Literatur
Alice Schwarzer
Warum gerade sie? Weibliche Rebellen
Fortsetzung aus Nr. 03, 04/2010
Romy Schneider
Schauspielerin
Ich vermute, Männer haben immer versucht, sie zu erniedrigen, weil sie Angst vor ihrer Stärke haben müssen. Auch Meyen schlug zielsicher in eine klaffende Wunde. Romy hat – wie so viele Frauen – mörderische Komplexe. Sie hält leicht, allzu leicht, die anderen für schlauer. Wen nimmt’s Wunder? Gehört sie doch gleich dreifach zu der Kategorie Mensch, der unablässig eingehämmert wird, sie sei ja eh dumm, weil nämlich schön, Frau, Schauspielerin und Star – kann doch nur dämlich sein, oder?
Sie findet sich auch nicht besonders schön, sagt sie, halb kokettierend, halb ernst. «Ich bin fotogen. Das ist alles. Knie hab ich wie Beckenbauer.» Dennoch weiß sie, daß sie etwas kann und jemand ist. Nur wer und was? Ihr mit disziplinierter Leidenschaft erarbeitetes Talent unterscheidet sie von den meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen. Es erklärt sich unter anderem ganz sicherlich daraus, daß Romy in einer ganzen Tradition steht: Tradition von Schauspielerin und Tradition von starken Frauen. Die Mutter war Schauspielerin, die Großmutter und die Urgroßmutter war es auch. Jüngst feierte die Großmutter, einst Burgschauspielerin, in Wien ihren hundertsten Geburtstag.
In diesen Stunden, die ich mit Romy verbringe, spüre ich etwas von dieser durch Generationen gestählten Zähigkeit. Sie kann eine Nacht durchreden, kaum eine Stunde schlafen und am nächsten Tag die Böllsche Leni spielend sein.
Das Filmstudio ist ihr Terrain. Gleichzeitig aber ist sie fremd dort, wie auf der Flucht. Nach 24 Jahren Showgeschäft hat Romy Angst vor Menschen. Angst vor Maschinen. «La machine» – so nennt sie die Kamera ebenso wie mein Tonband. «Mach die Maschine aus!»
Wenn sie will, denkt sie nach; wenn nicht, verdrängt sie. Ihre Motive für das zweite Kind? Ihr Verhältnis zu Männern? Ihr Auftritt in der Talkshow, wo ihre schmerzlich-sichtbare Verletzlichkeit so schlagartig schwand, als sie an der Seite des röhrenden Supermanns Driest flugs in die ihr so glatt-vertraute Rolle der femme fatale schlüpfen konnte? Nein, sie mag nicht darüber nachdenken. Beängstigendes wird nur in kleinen, verkraftbaren Dosen eingestanden. Sich selbst und anderen. Ich kann das gut verstehen.
«Aber ich habe auch viel Kraft. Und ich bin es leid, zu lügen! Je veux enfin me trouver moi-même!» (Ich will endlich zu mir selbst finden.) – Sie hat fast die ganze Zeit französisch mit mir gesprochen. Mir war es leicht und vertraut, weil ich lange in Frankreich gelebt habe. Und Romy? Warum? «Weil alles Deutsche mir weh tut! Mir ist in diesem Land zuviel angetan worden! Ich bin jetzt Französin. Das ist meine Muttersprache.» Sie sagt es heftig und sehr, sehr verletzt. Nichts in unserem Gespräch hat sie so getroffen, wie meine Frage nach ihrem Verhältnis zu Deutschland. Und dabei ist sie für mich, die ich so lange Zeit in Paris war, gleichzeitig so rührend deutsch! Deutsch in ihrer Absolutheit, ihrem permanenten Widerspruch und ihrer quälenden Verweigerung der einfachen Lösung.
Nach der Leni, ihrem 50. Film!, will sie nie mehr in Deutschland drehen. Sagt sie heute. Sie will für eine Zeitlang überhaupt nicht mehr spielen, will ein Jahr pausieren.
«Ich bin müde. Die Batterie ist leer. Ich brauche eine Pause, will zu mir kommen. Das ist der Grund, warum ich jetzt ein Jahr aussetze. Und das Kind.» – Romy Schneider will ein zweites Kind. Über den ersten, gescheiterten Versuch, eine Fehlgeburt, hielt uns die Boulevardpresse voll auf dem laufenden. Dieses Kind will sie nicht allein, sondern zusammen mit ihrem Mann, Daniel Biasini, der sie – davon ist sie überzeugt – versteht und liebt. «Ich bin», sagt sie nicht ohne Selbstironie, «ein bißchen wie Elisabeth Taylor: die heiratet auch immer gleich die Männer, die sie liebt und will ein Kind von ihnen.»
