Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №20/2008

Literatur

Helmut Sakowski
Wie ein Vogel im Schwarm

(Fortsetzung aus Nr. 17, 18, 19/2008)

Es ist ein Skandal, aber was tun die Leute? Sie wenden sich ab. Sie wollen nichts sehen. Auch Richard spricht immer:
Was geht es dich an? Aber der Bahnhof ist schließlich so etwas wie die eigene Tür, vor der sie kehren muß, sie hatte das vor ein paar Stunden erst getan, so gründlich, daß man vom Pflaster hätte essen können, aber nun das.
Der Genosse notierte jetzt und mahnte nochmals: Zur Sache, Frau Lindner, und wenn möglich, genau.
Soll sie sich blind stellen und ihres Weges gehn, als sähe sie nicht, daß die Kerlchen sich aufführen viel schlimmer als die Sau am Trog? Sie muß den Dreck beiseite räumen und schuftet zehn Stunden am Tag, mehr kann einer nicht arbeiten, Herr Kommissar, deshalb schreitet sie ein. Sie nimmt die Hunde an die Leine und ruft: Das gehört sich nicht, dort steht ein Korb für Abfall bereit, und in solchem Sinn einiges mehr. Hohngelächter die Antwort, unflätige Redensarten wie: Alte Zippe, und: Mach bloß keinen Aufriß, halt’s Maul, und noch Schlimmeres, bis einer wahrhaftig die letzte Flasche nach ihr wirft. Natürlich kriegt sie es mit der Angst und schreit, als das Ding vor ihren Füßen zerbirst. Da prescht der Große, der Tapfere, wütend gegen den Werfer vor, sie wird einfach mitgerissen, der Kleine auch. Allmächtiger, sie hat die Hunde doch nicht auf Kinder gehetzt, sie ist beworfen und mißhandelt worden, es muß Viertel nach acht gewesen sein, und hat noch gesehen, wie sie den Großen in der Schlinge aufwärts zogen, als wollten sie ihn an seinem Halsband erhängen, den Kleinen traten sie in die Flanke, daß er wie ein Ball durch die Luft segelte. Dann wurde zugeschlagen, die Brille zerbrach, sie hat nur noch Schatten gesehen und Schritte gehört, die auf dem Pflaster verhallten, während sie, um sich tastend, zwischen Scherben und Hühnerknochen lag. Sie mußte sich allein erheben, zunächst mal auf alle viere, arbeitet ja oft so auf Händen und Füßen, aber wie schwer ist es ihr geworden, sich wie ein Mensch aufzurichten und heimwärts zu wanken.
Soweit, nicht wortwörtlich, aber dem Sinn nach, der Bericht, den Leutnant Questenberg in sachliches Amtsdeutsch übertrug, ehe er Frau Lindner unterschreiben ließ. Zeugen?
Es lehnten Leute gegen ihre Autos.
Andere?
Sie hat niemanden erkennen können.
Auch die jungen Männer nicht?
Ohne Augengläser? Na ja, der eine hat ausgesehen wie der Junge von der Wohnung über uns und hat sich auch so angehört. Die Leute heißen Kohlrausch. Und die Hunde, Herr, sie brauchen keine Brille, weil sie eine Nase haben, seit gestern sind sie wie verrückt und verbellen den Jungen und toben, wenn er an unserer Tür vorübergeht.
[...]

Aus: Helmut Sakowski: Wie ein Vogel im Schwarm. Verlag Neues Leben, Berlin 1984. S. 5–14.

mah|nen <sw. V.; hat>: nachdrücklich zu einem bestimmten, geboten erscheinenden Verhalten od. Tun auffordern, drängen: jmdn. zur Eile, zur Vorsicht, zum Aufbruch m.; jmdn. eindringlich, nachdrücklich, wiederholt m.

auf|füh|ren <sw. V.; hat>: <a. + sich> sich in bestimmter Weise benehmen, betragen: sich anständig, normal, schlecht a.; er hat sich wie ein Verrückter aufgeführt; sie hat sich wieder einmal aufgeführt! (unpassend, skandalös benommen).

schuf|ten <sw. V.; hat> (ugs.): a) schwer, hart arbeiten: sein Leben lang s. müssen; b) <s. + sich> durch Schuften (a) in einen bestimmten Zustand geraten: sich müde s.