Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №8/2009

Hauslektüre im Deutschunterricht

Didaktisierungsvorschlag zum Buch «Momo» von Michael Ende

Erstellt von Dr. Dana Bartosch, Ruth-Ulrike Deutschmann, Natalia Koslowa

Fortsetzung aus Nr. 01, 02, 03, 04, 05, 07/2009

Lesetext
Sechstes Kapitel

Die Rechnung ist falsch und geht doch auf

«Darüber», sagte der graue Herr und lächelte zum zweiten Mal dünn, «machen Sie sich nur keine Sorgen. Das überlassen Sie ruhig uns. Sie können sicher sein, dass uns von Ihrer eingesparten Zeit nicht das kleinste bisschen verloren geht. Sie werden es schon merken, dass Ihnen nichts übrig bleibt.»
«Also gut», entgegnete Herr Fusi verdattert, «ich verlasse mich also darauf.»
«Tun Sie das getrost, mein Bester», sagte der Agent und stand auf. «Ich darf Sie also hiermit in der großen Gemeinde der Zeit-Sparer als neues Mitglied begrüßen. Nun sind auch Sie ein wahrhaft moderner und fortschrittlicher Mensch, Herr Fusi. Ich beglückwünsche Sie!»
Damit nahm er seinen Hut und seine Mappe.
«Einen Augenblick noch!», rief Herr Fusi. «Müssen wir denn nicht irgendeinen Vertrag abschließen? Muss ich nichts unterschreiben? Bekomme ich nicht irgendein Dokument?»
Der Agent Nr. XYQ/384/b drehte sich in der Tür um und musterte Herrn Fusi mit leichtem Unwillen. «Wozu?», fragte er. «Das Zeit-Sparen lässt sich nicht mit irgendeiner anderen Art des Sparens vergleichen. Es ist eine Sache des vollkommenen Vertrauens – auf beiden Seiten! Uns genügt Ihre Zusage. Sie ist unwiderruflich. Und wir kümmern uns um Ihre Ersparnisse. Wie viel Sie allerdings ersparen, das liegt ganz bei Ihnen. Wir zwingen Sie zu nichts. Leben Sie wohl, Herr Fusi!» Damit stieg der Agent in sein elegantes, graues Auto und brauste davon.
Herr Fusi sah ihm nach und rieb sich die Stirn. Langsam wurde ihm wieder wärmer, aber er fühlte sich krank und elend. Der blaue Dunst aus der kleinen Zigarre des Agenten hing noch lange in dichten Schwaden im Raum und wollte nicht weichen.
Erst als der Rauch vergangen war, wurde es Herrn Fusi wieder besser. Aber im gleichen Maß wie der Rauch verging, verblassten auch die Zahlen auf dem Spiegel. Und als sie schließlich ganz verschwunden waren, war auch die Erinnerung an den grauen Besucher in Herrn Fusis Gedächtnis ausgelöscht – die an den Besucher, nicht aber die an den Beschluss! Den hielt er nun für seinen eigenen. Der Vorsatz, von nun an Zeit zu sparen, um irgendwann in der Zukunft ein anderes Leben beginnen zu können, saß in seiner Seele fest wie ein Stachel mit Widerhaken.
Und dann kam der erste Kunde an diesem Tag. Herr Fusi bediente ihn mürrisch, er ließ alles Überflüssige weg, schwieg und war tatsächlich statt in einer halben Stunde schon nach zwanzig Minuten fertig.
