Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №21/2009

Literatur

Helga Schubert
Die Silberkrone

Fortsetzung aus Nr. 18, 19, 20/2009

Er spricht ja seit Wochen kein Wort mehr mit mir. Wenn ich meine Kinder nicht hätte. Ich arbeite ihm wohl nicht genug.
Aber du stehst doch jeden Morgen um vier auf.
Und abends wird es oft neun, halb zehn, bis ich ins Bett kann: Aber es muß wohl nicht genug sein.
Warum läßt du es dir gefallen?
Wo soll ich hin, noch mal von vorn anfangen? Lieber nehme ich mir einen Strick. In der Stadt könnt ich nicht leben. Ich brauch meine Tiere um mich rum, die Schafe, die Hühner, die Enten, die Gänse, die Kaninchen. Gib mir mal die Kartoffelschalen, die koch ich für die Schweine ab. Und wenn’s mal nicht anders ist und du siehst Inletts, bringst du mir welche mit? Wenn wir die Enten schlachten, will ich die Federn da reinstopfen. Es können Kopfkisseninletts sein. Farbe ist egal. Die kann man ja immer noch später in ein Bettinlett stopfen. Ich kann dir das Geld schon mitgeben. Dann will ich mal wieder an die Arbeit.
Sie steht auf und stellt den Schemel untern Küchentisch.
Schön, wenn man sich mal so richtig aussprechen kann. Es wird einem gleich anders ums Herz. Ich hab Salzheringe gewässert und eingelegt. Werd dir mal welche rüberbringen.
Ahoi, sagt sie freundlich und geht hinaus.
Aus alten Gummistiefeln hat sie sich Schuhe zurechtgeschnitten. Die grünen Trainingshosen sind aus einem Übergrößengeschäft. Dazu trägt sie einen orangefarbenen Pullover, den ihr die Oberschwester geschenkt hat.
Darüber einen blaugemusterten Nylonkittel aus dem Landwarenhaus.
Auf dem Weg zurück singt sie mit hoher kindlicher Stimme und rollendem R: Warum weinst du, holde Gärtnersfrau? Sie weiß, daß ich ihr nachsehe und zuhöre. Darum dreht sie sich in ihrer Haustür noch mal um und winkt.
Wenn ich mich doch auch so leicht trösten lassen könnte, denke ich. Tagelang muß ich grübeln, wenn mich etwas bedrückt. Aber Marie ist nach so kurzer Klage erleichtert. Eben hat sie geweint, jetzt singt sie, immer noch, ich höre sie durchs offene Fenster mit der zweiten Strophe beginnen. Sie spricht sonst so kurz und so selten über sich. Das war eben wirklich eine Aussprache für sie.

2
Jedesmal erzählt mir Marie ein wenig mehr über ihr Leben. Und ich nehme ihre einfachen Sätze in mich auf.
Marie ist nicht von hier. Sie hat in Pauls kleine Wirtschaft eingeheiratet. Sie lernten sich durch eine Annonce kennen.
Witwer mit Kleinkind sucht Frau vom Land.
Sie war damals vierundzwanzig und allein, schon sechs Jahre in Stellung bei einem Bauern. Sie dachte, ein Kind braucht Liebe, das soll es mal nicht so haben wie ich, und antwortete. Paul und Marie wurden sich schnell einig. Sie fand hier Arbeit, und sie heirateten. Zuerst waren sie bei den Kühen. Er half ihr die schweren Kannen schleppen. Und zu Hause seine kleine zweijährige Tochter. Sie wollte das Kind wie ein eignes behandeln; aber trotzdem zeigte jemand aus der Nachbarschaft sie an, sie weiß heute noch nicht wer, und die Fürsorge mußte alles überprüfen. Die kamen aber nur einmal und nicht wieder. Ein Jahr nach der Hochzeit gebar sie einen Sohn und zwei Jahre danach eine Tochter. Nun hatte sie drei Kinder, tagsüber die neue Arbeit als Küchenhilfe, morgens und abends die Bauernwirtschaft und einen Mann, der gerne ins Gasthaus ging. So ist alles geblieben. Tag für Tag, nur ihre drei Kinder haben jetzt selbst schon Kinder.
Pauls erste Frau war sehr schön. Das kann man in ihrer Tochter sehen, die jetzt fünfundzwanzig ist. Sie hat stolze dunkle Augen, starke Wangenknochen und volle Lippen. So alt wie die Tochter ist Pauls erste Frau geworden. Weil sie das zweite Kind nicht wollte, zerstach sie die Frucht in sich mit einer Stricknadel. Sie starb qualvoll an einer Leichenvergiftung. Ihrem Mann hatte sie nichts von der Schwangerschaft erzählt, sagte mir Marie. Sie pflegt regelmäßig das Grab dieser Frau. Und im Fotoalbum ist ihr Bild ganz vorn eingeklebt.

