Literatur
Alice Schwarzer
Warum gerade sie? Weibliche Rebellen
Fortsetzung aus Nr. 03, 04, 05, 06, 07/2010
Nina Hagen
Sängerin
Schwarzer: Gibt es auch Dinge, vor denen du Angst hast?
Hagen: (lange Pause) Nö...
Schwarzer: Und woher hast du die Kraft?
Hagen: Tja. Es gibt vielleicht ein paar Dinge: Also irgendwann gab’s mal Biermann in meinem Leben, und der war für mich unheimlich dufte. Mit 12, 13 hab ich all seine Lieder gesungen, auf der Gitarre, und war ein richtiger Biermann-Fan. Er war ja verboten in der DDR. Und dadurch, daß meine Mutter mit ihm gelebt hat, und ich sozusagen seine Stieftochter war, hab ich automatisch zu den Außenseitern gehört. Auch in der Schule haben sie mich deswegen geschnitten, ich sollte erst mal beweisen, daß ich trotzdem eine gute Genossin war...
Schwarzer: Vielleicht ist es gut für Frauen, als Außenseiter ranzuwachsen. Nichts engt Frauen so ein, wie die Normalität.
Hagen: Glaub ich auch. Deswegen sind die Schwarzen ja auch oft so dufte Menschen. Von Biermann und meiner Mutter hab ich mich allerdings eines Tages befreit. Ich hab ihn ganz lange nicht mehr besucht, hab meine eigenen Texte geschrieben. Die waren zwar beschissen, aber es waren meine eigenen. Ich mußte mich da einfach gegen wehren. Die beiden sind nämlich sehr starke Individuen – was sie nicht daran gehindert hat, zeitweise an mir rumzuerziehen, mit Aufräumen und so. Der Biermann, der hat mich damals immer nur als Kind behandelt. Mit Sprüchen wie «Frau Gräfin steht mal wieder auf dem Sessel mit den Schuhen» und so.
Schwarzer: Gab es noch andere Einflüsse, die wichtig für dich waren?
Hagen: Klar. Das Brecht-Theater zum Beispiel. Da hab ich schon mit zehn Jahren immer rumgehangen. Das hat mich unheimlich angetörnt. Die Lieder und die ganzen Verkleidungen. Mit 12 hab ich dann den Rock entdeckt und bin erst mal ausgeflippt... Mit 17 sollte ich dann ’ne Lehre anfangen. Da bin ich aber abgehauen nach Warschau, weil ich mir erst mal überlegen wollte, was ich denn nun werden will und so. Ich wollte Leute kennenlernen, mal in einer Band singen. Auf die Idee zu kommen, war in dem Milieu, in dem ich gelebt habe, ja nicht so ausgefallen. Meine Mutter singt ja auch. Die erste Zeit hab ich immer mit ihr zusammen zu Hause gesungen. Da hatte ich meine richtige Stimme noch überhaupt nicht entdeckt, da hab ich immer nur leise gesungen, so mit normaler Singstimme. Ich hab mich eben noch nicht getraut. Na, und in Warschau habe ich angefangen. Mit Janis und Blues. Zurück in der DDR bin ich dann in das Studio für Unterhaltungskunst gegangen, ein Jahr lang.
Schwarzer: Und wie haben Biermann und deine Mutter darauf reagiert?
Hagen: Na, die haben erst mal die Nase gerümpft, haben gesagt: Jetzt wird sie Schlagersängerin... Aber ich bin dann doch nicht Schlagersängerin geworden, sondern nur so halb, weil manche Sachen sich eben in der DDR nicht ganz vermeiden lassen. Besonders am Anfang, wo ick noch nicht so auf mir drauf war wie heute.
Schwarzer: Wenn du sagst, «auf mir drauf sein», dann meinst du ja, du selbst sein zu können. Ich habe das Gefühl, daß da auch die Londoner Zeit eine große Rolle gespielt hat.
Hagen: Ja, unheimlich. Da bin ich hin, kurz nachdem ich hier rüber gekommen bin. Vor London hatte ich zwar auch schon irgendwie ’nen Stil mich anzumalen und anzuziehen, der war schon immer irgendwie verrückt, aber doch nicht ganz so. Und als ich dann die «Slits» kennenlernte, besonders die Ariane, die 15jährige, da ist mir klar geworden, daß man jung im Kopf bleiben kann – wenn man sich nur Mühe gibt.
Aus: Alice Schwarzer: Warum gerade sie?
Weibliche Rebellen. 15 Begegnungen
mit berühmten Frauen. Frankfurt am Main:
Luchterband Literaturverlag, 1989. S. 183–190, 219–230.
