Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №24/2008

Literatur

Hans Joachim Schädlich
Irgend etwas irgendwie

Fortsetzung aus Nr. 21, 22, 23/2008

Ich blickte auf, trank, sah die Frau zur Theke gehen, sah, daß vor der Theke eine zweite Frau saß, die nackt war, und sah hinter der Theke eine dritte Frau, nackt. Ich trank, zündete mir eine Zigarette an. Die Frau, die mir Bier gebracht hatte, kam an meinen Tisch. In der rechten Hand trug sie Zigaretten und Feuerzeug, in der linken trug sie ein Handtuch. Sie sagte, Ich setze mich zu dir, und setzte sich neben mich. Zigaretten und Feuerzeug legte sie auf den Tisch, das Handtuch legte sie auf einen Stuhl. Wie hast du uns gefunden, sagte sie. Gefunden?, sagte ich. Es ist wenig Betrieb, sagte sie, ultimo. Nächste Woche ist mehr los. Ich sagte, Was wollen Sie. Bestellst du mir einen Piccolo?, sagte sie. Nein, sagte ich. Sie sagte, Wenn du willst, ich blas dir einen. Nein, sagte ich. Sie sagte, Oder ich hol dir einen runter. Nein, sagte ich. Tja, sagte sie, stand auf, nahm Zigaretten, Feuerzeug, Handtuch und ging. Sie setzte sich neben die Frau vor der Theke, zündete sich eine Zigarette an und sagte, Hast du gelesen, Blumenkohl ist billiger geworden. Die andere Frau sagte, Und Chicoree. Die erste Frau sagte, Ich möchte mal Blumenkohl. Morgen kauf ich einen.
Die andere Frau sagte zu der Frau hinter der Theke, Mach den Fernseher an.
Im Blickfeld leuchtete der Bildschirm auf, von einer Videokassette lief ein Film ab, der eine Küche zeigte. Der Koch lachte geschäftig, öffnete seine Hose und ließ sie auf die Füße fallen. Die Küchenmamsell hockte sich vor den Koch und massierte seine Hoden. Die Frau, die mir das erste Bier gebracht hatte, kam an meinen Tisch und sagte, Noch ’n Bier? Ich sagte, Ja. Sie brachte das zweite Bier und nahm einen Gutschein. Ich sagte, Den Fernseher können Sie ausmachen. Sie sagte. Alles im Preis inbegriffen.
Die Frau, die mir zwei Biere gebracht hatte, verschwand hinter einer Tür. Sie kam angezogen zurück, grüßte die beiden Frauen an der Theke, nickte den Gästen zu und ging hinaus. Die zweite Frau, die nackt an der Theke gesessen hatte, kam an meinen Tisch. Ihre Brüste waren straff, die Haut ihres Bauches war glatt, ihr Schamhaar dunkel und dicht. Sie hielt eine Kerze in der Hand, zündete sie mit meinem Feuerzeug an, steckte die Kerze in den Kerzenständer, sagte, Noch ’n Bier? Ich sagte, Ja.
Die Frau brachte das dritte Bier, nahm den letzten Gutschein, sagte, Noch was? Ich sagte, Nein. Ich trank die Hälfte des Biers und ging zur Toilette. In der Toilette stand ein Junge, rauchte, sah mir zu. An die Wand über dem Becken hatte jemand eine Telefonnummer geschrieben, und: Suche geilen Boy, auch Neger. Daneben stand: Rassenschande. Darunter: Nazisau. Über allen Inschriften stand in Druckbuchstaben: Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein. Daneben: Sehr wahr. Darunter: Du Arschloch. Geh doch nach Polen.
Ich wusch mir die Hände. Der Junge sagte, Kann ich mitkommen?
Ich sagte, Nein.
Ich ging zurück an meinen Tisch, trank einen Schluck Bier.
Auf dem Bildschirm lief ein neuer Film an: Lolita in Schweden.
Ich zog meinen Mantel an und ging zum Ausgang. Die Frau vor der Theke winkte mir zu, rief, Tschüüs!, trank einen Schluck Wein und kehrte mir den Rücken. Auf dem Gehweg wich ich dem Hundekot aus, der aber gefroren war wie Tiefkühlkost, farbbeständig, haltbar.
Die Anruferin sagte, Geh zu Freunden.
Ich hatte es vor, sagte Einer. Aber als der Tag heran war, wußte ich nicht, wer gehen soll.
Wie, sagte die Anruferin.
Den zweiundzwanzigsten Juli, sagte Einer, wachte ich auf und lag neben mir. Ich hielt die Augen geschlossen und geöffnet. Einen Zweifel gab es nicht; ich wollte nur herausfinden, ob mir die Lage vertraut wäre. Ich erinnerte mich, daß ich zu irgendeiner Zeit von irgend jemandem gehört hatte, er betrachte sich von der Seite. Er hatte aber nicht gesagt, er sei uneins mit sich; die Betrachtung war nur gefällig oder Kontrolle. Das kannte ich, doch mit mir war etwas anderes. Ich hatte auch öfter sagen hören, jemand sei außer sich. Ich war nicht außer mir. Ich blieb stillliegen und wartete. Ich wollte Worte suchen für den Unterschied zwischen mir und mir. Aber ich merkte schnell, daß ich meiner und meiner mit Worten nicht habhaft wurde. Sobald ich zu erfassen suchte, was mich von mir unterscheidet, verschwamm der Unterschied, wie zum Spott. Ich wußte nicht einmal, wer auf Worte aus war, ich oder ich. So daß es mir fragwürdig erschien, von mir zu sprechen, zugleich aber fraglos berechtigt. Fortan dachte ich das Wort «ich» für mich und mich, wollte mich aber nicht zu zwei verschiedenen Worten entschließen. Höchstens kam es mir in den Sinn, das Wort «ich» mit zwei verschiedenen Anhängseln zu versehen, die anzuzeigen gehabt hätten, was mit mir und mir geschieht und geschehen würde. Ich beschloß aber, für mich und mich manchmal das Wort «wir» zu benutzen. Die Mißverständlichkeit lag auf der Hand. Übrigens, es fiel mir an dieser Stelle schwer, meinen Gedanken zu folgen; eine Müdigkeit wie früher in tiefer Nacht.