Fortsetzung folgt

Aus: Helga Schubert: Schöne Reise. Geschichten. Aufbau-Verlag,
Berlin und Weimar 1988. S. 54–66, 113–117.

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1988 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

In|lett, das; -[e]s, -e, auch: -s [niederd. inlat, zu: inlaten = einlassen, also eigtl. = Einlass]: Stoff[hülle] aus festem Baumwollgewebe für die Federn von Federbett u. -kissen: an der schadhaften Stelle quollen die Federn aus dem I.

aus|spre|chen <st. V.; hat>: 1. a) äußern, ausdrücken, zur Kenntnis geben: einen Gedanken, Wünsche, seine Meinung, sein Beileid a.; jmdm. sein Bedauern a.; der Regierung das Vertrauen a. (Parl.; ein Vertrauensvotum für sie abgeben); ein Urteil, eine Strafe a. (verkünden); b) <a. + sich> in bestimmter Weise über jmdn., etw. sprechen: sich lobend, tadelnd, anerkennend über jmdn. a.; sie hat sich nicht näher darüber ausgesprochen; 2. <a. + sich> a) sagen, was einen bewegt; sich etw. von der Seele reden: sich offen a.; sie hat sich bei ihrer Mutter [darüber] ausgesprochen; sprich dich aus! (iron.; was hast du mir noch alles vorzuwerfen?); b) zur Klärung einer Meinungsverschiedenheit o. Ä., in dem Wunsch nach Verständigung miteinander reden: sich einmal in Ruhe a.

Ober|schwes|ter, die; -, -n: leitende Krankenschwester eines Krankenhauses od. einer Station.

grü|beln <sw. V.; hat> [mhd. grübelen, ahd. grubilon = (wiederholt) graben, Intensivbildung zu graben]: seinen meist einem schwierig erscheinenden Problem geltenden, oft quälenden, unnützen od. fruchtlosen Gedanken nachhängen; über eine Sache nachsinnen, um zu einer Lösung od. Klärung zu kommen: sie hat tagelang ergebnislos über dieses/über diesem Problem gegrübelt; <subst.:> ins Grübeln kommen.

be|drü|cken <sw. V.; hat>: auf jmdm. lasten; traurig, niedergeschlagen machen: Angst bedrückte sie; bedrückendes Schweigen; bedrückt (deprimiert) sein; eine bedrückte Atmosphäre.

ein|hei|ra|ten <sw. V.; hat>: durch Heirat Mitglied einer Familie, eines Unternehmens o. Ä. werden: in eine alte Familie, Firma e.

ei|nig <Adj.> [mhd. einec, einic, ahd. einac = einzig, allein, zu 1ein]: 1. in seiner Meinung [u. Gesinnung] übereinstimmend; einer Meinung, eines Sinnes: die -en Brüder; sie sind wieder e.; ich bin [mir] mit ihr darin e., dass es so nicht geht; über den Preis sind sie miteinander e. geworden (haben sie sich geeinigt); ich bin mit mir selbst noch nicht ganz e. (bin mir noch nicht ganz im Klaren), ob ich das tun soll. 2. zu einer Einheit verbunden, geeint: eine -e Nation.

an|zei|gen <sw. V.; hat>: 1. Strafanzeige erstatten: einen Dieb, einen Diebstahl [bei der Polizei] a.; den rücksichtslosen Autofahrer a. 2. wissen lassen, mitteilen, ankündigen: der Trainer zeigte der Mannschaft die restliche Spielzeit an; sie hat uns ihren Besuch angezeigt (geh.; sich zu einem Besuch angemeldet).