gibt. Ihm eilte oft ein Ruf als Gelehrter voraus, als Doktor gar, und es ist nicht erwiesen, dass er sich gegen den (vermutlichen) Etikettenschwindel wehrte.
Er war aber wohl auch ein exzentrischer Angeber, ein lauter Besserwisser, der sich auf den Märkten mit allerlei Spektakel auffällig inszenieren konnte.
Alles in allem ein Mann mit höchst ambivalentem Leumund.
Eine erste Erwähnung findet Faust am 20. August 1507 in einem Brief des Würzburger Abts Johannes Trithemius an den Heidelberger Mathematiker und Hofastrologen Johann Virdung.
Den Inhalt des Schreibens mit Rufmord zu charakterisieren, wäre untertrieben. Das noch zu Fausts Lebzeiten 1536 erstmals gedruckte Pamphlet wird indes seine Wirkung entfaltet haben.
Der Hofastrologe Virdung freute sich auf ein Treffen mit Faust, doch der Abt warnte seinen Freund vor dem Mann, der sich anmaße, folgenden Titel zu tragen: «Magister Georg Sabellicus Faust der Jüngere, Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog, Zweiter der Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter in der Hydromantie».
Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de