Und genauso hielt er es von nun an bei jedem Kunden. Seine Arbeit machte ihm auf diese Weise überhaupt keinen Spaß mehr, aber das war ja nun auch nicht mehr wichtig. Er stellte zusätzlich zu seinem Lehrjungen noch zwei weitere Gehilfen ein und gab scharf darauf Acht, dass sie keine Sekunde verloren. Jeder Handgriff war nach einem genauen Zeitplan festgelegt. In Herrn Fusis Laden hing nun ein Schild mit der Aufschrift: GESPARTE ZEIT IST DOPPELTE ZEIT!
An Fräulein Daria schrieb er einen kurzen, sachlichen Brief, dass er wegen Zeitmangels leider nicht mehr kommen könne. Seinen Wellensittich verkaufte er einer Tierhandlung. Seine Mutter steckte er in ein gutes, aber billiges Altersheim und besuchte sie dort einmal im Monat. Und auch sonst befolgte er alle Ratschläge des grauen Herrn, die er ja nun für seine eigenen Beschlüsse hielt.
Er wurde immer nervöser und ruheloser, denn eines war seltsam: Von all der Zeit, die er einsparte, blieb ihm tatsächlich niemals etwas übrig. Sie verschwand einfach auf rätselhafte Weise und war nicht mehr da. Seine Tage wurden erst unmerklich, dann aber deutlich spürbar kürzer und kürzer. Ehe er sich’s versah, war schon wieder eine Woche, ein Monat, ein Jahr herum und noch ein Jahr und noch eines.
Da er sich ja an den Besuch des grauen Herrn nicht mehr erinnerte, hätte er sich wohl eigentlich ernstlich fragen müssen, wo all seine Zeit denn blieb. Aber diese Frage stellte er sich sowenig wie alle anderen Zeit-Sparer. Es war etwas wie eine blinde Besessenheit über ihn gekommen. Und wenn er manchmal mit Schrecken gewahr wurde, wie schnell und immer schneller seine Tage dahinrasten, dann sparte er nur umso verbissener.
Wie Herrn Fusi, so ging es schon vielen Menschen in der großen Stadt. Und täglich wurden es mehr, die damit anfingen, das zu tun, was sie «Zeit sparen» nannten. Und je mehr es wurden, desto mehr folgten nach, denn auch denen, die eigentlich nicht wollten, blieb gar nichts anderes übrig als mitzumachen.
Täglich wurden im Rundfunk, im Fernsehen und in den Zeitungen die Vorteile neuer zeitsparender Einrichtungen erklärt und gepriesen, die den Menschen dereinst die Freiheit für das «richtige» Leben schenken würden. An Hauswänden und Anschlagsäulen klebten Plakate, auf denen man alle möglichen Bilder des Glücks sah. Darunter stand in leuchtenden Lettern:
ZEIT-SPARERN GEHT ES IMMER BESSER!
Oder: ZEIT-SPARERN GEHÖRT DIE ZUKUNFT!
Oder: MACH MEHR AUS DEINEM LEBEN – SPARE ZEIT!
Aber die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Zwar waren die Zeit-Sparer besser gekleidet als die Leute, die in der Nähe des alten Amphitheaters wohnten. Sie verdienten mehr Geld und konnten auch mehr ausgeben. Aber sie hatten missmutige, müde oder verbitterte Gesichter und unfreundliche Augen. Bei ihnen war die Redensart «Geh doch zu Momo!» natürlich unbekannt. Sie hatten niemand, der ihnen so zuhören konnte, dass sie davon gescheit, versöhnlich oder gar froh geworden wären. Aber selbst wenn es dort so jemand gegeben hätte, es wäre doch höchst zweifelhaft gewesen, ob sie je zu ihm hingegangen wären – es sei denn, man hätte die Sache in fünf Minuten erledigen können. Andernfalls hätten sie es für verlorene Zeit gehalten. Selbst ihre freien Stunden mussten, wie sie meinten, ausgenutzt werden und in aller Eile so viel Vergnügen und Entspannung liefern, wie nur möglich war.
