Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №1/2010

Literatur

Helga Schubert
Die Silberkrone

Fortsetzung aus Nr. 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24/2009

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Marie weiß, daß manche eine Rente bekommen als Opfer des Faschismus. Aber früher hat das niemand für sie beantragt. Und später, als sich sogar der Bürgermeister kümmerte, lebte kein Zeuge mehr für das Leben und den Tod der Mutter.
Das Geld, das sie braucht, verdient sie sich im Krankenhaus. Davon geht nur das Fahrgeld ab. Das Rabattgeld vom Konsum verwendet sie für die Weihnachtsgeschenke. Das Geld, das sie von uns bekommt für die frischen Eier, ist eine geheime Einnahmequelle. Davon schenkt sie ihrer eigenen Tochter etwas für die Wirtschaft, ein Laken und zwei Handtücher. Denn diese Tochter wohnt mit ihrem sechs Monate alten Kind bei den zukünftigen Schwiegereltern, während ihr Freund jetzt drei Jahre zur Armee gekommen ist. Ganz versteht Marie nicht, warum die Tochter wegging. Aber sie hat dort einen kürzeren Weg zur Kinderkrippe und zur Arbeit, wenn sie erst einen Krippenplatz und nach dem Babyjahr Arbeit hat.
Manchmal braucht Paul Geld zum Trinken. Dann kommt er zu uns, in den Hosentaschen frische Eier, die er aus dem Stall geholt hat. Das dürfen wir aber Marie nicht erzählen.

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Paul und Marie hatten schon viele Hunde. Jedesmal sollte es ein scharfer werden, der wachsam den Hof verteidigt, kein Fressen von andern nimmt, Ratten fängt und nicht wegläuft. Aber es fügte sich nie so. Der erste Hund, den wir bei ihnen kennenlernten, war ein großer, schwarzer alter Schäferhund. Tags und nachts lief er frei herum, auch unser Garten gehörte ihm. Mittags besuchte er uns, zwängte sich durch den Koppelzaun. Mit angelegten Ohren und schwanzwedelnd hoffte er auf Reste des Mittagessens. Wenn wir im Dunkeln nach Hause kamen und der Mond nicht schien, bemerkten wir ihn erst, wenn er mit seiner warmen Zunge unsere Hände leckte. Wenn wir spazierengingen, begleitete er uns, jagte einem aufschreckenden Reh hinterher oder packte ein junges wildes Kaninchen am Genick. Wenn wir ihn danach nie mehr mithaben wollten, blieb er mit gesenktem Kopf vor seinem Hof stehen.
Der junge Bauer, der Sohn von Marie und Paul, wollte für seine Wirtschaft auch einen Hund. Darum kaufte er sich einen jungen schwarzen Schäferhund. Und weil sie nicht zwei so große Hunde ernähren wollten, ließen sie den alten Hund erschießen. Dem Sohn soll es nicht leichtgefallen sein, als er den alten Hund beim Kopfschuß festhielt. Kurz danach kränkelte der junge Hund. Der Tierarzt hielt es für Tollwut. Und er hatte recht. Inzwischen war für Marie ein winziger Mischling angeschafft worden. Da er mit dem jungen tollwütigen Tier gespielt hatte, erschlugen sie ihn vorsorglich und vergruben ihn.
Nach einigen Wochen gab es wieder zwei Hunde gegenüber, einen neuen Mischling für Marie mit dem Namen seines Vorgängers und einen echten Hund, einen Rottweiler, für den jungen Bauern. Damit wollte er eine Zucht beginnen. Die beiden spielten, machten längere Ausflüge. Von einem kehrten sie nicht zurück. Sie waren in eine Treibjagd geraten. Dann hatten Marie und Paul zwei weiße gefleckte Hunde, einer häßlicher als der andere. Der nicht ganz so häßliche hieß Heidi, wohl nach Johanna Spyri, und gehörte Marie. Er hatte keine Überlebenschancen, denn er fing keine Ratten. Also wurde er erschlagen. Der Rattenfänger ging in Maries Besitz über, bevor er fünf Junge warf. Die wurden sie im Dorf reißend los, weil sich die Rattenfängerkünste herumgesprochen hatten. Heidi hatte auch fünf Junge, die wurden am ersten Lebenstag erledigt, noch bevor Heidi selbst rübergeholfen wurde.
Wie bringt ihr die Tiere eigentlich immer um, frage ich Paul.
Er lächelt stolz. Ich kann morden.
Marie liebt die Rattenfänger-Hündin nicht. Ich habe sie sie noch nie streicheln sehen.