Fortsetzung folgt

Aus: Hans Joachim Schädlich: Ostwestberlin. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1987. S. 81–98.


Der Abdruck folgt dem Original von 1987 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

auf|bli|cken <sw. V.; hat>: 1. den Blick nach oben, in die Höhe richten; hochschauen, aufsehen: kurz, verwundert, freundlich a.; von seiner Arbeit, zu jmdm. a.; sie antwortete, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. 2. (jmdn.) bewundernd verehren: ehrfürchtig, in Verehrung zu jmdm. a.; er ist ein Mensch, zu dem man a. kann.

ul|ti|mo <Adv.>: am Letzten [des Monats]; (Abk. ult.): u. Mai.

Blick|feld, das: Gebiet, das mit den Augen erfasst werden kann: in jmds. B. geraten; Ü ein enges B. haben (beschränkt sein).

in|be|grif|fen <Adj.>: [im Preis] einbegriffen, mit enthalten: die im Preis -e Benutzung der Sauna; die Miete beträgt 750 Euro, die Nebenkosten i.

Schluck, der; -[e]s, -e, selten auch: Schlücke, als Mengenangabe auch: Schluck: 1. a) Flüssigkeitsmenge, die man beim Trinken mit einem Mal schluckt: einige S. Wasser; einen [kräftigen] S. [aus der Flasche] nehmen; Ü hast du einen S. (ugs.; etwas) zu trinken für uns?; b) (ugs.) [alkoholisches] Getränk: er weiß einen guten S. zu schätzen. 2. das Hinunterschlucken einer Flüssigkeitsmenge (als einzelner Vorgang): in/mit hastigen -en trinken.

vor|ha|ben <unr. V.; hat>: 1. die Absicht haben, etw. Bestimmtes zu tun, zu unternehmen, auszuführen: v., etw. zu tun; eine Reise v.; er hat Großes mit ihm vor; hast du heute Abend schon etwas vor? 2. (ugs.) vorgebunden haben: eine Schürze v.

ge|fäl|lig <Adj.> : 1. zu Gefälligkeiten bereit; hilfsbereit: ein -er Mensch; jmdm. g. sein (jmdm. eine Gefälligkeit erweisen); sich [jmdm.] g. erweisen, zeigen; (Amtsspr., Kaufmannsspr. veraltend; zum Ausdruck einer höflichen Bitte:) zur -en Beachtung. 2. Gefallen erweckend; ansprechend: ein -es Äußeres, Benehmen; sich g. kleiden. 3. (bes. in höflichen od. iron. Fragen) gewünscht, angenehm: wir gehen um 8 Uhr, wenns g. ist; [eine] Zigarette g.?; sonst noch etw. g.?

hab|haft <Adj.>: 1. *jmds., einer Sache h. werden (1. geh.; jmdn., den man gesucht hat, finden, ausfindig machen [u. festnehmen]; jmdn. in seine Gewalt bekommen: die Polizei konnte des Täters h. werden. 2. etw. in seinen Besitz bekommen, etw. erlangen, sich etw. aneignen: er nahm alles an sich, dessen er h. werden konnte). 2. (landsch.) sehr sättigend, schwer.