So konnten sie keine richtigen Feste mehr feiern, weder fröhliche noch ernste. Träumen galt bei ihnen fast als ein Verbrechen. Am allerwenigsten aber konnten sie die Stille ertragen. Denn in der Stille überfiel sie Angst, weil sie ahnten, was in Wirklichkeit mit ihrem Leben geschah. Darum machten sie Lärm, wann immer die Stille drohte. Aber es war natürlich kein fröhlicher Lärm wie der auf einem Kinderspielplatz, sondern ein wütender und missmutiger, der die große Stadt von Tag zu Tag lauter erfüllte.
Ob einer seine Arbeit gern oder mit Liebe zur Sache tat, war unwichtig – im Gegenteil, das hielt nur auf. Wichtig war ganz allein, dass er in möglichst kurzer Zeit möglichst viel arbeitete.
Über allen Arbeitsplätzen in den großen Fabriken und Bürohäusern hingen deshalb Schilder, auf denen stand:
ZEIT IST KOSTBAR – VERLIERE SIE NICHT!
Oder: ZEIT IST (WIE) GELD – DARUM SPARE!
Ähnliche Schilder hingen auch über den Schreibtischen der Chefs, über den Sesseln der Direktoren, in den Behandlungszimmern der Ärzte, in den Geschäften, Restaurants und Warenhäusern und sogar in den Schulen und Kindergärten. Niemand war davon ausgenommen.
Und schließlich hatte auch die große Stadt selbst mehr und mehr ihr Aussehen verändert. Die alten Viertel wurden abgerissen und neue Häuser wurden gebaut, bei denen man alles wegließ, was nun für überflüssig galt. Man sparte sich die Mühe die Häuser so zu bauen, dass sie zu den Menschen passten, die in ihnen wohnten; denn dann hätte man ja lauter verschiedene Häuser bauen müssen. Es war viel billiger und vor allem zeitsparender, die Häuser alle gleich zu bauen. Im Norden der großen Stadt breiteten sich schon riesige Neubauviertel aus. Dort erhoben sich in endlosen Reihen vielstöckige Mietskasernen, die einander so gleich waren wie ein Ei dem anderen. Und da alle Häuser gleich aussahen, sahen natürlich auch alle Straßen gleich aus. Und diese einförmigen Straßen wuchsen und wuchsen und dehnten sich schon schnurgerade bis zum Horizont – eine Wüste der Ordnung! Und genau so verlief auch das Leben der Menschen, die hier wohnten: schnurgerade bis zum Horizont! Denn hier war alles genau berechnet und geplant, jeder Zentimeter und jeder Augenblick.
Niemand schien zu merken, dass er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes sparte. Keiner wollte wahrhaben, dass sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. Deutlich zu fühlen jedoch bekamen es die Kinder, denn auch für sie hatte nun niemand mehr Zeit.
Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.
Und je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.