Fortsetzung folgt

Aus: Helga Schubert: Schöne Reise. Geschichten. Aufbau-Verlag,
Berlin und Weimar 1988. S. 54–66, 113–117.

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1988 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

be|an|tra|gen <sw. V.; hat> [für älter antragen, zu Antrag]: a) [auf schriftlichem Wege] (die Gewährung von etw.) verlangen: ein Visum, ein Stipendium, Kindergeld, seine Versetzung b.; [beim Chef] Urlaub b.; [bei der Krankenkasse] eine Kur b.; [bei der Geschäftsleitung] einen weiteren Mitarbeiter b.; b) die [Beschließung u.] Durchführung von etw. verlangen: die Auslieferung eines Straftäters b.; für einen Angeklagten Haftverschonung b.; beim/(schweiz. Amtsspr.:) dem Verwaltungsrat eine Vertagung b.

Kon|sum, der; -s, -s (veraltet): 1. <o. Pl.> Konsumverein. 2. Laden einer Konsumgenossenschaft, eines Konsumvereins: im K. einkaufen. Kon|sum|ver|ein, der: vgl. Kon|sum|ge|nos|sen|schaft, die (Wirtsch.): Genossenschaft von Verbrauchern mit dem Zweck des möglichst günstigen Großeinkaufs u. preiswerten Einzelverkaufs von Konsumgütern.

zwän|gen <sw. V.; hat> [mhd. zwengen, twengen, ahd. dwengen, Kausativ zu zwingen u. eigtl. = drücken machen]: 1. gewaltsam auf engem Raum irgendwohin schieben o. Ä.: dicke Bücher in seine Aktentasche z.; sich durch die Sperre, in den überfüllten Bus z.; Ü etw. in ein System z. 2. (schweiz.) drängeln, jmdn. ungeduldig zu etw. zu bewegen suchen.

schwanz|we|delnd <Adj.>: mit dem Schwanz wedelnd. we|deln <sw. V.> [mhd. wedelen, zu Wedel]: <hat> a) etw. Leichtes rasch hin u. her bewegen: mit der Hand, einem Tuch, einem Bündel Geldscheinen w.; der Hund wedelt mit dem Schwanz; b) etw. durch Wedeln (a) von irgendwo entfernen, irgendwohin befördern: er wedelte mit einer Zeitung die Krümel vom Tisch, auf den Boden; c) jmdm., sich etw. durch Wedeln (a) verschaffen: sich, jmdm. mit einer Zeitung Kühlung w.

Toll|wut, die (Med.): (bei Haus- u. Wildtieren vorkommende) gefährliche, einen Zustand von Über­erregtheit hervorrufende Viruskrankheit, die durch den Speichel kranker Tiere auch auf den Menschen übertragen werden kann.

vor|sorg|lich <Adj.>: 1. zur Vorsorge erfolgend: -e Maßnahmen ergreifen; sich v. mit etwas eindecken; v. Rechtsbeschwerde einlegen. 2. auf Vorsorge bedacht, stets Vorsorge treffend: er ist sehr v.

Zucht, die; -, -en: <o. Pl.> das Pflegen, Aufziehen, Züchten (von Tieren od. Pflanzen); Züchtung: sie half ihm bei der Z. seiner Orchideen, von Rosen; sie beschäftigt sich mit der Z. von Rauhaardackeln.

Treib|jagd, die (Jägerspr.): Jagd, bei der das Wild durch Treiber aufgescheucht u. den Schützen zugetrieben wird: eine T. veranstalten; Ü sie machten eine T. auf die versprengten Gegner.

rei|ßend: sehr schnell (zu verkaufen): -en Absatz finden; etw. r. verkaufen.