Der Abdruck folgt dem Original von 1989 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.
duf|te <Adj.> [jidd. toff(te), taff] (salopp, bes. berlin.): ausgezeichnet, großartig; erstklassig: ein -s Mädchen; der Urlaub war d.
Au|ßen|sei|ter, der; -s, - [LÜ von engl. outsider]: 1. (Sport) Wettkampfteilnehmer, dessen Gewinnchancen gering zu veranschlagen sind: ein krasser A. 2. abseits der Gesellschaft, einer Gruppe Stehender; jmd., der seine eigenen Wege geht: er ist immer ein A. gewesen.
schnei|den <unr. V.; hat> [mhd. sniden, ahd. snidan, urspr. = mit scharfem Gerät schneiden od. hauen; LÜ von engl. to cut a person]: jmdn. bei einer Begegnung absichtlich, demonstrativ nicht beachten, übersehen u. ihm damit zeigen, dass man nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte: die Nachbarn, Kollegen schneiden ihn.
ein|en|gen <sw. V.; hat>: a) in seiner Bewegungsfreiheit beschränken: die neue Jacke engte ihn etwas ein; sich eingeengt fühlen; b) nicht genug Raum lassen; einschränken: jmds. Blick[feld] e.; diese Maßnahmen engen unsere Rechte ein; einen Begriff e.
weh|ren <sw. V.; hat> [mhd. wern, ahd. werian, eigtl. = mit einem Flechtwerk, Schutz(wall) umgeben, verschließen, bedecken, schützen]: 1. <w. + sich> a) zu seiner Verteidigung jmdm. körperlich Widerstand leisten: sich tapfer, heftig, erbittert, mit aller Kraft, verzweifelt [gegen einen Angreifer, einen Angriff] w.; du musst dich w., wenn sie dich verprügeln; sie weiß sich zu w.; b) etw. nicht einfach hinnehmen, sondern dagegen angehen, sich dagegen verwahren: sich gegen eine Unterstellung, eine Anschuldigung, gegen Verdächtigungen, Vorwürfe [heftig, mit aller Macht] w.; c) sich widersetzen, sich gegen etw. sträuben: er wehrte sich [dagegen], diese Arbeit zu übernehmen. 2. (geh.) jmdm., einer Sache entgegenwirken, dagegen angehen, einschreiten: dem Bösen, feindlichen Umtrieben, einer Gefahr, einem Unheil w.; R wehret den Anfängen! 3. (geh. veraltend) verwehren, untersagen: jmdm. den Zutritt w.; ich will, kann es dir nicht w.
rum|hän|gen <st. V.; hat> (ugs.): 1. ohne sinnvolle Beschäftigung sein. 2. sich irgendwo ohne eigentlichen Grund, zum bloßen Zeitvertreib aufhalten. 3. herumhängen: lass deine Klamotten hier nicht immer r.!
an|tör|nen <sw. V.; hat> [aus engl. to turn on, eigtl. = aufdrehen] (ugs.): 1. in einen Drogenrausch versetzen. 2. in Erregung, Rausch o. Ä. versetzen: sie törnt mich ganz schön an; die Musik törnte sie an.
aus|flip|pen <sw. V.; ist> [nach engl. to flip (out) = verrückt werden] (ugs.): a) sich bewusst außerhalb der gesellschaftlichen Norm stellen, die Gesellschaft verlassen, weil ihre Wertmaßstäbe nicht akzeptiert werden: sie flippte aus, kündigte und reiste nach Indien; b) die Nerven verlieren, kopflos werden: er flippt bei jeder ungewöhnlichen Belastung aus; c) ärgerlich, wütend werden: mein Vater flippt aus, wenn er das hört!; d) vor Freude, Begeisterung o. Ä. ganz außer sich geraten: über ihren Erfolg war sie total ausgeflippt.
ab|hau|en <unr. V.; haute/(geh.:) hieb ab, abgehauen>: <nur: haute> (salopp) sich davonmachen, verschwinden <ist>: er haute mit dem ganzen Geld ab; Mensch, hau bloß, endlich ab!; sie sind über die Grenze abgehauen; von zu Hause a.
aus|ge|fal|len <Adj.> [eigtl. = aus dem Üblichen herausgefallen]: ungewöhnlich, nicht alltäglich, extravagant: ein ausgefallenes Muster; ihr Geschmack ist etwas a.
die Nase rümpfen: jmdn., etw. gering schätzen, auf jmdn./etw. verächtlich herabsehen.