(Aus: Michael Ende: Momo. K. Thienemanns
Verlag, Stuttgart 2002)

 

Didaktisierungsvorschlag

Leseverstehen – selektives Lesen

1. Die grauen Herren werden offensichtlich ab jetzt eine bedeutende Rolle spielen.
Sie haben bereits notiert (Kapitel 4, Reflexion), wie die grauen Herren aussehen, und Sie haben Vermutungen zu folgenden Fragen angestellt:
– Wer sind die grauen Herren?
– Wozu sind sie in der Stadt?
Nehmen Sie jetzt diese Notizen hervor und lesen Sie Kapitel 6.

2. Was haben Sie über die grauen Herren erfahren? Vergleichen Sie mit Ihren Vermutungen.

Leseverstehen – selektives Lesen, Sprechen

3. Was erfahren Sie in Kapitel 6 über Herrn Fusi? Wie verlief sein Leben vor dem Besuch des grauen Herrn, was hat sich danach für ihn verändert? Füllen Sie die Tabelle aus. Das hilft Ihnen, die Informationen zu ordnen.

Das Leben des Herrn Fusi

vor dem Besuch des grauen Herrn

nach dem Besuch des grauen Herrn

Arbeit/Umgang mit Kunden

 

 

 

 

ins Altersheim stecken; nur einmal im Monat besuchen

 

täglich eine halbe Stunde bei ihr sitzen; Blumen bringen

 

sein Wellensittich

 

 

 

eine Viertelstunde am Fenster sitzen und nachdenken

 

4. Berichten Sie mit Hilfe der Tabelle über die Veränderungen im Leben des Herrn Fusi.

Reflexion, Interpretation

– Das Zeitsparen macht die Menschen nicht glücklicher. Suchen Sie Belege dafür aus dem Text.
– Was bedeutet für Sie «Zeitsparen»?
– Suchen Sie in Lexika nach Definitionen von «Zeit».
– Vergleichen Sie mit der «Definition» aus dem Text. Was ist die Kernaussage der Definition? (Kleiner Tipp: Sie wird im Kapitel wiederholt.)
– Was bedeutet «Zeit» für Sie? Versuchen Sie, eine persönliche Definition zu schreiben.
– Die Überschrift lautet: «Die Rechnung ist falsch und geht doch auf.» Versuchen Sie die Rechnung des grauen Herrn genau nachzuvollziehen. Warum ist die Rechnung falsch?
– Was bedeutet der Ausdruck Eine Wüste der Ordnung?
Warum verwendet der Autor Ihrer Meinung nach solche Ausdrücke?
Fallen Ihnen weitere Ausdrücke ein, die sich aus Begriffen der Natur und der abstrakten Welt zusammensetzen? (z. B. ein Berg von Pflichten ...)
– In Kapitel 6 ist die Gesellschaftskritik des Autors relativ deutlich. Fassen Sie zusammen: Was wird kritisiert? Wie ist Ihre Meinung dazu? Nehmen Sie Stellung dazu.

Wortschatz

5. Die Kategorie des Zeitverlustes kann mit verschiedenen sprachlichen Mitteln ausgedrückt werden. Suchen Sie in Kapitel 6 und im einsprachigen Wörterbuch und setzen Sie die Liste fort:
Zeit verlieren
____________________________________
____________________________________
____________________________________

6. Im Buch wird die Kategorie «Zeit» mit vielen Merkmalen der Kategorie «Geld» gleichgesetzt: «Zeit ist (wie) Geld – drum spare»).
Markieren Sie in Kapitel 6 Wörter und Ausdrücke, die zum Thema «Geld» passen.

7. Mini-Projekt:
– Suchen Sie im Internet auf den Seiten von Banken Informationen zum Geldsparen. Welche dieser Wörter und Ausdrücke erkennen Sie wieder?
– Schreiben Sie die entsprechenden Sätze heraus und legen Sie eine Wortschatzsammlung zum Thema «Geld» an.

Wortschatz, kreatives Schreiben

8. Im Text finden Sie Losungen zum Zeitsparen. Schreiben Sie selbst solche Losungen, aber zum «Zeitnehmen». Verwenden Sie dazu Wörter aus der Wortschatzliste, z. B.:
Überlass die Hektik anderen – mehr Zeit zum Faulenzen!
Nur wer sich aufs Langsamgehen versteht, kommt glücklich ans Ziel!

Wortschatz

9. Markieren Sie die Wörter aus der Wortliste im Text und überprüfen Sie, ob Sie die Bedeutung des Wortes kennen. Wenn Sie ein Wort nicht kennen, schauen Sie im Wörterbuch nach und notieren Sie die Bedeutung.

10. Übersetzen Sie die Sätze ggf. ins Russische.

11. Bilden Sie Beispielsätze mit den Wörtern der Wortliste.

Lernwortschatz

1. sich verstehen auf (Akk.)
2. auf etw./jmdn. aufmerksam werden
3. in Frage kommen
4. ein Sparkonto eröffnen
5. verwirren
6. etw. vergeuden
7. etw. ersparen
8. jmdm. zur Verfügung stehen
9. gestehen
10. etw./jmdn. betrachten
11. jmdm./etw. (Dat.) widmen
12. behindert sein
13. kosten
14. totschlagen
15. widerspruchslos
16. stimmen
17. überflüssig, das Überflüssige
18. etw. abschaffen
19. jmdm. etw. (Akk.) überlassen
20. sich verlassen auf (Akk.)
21. es bleibt nichts anderes übrig, als ... zu + Inf.
22. ertragen
23. ausgeben
24. jmdn. überfallen (Angst)

Fortsetzung folgt