Doch bewundern tut sie die Taylor nicht. Ihre Achtung, ihr Respekt und ihre Zuneigung gehören einem ganz entgegengesetzten Frauentyp, gehören Simone Signoret. («Ich glaube, Simone hat nie wirklich begriffen, wie sehr ich sie verehre.») Simone Signoret ist in Frankreich eine der ganz wenigen Filmschauspielerinnen, die mit dem Ende ihrer Jugend und Schönheit nicht auch am Ende war. Die engagierte Linke hat sich nie gescheut, auch für unpopuläre politische Ideen einzutreten.
Eines weiß ich beim Abschied von Romy noch gewisser als vorher: wie unerträglich es ist, in ein Bild, ein Klischee gepreßt zu werden. Es imponiert mir an Romy, daß sie so daran leidet und sich so dagegen wehrt. Nicht alle wehren sich. Viele stumpfen ab, werden so reduziert wie ihre Schablone.
Und noch eines ist mir an diesem Abend besonders klar: wie beschämend es sein kann, zum Berufsstand der Journalisten zu gehören.
Aus: Alice Schwarzer: Warum gerade sie?
Weibliche Rebellen. 15 Begegnungen
mit berühmten Frauen. Frankfurt am Main:
Luchterband Literaturverlag, 1989. S. 183–190, 219–230.
Der Abdruck folgt dem Original von 1989 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.
klaf|fen <sw. V.; hat> [mhd. klaffen = schallen, klappern, schwatzen, eigtl. = mit Krachen bersten, öffnen; ahd. klaffon = zusammenschlagen, krachen, schallen]: 1. einen auffallend großen Zwischenraum, eine tiefere Spalte o. Ä. in einer üblicherweise geschlossenen Decke, Fläche bilden: Risse, Löcher klaffen im Boden, in der Decke; vor uns klafft ein Abgrund (tut sich ein Abgrund auf); eine klaffende Wunde; Ü Welten klaffen zwischen Ost und West. 2. (nordd. ugs.) laut u. viel schwatzen, plappern.
mör|de|risch <Adj.> [für mhd. mordisch]: 1. in grausamer, verbrecherischer Weise tötend, mordend, Leben vernichtend: das -e Treiben einer Bande. 2. (ugs.) a) in hohem Maße unangenehm; abscheulich, furchtbar: eine mörderische Hitze, Kälte; b) sehr stark; heftig, mächtig, gewaltig: ich habe -en Hunger; er fluchte m.; c) <intensivierend bei Adj.> sehr, überaus, äußerst: es war m. heiß, kalt.
un|ab|läs|sig <Adj.>: nicht von etw. ablassend; ohne Unterbrechung; unausgesetzt: eine -e Wiederholung; sie kramte u. in ihrer Tasche; er beobachtete mich, redete u.
Ter|rain, das; -s, -s: Gelände: das T. erkunden; Ü an T. gewinnen, verlieren; sich [mit etw.] auf ein gefährliches T. begeben.
ver|drän|gen <sw. V.; hat>: (Psych.) bedrängende Erlebnisse, Vorstellungen, Bedürfnisse o. Ä. unbewusst aus dem Bewusstsein verbannen; einen Bewusstseinsinhalt, der sich psychisch nicht verarbeiten lässt, unterdrücken: einen Gedanken, Wunsch, ein Schuldgefühl v.
röh|ren <sw. V.>: (bes. vom brünstigen Hirsch) schreien, brüllen, einen längeren lauten, hohl u. rau klingenden Laut von sich geben <hat>: Ü die Wasserspülung, der Auspuff, der Motor röhrte; röhrende Autos, Motorräder.
pau|sie|ren <sw. V.; hat>: a) eine Tätigkeit [für kurze Zeit] unterbrechen; innehalten; b) für einige Zeit ausruhen, aussetzen.
aus|set|zen <sw. V.; hat>: a) mitten in einer Tätigkeit o. Ä. plötzlich [für eine gewisse Zeit] abbrechen, aufhören: der Motor, der Atem, das Herz setzt aus; die Musik hat plötzlich ausgesetzt; b) eine Pause machen: ich muss eine Weile [wegen Krankheit] a.; beim Spiel einmal a. (eine Runde nicht mitspielen); mit der Ratenzahlung a.
jmdn. auf dem Laufenden halten: jmdn. ständig informieren.
mit etw. am Ende sein: nicht mehr weiterwissen, -können: mit seinem Wissen am E. sein.